Erinnerung an die Opfer des NSU auf der Keupstraße
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#KeinSchlussstrich: Demonstrationen nach der Urteilsverkündung

 

Nach dem Ende des NSU-Prozesses sehen viele Menschen in Deutschland noch keine Ende der Aufklärungsarbeit über rechtsterroristische Strukturen gekommen: Das zeigten Demonstrationen unter dem Motto #KeinSchlussstrich in ganz Deutschland.

 

Von Luka Lara Charlotte Steffen und Jennifer Marken

 

Nach der Urteilsverkündung im NSU-Prozess sind zentrale Fragen zu den Verbrechen des NSU nicht beantwortet. Die Strafmaße für die fünf Angeklagten senden zwiespältige Signale. Besonders das Urteil von André Eminger ist laut Nebenklage Anwalt Alexander Hoffmann „ein Schlag ins Gesicht“ . Gestern demonstrierten Tausende bundesweit für die weitere Auflösung des NSU-Komplexes.  In München waren rund 5.000 Menschen auf der Straße. Die Kampagne „Kein Schlussstrich“ konstatierte auf Twitter:  „Nach 5 Jahren #NSUProzess gibt es mit uns #keinSchlussstrich, denn die gesellschaftlichen Bedingungen, die den NSU möglich machten, bestehen fort. Der Prozess ist zu Ende, jetzt ist die Zeit des Handelns.“ Im Verlauf des Prozesses wurde weder die Rolle des Verfassungsschutzes, noch die Verbindung des sogenannten „Trios“ zu rechtsextremen Netzwerken und Kameradschaften wurde untersucht. 

 

 

Sookee und die Antilopen Gang spielten aus Solidarität mit allen Betroffenen und Angehörigen am Mittwochnachmittag ein Konzert vor dem Gerichtsgebäude in München. 

In Hamburg  versammelten sich über 1000 Menschen in der Schützenstraße. Dort wurde Süleyman Tasköprü am 27.6.2001 in seinem Laden vom NSU ermordet.  Am 14.07 findet in Hamburg eine weitere Demo statt. 

 

Nach den NSU-Monologen des Dokutheaters „Bühne für Menschenrechte“ ging auch in Berlin die Demonstration los. In den Redebeiträgen wurde an die Opfer des NSU erinnert und eine weitere Aufklärung gefordert. Auch hier waren mehr als 1.000 Menschen auf der Straße. Auch in Hannover, Bielefeld, Münster, Dortmund, Lüneburg und weiteren Städten fanden Demonstrationen statt.  Neben der Erleichterung über die Verurteilung von Zschäpe, überwiegt die Empörung über das Urteil von Eminger und die ausbleibende Untersuchung rechtsextremer Netzwerke und der Involvierung des Verfassungsschutzes. So z.B das kürzlich eingestellte Verfahren gegen Andreas Temme, der laut mehreren Gutachten beim Mord an Halit Yozgat in Kassel zum Zeitpunkt der Tat am Tatort war. 

 

 

 

Erinnerung an die NSU Opfer in Köln

Auch in Köln, Tatort von allein zwei bis heute in keinster Weise befriedigend aufgeklärten NSU-Mordversuchen, wurde am Tag der Urteilsverkündung an die Opfer, an die zu Unrecht über Jahre von den Sicherheitsbehörden als „Täter“ behandelten Familienangehörigen der Opfer gedacht.

Auf dem Außengelände einer in Renovierung befindlichen Villa unweit der Keupstraße fand über mehrere Stunden hinweg eine Erinnerungsveranstaltung der Initiative „Keupstraße ist überall“ statt. Einen Tag zuvor war bereits aus Köln ein Bus der Initiative zum Prozess nach München gefahren.

Der in Köln bekannte Aktivist Peter Bach von der Köln-Mülheimer Initiative „Keupstraße ist überall“, Mitat Özdemir, ehemaliger Vorsitzender der IG Keupstraße, Maria Fichtel, städtische Wohnraumkoordinatorin für Mülheim und Meral Sahin, Vorsitzende der IG Keupstraße zeigten sich bei einem Pressegespräch nicht optimistisch, was die Bedeutung des Urteils betrifft.

Eine solche Mordserie könne jederzeit wieder auftreten. Dem Urteil selbst, so Mitat Özdemir, messe er keine große Bedeutung bei. „Die große Wurzel des Rechtsextremismus ist noch da.“ Dieser könne jederzeit wieder aufblühen.

Immer wieder wurde betont, dass das Urteil im NSU-Prozess für die Anwohner der Keupstraße keinen Schlusspunkt darstelle. „Ich habe erwartet, dass alles lückenlos aufgeklärt wird. Das ist nicht geschehen“, beklagte Özdemir. Es gäbe weiterhin „mehr Fragen als Antworten“ bei beiden Kölner NSU-Mordversuchen:  Wer seien die Hintermänner?  „Wer hat die Waffen besorgt?“

Dass die drei NSU-Haupttäter den hinterhältigen Anschlag in der Probsteigasse allein verübt haben, glaubt in Köln niemand. Das 18-jährige Opfer überlebte nur mit äußerstem Glück. Heute arbeitet die junge Frau als Ärztin. Die von deren Eltern angefertigte Täterbeschreibung  habe keinerlei Ähnlichkeit mit Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos ergeben.  Das Phantombild des Täters wies jedoch erstaunliche Übereinstimmungen mit einem führenden Kölner Rechtsextremisten auf. Dieser war früher Mitglied der Kameradschaft "Walter Spangenberg" und wegen eines Sprengstoffdeliktes aus dem Jahr 1985 vorbestraft. Bald wurde aufgedeckt, dass dieser Mensch für den Verfassungsschutz arbeite (vgl. Kölner Stadtanzeiger, Spiegel online). Der Mann soll eine neue Identität erhalten haben, sein Name darf nicht mehr genannt werden. Vertrauen hat dies wirklich nicht geschaffen.

Als vor 14 Jahren die Nagelsplitterbombe in der Keupstraße explodierte, hatten Kölner Initiativen sehr früh Rechtsradikale als Täter vermutet. Über Jahre hinweg wurden die Opfer und deren Angehörigen von staatlichen Behörden beschuldigt und vernommen. Das Vertrauen zum Rechtsstaat erlitt einen dauerhaften Schaden.

Peter Bach hob die rassistische Dimension des gezielten Mordanschlages in der Keupstraße hervor: „Diese multikulturelle Straße wurde zum Anschlagsziel, weil sie ein gelungenes Projekt ist.“ Weil sie eine Erfahrungsgeschichte habe. Diese Erfahrung sollte gezielt ausgelöscht, die Menschen zum Schweigen gebracht werden. Wichtig sei ihm jedoch, dass sie sich in Köln-Mülheim nicht hätten unterkriegen lassen. Der Zusammenhalt, die Solidarität, das Vertrauen sei untereinander gewachsen. 

Auf der mit knapp 100 Besuchern eher schlecht besuchten Gedenkveranstaltung – diese fand jedoch während der Arbeitszeit statt - wurden nacheinander Fotos der 10 Ermordeten gezeigt, deren Namen verlesen. Es folgte eine Schweigeminute. Auf einem riesigen Transparent, das an der Außenmauer der Villa hochgezogen war, wurden die wichtigsten, drängenden Fragen gestellt:

„Wer waren die Helfer des NSU in Köln? Wer baute die Nagelbombe in Köln zusammen? Warum wurden die Opfer des Anschlags auf der Keupstraße bedroht und bespitzelt? Waren Verfassungsschützer zur Zeit des Anschlags auf der Keupstraße?“

Aber auch:

„Wer hat die Probsteigasse ausgesucht? Wurden auch im Fall „Probsteigasse“ Akten vernichtet? Warum wurde der V-Mann Johannes H. nie vernommen? Warum wurde nicht bundesweit ermittelt?“

Mehrere umliegende Straßenschilder wurden mit den Namen von NSU-Opfern überklebt.

Besonders beklagt wurde, dass das Projekt eines dauerhaften, öffentlichen Mahnmals an das Attentat in der Keupstraße immer noch nicht realisiert worden ist. Die Verantwortlichen der Stadt Köln zeigten keine Bereitschaft, endlich ein angemessenes Mahnmal zu errichten. Der eigene Projektentwurf – überschrieben mit „Umkämpfte Erinnerungen“ - wurde an einer Mauer präsentiert. Im kommenden Sommer jährt sich das Attentat in der Keupstraße zum 15. Mal. Es ist zu wünschen, dass das Mahnmal dann endlich errichtet ist – in einer dauerhaften, deutlich wahrnehmbaren Form.

 

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