Die Kamera ist auf ein blondes Mädchen gerichtet. Von ihrer Moderationskarte liest sie die Nachricht des Tages vor und nutzt dabei kindgerechte Sprache. Die minderjährigen Zuhörer*innen werden bei „Jugend-tv“ mit „du“ angesprochen, die Informationen sind gerne einmal „voll krass“. Was zunächst über die Aufmachung wie das engagierte Jugendprojekt eines Lokalsenders wirkt, ist aber das Projekt eines fundamentalistischen Predigers aus der Schweiz. Auf jugend-tv.net wird antisemitische und homophobe Hetze ebenso wie Verschwörungstheorien „kindgerecht“ verpackt.
Von Marc Latsch
So berichtet denn auch das Mädchen im oben genannten Video, wie Schulen mit ihrem Aufklärungsunterricht homosexuelle Propaganda betreiben und angeblich Kinder zur Gleichgeschlechtlichkeit erziehen. Jugend.tv bietet auf seiner Website und auf YouTube eine Vielzahl Filme, sie sind voller problematischer bis offen demokratiefeindlicher Inhalte. Der Nachwuchs lernt hier sämtliche Spielarten der verschwörungstheoretischen Szene kennen und soll so bereits in frühen Jahren die „Lügen des Mainstreams“ kritisch hinterfragen.
Revisionismus, Verschwörungstheorien und Antisemitismus aus Kindermündern
Auf jugend-tv.net begegnet den Zuschauer*innen alles, was sie auch auf den verschiedenen Portalen und Blogs rechter Verschwörungstheoretiker*innen finden – bloß wird es vorgetragen von etwa 8- bis 20-Jährigen. In einem Video erklärt der Moderator die „Wahrheit“ über den Ukraine-Konflikt - und zieht dabei Parallelen zwischen den Jahren 1939 und 2014. Hierbei vollbringen die Moderatoren das Kunststück, Adolf Hitler und Wladimir Putin auf eine solche Art zu vergleichen, dass es so klingt, als hätten beide längst den Friedensnobelpreis verdient.
In einem weiteren Clip erklärt uns ein etwa 13-jähriger Junge („Da müsst ihr jetzt ganz genau hinhören!“), dass Israel Weltmarktführer im Organhandel sei – und das als Entschädigung für den Holocaust sehe. Das kommentiert er dann als „eine krasse Sache“ und fragt sogleich seine Zuschauer*innen, ob sie das nicht genauso sähen.
Auch ausführliche „Aufklärungen“ über die gesundheitlichen Folgen von Chemtrails und Handystrahlung als verschwörungstheoretische Klassiker fehlen nicht. Die Videos schwanken zwischen rechter Esoterik und offenem Geschichtsrevisionismus. Das Perfide ist ihre Aufmachung. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erklären in äußerst simpler Verpackung hier den Allerkleinsten eine krude „Weltordnung“. Offensichtlich sollen so schon sehr junge Kinder für rechtsradikales Gedankengut begeistert werden.
Die „Organische Christus-Generation“
Der Ursprung der „kindgerechten“ Nachrichten findet sich in der Schweiz. Jugend-tv.net gehört gemeinsam mit klagemauer.tv zum "Panorama-Film-Café" von Ivo und Anni Sasek. Klagemauer.tv ist praktisch die erwachsene Version von jugend-tv.net. Auch hier werden vorwiegend verschwörungstheoretische Themen sensationslüstern aufgearbeitet und als kurze „Nachrichten“ präsentiert. Abgesehen von seiner medialen Arbeit ist Ivo Sasek als Laienprediger unterwegs. Er ist Gründer der „Organischen Christus-Generation“, der in der Schweiz und Deutschland etwa 2000 Personen angehören. Diese sektenähnliche religiöse Bewegung orientiert sich an einer radikalen Lehre. Nicht nur die Bibel, sondern auch nachfolgende Schriften von göttlich inspirierten Personen gelten als religiöse Grundlage. Ivo Sasek sieht sich dabei in einer Einheit mit dem Schöpfer, sein Wort gilt als Gottes Wort. Seine Anhänger sollen ihr ganzes Leben auf Gott ausrichten, Platz für andere Interessen und Einflüsse von außen bleibt da nicht. Ivo Sasek hingegen widmet sich nicht nur dem spirituellen Kampf gegen den Teufel, sondern ist auch weltlich sehr aktiv. So gründete er vor einigen Jahren mit der „Anti-Zensur-Koalition“ (AZK) ein Forum für Verschwörungstheoretiker jedweder Couleur.
Von außerirdischer Präsenz bis zum dritten Weltkrieg
Mindestens ein Mal im Jahr versammeln sich insbesondere die Anhänger Ivo Saseks bei den Konferenzen der AZK und lauschen den unterschiedlichsten Beiträgen vom kruden Rand der Gesellschaft. Im Juli 2014 fand dieses Treffen bereits zum zehnten Mal statt. Sasek widmete seine Auftaktrede der Verhinderung des nächsten Weltkrieges, bevor Jürgen Elsässer vom bereits stattfindenden Angriff gegen Russland zu berichten wusste. Es folgten Beiträge über Frühsexualisierung als Kindesmissbrauch, die Wahrheit über HIV/Aids und das Betrugsmodell unseres Finanzsystems.
Die Aktivisten der AZK widmen sich entweder verschwörungstheoretischen Klassikern wie außerirdischer Präsenz, freier Energie und Mind Control, oder aber sie stellen Gegenthesen zu Meinungen des „Mainstreams“ auf. Es ist eben jene Propaganda, die auf jugend-tv.net dem Nachwuchs unterbreitet wird. Das Portal ist eine Art Schule für die große weite Welt der Verschwörungstheorien, in diesem Fall fußend auf einem religiös begründeten, antidemokratischen Fundamentalismus. Die jungen Zuschauer sollen zu einer Grundskepsis gegenüber der Gesellschaft erzogen werden. Homophobie, Antisemitismus und die Ablehnung eines freien Lebensstils werden als normale Haltung präsentiert. Die „Nachrichtensendungen“ sind Teil einer perversen Rekrutierungsmaschinerie für die pseudoreligiöse Bewegung des Ivo Sasek und fischen nach neuen Anhänger*innen gerade unter denen, die sich noch in der Orientierungsphase des Lebens befinden. Ein Plan, der umso eher scheitern wird, je mehr Eltern und Jugendarbeiter*innen sich dieser Gefahr bewusst sind und Kindern als Ansprechpartner*innen zur Verfügung stehen, wenn diese nach Antworten suchen, weil sie ein „komisches“ Video „zum Bankensystem“ auf YouTube gesehen haben.