Neonazi-Aufmarsch in Berlin: Antisemitismus, Rassismus und starker Gegenprotest

Am Samstag liefen rund 700 Neonazis durch Berlin Friedrichshain und Lichtenberg. Tausende demonstrierten gegen diesen NS-verherrlichenden Aufmarsch. Dennoch wird die rechtsextreme Szene diesen „Gedenkmarsch“ als Erfolg werten.

 

Von Zamira Alshater

 

Wie im Vorjahr war auch am vergangenen Samstag der rechtsextreme Rudolf-Heß-Aufmarsch in Spandau angekündigt. Seit dem frühen Morgen fanden hier zahlreiche Kundgebungen gegen die Verherrlichung von NS-Ideologie statt, an denen sich rund 2.500 Menschen beteiligten. Um 12 Uhr begann schließlich die Gegendemonstration „Keine Verehrung von Naziverbrechern“.

 

Im vergangenen Jahr konnten die Neonazis dank engagiertem Gegenprotests inklussive Sitzblockaden ihre gewünschte Route nicht marschieren und zogen lediglich einmal um den Block. Offenbar fürchteten die Rechtsextremen auch in diesem Jahr den starken Protest der Zivilgesellschaft in Spandau, weshalb sie im Vorfeld eine weitere Demonstration angemeldet hatten - in Friedrichshain und Lichtenberg, im Zentrum Berlins. 

 

Und so trafen auch nur vereinzelte rechtsextreme Grüppchen zum angegebenen Startpunkt um 12 Uhr am Spandauer Bahnhof ein, um schließlich vom Versammlungsleiter zu erfahren, dass die Demonstration aufgelöst sei. Und so fuhren die Neonazis und viele Gegendemonstrant*innen schleunigst nach Mitte, zum Alexanderplatz. Von dort machen sich die Neonazis in Kolonnen auf abgesperrten Straßen und begleitet von der Polizei auf zum Platz der Vereinten Nationen, wo ihre Ausweich-Demonstration gegen 14 Uhr  beginnen sollte. Die Vermutung liegt nahe, dass die meisten Neonazis über die geänderte Route informiert waren.

 

Gegen 15 Uhr konnten die Heß-Fans gesäumt von einem massiven Polizeiaufgebot schließlich los laufen, in Richtung Lichtenberg. Sobald die Neonazis am Rande ihrer Demo Menschen erblickten, denen sie aufgrund ihrer äußeren Merkmale absprachen Deutsche zu sein, folgten wüste rassistische und islamfeindliche Beleidigungen. Aber auch die Gegendemonstrant*innen wurden aufs Übelste beschimpft.  

Die Ewiggestrigen sollten sich möglichst trauernd geben. Auch Parolen waren untersagt. Lediglich ein Fahrzeug lullte die umherstehenden mit theatralischer Musik ein, schließlich wollten die Rechtsextremen an diesem Tag um Rudolf Heß trauern. 

Am 17. August 1987 brachte sich Hitlers Stellvertreter im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau um - deshalb „gedenken“ Neonazis rund um diesen Tag ihrem „Helden“. Sie glauben jedoch er sei im Alter von 93 Jahren, nach vier Suizidversuchen, von den Alliierten ermordet worden. Kein anderer NS-Kriegsverbrecher wird in der Neonazi-Szene so verehrt wie Heß.

 

 

Doch so richtige Trauer-Stimmung kam bei den Rechtsextremen nicht auf. Obwohl auf der Ausweichroute keine großen Gegenproteste geplant waren, gelangten immer wieder Demonstrant*innen in Hör- und Sichtweite der Neonazis und brüllten ihnen ihre Wut und ihr Unverständnis entgegen. Besonders für viele Anwohner*innen in Friedrichshain, einem alternativ geprägten Viertel, war es ein Schock, als sie plötzlich feststellen mussten, dass wieder Faschisten vor ihrer Haustür marschieren und so hängten zahlreiche Menschen Bettlaken mit Protest-Slogans aus ihren Fenstern oder stellten sich an die Straße und wünschten die Neonazis zum Teufel.

 

Dieser mutige Anwohner hängte sein Statement direkt über dem Ort der Abschluss-Kundgebung aus dem Fenster.

 

Eine junge Frau fiel dabei besonders auf: In entgegengesetzter Richtung zu den NS-Verherrlichern lief sie aufgebracht, mit einem kleinen Kind auf dem Arm und schrie immer wieder in den Demonstrationszug hinein: „Ich bin Jüdin! Ich bin Jüdin! Ich bin Jüdin! Und was jetzt?“ Von dieser starken Geste der jungen Frau waren wohl auch die meisten Neonazis zunächst perplex, bis sie anfing zu feixen und irgendetwas von „Kohle“ raunten. 

Mutige Gegendemonstrat*innen 

Laut dem Jüdischen Forum wurden, trotz strenger Auflagen der Polizei zudem offen antisemitische Parolen skandiert. Demonstrationsteilnehmer*innen sangen „Wo man Juden deportiert, da ist das Rheinland!“. Es wurden mehrfach Hitlergrüße gezeigt. Zudem waren vereinzelte „Wo ist eure Anne Frank?“-Rufe zu hören.

NPD-Vize Thorsten Heise (l) und der Neonazi Thomas Wulf ("Steiner")

 

Auf der Abschlusskundgebung am Bahnhof Lichtenberg sagte der Berliner NPD-Kader Sebastian Schmidke, in Zukunft solle es am Heß-Marsch nicht mehr um Trauer gehen, das könne man an jedem anderen Tag im Jahr an den Gräbern deutscher Soldaten machen, sondern um Symbolik. „Der Name Rudolf Heß ist durch die Presse und durch unsere Demonstration wieder in aller Munde gekommen.”

 

Kurz vor der Abschlusskundgebung gingen viele der erschöpften Neonazis noch mal schnell zu Penny. Allerdings war das nicht gern gesehen, schließlich sollten ja gleich die großen Reden geschwungen werden und dazu bedarf es eines Publikums. Und so wurde einer der Ordner recht ungehalten und frag, wie man so den Kampf gewinnen könne, wenn keine Disziplin herrsche. Seine Kameraden brüllte er an: „Ihr wollt Kämpfer sein? Ihr habt doch gar keine Disziplin. So wird das nichts.“

 

Es ist absolut inakzeptabel, dass dieser Mob am Wochenende durch Berlin marschieren konnte und seine rechte Gesinnung, zwar weniger in Worten dafür auf der Haut und auf T-Shirts, zur Schau stellen konnte. Dass sie ihren „Trauermarsch“ zur Verbreitung menschenfeindlicher Ideologien, nun im Zentrum Berlins durchführen konnten, wird die extrem rechte Szene als Erfolg werten - und dass, obwohl es doch nur die Ausweichroute war. Zwar hat man es in diesem Jahr geschafft, dass die Heß-Fans nicht wieder in Spandau marschieren, doch es darf auch nicht sein, dass sie ins Zentrum Berlins „ausweichen“. Ein Aufzug von Personen mit derart menschenverachtenden Ideologien gehört weder ins Zentrum noch an den Rand Berlins – oder irgendwo hin.  

 

 

Weitere Bilder

Heß-Gedenkmarsch am 18.08.2018 in Berlin

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