Leon Kahane, Art Trolls, 2017, n.b.k. Berlin
Leon Kahane

Hate Speech zum Anfassen – Art Trolls

Inwiefern kann sich Hate Speech als performative gesellschaftliche Praxis materialisieren und architektonisch spiegeln? Im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) diskutierten der Künstler Leon Kahane und der Architekt Roger Bundschuh im Rahmen der Veranstaltung #SpaceOfDebate – Hate Speech: Virtuelle Architekturen in Bezug auf die Arbeit Art Trolls über unsichtbare (virtuelle) Arbeitsplätze in Trollfabriken, wie sie u. a. aus Russland bekannt sind , und den Effekt der dort permanent produzierten Hate Speech auf den gesellschaftlichen Körper. 

Von Alina Darmstadt

 

Die Banalität des Hasses

Fabriken mit massenhaft Trolls an anonymen Arbeitsplätzen beeinflussen die Welt. Hass, Hetze, Desinformation und sprachliche Gewalt - Hate Speech - werden permanent produziert und auf alle möglichen virtuellen Plattformen gesendet. Diskurse und Debatten formieren, deformieren sich und verändern ganz nebenbei den gesellschaftlichen Körper. Im n.b.k. ist die Trollfabrik -Art Trolls- von Leon Kahane installiert. Im Showroom des ersten Stocks der konkrete anonyme Arbeitsplatz der Trolle, im Performanceraum im Erdgeschoss deren Dauerbetrieb als behauptete und gesendete Live-Übertragung. 

 

Dabei ist für Leon Kahane und Roger Bundschuh gerade der Ausgangspunkt der Arbeitsweise und Sprache des Internettrolls, bzw. deren Einfluss auf das reale politische Leben, interessant. Trollfabriken assoziieren sich erst einmal durch ihre Arbeitsweise im virtuellen Raum und nehmen dann in der permanenten Verbreitung von Hate Speech Einfluss auf die Körperlichkeit unserer gesellschaftlichen Realität. 

 

Trolling als politische Realität und Strategie-Instrument

Dabei gehe es insbesondere erst einmal auch um die Frage einer Definition der Troll-Tätigkeit. Trolling werde oft mit einer persönlichen Leidenschaft assoziiert. Individuelle Personen, denen durch die Produktion von Desinformation und deren gezielter Streuung, erst einmal eine Überzeugung unterstellt werde. In der aktuellen Geschwindigkeit und der massenhaften Produktion der Trollfabriken sei der Aspekt der Individualität aber immer unwahrscheinlicher: der Einzelne transformiert sich zum „fleischgewordenen Eingabeinstrument“ eines gebündelten Fabrizierens mit dem Ziel gesellschaftliche Diskurse verändern zu können. 

Dabei sei der Internet-Troll an sich kein neues Phänomen. Schon seit den 1990er Jahren existiere Häme und Hate Speech als eigene Sprache bestimmert virtueller Plattformen, wie "Chat-Roulette". Neu sei nun, dass der dort etablierte sprachliche Duktus sich auf Plattformen verschiebt, die meinungsbildend und damit kulturprägend sind. Für Kahane und Bundschuh gehe es vor allem um das Spannungsfeld und die Frage der kulturellen gesellschaftlichen Prägung. Die einzelnen Trolle in den Fabriken verbreiten nicht ihr jeweils eigenes, sondern ein bestimmtes vorgefertigtes Weltbild. Dazu werde in der formalen Gestaltung der Hassnachrichten etablierte Stilmittel adaptiert und ausgehöhlt. Kulturelle und gesellschaftliche Konstanten transformieren sich so zur Projektionsfläche und Instrument. Die ideale Form eines Propagandainstruments. 

 

Kulturpessimismus und Technikfeindlichkeit

Aber warum genau die Hinwendung zu Hate Speech und dem Bösen? Gerade für den aktuellen Big-Data-Diskurs und die Angst vor Datenmissbrauch gebe es vor allem in Deutschland eine über Generationen gepflegte Technikfeindlichkeit, ein erstarkendes Misstrauen gegenüber Institutionen und einen resultierenden Kulturpessimismus. Schon im Nationalsozialismus habe sich der Wunsch nach einer Rückwendung zum Natürlichen und dem Reinen gefestigt. Aus den schon dort etablierten Feindbildern nähre sich die Verbreitung von Desinformation und das Ziel der Prägung des gesellschafts-politischen Körpers. 

 

In der Arbeit Art Tolls gehe es vor allem um den Umkehrschluss und die Frage, welche architektonische Realität nun den Troll umgibt und welche Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Arbeitsplatz eines Trolls mit sich bringt. 

Wenn der Troll sich als bloßes Propaganda-Instrument entlarvt, zur Eingabemaschine wird, ist die funktionale formale Notwendigkeit des Arbeitsplatzes, wie bei den meisten anderen Jobs auch, schlicht auf den Rechner und ein Telefon begrenzt? Vertrauen die Konsument_innen auf die Übertragung des Monitors, stellen sie sich die Frage einer realen Existenz des Arbeitsraumes? Oder ist der Ursprungsort des Hasses, wenn er nach dem klassischen “form follows funcition“ Prinzip funktioniert, eben einfach nur ein banaler und anonymer Arbeitsplatz? 

 

Das Gespräch zu Hate Speech: Virtuelle Architekturen fand in der Veranstaltungsreihe #SpaceOfDebate und der Ausstellung Conditions of Political Choreography im Neuen Berliner Kunstverein statt. Die Ausstellung läuft noch bis zum 16. Juli 2017.

 

 

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