Auf der Pressekonferenz zum Buch "Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Natinonalisten und der Terror von rechts" am Mittwoch in Berlin gab Felix Benneckenstein, Aussteiger aus der Szene der "Autonomen Nationalist*innen", einen Einblick in deren Welt - und NSU-Untersuchungsschussvorsitzender Sebastian Edathy (SPD) ergänzt Anekdoten aus dem Untersuchungsausschuss und zur Affäre Nadja Drygalla.
Von Simone Rafael
Bei den Behörden, so beobachtet es derzeit Sebastian Edathy, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag und SPD-Rechtsextremismusexperte, gäbe es ein "fehlendes Maß an Analysekraft und Wahrnehmungsbereitschaft", wenn es um Rechtsextremismus geht. Edathy muss es wissen, er ist Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag und hat aktuell viel mit dem Versagen staatlicher Behörden zu tun. Deshalb freut sich Edathy auf einer Pressekonferenz in Berlin über das Buch "Neue Nazis" der ZEIT-Autoren Toralf Staud und Johannes Radke, das aufzeige, "wie facettenreich die rechtsextreme Szene inzwischen ist". Auch er selbst erlebe das Netzwerk der Rechtsextremen als Verquickung von politischen Terroristen, rechtsextremen Burschenschaften, NPD und Kameradschaftsszene, das nicht zu trennen sei. Die Behördenreaktionen, die er aktuell beobachtet, findet er dagegen weniger passend: Etwa, wenn rund 50 Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren systematisch zu rechtsextremen Kadern geschult werden - der Verfassungsschutz aber nicht eingreift, weil dies ansonsten "nicht öffentlichkeitswirksam", sprich bekannt, wurde.
"Wegsehen, kleinreden, Probleme negieren - das führt nur dazu, dass Probleme wachsen, bis man ihnen nicht mehr ausweichen kann", meint Edathy (passend zur gestern erschienenen Studie der Amadeu Antonio Stiftung "Das Kartell der Verharmloser"). Entsprechend wünscht er sich mehr und effektivere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz wie auch mehr Stringenz in der Erfassung rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Dazu passt weniger - oder bezeichnend? - dass es auch bei ihm Scheuklappen gibt. So sieht er etwa die langjährige Beziehung der Ruderin Nadja Drygalla mit einem Kader der Autonomen Nationalisten als absolute "Privatsache" an ("Mit Nazis sollte man nicht auf einem Podium sitzen - aber ob man Sex mit ihnen hat, ist Privatsache!") - dabei negierend, dass eine Person, die ein rechtsextremes Umfeld zumindest passiv durch Stillhalten unterstützt, keineswegs als vorbildliche und förderwürdige Sportlerin taugt.
Leben als "Autonomer Nationalist": "Es war eine Befreiung"
Um "Öffentlichkeitswirksamkeit" geht es auch den Autoren des Buchs "Neue Nazis". Sie wollen auf aktuelle Bedrohungen hinweisen, die nicht von der Öffentlichkeit erfasst werden, berichtet Toralf Staud. Besonders die junge Szene der "Autonomen Nationalst*innen" hat ihr Augenmerk gefunden. Einer, der sie von innen gesehen hat, ist Felix Benneckenstein. Sein unspektakulärer Einstieg in die rechtsextreme Szene: Mit 15 gab es rechtsextreme Musik in seinem Umfeld, und Benneckenstein war klar, dass er als Nazi seine Eltern schocken konnte. "Aber natürlich hatte ich auch politische Interessen. Ich war unzufrieden mit sozialen Realitäten. Und das hat die rechtsextreme Szene gut drauf: Sie vermittelt Jugendlichen, wenn sie für den Nationalsozialismus kämpfen, lösen sich all diese Probleme und Widersprüche auf. Schließlich lehnen sie damit ja das ganze System ab, dass diese Probleme verursacht", sagt Benneckenstein. Er lies sich zum Kader schulen: "Und dann isoliert man sich von seinem nicht-rechten Freundeskreis - und der Einstieg in die Szene ist perfekt."
Nach ein paar Jahren als "normaler" Nazi wurde Benneckenstein ein "Autonomer Nationalist": "Der Stilwechsel war eine Befreiung. Endlich selbstbewusster und freier leben, als dies als Naziskin oder Burschenschaftler möglich gewesen wäre. Endlich ein cooler Lifestyle, wieder moderne Musik hören, wieder englische Wörter benutzen dürfen - bei der Kameradschaft kostete es 1 Euro Strafe, einmal 'cool' zu sagen! Und trotzdem konnte man weiter ein Nazi sein!" Durch die größere Offenheit gegenüber modernen Jugendkulturen sprechen die Autonomen Nationalist*innen Jugendliche viel leichter an. Allerdings kann auch der Ausstieg so wieder schneller erfolgen: "Man hat ja mit vielen Dingen zu tun, die - unter anderen ideologischen Hintergedanken - auch in der linken Szene eine Rolle spielen: Tierschutz oder 'Straight Edge' zum Beispiel. Das kann beim Ausstieg helfen." Auch Benneckenstein fing irgendwann an, sein Ideologie zu hinterfragen - und fand Hilfe dabei bei seinen Eltern und der Aussteigerinitiative EXIT. Heute hat Benneckenstein selbst die "Aussteigerhilfe Bayern" gegründet, um anderen aus der Szene zu helfen.
Hyperaktiv, rücksichtslos, gewalttätig
Das Gefährliche an den "Autonomen Nationalist*innen" beschreibt Felix Benneckenstein so: "Sie lehnen den parlamentarischen Weg wirklich absolut ab. Das heißt, sie sehen auch einfach keinen Nachteil darin, wenn sie Gewalt anwenden. Sie sind jung und ungebunden und suchen die 'direkte Aktion' - und das heißt oft: Gewalt." Als hyperaktiv, rücksichtslos und gewalttätig beschreiben die Autoren die ANs in "Neue Nazis". Oft seien Jugendliche nur kurze Zeit in dieser Szene, aber dabei doppelt so aktiv wie alle anderen. "Natürlich gibt es auch immer wieder Diskussionen und Enttäuschung in der rechtsextremen Szene, dass manche der AN-Jugendlichen mehr nach Action und Gewalt suchen und die Ideologie für sie zweitrangig ist", sagt Johannes Radke und ergänzt, "dabei darf man nicht vergessen: Den Opfern rechtsextremer Gewalt hilft das nicht."
Toralf Staud / Johannes Radke:
Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts.
Kiepenheuer & Wisch, 2012
272 Seiten, 9,99 Euro
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