Mitglieder des Bund Artam e. V. propagierte im NS einen freiwilligen Dienst auf dem Acker
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Die Artgemeinschaft - Willkommen beim völkischen Kampfverband

Ralf Wohlleben wohnt jetzt in Bornitz in Sachsen-Anhalt. Dort wohnt auch sein Kamerad, der ehemalige NPD-Funktionär Jens Bauer. 2016 übernahm Bauer die Leitung des völkischen Vereins “Artgemeinschaft”. Laut Verfassungsschutz zeichnet sich die Artgemeinschaft durch eine rassistisch geprägte Ideologie aus.

 

Von Karla Sommerlich

 

“Artgemeinschaft”? Gemeinschaft einer Art? Um herauszufinden, was mit dieser Art gemeint ist, bedarf es keiner investigativen Recherche. Vereinsmitglied der “Artgemeinschaft” kann man nur werden, wenn man die “nordisch-fälische Menschenart” überwiegend verkörpert. Außerdem muss man das “Artbekenntnis” und das “Sittengesetz [der] Art” bejahen und keiner anderen Religionsgemeinschaft angehören. Art ist also ein Synonym für eine rassistische und pseudowissenschaftliche Rassentheorie.

 

Rassismus als Religion

 

Die Vorstellung, dass Emanzipation und alles Moderne irgendwie scheiße ist, gab es bereits im Kaiserreich. Schon damals formierten sich anti-moderne Bewegungen und fürchteten um die Existenz des “germanischen Urvolks”. Um dieses Urvolk zu erhalten wurde in der Weimarer-Republik der Bund “Artam” gegründet. Dieser Siedlungsbund propagierte ein autarkes und bäuerliches Lebens im Osten. Die Ideologie von Blut und Boden wurde später ein zentrales Element des Nationalsozialismus. Mitglieder des Bundes waren unter anderem Rudolf Höß, später Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz, und Heinrich Himmler, später “Reichsführer-SS”. Der Bund Artam wurde im Nationalsozialismus in die Hitlerjugend eingegliedert. Heute heißt der Versandhandel von Jens Bauer “Artam”. Das Logo des Shops ist eine Kombination aus zwei Runen. Dasselbe Symbol nutzte der “Artam-Bund”. Es durfte nach der Eingliederung in die Hitler-Jugend als Abzeichen auf der HJ-Uniform getragen werden.

 

Nach dem Sieg der Alliierten über Nazideutschland wurden die völkischen Vereine in den 1950er Jahren neu gegründet. Ein positiver Bezug auf den Nationalsozialismus musste natürlich vermieden werden. So ist die Blut-und-Boden Ideologie, die beim “Bund Artam” noch offen propagiert wurde, bei der “Artgemeinschaft” etwas versteckt. Und warum nicht das ganze mal religiös aufziehen? Schließlich ist es doch sicher schwieriger, religiöse Verbindungen zu verbieten, als politische.

 

Die “Artgemeinschaft” ist natürlich nicht wirklich religiös.Was jedoch nicht bedeutet, dass die Vereinsmitglieder nicht fanatisch an die rassistische Ideologie glauben. Religion beschreibt der Verein als “Erkenntnis dessen, was wir heilig zu halten haben”: Das wäre dann beispielsweise die “Erhaltung der Art” und die Bewahrung des “genetischen Erbes”. In einer Welt mit einer “Vielzahl von Rassen und Völkern” kann dies nur in “einer eigenen Religionsgemeinschaft” umgesetzt werden. Die Religion der Artgemeinschaft heißt also Rassismus. Während im Christentum alle Menschen vor Gott gleich seien, erkennt der “Artglaube” die “Wahrheit volkhaften Seins”. Das Christentum ist also einfach nicht rassistisch genug.

 

Nette Nachbar*innen

 

Völkische Siedler*innen sind keine militanten Nazis im klassischen Sinn. Sie wollen nicht durch gewalttätige Übergriffe auffallen. Ihr Projekt ist langfristig. “Die völkische Ideologie läuft nicht nebenbei” erklärt Marius Hellwig von der “Fachstelle Gender, GFM und Rechtsxtremismus” der Amadeu Antonio Stiftung. “Der völkische Lebensstil gestaltet das ganze Leben. Die Strategie der Siedler*innen ist es, langfristig Strukturen zu erschließen und vor Ort akzeptiert zu werden”. Der ländliche Raum ist das Einzugsgebiet der rechtsextremen Siedler*innen. Vor allem in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie sich als Ökobauern inszenieren.

 

“Völkische Siedler*innen sind eine rechtsextreme Vollversion” betont Hellwig. Schließlich basiere ihre menschenfeindliche Ideologie auf Rassenlehre, Antisemitismus und Antifeminismus. “Dadurch sind sie natürlich eine indirekte Gefahr für Menschen, die anders denken, die keinen Platz im imaginierten ‘Volkskörper’ haben”. Eine direkte Gefahr besteht allerdings auch akut: nach innen. Kinder werden mit militärischem Drill erzogen. Mädchen müssen sich ihrer natürlichen Rolle nach unterordnen, Jungs dürfen zur Wehrsportübung. Aussteigen? Ist sehr schwer, wenn das ganze Umfeld so “verschworen und in sich abgeschlossen” ist.

 

Rassistischer "Buchdienst"

 

Im Onlineshop der “Artgemeinschaft” werden derzeit 46 Bücher und Hefte angeboten. Unter anderem vom ehemaligen SS-Mitglied Wilhelm Kusserow. Kusserow formulierte 1934 das rassistische und antisemitische “Nordische Artbekenntnis”, nachdem er 1927 die “Nordische Glaubensgemeinschaft” gegründet hatte. 1957 gründet er dann die “Artgemeinschaft”.  Auch vom verstorbenen Holocaust-Leugner, NPD-Funktionär und ehemaligen Vorsitzenden der “Artgemeinschaft”, Jürgen Rieger, gibt es einiges an Literatur. Rieger, der in einem Interview mit Mo Asumang betonte, dass er seine Tochter aus der Familie ausstoßen würde, wenn sie jemanden heiratete, der nicht weiß wäre. Rieger der betonte, dass “Die Artgemeinschaft gezwungen worden [ist], ein Kampfverband zu sein, der um die Möglichkeiten einer artgemäßen Lebensführung kämpfen muss”. Riegers Kinder haben sich allerdings noch zu seinen Lebzeiten von der Ideologie des Vaters distanziert.

 

Beim “Buchdienst” gibt es auch extra Literatur für Kinder. Dort werden die Kinder dazu angehalten, ihr “Erbgut kulturtragender und kulturschaffender Völker [...] entwicklungsfähig” weiterzugeben. Denn “die Vermischung von Erbgut von weit auseinanderliegenden Kulturkreisen [führt] meist zu gespaltenen Persönlichkeiten bei den Nachkommen”. Auch verhindere die fortschreitende Zivilisation die “natürliche Auslese” in Europa. Hier wird also vor einer “Durchmischung der Rassen” gewarnt, klassische NS-Rassenlehre. Durch die direkte Bezugnahme auf die sozialdarwinistische “natürliche Auslese” wird der “Rassenkampf” auch noch zum Naturgesetz verklärt.

 

Ein Weiteres wirres Sammelsurium an rassistisch-pseudowissenschaftlichen und herbeifantaiserten Theorien gibt es in der “Nordische Zeitung”. Diese erscheint vierteljährlich und diente bereits im Nationalsozialismus als Publikationsorgan. Regelmäßig wird das “Sittengesetz” in der Zeitung abgedruckt. Dort wird dann “Mut” und die “Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischem Glauben" proklamiert. In der Buchbeschreibung zur “Altgermanische Sittenlehre und Lebensweisheit” heißt es dann, dass der altnordischen “Herrenmenschen” "Gut gegen seine Freunde, hassvoll gegen seine Feinde" agiere, denn das ungeschriebene Gesetz laute: “Vergib dir nichts gegen deinen Feind!” Außerdem wird im “Sittengesetz” die  “Gefolgschaft dem besseren Führer” und “gleichgeartete Gattenwahl” vorgeschrieben.


 

Für die völkische Ideologie ist der Kampf also ein zentrales Element. Über allem schwebt ein bürgerkriegsähnliches Szenario: Irgendetwas wird noch passieren. Darauf wird sich zum Beispiel auch in den völkischen Siedlungsprojekten vorbereitet, indem eine autarke Versorgung angestrebt wird.

 

Rechtsextremes Netzwerk

 

Zu Veranstaltungen wie den Sonnenwendfeiern kommen nicht nur andere Siedler*innen, sondern auch andere Rechtsextremisten. Mitglieder des “Nationalsozialistischen Untergrunds” (NSU) besuchten Veranstaltungen der “Artgemeinschaft”. So nahm z.B. die  NSU-Terroristin Beate Zschäpe 1997 an einer Tagungswoche mit Rieger teil. Ralf Wohllebens Hochzeitsfoto zeigt ihn im “völkisch-germanischen Stil”. Und schließlich ist da noch seine Freundschaft und direkte Nachbarschaft zur Neonazi-Größe Jens Bauer, dem Leiter der “Artgemeinschaft”.

 

Die “Artgemeinschaft” ist kein Einzelphänomen. Rechte Interpretationen des Heidentums passen gut zu den Weltanschauungen der sogenannten “Neuen Rechte”. Die Akteure überschneiden sich. Das liegt zum einen daran, dass an der “Neuen Rechten” nichts neu, sondern im Kern alles ziemlich völkisch ist. Kein Wunder also, erklärt Hellwig, dass Siedlungsprojekte in der rechtsextremen Szene per se befürwortet werden. Veranstaltungen wie Sonnenwendfeiern der “Artgemeinschaft” sind Events für die ganze Familie. In diesem kulturellen Rahmen wird die rassistische Ideologie religiös verpackt und mit germanisch-heidnischem Brauchtum verknüpft.

 

Im September findet eine“Ernte unterm Bronze-Mond” statt. Diese Veranstaltung wird nicht von der “Artgemeinschaft” organisiert, zeigt aber überaus interessante Verflechtungen. Die Veranstaltung klingt erstmal relativ harmlos. Man möchte “im Reich der uralten Himmelsscheibe von Nebra [...] die Üppigkeit des scheidenden Sommers” feiern. Gastgeber sind der “Orphische Kreis” und Uwe Nolte. Zum “Orphischen Kreis” gehören neben Nolte noch Rudolf Seitner “Sonnenkind” und Baal Müller, eigentlich Carsten Müller. Müller ist in diversen Zusammenhängen unterwegs. Am 26.01.2015 trat er als Redner bei Dügida in Düsseldorf auf. Dort begründet er ausführlich, warum “eine solche Presse, den Namen Lügenpresse zurecht bekommen hat”. Alles nämlich im Dienste der Obrigkeit, “nur ohne Hof und Kaiser”, alles gleichgeschalte. Das klassische Narrativ also, unter dem sich die rechte Szene eint. In Duisburg behauptet Müller auch, dass die herrschende Klasse das “deutsche Volk” abschaffen wolle. Durch “Umvolkung”. “Umvolkung” oder der “große Austausch” ist ebenfalls ein Narrativ unter dem sich Pegida, die “Identitäre Bewegung” und AfD versammeln. Manifestiert in dem Buch des neurechten Verlegers Götz Kubitschek, "Revolte gegen den großen Austausch". Kubitschek und Müller scheinen gute Verbindungen zu haben. So ist Müller unter Autoren beim Antaios Verlag gelistet und trat als Referent bei der Sommerakademie 2012 beim Institut für Staatspolitik (IFS) auf. Kubitschek ist Geschäftsführer bei Antaios und Mitbegründer des IFS. Am 29.05.2017 trat Müller bei Pegida in Dresden auf.

 

Interessant ist auch ein Blick auf die Programmpunkte bei der “Ernte unterm Bronze Mond”. Für “eindringlich[en] und geheimnisvoll[en]” Gesang sorgt nämlich niemand anderes als IB-Popsternchen Melanie Schmitz. Schmitz trat am 25.08 beim IB-Festival “Europa Nostra” und ist bei der IB organisiert. Die sich als besonders hip inszenierende rechtsextreme “Bewegung” findet ihren gemeinsamen Nenner mit den Völkisch-Heidnischen in der angeblichen Traditionspflege und in der Idee des “Ethnopluralismus”. Wieder die “Umvolkungssthesen” von Müller. Neben Schmitz tritt auch die Sängerin Swantje Swanhwit aka Iris Katrin Fischer auf. Als Nazi-Anwalt Rieger noch Leiter der “Artgemeinschaft” war, sollte Swanhwit auf einer Veranstaltung auftreten, auf der er referierte. In ihren Lieder besingt Swanhwit unter anderem “Goldblonde Locken”. “Unser aller Wunsch wird dann endlich wahr; eine goldblonde, freche Kinderschar.” Um dem Wunsch nach der arischen Kinderschar nichts in die Quere kommen zu lassen gibt es dann auch noch das Lied gegen Abtreibung: “Kleines Flämmchen”.Damit sollte die musikalische Ausrichtung des Abends relativ klar sein.

 

In der öffentlich einsehbaren Liste der Eingeladenen taucht AfD Prominenz auf. Die AfD-Fraktionsvorsitzende des Bundestages, Alice Weidel, ist geladen, genauso Katrin Nolte. Nolte ist Moderatorin beim rechten Compact-Videokanal und mit AfD-MdB Jan Nolte verheiratet. Neonazi-Kader und NPD-Funktionär Sebastian Schmidtke, der zuletzt auf sich aufmerksam machte weil er fälschlicherweise behauptete der Sänger von Feine Sahne Fischfilet habe den Hitlergruß gezeigt, steht auch auf der Liste.  

 

Aktuell plant das rassistische Kampagnen-Projekt “Ein Prozent für unser Land” die “patriotische Raumnahme”. Bei dem Siedlungsprojekt gehe es um die „Rückeroberung der kulturellen Hegemonie“. Die “Ein Prozent”-Kampagne steht der AfD und der rechtsextremen und vom verfassungsschutz beobachteten “Identitären Bewegung” nahe.

 
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