QFD: Twitter probiert neuen Filter und die rechte Blase gibt sich als politisch Verfolgte
picture alliance / dpa Themendiens

Der neue Twitter-Qualitäts-Filter und die rechte Erzählung über politische Verfolgung

Twitter baut einen Qualitäts-Filter ein, mit der Hoffnung, so zur Normalsierung der Diskussionskultur im Netz beizutragen. Wenig überraschend wittert die rechte Blase gleich wieder Zensur und Verschwörung. Was ist dran und wie funktioniert der Filter, über den von rechts unter #QFD (= Qualitätsfilterdiskriminierung) getwittert wird?

Von Miro Dittrich
 

Am 15. Mai 2018 verkündete Twitter einen neuen Ansatz auf ihrem Blog, wie sie in Zukunft die Qualität der öffentlichen Diskussion auf ihrer Seite verbessern wollen. Als Problem benennen sie trollhaftes Verhalten, das die öffentliche Diskussion auf Twitter verzerre und ablenke. Sie unterscheiden dies allerdings von trollhaften Verhalten, das “fun, good and humorous” ist.

Laut Twitter sind nur ein Prozent ihrer Nutzer*innen für den Großteil der Tweets verantwortlich, die von anderen User*innen als störend und missbräuchlich gemeldet werden. Damit haben diese ein Prozent Troll-User*innen einen überproportionalen und negativen Einfluss auf die User*innen-Erfahrungen auf Twitter. Dabei verstoßen nicht alle dieser gemeldetn Tweets, die die Diskussion verzerren, auch gegen die Twitter-Richtlinien.

Aus diesem Grund führt Twitter einen neuen Algorithmus ein. Dieser bewertet Tweets, die zwar nicht gegen die Richtlinien verstoßen, aber geeignet sind, die Gesprächskultur negativ zu beeinflussen, schlechter als andere. Praktisch bedeutet das, dass diese Tweets beispielsweise unter Gesprächen hinter “Weitere Antworten anzeigen” und in der Suche hinter einer Suchfilter-Option versteckt sind. Den Follower*innen der Accounts werden die Tweets aber wie gewöhnlich angezeigt und sie können diese ganz normal retweeten. Wem eine solche technische Vorsortierung nicht gefällt, der oder die kann den Qualitätsfilter allerdings auch dauerhaft ausschalten - in den Einstellungen.

 

Wer ist von dem neuen Filter betroffen?

Für die neue automatische Bewertung verwendet Twitter mehrer Signale.

Der Algorithmus bewertet nicht den Inhalt der Tweets, sondern nur die Interaktionen, die Tweets erhalten:

  • Wie oft der Account gemeldet wird

  • Wie oft der Account nach einer Interaktion geblockt oder stumm geschaltet wird

  • Accounts, die ständig User*innen anschreiben, denen sie nicht folgen, oder Verhalten, das auf einen koordinierten Angriff hinweisen kann

  • Wenn ein Account keine bestätigte E-Mail Adresse hat

  • Wenn dieselbe Person gleichzeitig mehrere Accounts erstellt

  • Weiterhin werden Accounts “beobachtet”, die mit User*innen verbunden sind, welche die Twitter-Regeln verletzen, und wie diese untereinander interagieren

  • Das alles wird gegen mehr positive Interaktionen gesetzt, wie etwa Likes und Retweets.

 

User*innen, die von dem Filter betroffen sind, werden bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht darüber benachrichtigt. Twitter gibt aber an, dies ändern zu wollen. Weiterhin wollen sie in Zukunft Menschen dabei helfen, ihre Bewertung wieder zu verbessern.

In ihren ersten internationalen Tests hat Twitter einen Rückgang um 4 Prozent bei Beschwerden in ihren Suchergebnissen und 8 Prozent in Unterhaltungen festgestellt.

Der Twitter-Mitgründer Jack Dorsey sieht die Änderung nur als ersten Schritt der Verbesserung des Gesprächsklimas auf Twitter.  Er ist sich dessen bewusst, dass in dieser ersten Phase durchaus Fehler gemacht werden und beispielsweise auch “vernünftige” Accounts von dieser Maßnahme betroffen sind. Allerding ist Dorsey zuversichtlich, dass Twitter die Fehlerquote bald beheben wird.

 

Wie reagiert die rechte Blase darauf?

Auch wenn der Inhalt ihrer Tweets nicht in die Bewertung des Filter einfließt, sieht die rechte Blase sich durch diese Änderung politisch benachteiligt.

Unter dem Hashtag #QFD (Qualitätsfilter-Diskriminierung) wittert die rechte Twitter-Blase glasklar Zensur. Mit dem Tool “knechtet [Twitter] die Meinungsfreiheit der gesammten Opposition”, und natürlich werde er eingesetzt,  um “kritische Meinungen bloß nicht mehr an die Oberfläche kommen zu lassen”. Gar von “Regierungstwitter” ist die Rede.

 

Konservative werden stillgelegt und “es gibt kaum noch einen konservativen Twitter-User, der nicht zensiert wird”:

Wenn man auf der Seite eines privaten Unternehmen weniger präsent kommentieren darf, ist es natürlich nicht mehr weit bis man “demnächst abgeholt? Deportiert? Eingesperrt? Hingerichtet?” wird, so der Wahn rechter Hate-Accounts.

 

Das ein Unternehmen weltweit eine Neuerung einführt, sei ein Zeichen für den Zustand der Meinungsfreiheit in Deutschland.

 

 

Ohne Fakten vermuten sie “Schlüsselwörter im Text oder Hashtags” als Entscheidungsgrund.

 

AfD-Mitglied und Anwalt Markus Roscher-Meinel findet “wir nähern uns doch massiv faschistischer Methoden”.

Laut der AfD Seite habe ihnen Twitter mitgeteilt die “#shadowban -Epidemie” sei nur ein Softwarefehler”.


 

Eine Erklärung findet man dann doch, warum gerade sie, rechtspopulistische und rechtsextreme Accounts, von dem Filter betroffen sind: Es liege nicht etwa an ihrem oft stark beleidigenden Umgangston, für den sie häufiger als andere blockiert werden, sondern an “linken Empfindlichkeiten”:

 

In ihrem Unmut überlegen Nutzer*innen sogar eine Sammelklage gegen Twitter zu starten. Sammelklagen sind zwar in den USA verbreitet, in Deutschland gibt es sie in dieser Form jedoch nicht.

Ein Twitter User hat ein Programm geschrieben, mit dem man testen kann, ob man vom Qualitätsfilter betroffen ist. Dieses ist aber noch nicht ganz ausgereift, so markierte es auch den Account @Wahlrecht_de fälschlicherweise als betroffen.

 

Laut des Tests betroffene Nutzer*innen markieren sich mit einem roten X nach ihrem Usernamen stolz als politisch Unterdrückte.

 

Mittlerweile haben aber auch Accounts um das “Reconquista Internet” Umfeld dieses Zeichen übernommen, um Verwirrung in der rechten Blase zu stiften.

 

Was bringt der Filter?

Ein automatisierter Eingriff in die öffentliche Diskussionen birgt immer Gefahren. Die Menge an zu bearbeiteten Beiträgen wird ihn aber auf Dauer unumgänglich machen. Zu Anfang scheint der neue Filter noch recht grob gefächert zu sein. Dies sahen wir auch bei dem Algorithmus, der für Youtube entschied, welche Videos für Werbeplatzierungen geeignet sind. Durch Feedback ihrer Nutzer*innen wurde er jedoch immer genauer und die Fehlentscheidungen reduzierten sich deutlich. Ob der neue Qualitätsfilter von Twitter positiv zu bewerten ist, wird am Ende von dem Erfolg dieses Lernprozesses abhängig sein.

 
drucken