Vom Neonazi-Aufmarsch am Samstag in Göppingen und den Gegenprotesten bleibt ein zwiespältiger Eindruck: So zeigten sich die Veranstalter der Gegen-Kundgebung zwar zufrieden, die Schlagzeilen werden aber von den gewalttätigen Ausschreitungen bestimmt.
Von Redaktion
"Gewalttätige Ausschreitungen bei Neonazi-Demo", "Verletzte bei Protest gegen Neonazi-Demo" oder "Steinwürfe und Polizeikessel": Die Presse-Schlagzeilen über den Neonazi-Aufmarsch am Samstag in Göppingen und die Gegenproteste dagegen sind eindeutig. Sie werden bestimmt von den gewalttätigen Ausschreitungen, die von einzelnen linken Gegendemonstrierenden ausgingen.
Fast schon unbemerkt bleibt da, dass es über den gesamten Tag eine friedliche Kundgebung des Vereins "Kreis Göppingen nazifrei" und eine Straße der Demokratie gab. Alex Maier, Vorsitzender des Vereins, bilanziert im Gespräch mit netz-gegen-nazis.de: "Unsere Kundgebung war durchgehend friedlich – daher sehen wir sie auch als Erfolg." Vor allem bei der Hauptkundgebung von 10 bis 12 Uhr seien viele Menschen dagewesen und auch über den gesamten Tag habe es regelmäßig neue Besucherinnen und Besucher gegeben. "Angesichts der Tatsache, dass es schwer war, überhaupt in die Stadt zu kommen, ist das natürlich ein schönes Zeichen." Da aber während der Gegenproteste Menschen verletzt worden seien, könne man natürlich insgesamt nicht von einem Erfolg sprechen, betont Maier.
Demo-Eindrücke bei Facebook
Tatsächlich gab es wohl 70 verletzte Demonstrantinnen und Demonstranten, die Polizei spricht außerdem von vier verletzten Einsatzkräften. Auf der Facebook-Seite vom "Kreis Göppingen nazifrei" sehen die Zahlen noch einmal anders aus: "In der Presse wird von 7 verletzten PolizistInnen gesprochen, ja das muss nicht sein, aber dass 150 GegendemonstrantInnen, 25 davon schwer, verletzt wurden interessiert niemanden", schreibt etwa ein User. Er meint: "Die Verhältnismäßigkeit der Polizei war nicht gegeben - übertriebene Aggressivität und Gewaltbereitschaft der Polizei." In der Presse ist zu lesen, dass Arm-, Finger- und Fußbrüche sowie stumpfe Bauchverletzungen und Kopfplatzwunden durch Schlagstöcke die häufigsten Verletzungen waren, dazu kommen Augenverletzungen durch Pfefferspray. Auch das Bündnis "Nazis stoppen" berichtet auf seinem Blog vom Vorgehen der Polizei: "Wieder ging die Polizei ans Äußerste und verletzte in Prügel- und Pfeffersprayorgien mehrere Menschen."
Eine andere Facebook-Userin berichtet: "Im Alten Kästen eingekesselt zu werden und daran gehindert zu werden ihn zu verlassen ist eine Unverschämtheit sondergleichen. Ich hatte eine Panikattacke und wurde mit Gewalt daran gehindert rauszugehen." Und ein weiter User urteilt: "200 eingekesselte Demonstranten sind Indiskutabel." Nach eigenen Angaben setzte die Polizei insgesamt mehr als 500 Personen fest, die Bahngleise besetzt hatten oder mit Gewalt die Gitterabsperrungen überwinden wollten.
Insgesamt waren am Samstag 140 Neonazis statt der zunächst erwarteten 200 ins baden-württembergische Göppingen gereist – die meisten von ihnen aus dem Spektrum der Autonomen Nationalisten. Wegen der massiven Gegenproteste war die Aufmarschroute der Neonazis verkürzt worden.
Strikte Abschirmung der Neonazis
Das Einsatzkonzept der Polizei sah ganz offensichtlich eine möglichst weiträumige Trennung von Neonazis und Gegendemonstrierenden vor: Proteste in Hör- oder Sichtweite der Rechtsextremen waren so gut wie ausgeschlossen. An mehreren Stellen bildete die Polizei Kessel, zudem setzten sie mit weißer Folie bespannte Gitter und Mannschaftsbusse als Trenner ein. Zeitweise war die gesamte nordwestliche Innenstadt abgesperrt. Anwohnerinnen und Anwohner mussten sich gleich mehrfach ausweisen, um zu ihren Häusern gelassen zu werden. Reporterinnen und Reporter wurden an ihrer Arbeit gehindert, als sie sich trotz Presseausweises nicht frei bewegen durften.
Auch Alex Maier sagt: "Ich bin mir nicht sicher, ob die Einsatztaktik der Polizei wirklich so gut war." Diese sei vollkommen auf Trennung fokussiert gewesen – insofern habe die Strategie zumindest aus Polizeisicht funktioniert.
Rollläden runter reicht nicht
Und auch die Neonazis scheinen sich nicht so unwohl gefühlt zu haben: Sie haben bereits Kundgebungen bis 2020 angemeldet. Umso wichtiger ist nun ein gemeinsames Vorgehen, um den rechten Aufmärschen zu begegnen, betont auch Alex Maier. "Einfach die Rollläden runter zu lassen, reicht nicht." Man dürfe den Neonazis die Stadt nicht überlassen. Der Vorsitzende des Vereins "Kreis Göppingen nazifrei" schlug noch bei der Kundgebung am Samstag einen Runden Tisch der Stadt, sowie aller beteiligter Bündnisse und Organisationen vor.
Den Medien macht Maier angesichts der Schlagzeilen mit ihrem Fokus auf den Ausschreitungen keinen Vorwurf. Er sagt: "Es liegt an uns: Wir müssen uns zusammensetzen und gemeinsam dafür sorgen, dass es in den kommenden Jahren friedlich bleibt."
Mehr in der Presse:
- Neonazis planen neue Aufmärsche in Göppingen bis 2020 (Südwest Presse)
- Alex Maier: "Müssen Kooperation endlich verstärken" (Südwest Presse)
- Göppingen: Gewalttätige Ausschreitungen bei Neonazi-Demo (SWR Online)
- Protest gegen Neonazidemo: Steinwürfe und Polizeikessel (taz)
- Neonazi-Demo in Göppingen: Gewalttätige Ausschreitungen bei rechtem Aufmarsch (Stuttgarter Nachrichten)
- Rechtsextremisten in Göppingen: Verletzte bei Protest gegen Neonazi-Demo (Stuttgarter Zeitung)
- Neonazi-Aufmarsch und Gegendemos in Göppingen "glimpflich abgelaufen" (Südwest Presse)
Mehr bei netz-gegen-nazis.de:
- "Ein starkes Zeichen setzen": Interview im Vorfeld des Neonazi-Aufmarsches in Göppingen
- Rückblick: Wenn Nazis eine Stadt in Atem halten – zur rechtsextremen Demo in Göppingen 2012
Weitere Informationen:
- Kreis Göppingen nazifrei (Homepage und Facebook-Seite)
- Nazis stoppen (Homepage)