Amadeu Antonio Stiftung

Debatte: Die Krux mit der Meinungsfreiheit im Netz

Man möchte den Mond anbellen und auf einem Sandhaufen schlittschuhfahren! Ungefähr so fühlt es sich an, den Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums zu lesen. Es heißt auch noch: Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Viele Menschen in Deutschland haben darauf gehofft, dass rechtswidrige Aussagen wie Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede und Drohungen besser und schneller geahndet werden können und dann auch aus dem Netz verschwinden. Das ist legitim, denn das Netz ist kein rechtsfreier Raum. Solange in Deutschland bestimmte Aussagen und verbale Handlungen unter Strafe stehen, ist das geltendes Recht. Und muss geahndet werden. Hass im Netz zu verbreiten, kann man nicht verhindern, doch sobald es gegen das Gesetz ist, soll und muss gehandelt werden.

 

Von Anetta Kahane

 

Dass auch das BMJV etwas gegen Hass tun will, ist großartig. Und jedes Ministerium kann im Wesentlichen nur dort gestalten, wo seine Zuständigkeit ist. Also gehören Sozialprogramme zum Sozialen, Jugendarbeit zum Jugendministerium und Panzer zum Verteidigungsministerium. Und Gesetze macht die Justiz, damit der Staat sie dann auch anwenden kann. Soweit ist das alles in Ordnung. Der vorliegende Entwurf zeigt die Bereitschaft, hier zu handeln und wird dafür sehr gelobt. Doch das allein reicht nicht aus, um ein gutes und kluges Gesetz zu machen.

Der größte und erste Schwachpunkt ist, dass sich der Entwurf allein auf die Betreiber der sozialen Netzwerke fokussiert. Nun sind soziale Netzwerke nicht mit Zeitungen zu vergleichen, die für ihre Inhalte ganz allein verantwortlich sind. Soziale Netzwerke bilden 1:1 ab, was die Nutzer, also die Gesellschaft so hervorbringt. Für Rassismus, Antisemitismus, Verherrlichung des Nationalsozialismus in Deutschland kann man aber nicht allein Facebook verantwortlich machen. Es sind die in Deutschland lebenden Menschen, die solches online stellen. Wer also will, dass hier strafrechtliches verschwindet muss sich mit Facebook UND der Gesellschaft auseinandersetzen. Das eine ohne das andere ist ungefähr so sinnvoll wie allein die Tomatenbauern für matschige Attacken auf Politiker verantwortlich zu machen – mit dem Argument, sie hätten schließlich die Wurftomaten zur Verfügung gestellt. Auch das Justizministerium kann mehr als das: Ein gutes Gesetz ist besser als ein schlechtes. Die Betreiber ins Visier zu nehmen und ausschließlich sie, hinterlässt den faden Geschmack für ein unangenehmes gesellschaftspolitisches Problem jemand anderen büßen zu lassen.

Daraus ergibt sich das zweite Problem: Der Staat will dem Betreiber Bußgelder auferlegen, wenn der „offensichtlich“ strafbare Inhalte nicht binnen 24 Stunden löscht oder in sieben Tagen, falls der Fall doch komplizierter sein sollte. Das soll Facebook entscheiden? Und was in aller Welt ist „offensichtlich“ strafbar? Wenn ich vor Gericht ginge und behauptete, dass etwas offensichtlich strafbar ist, dann lachen mich die Richter bestenfalls aus mit dem Hinweis, dass nur ihnen eine solche Aussage obliegt. Im Bereich des Medienrechts, da es sich hier um Meinungsäußerungen handelte, würden auch die Anwälte protestieren, denn es ist deren täglich Brot, solche Fragen zu erörtern. Das Gesetz würde also den Staat, der Bußgelder androht, zur Partei, also zum Kläger machen und Facebook, Google & Co. wären dann Anwalt, Richter und Vollstrecker in einem. Wie soll man sich das vorstellen? Ein Nutzer sagt, irgendeine Äußerung sei „offensichtlich“ rechtswidrig und meldet das beim Betreiber. Und der, aus Furcht vor staatlichen Strafen, ermittelt, urteilt und löscht? Und wenn er sich irrt? Was macht dann der Staat? Und wer soll das alles kontrollieren? Sitzen dann weitere Heerscharen auf staatlicher Seite und prüfen, ob und wie schnell die Betreiber „Offensichtliches“ gelöscht haben? Das ist eine Verschiebung der Rechtsprechung ins Private. Und ein Widerspruch in sich: einerseits wird beklagt, die Betreiber, also die Unternehmen, hätten zu viel Macht und andererseits sollen die jetzt die komplette Rechtsprüfung übernehmen?!

Der dritte Punkt ist die erweiterte Liste der strafbaren Inhalte. Man möchte es nicht glauben, neben Volksverhetzung, Beleidigung etc. stehen noch andere Dinge auf dem Index und die haben es in sich. Neben bekannteren Straftaten von Verleumdung, Beleidigung und Volksverhetzung sollen auch noch andere Aussagen von den Betreibern geprüft werden. Dazu gehören: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Landesverräterische Fälschung und Bildung terroristischer Vereinigungen. Wohl gemerkt: das alles sollen Betreiber entscheiden und entsprechend löschen. Das wäre eine Einschränkung der Meinungsfreiheit unter dem Vorwand, Hass im Netz entgegenzutreten. Mich wundert, dass auch dies noch geltendes Recht ist. Seine Anwendung in sozialen Medien zu exerzieren öffnet dem Missbrauch jedoch Tür und Tor. Unter diesen Stichworten können alle möglichen Statements in alle politischen Richtungen kriminalisiert werden. Um Millionenklagen zu verhindern, was können die Netzwerke dann tun? Einfach alles löschen, was gemeldet wird? Und das kann nicht im Sinn einer offenen Gesellschaft und der dazugehörenden Debatte sein! Die Vorstellung, nur die Lügner und Bösen beträfe das und die Wahren und Guten würden dadurch geschützt, entspricht nicht der Logik von Gesetzen, die immer für alle und in jedem Fall Anwendung finden müssen.

Es ist wie Schlittschuhlaufen auf dem Sand. Das Gesetz hat eine gute Passage. Es soll helfen Transparenz herzustellen. Die Betreiber halten sich immer sehr bedeckt, wenn es darum geht wie viele Menschen mit welchem Grad an Kompetenz bereits jetzt an den laufenden Meldungen rechtswidriger Inhalte arbeiten. Und bei Klagen oder anderen juristischen Problemen wäre es eine große Erleichterung, in Deutschland einen Ansprechpartner zu haben, der für solche Dinge zuständig ist. Das gibt es bisher leider nicht bei allen Betreibern. Selbstverständlich haben die Betreiber auch eine Verantwortung für Hass im Netz. Und ebenso selbstverständlich ist es, dass sie dieser Verantwortung auch besser als bisher nachkommen. Dass sie es bisher nicht ausreichend taten, steht außer Frage. Doch mit einem Gesetz zum Mondanbellen geht es eben auch nicht.

Was stattdessen zu tun wäre? Wie wäre es, reihum zwischen Betreibern, dem Ministerium und der Zivilgesellschaft zu beraten, offenzulegen und zu investieren. Unter anderem in die Qualität bei allen dreien in dieser Zeit großer juristischer und menschlicher Herausforderungen im globalen, digitalen Zeitalter. Und in eine gesellschaftliche Debatte, die diesen Namen auch verdient.

 

Anetta Kahane ist Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.

 

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Die Amadeu Antonio Stiftung gehört zu den unterzeichnenden Organisationen der "Deklaration für Meinungsfreiheit", die heute veröffentlicht wurde:

Stellungnahme zum ersten Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes der Amadeu Antonio Stiftung:

 
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