Psychotherapeutin Dorothee Scholz sprach bei einem Workshop der Online Civil Courage Initiative (OCCI) darüber, warum Hater hassen - und was das für die Arbeit gegen Hassrede heißt.
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Argumente: Von der Psychologie des Hasses

In der Regel betrachten wir abwertende Hassrede, also rassistische, antisemitische, sexistische oder anderweitig menschenverachtende Kommentare vor allem politisch. Für Psychotherapeuten ist das  allerdings  die „Spielebene“. Um Menschen wirklich argumentativ zu erreichen und ihre Einstellung zu verändern, brauchen wir aber die „Motivebene“.  Psychotherapeutin Dorothee Scholz erklärte bei Veranstaltungen der „Online Civil Courage Initative“ im Mai 2017 in Berlin, was das bei Hater_innen heißt.

 

Von Simone Rafael

 

Wer sich für Opfer von Rechtsextremismus oder Hassrede einsetzt, möchte sich oft nur ungern mit den Bedürfnissen der Täter_innen-Seite auseinandersetzen. Aber es ist sinnvoll für wirkungsvolle Gegenstrategien, sich auch mit der Psyche derjenigen zu beschäftigen, die sich vor die Tastatur setzen, um etwa Frauen, People of Color oder Homosexuelle im Netz zu beschimpfen. Dies macht Psychotherapeutin Dorothee Scholz bei einem Workshop gegen Hassrede am 22. Mai 2017 im Rahmen der „Online Civil Courage Initiative (OCCI)“ in Berlin deutlich. Scholz berät in ihrer Praxis von Hate Speech betroffene Personen – Mitarbeiter_innen von Initiativen, Medien, Politker_innen, Social Media-Manager_innen.

Dabei versucht Scholz, den Betroffenen zu helfen, die Erfahrung mit Hassrede besser zu bewältigen. Dafür hat die Psychologie einige Erkenntnisse parat. Etwa das „Rubikonmodell der Kommunikation“: Haben wir es mit konstruktiver oder unkonstruktiver Kritik zu tun, lässt sich dies (noch) argumentativ bearbeiten, Fakten und Gespräche können noch etwas nützen. Geht es darüber hinaus, haben wir es also mit Entwertungen, Cybermobbing oder Hate Speech zu tun, geht es nicht mehr um Inhalte. „Das hat nur mit den Hatern und Haterinnen zu tun, gar nichts mehr mit den Betroffenen. Sie persönlich können nichts dafür. Sie sind nur noch eine Projektionsfläche“, sagt Scholz. Deshalb können sich die Angegriffenen aufhören, sich zusätzlich zur Belastung durch etwa einen Shitstorm darüber Sorgen zu machen, was selbst etwas zu diesem Zustand beigetragen hätten: Sie sind der Auslöser, aber nicht der Grund. Gründe liegen in der Biographie der Hater_innen, in persönlicher Frustration oder Ängsten. Andererseits heißt das auch: in diesen Stadien fruchtet faktenbasierte Gegenreden nicht mehr. Wenn es nicht mehr um das Thema geht, sondern vor allem ums Beschimpfen, Abwerten und Hassen, prallen noch so gute Argumente oder Belege, dass der Hater Unrecht hat, an selbigem ab.

 

Hass ist eine Bewältigungsstrategie

Für den oder die Hater_in ist Hass eine Bewältigungsstrategie für eigene Probleme. Nur ein geringer Teil, das haben Studien festgestellt, handelt aus Sadismus, freut sich also am Leid anderer. Die meisten versuchen, ihr geringes Selbstwertgefühl durch das Niedermachen anderer zu erhöhen, oder ihre Ängste vor dem Leben so zu verarbeiten. Wer hasst, wertet sich selbst auf Kosten anderer auf, fühlt sich einer scheinbar mächtigen Gruppe zugehörig, lebt in einer Parallelwelt, in der er besser zurechtkommt als in der realen Welt.

 

Haben „besorgte Bürger“ tatsächlich Angst?

Manch politischen Aktivisten mag dieser Punkt merkwürdig vorkommen: Haben die „besorgten Bürger“ denn tatsächlich Ängste? Ja, sagt Dorothee Scholz. Wenn Menschen einer persönlichen Belastung ausgesetzt sind und dazu gesellschaftliche Veränderungen kommen wie etwa der Mauerfall, viele Geflüchtete aufgrund der Kriege in der Welt oder auch der digitale Wandel der Gesellschaft, sind einige ansprechbar für politische Propaganda, die ihnen vermeintlich Schuldige präsentiert und vermeintlich einfache Lösungen bereithält. „Und wenn diese Menschen dann ihr Leben bedroht sehen, wird der Verstand ausgeschaltet und die Bewältigung passiert im Limbischen System, wie seit der Urzeit“, sagt Schulz, „ und das sagt: ‚Fight or flight‘, also kämpfe oder fliehe.“

Wer sich also im Kampf um seine Existenz wähnt,  ist dann außerdem offen für psychische Verzerrungseffekte –etwa, sich vor allem Informationen zu suchen, die die eigene Meinung bestätigen, und alle anderen Informationen für unglaubwürdig zu halten (Bestätigungsbias) – weshalb dann auch emotionale Beweisführung geglaubt wird, wenn sie nur vom als richtig erachteten Sender kommt. Oder der „Backfire-Effekt“: Wenn das Gegenüber nicht an einem Gespräch interessiert ist, sondern nur Recht haben will, fällt man mit jedem Argument in eine Verteidigungsspirale, die die eigene Glaubwürdigkeit untergräbt.  Interessant auch der „Dunning-Kruger-Effekt“, auch als „Mount Stupid“ bekannt: Menschen, die eigentlich wenig Ahnung von einem Thema haben, aber als vermeintliche „Experten“ auftreten, weil sie selbst glauben, sehr viel Ahnung zu haben.  „Dazu kommt die Übersensibilisierung: Wenn ich mich auch ein Angst-Thema eingeschworen habe, sehe ich überall neue scheinbare Belege dafür, dass diese Angst berechtigt ist.“ Diese finden sich gut konzentriert natürlich auch  in den viel diskutierten digitalen Echokammern.

 

Gesellschaftliche Folgen des Hasses

Die Folge dieses Prozesses ist der Hass, den wir online sehen, und der wiederum, wenn ihm nicht widersprochen wird, gesellschaftliche Folgen hat:  Die Homogenisierung von Diskursen, weil Angegriffene nicht mehr mitreden wollen und andere schweigen, um nicht angegriffen zu werden, Normverschiebungen, Unterdrückung von zivilgesellschaftlichem Engagement und Beeinträchtigung der Pressefreiheit, wenn Redaktionen Themen nicht mehr bearbeiten oder zumindest nicht mehr in Sozialen Netzwerken posten, weil sie sich vor den hasserfüllten Reaktionen fürchten – den hasserfüllten Reaktionen einer kleinen, aber sehr aktiven Minderheit. „Wer zufrieden ist, ist oft weniger motiviert, Kommentare oder Leserbriefe zu schreiben“, sagt Dorothee Scholz, „wer sein Land oder sein Volk bedroht sieht, ist sehr motiviert.“  

 

Was also tun?

Immerhin kann der Kreislauf, der Hass befeuert, durchbrochen werden – „man muss es aber auch tun“, sagt Scholz. Das heißt:  Politische Diskurse führen, sich Rassismus, Hass und Abwertungen entgegen stellen, um in der demokratischen Gesellschaft Haltung zu zeigen und für Werte einzutreten  – aber auch Symptome, Ursachen und Verzerrungsmechanismen bei den Hater_innen bearbeiten.

Praktisch heißt das zum Beispiel, argumentativ auch auf die emotionale Ebene einzugehen, statt nur mit Fakten zu arbeiten – also wenn sich jemand gegen  „Frühsexualisierung“  wettert, die Sorge um das Wohl der Kinder anzuerkennen und erst danach zu argumentieren, warum sie hier aber falsch angebracht ist. Um den „Backfire-Effekt“ zu vermeiden, lieber „weitere Informationen und Sichtweisen“ anbieten, statt konfrontativ zu argumentieren. Formen von Beteiligungskultur etwa auf Social Media-Kanälen von Medien und Politiker_innen  können „Wir da unten – ihr da oben“-Argumentationen aufbrechen.  

Was Menschen grundsätzlich motiviert, sind ein positives Selbstbild und ein Gefühl von Identität, soziale Akzeptanz und Gruppenzugehörigkeit, Wissen um Sicherheit und Zugang zu Ressourcen und ein Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben, Autonomie und Freiheit. Das Perfide an Hassrede im Internet ist, dass sie alle diese Säulen angreift. Deshalb, so betont Dorothee Schulz auch, sollten sich Menschen, die durch Beruf oder Engagement öfter mit Hassrede konfrontiert sind, auch um Selbstschutz kümmern, ein gutes kollegiales und freundschaftliches Umfeld, in dem Austausch möglich ist – und professionelle Hilfe suchen, wenn  sie merken, dass sie nicht mehr abschalten können.

 

Mehr zur „Online Civil Courage Initiative“ finden Sie hier:

https://www.facebook.com/OnlineCivilCourageDE/

http://www.belltower.news/lexikon/occi

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