In Berlin wurde zum achten Mal die Auszeichnung des Deutschen Fußball-Bundes an Initiativen von Fußballfans für ihr Engagement gegen Antisemitismus verliehen. Erstmals standen dabei auch die Enkel der beiden einzigen deutschen Nationalspieler jüdischen Glaubens gemeinsam auf der Bühne.
Von André Anchuelo
Wenige Stunden vor dem in sportlicher Hinsicht denkwürdigen 4:4 zwischen den Nationalmannschaften Deutschlands und Schwedens fand am Dienstagnachmittag eine nicht minder denkwürdige Veranstaltung statt. Zum achten Mal verlieh der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Julius-Hirsch-Preis. Drei Projekte wurden mit der mit insgesamt 20.000 Euro dotierten Auszeichnung geehrt.
Benannt ist der Preis nach dem deutschen Nationalspieler Julius Hirsch, der 1943 in Auschwitz von den Nazis wegen seiner jüdischen Abstammung ermordet wurde. Gestiftet hat ihn der DFB 2005 anlässlich der Vorstellung der Studie "Fußball unterm Hakenkreuz" von Nils Havemann. Sie zeigte die unrühmliche Rolle des DFB während der Zeit des Nationalsozialismus auf.
Zehn Tore in einem Spiel
Wie schon bei den früheren Preisverleihungen war auch diesmal Andreas Hirsch dabei. Er ist der Enkel von Julius Hirsch. "Starke Gefühle" würden diese Veranstaltungen jedes Mal bei ihm hervorrufen, sagte der sichtlich bewegte Karlsruher Reiseunternehmer während der Zeremonie.
Zumal diesmal eine Besonderheit hinzukam: Neben Andreas Hirsch waren auch Julian Heller und Gottfried Eric Fox anwesend. Die beiden sind Enkel von Gottfried Fuchs. Wie Julius Hirsch war auch Fuchs Jude und einer der besten deutschen Spieler in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Im Juli 1912 schoss der Nationalspieler bei einem 16:0 gegen Russland zehn Tore – diese Marke hat nie wieder ein Mitglied der DFB-Auswahl erreicht.
Für die Erforschung der Lebensgeschichte seines Großvaters lobte Andreas Hirsch ausdrücklich den Autor Werner Skrentny. Der veröffentlichte im April 2012 nicht nur die Biografie Julius Hirschs, sondern er vermittelte auch den Kontakt zwischen den Nachkommen Hirschs und Fuchs'. Anders als Hirsch überlebte Fuchs das "Dritte Reich", weil er rechtzeitig nach Kanada flüchten konnte.
Dort leben seine Nachfahren noch heute. Im Sommer trafen sie erstmals die Nachfahren von Julius Hirsch. Nun traten die Enkel der beiden einzigen deutschen Nationalspieler jüdischen Glaubens erstmals gemeinsam öffentlich auf - "ein historischer Moment", sagte der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Dass der DFB nicht immer so offen mit seiner Vergangenheit umgegangen ist, weiß auch Niersbach: Er wies während der Preisverleihung selbst daraufhin, dass sich der Fußballverband noch 1972 weigerte, Fuchs zu den Olympischen Spielen nach München einzuladen – obwohl sich sogar Sepp Herberger, der Weltmeistertrainer von 1954 dafür eingesetzt hatte.
Deutsche U18 fährt nach Yad Vashem
Niersbach lobte deshalb auch seinen Vorgänger Theo Zwanziger. Der habe nicht nur die Idee gehabt, nach Julius Hirsch einen Preis zu benennen, mit dem jedes Jahr Personen und Initiativen für ihren Einsatz gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus gewürdigt werden. Der frühere DFB-Präsident habe auch allgemein viel für die Aufarbeitung der Vergangenheit des größten Sportfachverbandes der Welt getan. Er werde diese Politik Theo Zwanzigers fortsetzen, sagte Niersbach, und kündigte in diesem Zusammenhang einen Besuch der deutschen U18-Juniorenauswahl in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem im Dezember an.
Mit dem ersten Preis wurde dieses Jahr das Fanprojekt des 1. FC Kaiserslautern (FCK) und der rheinland-pfälzischen Traditionsklub selbst ausgezeichnet. Das Fanprojekt hatte mit Unterstützung des Vereins auf antisemitische Anfeindungen gegen den israelischen FCK-Spieler Itay Shechter reagiert. Der war im Februar 2012 von eigenen Fans bei einem öffentlichen Training als "Drecksjude" beleidigt worden. Daraufhin hatte das Fanprojekt innerhalb von nur 14 Tagen die Wanderausstellung "Tatort Stadion" im Fußball nach Kaiserslautern geholt und dazu ein Veranstaltungsprogramm auf die Beine gestellt. Die Ausstellung stammt vom Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) und thematisiert Rassismus und Antisemitismus im deutschen Fußball.
"Mehr als das Übliche getan"
"Das Fanprojekt hat weit mehr getan als das Übliche", sagte Laudator Otto Rehhagel, "es hat gehandelt." Der frühere FCK-Meistertrainer lobte, das Fanprojekt sei "ein würdiger Preisträger." Verein und Fans hätten mit ihrer klaren Verurteilung von Antisemitismus und Rassismus im Stadion "alles richtig gemacht" und "damit mehr als das Übliche getan", unterstrich der 74-Jährige. Der zweite und dritte Preis gingen an Projekte aus Berlin und Frankfurt, in deren Rahmen Fans von Hertha BSC und Eintracht Frankfurt die Gedenkstätte Auschwitz besuchten.
Erwin Ress, Leiter des Kaiserslauterer Fanprojektes, sagte, was ihn besonders schockiert habe, sei die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft nach dem Vorfall ein halbes Jahr ermittelt habe und sich ihn dieser Zeit kein einziger Zeuge, auch nicht mit einem anonymen Hinweis gemeldet habe – obwohl etwa 150 bis 200 Personen bei den Beleidigungen zugegen gewesen seien. "Es müssen einfach mehr Menschen Zivilcourage zeigen", folgerte Ress.
Wie die Jüdische Allgemeine bereits vor der Preisverleihung berichtete, steht das Fanprojekt allerdings derzeit vor dem finanziellen Aus. Die Stadt Kaiserslautern, die für ein Drittel der Finanzierung des Fanprojektes zuständig ist, habe bereits vor einem halben Jahr ihre Unterstützung zurückgezogen, sagte Ress bei der Preisverleihung. Ob die Förderung in anderer Form, etwa durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten, fortgeführt werde, sei noch ungewiss.
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| Der Julius-Hirsch-Preis des DFB
| Ausstellung "Tatort Stadion" des Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF)
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