+++ Nächtliche Anschlagsserie auf Linke in Dessau +++ Betrunkener geht mit Feuerlöscher auf Asylbewerber los +++ Hagen: Auf Hitlergruß folgt Ohrfeige +++ Muslimische Landtagspräsidentin: Nur von der AfD kam kein Applaus +++ Schon wieder Eklat um Rechte an der Uni Greifswald: NPD und AfD eingeladen
Nächtliche Anschlagsserie auf Linke in Dessau
Bei einer offenbar rechtsradikalen Anschlagsserie sind in der Nacht zu Mittwoch in Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt) ein Alternatives Jugendzentrum, eine Regionalbüro der Linken und ein alternatives Szenelokal beschädigt worden. Unbekannte warfen Steine in die Fenster der Einrichtungen und verursachten einen Gesamtschaden von mehreren tausend Euro, wie das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt am Mittwoch in Dessau-Roßlau mitteilte. Die Polizei erklärte, mögliche Tatzusammenhänge würden geprüft.
In dem Alternativen Jugendzentrum Dessau (AJZ) sind unter anderem das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus, die externe Fachstelle der Partnerschaft für Demokratie der Stadt Dessau-Roßlau und die Koordinierung des Netzwerkes Gelebte Demokratie untergebracht. Erstes Anschlagsziel der Unbekannten war nach Zeugenaussagen gegen 1.20 Uhr das alternative Szenelokal Biber Corner in Dessau. Zehn Minuten später warfen Unbekannte dann vier Scheiben in dem Jugendzentrum ein. Am Morgen fanden Mitarbeiter des Linken-Büros zudem eine zerstörte Scheibe und einen Pflasterstein vor.
Betrunkener geht mit Feuerlöscher auf Asylbewerber los
Einen rassistischen Hintergrund vermutet die Polizei bei einem Vorfall in Albbruck. Zwei Personen sind laut Polizei am Dienstagmorgen in der Flüchtlingsunterkunft in Albbruck verletzt worden. Ein 23-Jähriger aus dem Kreis Waldshut stieg kurz vor 6 Uhr in Albbruck aus dem Zug und folgte einem anderen Fahrgast in die Unterkunft. Dort begann er grundlos zu randalieren und beschädigte Inventar.
Nachdem er vom Sicherheitsdienst zunächst beruhigt werden konnte, griff er sich einen Feuerlöscher, schlug ein Fenster ein und ging auf zwei 31-Jährige los. Beide wurden mit dem Feuerlöscher und durch Faustschläge verletzt und erlitten wohl Frakturen an Hand und Unterarm. Kurz darauf wurde der betrunkene Mann festgenommen. Dabei machte er auch rassistische Bemerkungen.
Hagen: Auf Hitlergruß folgt Ohrfeige
Ein 55-jähriger Hagener hat am Dienstagabend nach Angaben der Polizei auf dem Vorplatz des Hagener Hauptbahnhofes mehrfach den Hitlergruß gezeigt. Dies nahm ein 25-Jähriger polnischer Staatsangehöriger zum Anlass, dem Hagener eine kräftige Ohrfeige zu geben. Der stürzte daraufhin zu Boden. Beide Männer wurden festgenommen. Gegen den 55-Jährigen leitete die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung, gegen den 25-Jährigen wegen Körperverletzung.
Muslimische Landtagspräsidentin: Nur von der AfD kam kein Applaus
Erste Frau, erste Grüne und erste Muslima: Muhterem Aras bricht in vielerlei Hinsicht mit der Tradition ihrer Vorgänger im Amt des baden-württembergischen Landtagspräsidenten. Das waren stets Männer mit CDU-Parteibuch, darunter bis 2015 auch Guido Wolf.
Geboren wurde Aras in einem Dorf in Ostanatolien, als Kind einer kurdisch-alevitischen Familie. „Wir haben heute Geschichte geschrieben“, sagte Aras nach ihrer Wahl am Mittwoch. 96 der 143 Abgeordneten hatten da gerade für sie gestimmt. Von besonderem Interesse ist Aras’ Wahl auch, weil die Opposition im Landtag von der AfD angeführt wird, aus der islamfeindliche Töne kommen. Über die AfD sagte Aras einmal: „Sie haben Tendenzen, sich an den Rändern der Verfassung zu bewegen.“ Sie betont allerdings, sie wolle das gesamte Parlament repräsentieren. „Ich werde mit der AfD sehr korrekt nach der Geschäftsordnung des Landtags umgehen“. Voraussetzung sei, dass die AfD sich an die parlamentarischen Grundregeln halte. Die AfD-Fraktion, darunter auch ihr Chef Jörg Meuthen, verweigerte den Applaus, als Aras sich für ihre Wahl bedankte.
Schon wieder Eklat um Rechte an der Uni Greifswald: NPD und AfD eingeladen
Über den Umgang mit Rechtsextremen ist an der Uni Greifswald erneut ein Streit entbrannt: Studentenvertreter hatten neben vielen anderen Politikern auch Vertreter der NPD und der AfD zu einer Podiumsdebatte im Vorfeld der Landtagswahl eingeladen. „Absurd und widerlich“ sei das, schimpfte daraufhin die Initiative „Uni ohne Nazis“. So biete man „Rassisten“ eine Bühne. Auch die Hochschulpartei SDS übte herbe Kritik und brachte das Thema vors Studierendenparlament (Stupa).
Das dreiköpfige Stupa-Präsidium ist zurückgetreten, die geplante Podiumsdiskussion wurde abgesagt. Erst im April diesen Jahres geriet die Uni Greifswald in die Schlagzeilen, weil ein Professor der rechtswissenschaftlichen Fakultät einen Neonazis promoviert hatte. Er war in der Vergangenheit Sänger einer neonazistischen Band, die Hochschulleitung zeigte sich darüber entsetzt.
Drei Jahre Gefängnis für Brandanschlag auf Flüchtlingsheim
Wegen eines Brandanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft in Remchingen wurde ein Mann zur drei Jahren Haft verurteilt. Einen rechtsradikalen Hintergrund konnte das Gericht nicht erkennen. Der 42-Jährige hatte im Juli 2015 ein ehemaligen Vereinsheim, das eine Flüchtlingsunterkunft werden sollte, angezündet und seine Tat im Prozess auch zugegeben. Die auswärtige Kammer des Landgerichts Karlsruhe in Pforzheim würdigte in seinem Urteil das umfassende Geständnis des Angeklagten. Ebenso die lange Zeit in U-Haft und den Schuldenberg von 130.000 Euro, den sich alleinerziehende Vater durch die beiden Brandstiftungen eingebrockt hat. Neben der Tat in Remchingen zündete er auch einen Verkaufscontainer bei Offenburg an. Offen blieb das Motiv – vor allem für den Anschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft. Der Angeklagte erklärte, er habe lediglich den wegen der Flüchtlingsunterkunft besorgten Bürgern von Remchingen helfen wollen.
- http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/karlsruhe/brandanschlag-auf-remchinger-fluechtlingsheim-drei-jahre-gefaengnis-fuer-brandstifter/-/id=1572/did=17416622/nid=1572/e4fxx5/
- http://muehlacker-tagblatt.de/region-muehlacker/enzkreis/drei-jahre-haft-fuer-brandstiftung/
Vergewaltigungsprozess in Frankfurt: Neonazi muss in Haft
Im Vergewaltigungsprozess gegen zwei Neonazis vor dem Frankfurter Landgericht wird einer der Angeklagten, der 31 Jahre alte Nazikader Kai K., zu vier Jahren Haft verurteilt. Sein Kamerad wird freigesprochen. K. sei in seinem Frauenbild „massiv gestört“, so der Richter.
Im Prozess gegen zwei Neonazis vor dem Frankfurter Landgericht ist der 31-jährige Nazikader Kai K. am Mittwoch wegen Vergewaltigung, versuchter sexueller Nötigung und Körperverletzung zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Zudem wird K., dessen Alkoholabhängigkeit ein Thema während des Prozesses war, in eine Entziehungsanstalt eingewiesen. Sein ebenfalls wegen Vergewaltigung angeklagter Kamerad Nils I. wurde hingegen freigesprochen. Der vorsitzende Richter sagte zur Begründung, es habe sich im Prozess „keine Klarheit“ über die Tatbeteiligung des 25-Jährigen herstellen lassen.
Freundin "zwangstätowiert": Ex-Neonazi kommt mit Bewährung davon
Wegen angeblicher Zwangstätowierungen bekommt ein 25-Jähriger vom Amtsgericht Bensheim keine Strafe. Dieser Teil des Verfahrens sei eingestellt worden, teilte ein Sprecher des Gerichts am Mittwoch mit. Der Mann sei aber unter Berücksichtigung einer alten Bewährungsstrafe unter anderem wegen Körperverletzung und Brandstiftung zu zwei Jahren Haft erneut auf Bewährung verurteilt worden. Der Angeklagte hatte im Prozess auch eine leitende Funktion unter Neonazis im Odenwald zugegeben. Inzwischen habe er sich nach eigenen Angaben mit Hilfe eines Aussteiger-Programms von diesem Gedankengut losgesagt.
Fahndungserfolg in Titisee-Neustadt: Polizei verhaftet rassistischen Schläger
Fahndungserfolg für die Polizei: In Neustadt (Baden-Württemberg) konnte am Mittwochnachmittag ein 26-jähriger per Haftbefehl gesuchter Mann festgenommen werden, der im Verdacht steht, kürzlich in Titisee-Neustadt einen Jugendlichen angegriffen zu haben. Er ging den Beamten am Mittwoch ins Netz, wie die Polizei mitteilte. Seit der Tat war der 26-Jährige auf der Flucht, gesucht wurde er mit einem Haftbefehl. Der polizeibekannte Mann hatte den Angaben zufolge Ende April am Bahnhof in Titisee-Neustadt eine jugendliche Person of Color angegriffen und mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Zudem beschimpfte er den 17-Jährigen mit rassistischen Parolen.
Mitgefangene über Zschäpe: „Sie spielt Theater“
Eine ehemalige Mitgefangene in der Justizvollzugsanstalt München erhebt schwere Vorwürfe gegen Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte im Prozess gegen die mutmaßlichen Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). "Sie spielt Theater. Ihre Auftritte vor Gericht sind eine Inszenierung", sagt Astrid Ebenhoch. "Die authentische Zschäpe ist die, die ich im Knast gesehen habe."
Zschäpe inszeniere sich vor Gericht unpolitisch, leise, unsicher und als Unwissende mit Blazer und Bluse, sagte Ebenhoch. Im Gefängnis trete sie hingegen lautstark und selbstbewusst auf, rekrutiere Frauen für ihren Fanclub, manipuliere Insassinnen und trage Kleidung im Military-Stil. Bei einem Vorfall habe sie anderen Gefangenen sogar Befehle gegeben, eine Insassin mit Migrationshintergrund mit Mehl und Wasser zu attackieren, sagt Ebenhoch über Zschäpe.
Ferienbilder im NSU-Prozess: Der Ostsee-Urlaub nach dem Anschlag
Im Juni 2004 verübten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Köln einen Bombenanschlag, sechs Wochen später ging es mit Beate Zschäpe an die Ostsee. Im NSU-Prozess wurden nun Fotos aus dem Urlaub gezeigt - sie könnten wichtig werden. Es wirkt wie ein entspannter Sommerurlaub. Beate Zschäpe sitzt in der Sonne und liest "Das Testament" von John Grisham. Uwe Mundlos steht in Badehose in der Ostsee. Uwe Böhnhardt hat seinen Kopf in Zschäpes Schoß gelegt. Knapp 130 Urlaubsfotos lässt der Senat am Mittwoch im NSU-Prozess an zwei Wände des Saals des Oberlandesgerichts München projizieren. Die Fotos waren auf einer CD mit dem Titel "Urlaub 2004" gespeichert. Sie lag im Brandschutt der Wohnung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in der Zwickauer Frühlingsstraße.
Die Nebenklagevertreter erklären: Die Bilder seien dazu geeignet, Zschäpes Einlassung "in wesentlichen Punkten" zu widerlegen. Im Dezember 2015 hatte Zschäpe vor Gericht erklären lassen, sie sei "entsetzt" gewesen, als Mundlos und Böhnhardt ihr von dem Anschlag erzählt hätten. Die Bilder zeigten keinerlei Disharmonien zwischen den dreien.
Richter im NSU-Prozess machen Tempo
Nach drei Jahren Verhandlung ist das Gericht im NSU-Prozess offenbar entschlossen, in die Zielgerade einzubiegen. Am Mittwoch hat Richter Manfred Götzl abgelehnt, einen interessanten Zeugen aus der Schweiz zu befragen, der früher V-Mann des Verfassungsschutzes war und die Angeklagte Beate Zschäpe und auch ihren rechtsradikalen Gefährten Uwe Mundlos während der Zeit im Untergrund beschäftigt haben soll. Bereits am Tag zuvor hatte das Gericht auch die genauere Erforschung des Vorwurfs abgelehnt, dass der Verfassungsschutz den Aufenthaltsort der Terrorzelle NSU kannte und nichts tat, um die Morde zu verhindern. Offenbar ist dem Gericht nun das Umfeld des NSU genügend aufgeklärt. Und es hat bereits deutlich gemacht: Es sieht den Staat nicht als mitverantwortlich für die Taten des NSU.
Nun hat der Senat also abgelehnt, jenen früheren V-Mann des Verfassungsschutzes, Ralf Marschner, als Zeugen vorzuladen. Der rechtsradikale Marschner mit dem Decknamen "Primus" soll Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach deren Abtauchen in den Untergrund im Januar 1998 zeitweise in seiner Baufirma in Zwickau beschäftigt haben. Laut Zeugen seien sie damals auch mit Fahrzeugen der Firma unterwegs gewesen.
Außerdem ist bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit dem NSU-Terrortrio überraschend ein weiteres Mobiltelefon des 2014 gestorbenen V-Manns "Corelli" aufgetaucht. Die Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschusses haben jetzt weitere Fragen - an den Verfassungsschutz.
Der Neonazi, mit bürgerlichem Namen Thomas Richter, hatte seinen V-Mann-Führern mehr als zwanzig Jahre lang Berichte über die rechtsradikale Szene geliefert und bis heute gibt es die Spekulation, dass er Kontakt zu den NSU-Terroristen gehabt haben könnte. Er galt als Top-Quelle des BfV, dessen Dienste sich das Amt fast 300.000 Euro kosten ließ.
Im Oktober beschäftigten sich Spezialisten des Verfassungsschutzes mit dem Fund und seit Mitte April dieses Jahres steht fest, dass sich auf dem Handy viele Bildaufzeichnungen befanden, offenbar rund 1000 Fotos und eine Kontaktliste: ein Who-is-Who der rechtsradikalen Szene.
Wiesn-Anschlag – Verfassungsschutz lässt Ermittler auf Akten warten
Vor eineinhalb Jahren hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einen alten, ungeklärten Fall wieder aufgenommen: Deutschlands höchste Anklagebehörde will nach 35 Jahren doch noch die Hintergründe des Oktoberfestattentats auf der Theresienwiese in München am 29. September 1980 aufklären. Ein kniffliger Fall, in dem seinerzeit die Ermittler nicht weiterkamen, obwohl viele von ihnen sicher waren: Der Attentäter, der 13 Menschen getötet und mehr als 200 schwer verletzt hatte, konnte nicht der Student Gundolf Köhler allein gewesen sein, es musste Hintermänner gegeben haben.
Die Geheimdienste, so glaubten damals viele Ermittler, taten nichts, um dieses Umfeld des Täters aufzuklären. Und auch 35 Jahre später verlaufen die Ermittlungen zäh: Schon vor einem Jahr, am 17. Februar 2015, hatte die Bundesanwaltschaft den Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst gebeten, noch einmal ihre Akten über das Oktoberfest und die rechte Szene durchzuforsten. Doch sie warten immer noch. Der BND hat geliefert, der Verfassungsschutz, der viel mehr Akten hat, nicht.
Hooligan-Krawalle von Köln erneut vor Gericht: Schwerer Landfriedensbruch
Es waren beängstigende Szenen, die sich im Oktober 2014 in Köln abspielten: Rund 5000 Demonstranten hatten sich hinter dem Hauptbahnhof versammelt, unter ihnen gewaltbereite Hooligans und Rechtsextremisten. Sie lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, 49 Beamte wurden verletzt.
Mit dem letzten Prozess gegen einen 27-Jährigen endete am Mittwoch vor dem Kölner Amtsgericht die juristische Aufarbeitung der Demonstration der fremdenfeindlichen Gruppierung "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa). Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Nach Überzeugung der Richter hatte er mehrere Gegenstände – unter anderem einen 6,5 Kilo schweren Absperrpoller und eine Glasflasche – geworfen und dadurch zwei Polizisten verletzt.
Insgesamt waren nach der Demonstration knapp 340 Strafanzeigen bei der Kölner Staatsanwaltschaft eingegangen. In 193 Fällen blieben die Täter unerkannt – obwohl ihre Taten auf Videoaufnahmen dokumentiert sind. "Teils waren die Personen vermummt, teils konnte man den Gesichtern am Ende keine Namen zuordnen, und manchmal waren die Aufnahmen auch zu unscharf", schildert Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn die Probleme bei den Ermittlungen. Doch immerhin sei es in mehr als 140 Fällen gelungen, die Beteiligten zu identifizieren und Ermittlungsverfahren einzuleiten.
SPD-Minister Heiko Maas: Der Lieblingsfeind der AfD
Es war kein angenehmer Auftritt für Heiko Maas. Der Justizminister musste am 1. Mai bei der DGB-Kundgebung in Zwickau für den erkrankten SPD-Chef Sigmar Gabriel einspringen, und der Empfang war alles andere als freundlich. Demonstranten aus der rechten Szene begleiteten seine Rede mit Buhrufen, Trillerpfeifen und Sprechchören.
Zur selben Zeit traf sich die AfD in Stuttgart zu ihrem Parteitag. Als dort die Meldungen über die Störungen bei der Zwickauer Mai-Veranstaltung die Runde machten, trat ein jüngeres Mitglied auf das Podium. Begeistert verkündete der Mann, soeben sei Heiko Maas in die Flucht geschlagen worden. Viele im Saal brachen in Jubel aus.
Immer wieder gehen AfD-Funktionäre den Justizminister scharf an, werfen ihm vor, die Partei zu diffamieren. "Wir können den Zeitpunkt, an dem Hassmails und Zuschriften in unflätigstem Tonfall zugenommen haben, fast auf den Tag genau festlegen", sagt Ministeriumssprecher Steffen Rülke. Das entscheidende Datum sei der 15. Dezember 2014 gewesen. An jenem Montag waren in Dresden, wie schon in den Wochen zuvor, Tausende Bürger auf einer Pegida-Demonstration gegen eine angebliche Islamisierung auf die Straße gegangen. In der "Süddeutschen Zeitung" erschien daraufhin ein Interview mit dem Justizminister, dort fiel der Satz: "Pegida ist eine Schande für Deutschland." Maas hatte sich klar positioniert.
Neonazi-Bands bescheren Kleinstädten "schwarze Tage"
Halb acht am vergangenen Samstag. Auf einem Schotterplatz im Süden Thüringens feiern Tausende Menschen in der Abendsonne. Es sind vor allem junge Männer, viele tragen Sonnenbrillen und eng sitzende T-Shirts, bedruckt in Frakturschrift. Auf der Bühne spielen gerade Sleipnir – eine Band, die den meisten Deutschen nicht viel sagen dürfte. "Wir zählen eure Tage, denn viele sind es nicht, wir sind Deutschland, ihr seid es nicht", lautet eine der Zeilen, die Sänger Marco Bartsch über den Platz drischt. Er meint all jene, die in seinen Augen den Niedergang des Vaterlandes herbeiführen: Linke, Andersdenkende, Ausländer sowieso.
Der Verfassungsschutz stuft Sleipnir als rechtsextremistisch ein. Die Band spielt an diesem Abend beim Neonazifestival "Rock für Identität" im thüringischen Hildburghausen. Seit 2009 gab es keine Rechtsrockveranstaltung, die mehr Besucher angezogen hätte: Die Polizei geht von rund 3500 Teilnehmern aus – Neonazis aus ganz Deutschland und aus dem Ausland. Sie bestimmten auch das öffentliche Bild in der nahe gelegenen Innenstadt, Beobachter sprechen gar von einem "Angstraum", den die Neonazis an diesem Wochenende geschaffen hätten. Bürgermeister Holger Obst (CDU) nannte den Samstag einen "der schwärzesten Tage der Stadt".
Verbot bestätigt: Kein „Gegen Nazis“-Shirt im Gemeinderat
Nach dem T-Shirt-Eklat im Gemeinderat von Waldbüttelbrunn (Lkr. Würzburg) hat die Kommunalaufsicht den Fall geprüft: Alles ordnungsgemäß, heißt es aus dem Landratsamt Würzburg zum Vorgehen des Bürgermeisters. Klaus Schmidt (SPD) hatte als Sitzungsleiter den jungen Grünen-Gemeinderatsvertreter Sebastian Hansen zum Umkleiden aufgefordert. Der 21-Jährige hatte ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift „Gegen Nazis“ und dem Symbol eines zerschlagenen Hakenkreuzes getragen. Unter Protest und erst nach Androhung eines Sitzungsausschlusses folgte Hansen der Aufforderung des Bürgermeisters und zog sich seinen Kapuzenpulli wieder über. Daraufhin wurde die Sitzung fortgesetzt.
Rehabilitierung Homosexueller längst überfällig
Rund 50.000 Männer sind in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verurteilt worden, nur weil sie schwul sind. Die Rechtsgrundlage dafür war Paragraph 175, der Unzucht unter Männern unter Strafe stellte. Er galt bis 1969 und in einer entschärften Form sogar bis 1994. Die Opfer sollen nun rehabilitiert werden. Dafür spricht sich ein Rechtsgutachten aus, das von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegeben wurde, und so sieht es jetzt auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).
Es ist höchste Zeit, dass dieses Unrecht, begangen an Zigtausenden Homosexuellen, in unserem Rechtsstaat endlich beseitigt wird. Es ist eines Rechtsstaats schlicht unwürdig, dass Männer, die nach dem berüchtigten "Homosexuellenparagrafen 175" verurteilt wurden, bis heute mit diesem Strafmakel leben müssen. Ihre Kriminalisierung besteht also fort, nur weil sie anders lieben als die Mehrheit.
Messerstecher von Grafing: Wie im Netz aus Paul H. ein Islamist wurde
Der mutmaßliche Messerstecher von Grafing war ein verwirrter Deutscher? Kann nicht sein, finden rechtspopulistische Blogger - und erfinden eine ganz andere Geschichte. "Was soll man jetzt glauben?", schreibt einer bei Facebook und "Erstickt an euren Lügen, verdammte Presse…" ein anderer. Bei diesen beiden, so sieht es zumindest aus, hat Marco Delgardo offenbar sein Ziel erreicht: Die frei erfundene Behauptung, der mutmaßliche Messerstecher von Grafing habe "einen muslimischen Migrationshintergrund" und heiße in Wahrheit nicht Paul H., sondern "angeblich Rafik Y.", wird für plausibler gehalten als die Wahrheit.
Dabei deuten die bisherigen Erkenntnisse darauf hin, dass der Täter ein geistig verwirrter Deutscher ist - eben jener Paul H. Das bayerische Landeskriminalamt selbst sah sich schließlich genötigt, via Facebook auf die Verbreitung des Gerüchtes zu reagieren: Es gebe "keinen Zweifel an der berichteten Identität des Festgenommenen".
Davon unbeeindruckt, verbreitete Jürgen Elsässer, Chefredakteur des rechtspopulistischen Magazins "Compact", Delgardos Desinformation in seinem persönlichen Blog. Auch „Politically Incorrect“ und „Journalistenwatch“ verbreiteten die Behauptung. Der Vorgang zeigt, wie die Propagandamaschine der "Lügenpresse"-Fraktion in Deutschland derzeit funktioniert. Mit verteilten Rollen und unklaren Quellen werden ins rechtspopulistische, antimuslimische Bild passende Behauptungen so lange wiederholt, bis sie für manche Internetnutzer zur gefühlten Wahrheit geworden sind - egal, wie weit sie von den Tatsachen entfernt sind. Viele werden die tatsächlichen Fakten nie erfahren, die Lüge wird ihnen als Wahrheit in Erinnerung bleiben und das diffuse Gefühl, ständig belogen zu werden, verstärken.
Internetstrategie: Das Bauchgefühl der AfD
Die AfD ist auch durch ihre ausgeklügelte Internetstrategie groß geworden – dahinter steckt ein Mann aus Aschaffenburg. Wer ist Peter König?
Um kurz nach acht am Morgen sitzt Peter König am Schreibtisch und überlegt, was er heute als Erstes postet. König scrollt durch den AfD-Pressespiegel, den ihm die Bundesgeschäftsstelle in Berlin zugeschickt hat. Bei einem Zitat von Alexander Gauland, dem Vize-Chef der Partei, bleibt er hängen: „Österreich handelt vorsorglich, Deutschland fährt auf Sicht.“ König hat gefunden, wonach er gesucht hat. Das lässt sich zuspitzen, findet König und öffnet Photoshop. Er schneidet die Silhouette Gaulands aus einem Foto, stellt sie vor einen blauen Hintergrund und fügt das Zitat ein, daneben das Parteilogo. Dazu schreibt er noch einen kurzen Text. Um 8:38 Uhr geht der Beitrag online. „Das ist die perfekte Zeit“, sagt König. Die meisten Nutzer schauen nach dem Frühstück ins soziale Netzwerk.
Eine Studie der Uni Mainz kommt zu dem Ergebnis, dass das professionelle Auftreten der AfD auf eine exakte Planung und hohen Personalaufwand zurückzuführen sei. König lacht darüber, nein, er habe das ganz allein gemacht. Keine Werbeagentur oder Berater hätten ihm geholfen. Erst seit Anfang das Jahres hat König nach eigenen Angaben eine Mitarbeiterin, die die Kommentare mit ihm gemeinsam durchkämmt, sie löscht, wenn Hetze und Hass unter Posts der AfD zu finden sind. 265.000 Menschen haben bei der AfD inzwischen „Gefällt mir“ gedrückt, mehr als bei CDU und SPD zusammen.
Tagung zu Nazis im Netz: Fortbildung für Propagandakritiker
Ist es Dummheit, Satire oder geklaut? Die Tagung „Theater und Netz“ untersuchte Inszenierungen von Rechtspopulisten. Ist das jetzt Parodie? Oder ernst gemeinte Propaganda? Arne Vogelgesang, Regisseur und Internetforscher, hat einen Film zusammengestellt mit Material aus gefundenen Werbebotschaften. „Komm zum IS und verteidige den Islam!“ – „Komm zu den Identitären und verteidige deine Heimat!“
Das Verblüffende ist, dass die Performance so offensichtlich aus geliehenen Posen, geklauter Musik, abgenutzten Sätzen und stereotyper Schnitttechnik zusammengesetzt ist, dass die Bilder eher nach Satire auf Extremismus aussehen denn als ernst gemeinte Appelle. Schließlich ist Arne Vogelgesang Künstler.
Extremismus zu unterschätzen, weil er sich Klischees bedient und geklauter Ideen; ihm ob des Unoriginären auch Dummheit zu unterstellen ist gefährlich. Davor warnt Vogelgesang und belegt, wie Botschaften sich ausbreiten über Copy & Paste. Wie dabei auch Verunsicherung, ob als Satire oder ernst gemeint, Teil der Strategie sein kann. Wer sonst einen Bogen um rechte Propaganda und als Scherzkekse getarnte Demagogen macht, konnte hier etwas lernen.