Fast jedes Wochenende demonstrieren Neonazis

"Der Kampf um die Straße" durch Demonstrationen und Kundgebungen ist fester Bestandteil rechtsextremer Strategien: Fast jedes Wochenende marschieren Neonazis in Kommunen in Ost- und Westdeutscland auf. Um Öffentlichkeit zu schaffen, das szene-interne "Wir"-Gefühl in der Konfrontation mit Polizei und Gegendemonstranten zu stärken, nicht-rechte Jugendkulturen und andere Opfergruppen einzuschüchtern und die politische Diskussion vor Ort zu bestimmen.

Am 1. Mai 2008 marschierten NPD und "Autonome Nationalisten" weitgehend getrennt. In Hamburg trafen sich vor allem militante Neonazis, in Nürnberg wollte die NPD ihr Stammklientel ansprechen. Zentrales Thema beider Aufmärsche: "Die soziale Frage", im nationalistischen und fremdenfeindlichen Gewand.

Ganz bewusst stellen Neonazis ihre Demonstrationen am 1. Mai in den Kontext der historischen Mai-Aufmärsche der NSDAP. Andere Daten, an denen seit 1990 regelmäßig Demonstrationen von Neonazis stattgefunden haben, zeigen deren Versuche eigene Traditionen zu begründen und Themen zu verankern. Im Vordergrund stehen dabei Geschichtsrevisionismus und der Bezug zum Nationalsozialismus: die jährlichen Hitlerstellvertreter "Rudolf-Heß-Gedenkmärsche" zum dessen Todestag im August. Oder die 1990 begonnenen Demonstrationen tausender Neonazis auf dem brandenburgischen Kriegsgräberfriedhof Halbe am Volkstrauertag unter dem Motto "Heldengedenken". Ebenfalls ein fester Termin im Kalender rechtsextremer Reisekader: der Jahrestag des alliierten Bombardements von Dresden, den die extreme Rechte für ihre geschichtsfälschenden Positionen instrumentalisiert.

Auch die Ausstattung ist eindeutig: Neonazis lieben Trommeln, Fahnen und Fackeln – wenn ihnen das Mitführen nicht verboten wird. In den letzten Jahren sind sozial- und wirtschaftspolitische Themen ebenso hinzu gekommen wie wiederholte Demonstrationen gegen alternative Jugendzentren beispielsweise im bayerischen Dorfen, in Berlin oder Göttingen.

NS-Verherrlichung

Bei aller Themenvielfalt: Die Verherrlichung des Nationalsozialismus mobilisiert noch immer die meisten Rechtsextremisten. Der Aufmarsch von 5.000 Rechtsextremisten gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" des Hamburger Instituts für Sozialgeschichte am 1. März 1997 in München markiert dann auch nicht zufällig den Aufstieg der heutigen NPD. Der "Kampf um die Straße" gehört seitdem zu den vier Säulen der NPD-Strategie.

Entsprechend habe sich auch die Anzahl der Aufmärsche in den letzten 15 Jahren auf über 100 pro Jahr vervierfacht, schreibt Rechtsextremismusexperte Fabian Virchow. Angesichts der vielen Aufmarsch-Termine schwanken die Teilnehmerzahlen zwischen mehreren tausend und einem Dutzend. Die von der Szene gewünschte (negative) Medienberichterstattung und die gezielte Provokation demokratischer Kräfte erreichen 30 Neonazis jedoch ebenso wie 800 Rechtsextreme.

Strukturaufbau

Demonstrationen dienen wesentlich dazu, die Attraktivität der rechtsextremen Lebenswelt zu steigern, die eigene Anhängerschaft in der Auseinandersetzung mit Polizei und Sicherheitsbehörden zu schulen. Außerdem geht es darum, neue Mitglieder zu rekrutieren und Machtansprüche zu formulieren. In einem Strategiepapier der schleswig-holsteinischen NPD aus dem Jahr 2000 heißt es dazu:

"Um bis spätestens 2004 in Besitz flächendeckender Strukturen zu sein, sollen pro Jahr sechs Aufmärsche in kleinen Städten (20.000 – 40.000 Einwohner) in schwachstrukturierten Kreisen durchgeführt werden. Diese sollen propagandistisch in Form von Infoständen und Postwurfsendungen vor- und nachbereitet werden. Nach 3 – 4 Wochen werden alle neuen Interessenten, bisherige Mitglieder und sonstige Sympathisanten zu einer Veranstaltung in der betreffenden Stadt eingeladen. Endziel jeder dieser Aktionsabläufe sollte die Bildung einer Basisgruppe sein."

| Das Thema in der ZDF-Sendung Länderspiegel

Zum Thema

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