Initiativen und Behörden beraten Aussteiger und Eltern

Seit beinahe zehn Jahren können in Deutschland Aussteiger aus der Neonazi-Szene professionelle Beratung und Unterstützung erhalten. Es waren vor allem Initiativen wie die von dem ehemaligen Polizisten und Kriminologen Bernd Wagner ins Leben gerufene „Exit Deutschland“, die die Situation von Aussteigern ab Mitte der 1990er thematisierten und dann konkrete Hilfsangebote schufen.

Inzwischen gibt es ein breites Spektrum an nicht-staatlichen Initiativen und Beratungsstellen, die Aussteigern Hilfe anbieten. Die meisten von ihnen erwarten von den Aussteigern eine nachvollziehbare Begründung, warum sie mit ihrer Verankerung in der Szene oder NPD brechen wollen. Sie wollen keinesfalls lediglich taktische und zeitlich befristete Rückzugsmanöver beispielsweise im Vorfeld von Gerichtsprozessen und Strafverfahren belohnen.

In vielen Bundesländern bieten auch die Landeskriminalämter und Landesämter für Verfassungsschutz Anlaufstellen für ausstiegswillige Neonazis an. Doch die vor einigen Jahren mit großem Publicityaufwand geschalteten staatlichen Aussteiger-Hotlines haben sich in einer Reihe von Bundesländern als Flop erwiesen. Vor allem Journalisten riefen die Hotline an, um sich über den Stand des Programms zu erkundigen, heißt es bei den Behörden. Ohnehin sind Zahlen in diesem Bereich eine schwer ermittelbare Größe: Exit Deutschland gibt an, in den vergangenen zehn Jahren über 300 Neonazis in ihren Ausstiegsprozessen begleitet zu haben.

Beweggründe und Hilfe

Ausgestiegene Neonazis und NPD-Aktivisten nennen ganz unterschiedliche Beweggründe: beispielsweise Angst vor anhaltender staatlicher Repression, aber auch Angst vor Outing- und Protest-Kampagnen durch antifaschistische Gruppen und Initiativen sowie Langeweile und Enttäuschung angesichts der Doppelmoral der rechtsextremen Szene. Einige Aussteiger sagen, dass die exzessive Gewalt gegen Minderheiten, aber auch innerhalb der Szene sie zum Verlassen der "Kameradschaftsszene" bewogen hat.

So unterschiedlich wie die Aussteigsgründe sind auch die Hilfen, die sich Aussteiger wünschen. Einige wenden sich an alternative und nicht-rechte Jugendzentren, weil sie dort die meiste Kompetenz erwarten. Andere melden sich bei Behörden oder Beratungsstellen. Und die meisten betonen, wie wichtig die Existenz einer nicht-rechten Alltagskultur sei, um latente Ausstiegsgedanken zu befördern.

Elterninitiativen und Elternberatung

Eltern, deren Söhne oder Töchter sich der rechtsextremen Szene zuwenden beziehungsweise dort aktiv sind, können sich inzwischen ebenfalls an ein größer werdendes Netzwerk an Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen wenden. Überforderung, Unkenntnis der Szene, Unverständnis oder Verzweifelung angesichts der Unerreichbarkeit des eigenen Kindes gehören zu den ganz typischen Reaktionen von Eltern, wenn sie erfahren, dass ihr Kind bei einer Demonstration der NPD gesehen wurde. Oftmals finden die gestressten Eltern in ihrer unmittelbaren Umgebung wenig Verständnis und Hilfe. Auch bei staatlichen Instanzen mangelt es vor Ort häufig an Kenntnissen und konkreten Hilfsangeboten. In dieser Situation sei der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe ebenfalls betroffener Eltern wie „ein Rettungsanker“ gewesen, sagt die Mutter einer 16-Jährigen in Brandenburg, die sich vor einem Jahr einer extrem rechten Clique angeschlossen hat. Durch den Austausch mit anderen sei es ihr gelungen, dem Mädchen „effektive Grenzen“ zu setzen und Alternativangebote zu machen.

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