Presseschau ... 27.07.2017

+++NSU mordete "Hand in Hand“+++Schiffbruch des Tages: Identitäre+++Ostbeauftragte distanziert sich von Rechtsextremismus-Studie+++Siebenköpfige AfD-"Spezialeinheit" soll den Wahlkampf retten+++AfD-Politiker Pretzell gerät wegen Doppelmandat unter Druck+++

 

NSU mordete „Hand in Hand“

Im Münchner NSU-Prozess setzte am Mittwoch die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer fort. Erneut bekräftigte Oberstaatsanwältin Annette Greger, dass Beate Zschäpe ein gleichberechtigtes Mitglied der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gewesen sei. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und Zschäpe hätten im "Dienst der gemeinsamen Sache“ gestanden, sagte Greger. Jedem kamen dabei bestimmte Aufgaben zu. Detailliert und präzise trug sie die Indizien zusammen, die aus Sicht der Anklage für eine Mittäterschaft Zschäpes an den Mordtaten ihrer Freunde Mundlos und Böhnhardt sprechen. Die beiden Männer seien – anders als es die Einlassungen Zschäpes im Prozess implizieren sollten – kein "psychopathisches Duo“ gewesen, das neben der Gefährtin her lebte und hin und wieder mordete.

Weil der Unterausschuss zur NSU-Aufklärung in Mecklenburg-Vorpommern geheim ist, veröffentlicht die Linke jetzt Inhalte daraus.

 

"Reichsbürger" zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt

Der 59-jährige Mann aus dem Landkreis Aschaffenburg steht dem Gedankengut der "Reichsbürger" nahe. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung im Dezember 2016 hatte man bei ihm knapp drei Kilo Schießpulver sowie 69 Stück Randzünder-Munition gefunden. Der 59-Jährige soll früher einen Waffenschein besessen haben, welcher ihm aber bereits im Juli 2015 aberkannt worden war. Seine Erlaubnis nach dem Sprengstoffgesetz wurde bereits im April 2008 widerrufen.

 

Schiffbruch des Tages: Identitäre

Die Jagd auf Flüchtlinge im Mittelmeer, für die Neofaschisten der "Identitären Bewegung" ein Schiff gechartert hatten, ist Medienberichten zufolge gescheitert, bevor sie begonnen hat. Am Mittwoch nachmittag verbreiteten sich in Windeseile Nachrichten, wonach die unter mongolischer Flagge fahrende "C Star" der selbsternannten Europa-Verteidiger in Zypern festgesetzt wurde. Die in Nikosia erscheinende Tageszeitung Kibris Postasi meldete, dass der Kapitän und sein Assistent wegen "Urkundenfälschung" festgenommen worden seien. Das Internetportal oe24. at berichtete, die aus asiatischen Ländern stammende Crew habe auf der Insel politisches Asyl beantragt. Der österreichische Kurier ergänzte, die aus Sri Lanka stammende tamilische Mannschaft habe angegeben, für die Fahrt bezahlt zu haben. Die Rede ist auch davon, dass die Anklage gegen den Kapitän und seine Hintermänner auf "Schlepperei" laute.

 

Ostbeauftragte distanziert sich von Rechtsextremismus-Studie

Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), hat sich einem Medienbericht zufolge von der von ihrem Haus in Auftrag gegebenen Studie zum Rechtsextremismus in Ostdeutschland offiziell distanziert. Das berichtet die "Sächsische Zeitung“. Demnach hat die SPD-Politikerin dem Göttinger Institut für Demokratieforschung in einem Brief mitgeteilt, dass sie die Möglichkeit der Rückerstattung bislang ausgezahlter Mittel prüfen lasse. Die Kosten der Studie belaufen sich nach früheren Angaben aus dem Bundeswirtschaftsministerium auf insgesamt 129.391,86 Euro.

 

Geschichtsverein will NPD-Mann loswerden

Für den Vorsitzenden des Büdinger Geschichtsvereins, Joachim Cott, gibt es keinen Zweifel: Ein NPD-Politiker kann nicht Mitglied des Vereins sein. Man habe Plakatausstellungen gegen Rechtsextremismus konzipiert, über die NSU-Morde und den Prozess genauso wie über die Denkmuster der Rechtsradikalen. Auch habe der Verein, der das Heuson-Museum im Rathaus trägt, schon ausländische Praktikanten gehabt. All das sei nicht kompatibel mit den Gedanken eines NPD-Politikers, sagt Cott. Diese Ansicht teilen die drei Kollegen Cotts im Vorstand. Einstimmig beschlossen sie im April, NPD-Mann Daniel Lachmann aus dem 270 Mitglieder starken Verein auszuschließen. Eine Mitgliederversammlung wies den Einspruch des 36-Jährigen gegen den Rauswurf im Juni zurück. Von den 16 anwesenden Mitgliedern hätten es aber auch drei gerne gesehen, wenn Lachmann Mitglied im Verein geblieben wäre – bei einer Enthaltung.

 

Ex-Neonazi über seinen Ausstieg - "Hass hat immer eine Rolle gespielt"

In Sachsen werden Neonazis dazu ermutigt, aus der Szene auszusteigen. Selbst wenn nur wenige Personen das Aussteigerprogramm in Anspruch nehmen, ermöglichen diese Einblicke in eine Szene, die als extrem gewaltbereit gilt. Unser Korrespondent hat einen Aussteiger getroffen. "Wir hatten alle gemeinsam den gleichen Feind - und den galt es zu bekämpfen."

 

Dubioses Transparent: Linke hakt nach

Es hing nicht lange, sorgte aber für erhebliche Irritationen bei vielen Besuchern: Ein Transparent, das Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung an Schwörmontag über die Donau spannten. Zwei Zuschauer fassten sich ein Herz und hängten es kurzerhand ab. Die Linkspartei hakt nun nach und hat sich in einem Schreiben an Oberbürgermeister Gunter Czisch, den Gemeinderat und das Ordnungsamt gewandt: "Wir bitten um umfassende Aufklärung, wie es gerade am Schwörmontag möglich ist, ein Transparent einer rechtsextremistischen Vereinigung aufzuhängen, ohne dass etwas unternommen wird.“

 

Nationalismus in Nordeuropa

"Formbarer und flexibler Populismus“. Die Politologin Ann-Cathrine Jungar spricht im Interview über das Erfolgsrezept der Rechtspopulisten, die Folgen von Regierungsbeteiligungen und die Rückkehr des Nationalismus in Nordeuropa.

 

Zweites Neonazi-Konzert in Themar - Gegendemonstranten

Zum zweiten Neonazi-Festival innerhalb kurzer Zeit erwarten die Behörden am Samstag deutlich weniger Rechte in Themar als vor zwei Wochen. Man rechne mit bis zu 1000 Teilnehmern, teilte der Verfassungsschutz auf Anfrage mit. Zuletzt waren rund 6000 Rechte zum bundesweit wohl größten Rechtsrock-Konzert des Jahres nach Südthüringen gekommen. Dies sei für Samstag wenig realistisch. "Darauf deuten sowohl die Teilnehmererwartungen des Veranstalters als auch das Programm des Szenetreffens hin." Auf der Gegenseite rechnet die Polizei auch diesmal mit mehreren hundert Gegendemonstranten. Diese sollen auf keinen Fall mit den Rechten zusammentreffen. "Strikte Lagertrennung ist immer unser Prinzip", sagte ein Sprecher. Anders als beim vergangenen Konzert dürften die Rechten diesmal vornehmlich aus dem deutschsprachigen Raum kommen.

Wie umgehen mit Neonazi-Konzerten?

Das Rechtsrock-Konzert in Themar - es wird noch immer heiß diskutiert. Wäre es nicht doch zu verhindern gewesen? Warum hat die Polizei nicht eingegriffen, als Versammlungsteilnehmer den Hitlergruß zeigten? Reicht der zivile Protest gegen die Neonazis aus? Fragen, über die im vollbesetzten Schützenhaus mehrere Stunden lang debattiert wurde. Einzelne Redner warfen der Polizei vor, die Versammlung nicht aufgelöst zu haben - beispielsweise, als im Festzelt Straftaten begangen wurden. Die Polizei verwies auf die Sicherheitslage und kündigte an, alle Vergehen wie Heil-Rufe und Hitlergruß konsequent zu verfolgen.

 

AfD-naher Deutschland Kurier: Berliner Kurier hat Beschwerde beim Landgericht Köln eingelegt

Der Plan sah wohl so aus: Der AfD-nahe "Verein zur Erhaltung der Rechtstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“ startet mit dem Deutschland Kurier eine Zeitung, positioniert sich als empörte Gegenöffentlichkeit und sorgt mit wilden Stories und Fotomontagen für laute Aufmerksamkeit. Tatsächlich verstricken sich die Berliner derzeit im juristischen Klein-Klein – um Logo, Layout und die Gemeinnützigkeit.

 

AfD erhebt Einspruch gegen NRW-Wahl – und legt brisanten Facebook-Post einer "Antifa" vor

Dem stern liegt ein Schreiben der AfD an den Landtagspräsidenten in Düsseldorf vor. Darin präsentiert die Partei Indizien für weitere Fehler bei der Stimmenauswertung der NRW-Wahl – und fordert, alle 8,5 Millionen Stimmzettel neu auszuzählen. In dem Dokument, mit dem die AfD in Nordrhein-Westfalen noch für einigen Wirbel sorgen könnte, findet sich auch ein Bildschirmfoto. Die AfD hat es in den Anhang ihres "Einspruchs gegen die Feststellung des endgültigen Ergebnisses der Landtagswahl" gestellt, ganz nach hinten. Das Bildschirmfoto zeigt einen Eintrag der Facebook-Gruppe einer sogenannten "Internationalsozialistischen Antifa". Die Seite war zwischenzeitlich gelöscht, ist mittlerweile wieder online. 

 

Siebenköpfige AfD-"Spezialeinheit" soll den Wahlkampf retten

Ein FOCUS-Bericht vom Donnerstag über die Entmachtung von AfD-Wahlkampfchef Michael Büge sorgte für Aufregung in der Partei. Statt des früheren Berliner CDU-Staatssekretärs soll nun eine siebenköpfige "Spezialeinheit“ die Leitung des Wahlkampfes übernehmen. Vor allem Spitzenkandidatin Alice Weidel soll einige der Entwürfe für Wahlplakate zu radikal gefunden haben.

 

AfD-Politiker Pretzell gerät wegen Doppelmandat unter Druck

Der nordrhein-westfälische AfD-Fraktionschef Marcus Pretzell gerät wegen seiner doppelten Bezüge als Abgeordneter in Düsseldorf und des EU-Parlaments unter Druck. Die Vorsitzende des Haushalts-Kontrollausschusses im EU-Parlament, Ingeborg Gräßle (CDU), forderte Pretzell in der "Bild"-Zeitung vom Mittwoch auf, sein EU-Mandat aufzugeben oder darzulegen, wie er sein Doppelmandat wahrnehmen wolle.

 

In Sachsen soll ein weiterer Parteizirkel der AfD entstehen: die Alternative Mitte.

AfD-Fraktionschefin Frauke Petry äußerte sich am Mittwoch nicht zu den Plänen der Alternative Mitte. Doch dürften deren Ziele auch ihre sein.  Die Ansage ist deutlich. "Die Alternative Mitte“ sieht sich „als Netzwerk für alle Mitglieder in der AfD, die einen moderaten, pragmatischen und realpolitischen Kurs der Partei stärken wollen“. In der Mitteilung zur Gründung der Interessengemeinschaft heißt es weiter, zum Kern des Parteizirkels, in dem sich Unterstützer der Vorsitzenden Frauke Petry sammeln, zählt "die Ablehnung von Personen und jeglichem Gedankengut aus der rechtsextremen Szene“. Mittlerweile gibt es in drei AfD-Landesverbänden – Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt – Gruppierungen der Alternative Mitte. In Sachsen soll eine weitere folgen.

 

Rechtsaußenplattform mit der AfD

Sachsen-Anhalts AfD-Fraktion plant Mitte August in Magdeburg einen Russlandkongress. Offenbar soll kurz vor der Bundestagswahl nochmal der Pro-Putin-Kurs der Partei unterstrichen werden. Die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt kündigt für den 12. August einen Russlandkongress in Magdeburg an. Die Veranstaltung soll zusammen mit Jürgen Elsässer und Autoren seines rechtspopulistischen "Compact“-Magazins sowie mehreren AfD-Politikern in der "Halber85“ stattfinden. Das Zusammenwirken vom rechten AfD-Flügel und dem "Compact“-Magazin allgemein, sowie vom sachsen-anhaltinischen AfD-Fraktionschef André Poggenburg und Jürgen Elsässer im Speziellen wurden in der Vergangenheit immer wieder sichtbar und überrascht daher wenig. Eines der jüngsten Beispiele war die Teilnahme des AfD-Politikers bei der "Compact“-Konferenz im vergangenen November in Berlin, bei der ein Bündnis aus AfD, "Compact“, Pegida und den "Identitären“ zum "Sturz des Merkel-Regimes“ geschmiedet werden sollte. 

 

Rettungsanker für Überforderte

Verschwörungstheorien helfen ihren Anhängern, auch in komplexen Zeiten den Durchblick zu behalten. Es ist auch die Sache Geisteswissenschaftlern, gegen die Tendenzen falscher Wirklichkeitsdarstellung anzudenken.

drucken