Presseschau ... 20.07.2016

+++ Templin: Schlägerei zwischen Geflüchteten und Deutschen, Naziparolen gerufen +++ Jena: Geflüchteter mit Flasche angegriffen +++ Zehnjähriges Kind von Pegida-Demonstranten verletzt +++ Leipziger Stadtrat hetzt gegen „abartige Schwuchteln“ +++ Rechtsextreme Plakataktion an der TU Berlin +++

 

Templin: Schlägerei zwischen Geflüchteten und Deutschen, Naziparolen gerufen

Am Montagabend hat ian Templin (Brandenburg) „eine Schlägerei zwischen mehreren Deutschen und einer Gruppe syrischer Asylsuchenden“ stattgefunden, wie die Polizei mitteilt. Dabei sollen auch rassistische Parolen gerufen worden sein.
Beteiligt waren laut Polizeiangaben eine Gruppe deutscher Frauen und Männer sowie fünf syrische Flüchtlinge im Alter von 15 bis 18 Jahren. Beide Parteien machten zum Geschehen unterschiedliche Angaben, die geprüft werden müssen. Es ist auch nicht bekannt, ob es bei der Schlägerei Verletzte gab. Kriminalisten ermitteln zum Verdacht der gefährlichen Körperverletzung und der Volksverhetzung.

 

Jena: Geflüchteter mit Flasche angegriffen

Unbekannte haben in der Nacht zu Dienstag einen Geflüchteten in Jena angegriffen. Die Tat ereignete sich laut Polizei gegen Mitternacht im Bereich einer Gemeinschaftsunterkunft. Einer der Täter wurde handgreiflich und schlug das Opfer mit einer Flasche. Der Mann wurde leicht verletzt und mit dem Rettungswagen ins Klinikum gebracht. Seine Angreifer konnten entkommen. Einer der Täter soll laut dem Geschädigten Tätowierungen an Hals und Hand haben und mit schwarzem T-Shirt und schwarzer kurzer Jeans bekleidet gewesen sein.

 

Zehnjähriges Kind von Pegida-Demonstranten verletzt

Ein zehnjähriges Mädchen ist am Montagabend bei einer Demonstration in Dresden verletzt worden. Wie die Polizei in Dresden am Dienstag mitteilte, hatte ein 42 Jahre alter Mann ein Transparent herunterreißen wollen, das von dem Kind und weiteren Personen gehalten wurde. Das Mädchen stürzte und musste in einer Klinik versorgt werden.
Die Zehnjährige und ihre Mutter wollten offenbar an einem Gegenprotest zur Demonstration der Pegida-Bewegung teilnehmen. Laut Polizei stand auf dem Plakat: "Arsch hoch, Woche für Woche gegen ein zweites 33". Das brachte den 42 Jahre alten Mann offenbar in Rage.

 

Leipziger Stadtrat hetzt gegen „abartige Schwuchteln“

Mit einem volksverhetzenden Tweet sorgt der rechtsextreme Leipziger Stadtrat Enrico Böhm in Sachsen erneut für Schlagzeilen. In seinem Twitter-Account "Wir für Leipzig" kommentierte der ehemalige NPD-Funktionär einen Infostand der Grünen auf dem Leipziger CSD am Sonntagabend mit den Worten "Die @gruene_leipzig mit Stand bei den abartigen Schwuchteln des #CSD da passen sie sehr gut hin, die kiffenden Pädos.Halt Jedem das Seine :)"
Enrico Böhm wurde 2014 als damaliger Vorsitzender des Leipziger NPD-Kreisverbandes erstmals in den Stadtrat gewählt. Nach internen Streitigkeiten wurde der ehemalige Anführer der neonazistischen Hooligan-Gruppierung "Blue Caps" im Februar 2016 jedoch seines Parteiamtes enthoben und im März "wegen parteischädigenden Verhaltens auf Grundlage der NPD-Satzung" aus der rechtsextremen Partei ausgeschlossen. Seitdem führt der 33-jährige Mediengestalter die Wählervereinigung "Wir für Leipzig".

 

Rechtsextreme Plakataktion an der TU Berlin

Ein rechtsextremes Plakat hat am vergangenen Freitag an der Technischen Universität (TU) Berlin kurzfristig für Unmut gesorgt. Unbekannte hatten über dem Eingang des TU-Hauptgebäudes an der Straße des 17. Juni ein Banner aufgehängt, auf dem zu lesen war: "Islamisierung? Nicht mit uns! Für eine säkulare Uni!" Unterzeichnet war das Plakat mit dem Logo und dem Schriftzug der "Identitären Bewegung". Diese Organisation vertritt völkische und rassistische Konzepte, geht von einem abgeschlossenen europäischen Kulturraum aus und sieht Europa durch den Islam bedroht.
Nach Angaben der TU war das Anbringen des Plakates selbstverständlich nicht genehmigt worden. Es sei nach einer halben Stunde wieder entfernt worden. Wer es angebracht hat, sei unbekannt.

 

Attacke in München: Doch kein zweiter Fall „Brunner“

Ein Mann wird in München von einer Gruppe junger Männer attackiert und schwer verletzt. Angeblich, weil er eine Gruppe Asylbewerber in Schutz genommen hat. Doch mittlerweile gibt es Zweifel an dieser Version.
Der Überfall auf einen 39 Jahre alten Münchner ist offenbar doch nicht auf dessen couragierten Einsatz für Asylbewerber zurückzuführen. Der Mann war am 8. Juli im Münchner Stadtteil Freimann nach seinen Schilderungen von einer Gruppe Jugendlicher verprügelt worden, nachdem er diese zuvor aufgefordert hatte, eine Gruppe von „Somaliern“, unter ihnen auch zwei Frauen, in Ruhe zu lassen. Die Jugendlichen, so seine Angaben, hätten die Asylbewerber zuvor „bepöbelt“. Der Mann wurde bei dem Angriff schwer verletzt, nur durch Operationen konnten die Ärzte verhindern, dass er erblindet.
Inzwischen konnte die Polizei die vier mutmaßlichen Angreifer ermitteln. Es handelt sich um Jugendliche aus München im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Nach ihren Vernehmungen ergibt sich nach Angaben der Polizei ein anderer Sachverhalt.

 

NSU-Prozess: Für Ralf Wohlleben wird es eng – Weg der Tatwaffe scheint geklärt

Im NSU-Prozess scheint eine Vorentscheidung gefallen zu sein. Es geht um den Angeklagten Ralf Wohlleben, einen früheren NPD-Funktionär, dem Beihilfe zum Mord in neun Fällen vorgeworfen wird. Er sitzt – wie Beate Zschäpe – seit 2011 in Untersuchungshaft. Er soll die Tatwaffe, eine Ceska 83, die bei neun der zehn Morde des NSU benutzt wurde, besorgt haben, der Mitangeklagte Carsten S. hat sie dann an die Terrorzelle übergeben. Seit Monaten versuchen seine Anwälte die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen zu erschüttern und dem Gericht schmackhaft zu machen, dass der NSU auch auf anderen Wegen zu der Waffe gekommen sein kann.
Doch nun hat das Gericht reihenweise Anträge abgelehnt, Zeugen zu dieser Variante zu hören, und deutlich gemacht, dass es den in der Anklage nachgezeichneten Weg der Ceska über einen Waffenversand in Bern über Mittelsmänner bis in den rechten Szeneladen "Madleys" in Jena für glaubhaft hält. In einem 23 Seiten langen Beschluss lässt das Gericht keinen Zweifel daran, dass es die Zeugen, die die Anklage stützen, für verlässlich hält. Damit wird es für Wohlleben immer enger. Schon im Frühjahr hatte das Gericht erklärt, dass es Wohllebens Hauptbelastungszeugen Carsten S. für glaubwürdig hält, die Aussagen von Wohlleben dagegen nicht. Carsten S. hatte sich von Beginn an selbst bezichtigt, die Tatwaffe übergeben zu haben und ausgesagt, der Auftrag dazu sei von Wohlleben gekommen. Der streitet das jedoch ab.

 

Baden-Württemberg: Zweiter NSU-Untersuchungssausschuss wird heute vom Landtag eingesetzt

Welche Verbindungen hatten die rechtsextremen Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) nach Baden-Württemberg? Diese Frage konnte der erste Untersuchungsausschuss des Landtags zu diesem Thema nicht abschließend beantworten. Zur Klärung will der Landtag am Mittwoch einen zweiten Ausschuss einsetzen. Am Donnerstag soll das Gremium zum ersten Mal tagen. Vorab haben am Dienstag die Obleute von Grünen, CDU, SPD und FDP die Ziele des Gremiums abgesteckt.
Den Mord an Kiesewetter halten die Obleute des neuen Ausschusses für weitgehend aufgeklärt. „Es soll lediglich untersucht werden, ob am Tatort ausländische Geheimdienste anwesend waren. Dagegen wollen sie bis Oktober 2018 versuchen zu ergründen, wie viele Unterstützer das NSU-Trio in Baden-Württemberg hatte.
Die AfD benannte erst am Dienstag Christina Baum für den ihr zustehenden Sitz im insgesamt zwölfköpfigen Ausschuss. Baum wird dem deutschnationalen Flügel der Partei zugeordnet. Unter anderem warnte sie vor einem „schleichenden Genozid an der deutschen Bevölkerung“ durch die Flüchtlingspolitik. Die Wahl von Muhterem Aras zur Landtagspräsidentin deutete sie als Zeichen einer fortschreitenden Islamisierung.

 

Hetze im Netz: Pegida-Facebookseite mehrere Stunden offline

Die Facebookseite des fremdenfeindlichen Bündnisses wurde am gestrigen Nachmittag offenbar wegen Verstößen gegen die "Gemeinschaftsstandards" vom Netz genommen. Am Abend war die Seite aber wieder erreichbar.
Laut Pegida-Mitbegründer Siegfried Daebritz wurde die Seite aus inhaltlichen Gründen vorübergehend gesperrt. Auf seinem Account veröffentlichte er den Screenshot einer Mitteilung, in der Facebook darauf hinweist, dass gepostete Inhalte offenbar „nicht den Nutzungsbedingungen von Facebook und den Gemeinschaftsstandards“ entsprächen.
„Offenbar hat Herr (Bundesjustizminister Heiko) Maas Erfolg gehabt, Facebook hat soeben die PEGIDA Seite gesperrt“, kommentierte Daebritz. Dagegen sei Einspruch eingelegt worden. Von Facebook selbst war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Die Pegida-Seite hatte zuletzt mehr als 200 000 Likes - so oft wurde also der „Gefällt-mir“-Button geklickt. Am frühen Abend war die Seite dann ohne jeglichen Kommentar von Facebook wieder erreichbar. "Gewonnene Erkenntnisse lassen vermuten, daß Facebook uns aufgrund eines organisierten, sogenannten 'Meldemarathons' sperrte", hieß es in einem Post der Seitenbetreiber.

 

 

Pegidas Parteigründung: Die Kraft von der Straße

Die Nachricht kam zwar spät, fand aber international Verbreitung. Dass Pegida-Chef Lutz Bachmann wie bereits mehrfach angekündigt offenbar eine Partei gegründet hat, ist selbst dem Onlineauftritt der Neuen Zürcher Zeitung eine Meldung wert.
Doch welchen Zweck hat die Freiheitlich Direkt-Demokratische Volkspartei? Bachmann stellte die Gründung am Montagabend als Reaktion auf ein angeblich drohendes Verbot des Pegidavereins dar. Am Dienstagnachmittag war die Facebook-Seite des Vereins offenbar gesperrt. Das zuständige sächsische Ministerium teilte jedoch auf Anfrage mit, dass derzeit kein Verbot geplant sei.
Weder beim Bundes- noch beim Landeswahlleiter wurden bis zum gestrigen Nachmittag die Gründung der Partei mit dem Kürzel FDDV angezeigt. Bachmann hatte betont, sie bereits am 13. Juni gegründet zu haben. Bislang ist unklar, wer Vorsitzender ist und welches Programm der parlamentarische Pegida-Arm verfolgt. Sollte die FDDV an der Bundestagswahl 2017 teilnehmen, kann sie auf staatliche Parteienfinanzierung hoffen. Den Parteien stehen 70 Cent pro Listenstimme zu, falls sie mindestens die Marke von 0,5 Prozent erreichen.
Bachmann kündigte an, zur Bundestagswahl AfD-Bewerber zu unterstützen und nur in wenigen Kreisen eigene Kandidaten zu stellen. Die Nähe zwischen beiden Bewegungen ist offenkundig. „Wir sind gespannt“, twitterte der AfD-Chef aus NRW, Petrys Lebensgefährte Marcus Pretzell. Sachsens AfD-Generalsekretär Uwe Wurlitzer sagte der Deutschen Presseagentur mit Blick auf Pegida: „Wir haben ein Problem mit dem Orga-Team.“

 

Flüchtlingsheime in NRW: Bei 155 Wachleuten Sicherheitsbedenken geäußert

Wegen Sicherheitsbedenken haben die Behörden in NRW rund 155 Wachleuten die Arbeitserlaubnis in einem Flüchtlingsheim verweigert. Nach den Misshandlungsvorfällen in Landesunterkünften im Herbst 2014 hatte der unter Druck geratene Innenminister Ralf Jäger (SPD) angekündigt, alle Mitarbeiter von Wachdiensten, die in Asylbewerberheimen eingesetzt werden, von Verfassungsschutz und Landeskriminalamt (LKA) durchleuchten zu lassen.
Inzwischen hat der Verfassungsschutz rund 5500, das LKA 5000 Wachleute überprüft. Die große Mehrheit wurde als „unbedenklich“ eingestuft. Relevant für negative Einschätzungen sind vor allem Hinweise auf rechtes Gedankengut, was vor dem Skandal offenbar kaum interessiert hatte. So berichtete im Burbacher Fall ein Ex-Kollege der Tatverdächtigen, die Wachleute seien im internen Jargon „SS-Trupps“ genannt worden. Die Unterkunft selbst, damals mit rund 500 Bewohnern eine der größten des Landes, beschrieb er als „rechtsfreien Raum“. Angetrunkene oder randalierende Asylbewerber habe man schon mal stundenlang in ein „Problemzimmer“ gesperrt.

 

Hannoveraner Skandal-Polizist verurteilt – aber nicht für Misshandlung eines Flüchtlings

Das Bild des am Boden liegenden, gefesselten jungen Mannes hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Der Polizist schrieb dazu, der Mann habe gequiekt wie ein Schwein und gammeliges Schweinefleisch vom Boden fressen müssen. Später gab er an, die von ihm behauptete Misshandlung sei nur Prahlerei gewesen. Er habe dem sich heftig wehrenden Mann Fesseln anlegen müssen. Verurteilt wurde er wegen der Verbreitung des Fotos.
Mehr als ein Jahr lang ermittelte die Staatsanwaltschaft Hannover gegen einen Polizeibeamten, der einen Flüchtling im Polizeigewahrsam des Hauptbahnhofs misshandelt haben soll. Das Verfahren wurde mangels hinreichender Tathinweise eingestellt. Doch am Dienstag verurteilte das Amtsgericht den Polizisten zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe und 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit - unter anderem wegen des Besitzes von Kinderpornos.
Zwei Kollegen hatten wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt Anzeige gegen den Polizisten erstattet. Daraufhin durchkämmten Fahnder drei Mal das Privathaus des 40-Jährigen im Landkreis Schaumburg und entdeckten eine illegale Pumpgun samt Munition sowie mehr als 200 Dateien mit Kinder- und Jugendpornos, teilweise mit Kleinkindern. „Zu jung“ hatte der Polizist eine CD-ROM beschriftet.

 

Aggressive Rassisten – „Deutschland wehrt sich“ marschiert in Schwerin

„Die Jüdin und Polin mit Namen Angela Merkel hat jetzt nur ein einziges Ziel: Das deutsche Volk endgültig zu vernichten und Europa in den Dritten Weltkrieg zu stürzen! Dieses Monster muss weg!“, so tönte Wilfert im Oktober 2015 während einer Demonstration des „Dachverband Deutschland wehrt sich“ (DWS) durch die Wismarer Altstadt.
Nun marschierte DWS in Schwerin – gegen die angeblich zunehmende Gewalt von Asylbewerbern und Migranten. Begleitet  wurde der Aufzug von Beleidigungen,  Angriffen und Provokationen seitens der Teilnehmer gegenüber Pressevertretern, Anwohnern und Gegendemonstranten. Weitere Märsche in den kommenden Wochen sind bereits angekündigt. Die rechte Splittergruppe tritt äußerst aggressiv auf. Unterstützung erhält sie auch aus den Reihen der NPD.

 

In dieser Kleingartenanlage in Memmingen planen Neonazis ihr Klubheim

Die rechtsextreme Kameradschaft „Voice of Anger“ hat in Memmingen offenbar einen neuen Treffpunkt in einer Kleingartenanlage im Stadtteil Hart – und zwar in der ehemaligen Gaststätte „Gartenschänke“. Die Stadt hat als Eigentümerin des Grundstücks bereits Einspruch gegen den Verkauf des Holzgebäudes an die Gruppe erhoben. Nun muss das Oberlandesgericht in München darüber entscheiden, ob dieser Einspruch rechtens ist.
Die Kameradschaft wurde 2002 im Raum Memmingen gegründet. Als Erkennungszeichen tragen die Aktivisten schwarze T-Shirts beziehungsweise Pullover und Jacken mit dem Gruppensymbol und dem Schriftzug „Voice of Anger“. Die Gruppe sei nach Informationen von „Bayern-gegen-Rechtsextremismus“ entgegen der sonst rückläufigen Entwicklung im Freistaat die größte noch aktive Kameradschaft mit etwa 60 Mitgliedern. Der Aktionsschwerpunkt der Gruppe liegt im Großraum Memmingen/Kempten. Die Mitglieder verteilen sich auf mehrere Sektionen. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht nach Aussage des Verfassungsschutzes „die gemeinsame Freizeitgestaltung, interne Veranstaltungen und Feiern sowie die Veranstaltung und Besuche von Skinhead-Konzerten“

 

Widerstand gegen Moschee-Bau-Plan in Erfurt: Pankower Moschee-Streit 2.0

Im Erfurter Ortsteil Marbach spielen sich derzeit ähnliche Szenen ab wie vor rund zehn Jahren im Pankower Ortsteil Heinersdorf. Die Ahmadiyya-Gemeinde will dort ihre zweite Moschee im Osten errichten.
Katrin Böhlke hatte sich ihren Job sicher deutlich einfacher vorgestellt, als sie vor zwei Jahren mit mehr als 70 Prozent der Stimmen zur Ortsteilbürgermeisterin von Erfurt-Marbach gewählt wurde. Knapp 4000 Einwohner hat der Ortsteil – und seit einigen Monaten ein auch in Pankow bekanntes Problem. Seit die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde sich für ein Baugrundstück in Marbach interessiert, um dort eine Moschee zu bauen, steht der kleine Ortsteil Kopf. Eine „gefühlte Mehrheit“ in Marbach, so sagt die parteilose Böhlke, sei gegen den Moschee-Bau. Sie selbst versucht, strikte Neutralität zu wahren. „Ich vertrete schließlich alle Bürger, ob sie nun für oder gegen das Projekt sind.“
Im Juni besuchte die Marbacher Bürgermeisterin mit einer Delegation die Pankower Khadija-Moschee. „Man hat mir dort sehr viel Respekt entgegengebracht“, sagt Böhlke. Sie habe im Vorfeld erklärt, dass sie nicht bereit sei, bei dem Moschee-Besuch ein Kopftuch zu tragen, das habe man akzeptiert. Dass die Gemeinde dies bei offiziellen Anlässen mit externen Gästen ohnehin nicht von weiblichen Besuchern verlangt, konnte Böhlke nicht wissen. 

 

Fanatisch wie immer: Der AfD-Politiker Gedeon

Nichts erschüttert die AfD mehr als der Verschwörungstheoretiker Wolfgang Gedeon. Wer ist der Mann? Wolfgang Reinhart, der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Landtag, schimpfte kürzlich: Die Alternative für Deutschland führe in Baden-Württemberg auf Steuerzahlerkosten eine „bizarren Selbstfindungstrip“ auf – Motto: „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?“
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Hauptverantwortlicher für die Spaltung der südwestdeutschen Fraktion und für die danach ausufernden Streitereien in der Bundesspitze der erst 2013 gegründeten Partei ist der 1947 in Cham geborene Konstanzer Abgeordnete Wolfgang Gedeon mit seinen antisemitischen Ansichten. Parteichef Jörg Meuthen wollte ihn aus der Fraktion ausschließen, scheiterte aber an der fehlenden Zwei-Drittel-Mehrheit. Danach zerbrach sie in zwei Teile, und seitdem herrschen Chaos und Geschimpfe.
Gedeon, von Beruf Arzt, von Berufung eine Art Historiker mit verqueren bis verschwörungstheoretischen Weltsichten, hat einen langen Weg quer durch das politische Spektrum hinter sich. Nun tauchte kürzlich in der maoistischen Schrift „Roter Morgen“, einem Blatt der KPD/ML, ein Stück auf, in dem ein Zeitgenosse namens Winfried Karsten Auskunft gibt über die bewegten 1970er Jahre in Gelsenkirchen, als Gedeon dort Arzt mit gutem Ruf war: „Wer gesund werden will, geht zu Gedeon.“ Ein Arzt und Maoist mit Faible für Albanien sei Gedeon gewesen, angeblich „Erster Vorsitzender des Zentralkomitees in Gelsenkirchen“, der vor Werkstoren Schriften verteilte und bei Agitprop-Veranstaltungen Akkordeon gespielt habe. „Er war allseits beliebt als Arzt und Genosse“, erinnert sich der Zeitzeuge.

 

Größenwahn als Programm – Die „Identitären“ halten sich für eine Elite

Die quer über die Republik versprengten Aktivisten begreifen sich selbst als „revolutionäre Avantgarde“. Der Größenwahn ist Programm. Schwarzgelbe Banner, schwarze Kleidung, verspiegelte Sonnenbrillen, hie und da auch ein paar bizarrere Gestalten, Parolen von „Heimat“ und „Reconquista“: Eine weitere Gruppierung versucht nun, im rechtsdrehenden Protestmilieu Fuß zu fassen. In Frankreich und Österreich sind die Identitären schon stärker. Doch auch dort wäre es übertrieben, von einer massenhaften Bewegung zu sprechen. „Obskure rechte Sekte“ wäre bislang eine passendere Kategorisierung. Es handelt sich um wenige, allerdings zunehmend organisierte Kader.
Die Anwerbung von Sympathisanten und der Drang in die Schlagzeilen wird mit überspannter Suggestion versucht: „Berlin wird gelb-schwarz“, rief der aus Österreich angereiste Martin Sellner jetzt auf der Demonstration. Er ist das derzeit wohl bekannteste Gesicht der Identitären, seit Jahren ringt er mit manischem Einsatz um den Aufbau einer Bewegung, jetzt also auch in Deutschland.
Schon früh übermannte den Ärztesohn die Verzweiflung über das Schicksal des deutschen Volkes – so klingt es jedenfalls, wenn Sellner über sich selbst spricht. „Nächtelang“ habe er „mit glühenden Ohren“ vor dem Computer gesessen und das rechtsradikale Weltbild in sich aufgesogen. Mit 17 Jahren versuchte er in der österreichischen Provinz auf eigene Faust eine militante Neonazi-Zelle aufzubauen; eine, wie er heute sagt, groteske und peinliche Episode. Doch den Idealen seiner Jugend blieb er treu.

 

Trumps Erfolg in den USA: Auf einer Welle von weißem Protest und weißer Wut

Leonard Zeskind ist ein linker Buchautor und Menschenrechtsaktivist. Er forscht seit vier Jahrzehnten über Rechtsextremismus in den USA und leitet das „Institute for Research and Education on Human Rights“ in Kansas City.

Beim Versuch, das Phänomen Donald Trump zu erklären, sehen etliche Politologen und Journalisten die USA wie Deutschland in den 1930er Jahren auf dem Weg in den Untergang. Ist das übertrieben oder eine richtige Warnung?

Die USA sind seit dem Ende des Bürgerkriegs vor 150 Jahren eine parlamentarische Demokratie. Nach dem Genozid an den Native Americans wurden sogenannten Farbigen die Bürgerrechte verweigert. Das Land arbeitet an einer Art Wiedergutmachung, wenn auch recht zaghaft. Die Weimarer Republik war dagegen erst ein Dutzend Jahre alt, als sie von den Nazis zerstört wurde. Es gibt also kaum eine Grundlage für den Vergleich beider Gesellschaften.

„So kommt der Faschismus nach Amerika“, überschrieb Robert Kagan einen viel beachteten Artikel in der „Washington Post“. Könnte man Trump als Tyrannen beschreiben, der auf einer Welle von Protest, Wut und Enttäuschung reitet?

Trump wäre gern ein Tyrann. Aber er ist kein Faschist. Er reitet auf einer Welle von weißem Protest und weißer Wut. Vor ihm haben das in den USA andere getan. Er ist ein weit rechts stehender Populist. Das drücken allein schon sein Wahlkampfslogan „Make America Great Again“ und seine politischen Vorschläge gegen Einwanderer und Muslime aus. „Populismus“ allein hat keine Bedeutung. Er ist kein ideologisches Phänomen, sondern eine Politik des Stils - und die wird von rechts wie von links gemacht.

 

Denk positiv, trink Smoothies, mach Yoga – Die Wohlfühl-Lüge

Denk positiv, trink Smoothies und mach Yoga, während der Planet brennt. Wenn du dich schlecht fühlst, bist du das Problem. Kann diese Wellness-Ideologie schaden? Ja.
Der späte Kapitalismus ist wie die Liebe deines Lebens: Er sieht um einiges weniger trostlos aus, wenn du ihn durch einen Instagram-Filter betrachtest. Der Generationenvertrag bricht langsam in sich zusammen und so entsteht dieser moderne Wahn nach sauberem Essen, gesundem Leben, persönlicher Produktivität und der "radikalen Selbstliebe" – unserem Beharren darauf, trotz aller Widersprüche ein sinnhaftes Dasein führen zu können, indem wir nur positiv nach vorne blicken, unserem Glück folgen und ein paar Kniesehnen strecken, während der Planet brennt.
Je angsteinflößender die wirtschaftliche Zukunft wirkt, desto öfter geht es in der öffentlichen Debatte um individuelle Erfüllung, als wäre das ein verzweifelter Versuch, uns einzureden, dass wir noch Kontrolle über unser Leben hätten.

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