Presseschau.. 05.07.2016

+++ Eingeschüchtert und zusammengeschlagen: Rechte Szene terrorisiert Familie in Weil am Rhein +++ Inder bei Messerattacke in Chemnitz schwer verletzt +++ Versuchte Brandstiftung an Bochumer Moschee +++ Bautzen: Nach EM-Spiel versuchen Rechte, Wohnhaus von Syrer zu stürmen +++ Halle: Farbanschlag auf Beratungszentrum für Schwule und Lesben +++

 

Eingeschüchtert und zusammengeschlagen: Rechte Szene terrorisiert Familie in Weil am Rhein

In Weil am Rhein wird seit Monaten eine Familie bedroht – offenbar aus rassistischen Gründen. Erst Schäden am Auto, dann Beleidigungen – so habe laut Polizei der Konflikt zwischen der betroffenen Familie und einem Nachbarn im selben Mietshaus begonnen. Der Streit eskalierte, der Nachbar beschimpfte die Frau des dunkelhäutigen Familienvaters rassistisch. Der Familienvater ist ein gebürtiger Deutscher.
Vom Schwiegersohn des Nachbarn soll die 37-jährige Frau in Weil am Rhein am helllichten Tag auf offener Straße in einem Kreisverkehr gestoppt und zusammengeschlagen worden sein. Er soll auch gedroht haben, Pegida-Leute vorbeizuschicken. Seither träfen sich laut Medienberichten, Gruppen von Rechtsextremen vor dem Haus der Familie. Sie postierten sich dort abends, offenbar um sie einzuschüchtern. Die Polizei habe Platzverweise ausgesprochen, die Situation sei sehr bedrohlich. Die Kinder könnten nicht mehr allein zur Schule gehen, die Frau nicht mehr alleine zum Einkaufen. Freiwillige hätten einen Begleitservice organisiert.

 

Inder bei Messerattacke in Chemnitz schwer verletzt

Ein junger Inder ist am Wochenende bei einer Auseinandersetzung in Chemnitz schwer verletzt worden. Ein Deutscher habe den 26-Jährigen mit einem Messer angegriffen, zugestochen und die Hirnschlagader nur knapp verfehlt, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Chemnitz am Montag. Gegen den 36-Jährigen wurde Haftbefehl wegen versuchten Totschlags erlassen. Das Motiv sei noch unbekannt, der Beschuldigte zur Tatzeit alkoholisiert gewesen. Auch die Hintergründe des Streits am frühen Sonntagmorgen vor dem Wohnhaus des Inders sind unklar.

 

Versuchte Brandstiftung an Bochumer Moschee

In Bochum versuchten Unbekannte in der Nacht von Samstag auf Sonntag das Nebengebäude einer Moschee anzuzünden. Nach momentanen Erkenntnissen zündelten unbekannte Täter von außen am Gebäude und flüchteten unerkannt. Es entstand nur ein geringer Sachschaden.

 

Bautzen: Nach EM-Spiel versuchen Rechte, Wohnhaus von Syrer zu stürmen

In Bautzen (Sachsen) feierten etwa 50 Menschen in der Nach zum Sonntag den Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, als in der Menschenmenge ein 20-jähriger Libyer und 43-jähriger Bautzener in Streit gerieten. Dabei besprühte der junge Mann den anderen mit Reizgas und schlug ihn mit einem Regenschirm. Wie die Polizei am Sonntagnachmittag mitteilte, ist der 43-Jährige der Polizei als rechtsmotiviert bekannt. Laut Polizei sei unklar, wer den Streit begonnen habe.
Kurz danach informierte ein Zeuge die Polizei, dass sich vor einem Haus mehrere dunkel gekleidete Männer versammelt haben. Anwohner sprachen später von etwa zehn Personen. Die Gruppe skandierte rechte Parolen. Offenbar versuchten einige der Männer, in ein Haus einzudringen, in dem ein 24-jähriger Syrer lebt. Dieser war bei der vorangegangenen Auseinandersetzung involviert gewesen. Er hatte den 20-jährigen Libyer begleitet.

 

Halle: Farbanschlag auf Beratungszentrum für Schwule und Lesben

In der Nacht zu Dienstag hat es in Halle einen Farbanschlag auf das Beratungs- und Begegnungszentrum für Schwule und Lesben, „BBZ lebensart“, gegeben. Unbekannte haben Fenster, Türen und die Fassade mit schwarze Farbe beschmiert.
Ebenfalls in der Nacht gab es zudem eine Attacke gegen eine nur etwa 200 Meter entfernte Kneipe, in der sich auch linke Gruppen treffen. Laut Augenzeugen haben mehrere Vermummte Personen kurz nach Mitternacht die Scheiben der Einrichtung an eingeworfen

 

Rechte Schmierereien: Polizei ermittelt nach Brand in Hambühren

Die Explosion in einem Haus in Hambühren am vergangenen Sonntag könnte auf eine fremdenfeindlich motivierte Brandstiftung zurückgehen. In den Trümmern fand die Polizei rassistische Schmierereien. Zu deren genauem Inhalt schweigen die Ermittler aber bislang. Es werde in alle Richtungen ermittelt. Zurzeit werden nach Angaben der Polizei Zeugen befragt und die Experten werden nun den Brandort untersuchen.

 

Nazi-Schmierereien in Templin entdeckt

Hakenkreuze, mit einem Eddingstift unter anderem an ein Geländer geschmiert, hatten am Montagmorgen Polizeibeamte in Templin (Brandenburg) auf den Plan gerufen. Entdeckt wurden diese Schmierereien unter anderem am Busbahnhof sowie in der Nähe des Stadtcenters. Bei der Polizei war Anzeige wegen des Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole erstattet worden, bestätigte Gerald Pillkuhn von der Polizeiinspektion Uckermark. "Leider müssen wir uns im Augenblick nahezu wöchentlich mit diesem Problem beschäftigen, so Ute Stahlberg, Fachbereichsleiterin in der Templiner Stadtverwaltung.

 

Angriffe auf Flüchtlingsheime: Täter sind turboradikalisiert

Im Nordrhein-Westfalen gab es bis Anfang Juni 114 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte. Bei diesen Anschlägen sind nach Beobachtungen des Landesverfassungsschutzes 66 Prozent der Tatverdächtigen zuvor nicht in der organisierten rechtsextremen Szene aufgefallen. „Es gibt einen neuen Tätertyp, der sich schnell radikalisiert und die Schwelle von der Ideologie zum Anschlag ohne Zwischenschritte überspringt“, warnte Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) am Montag bei der Vorstellung des aktuellen NRW-Verfassungsschutzberichts in Düsseldorf.
Demnach gab es bis Anfang Juni im bevölkerungsreichsten Bundesland 114 politisch motivierte Taten gegen Flüchtlingsunterkünfte, 22 davon waren Gewaltdelikte. Zwei Drittel der mutmaßlichen Täter waren zuvor noch nicht als rechte Gewalttäter aufgefallen.
„Diese Turboradikalisierung rechtzeitig zu erkennen, ist besonders schwierig“, erklärte Jäger. Notwendig sei ein stärkeres gesellschaftliches Bewusstsein. Alle seien aufgefordert, „für unsere Freiheit und Demokratie einzutreten“.

 

Berlin: Fast täglich Aktionen gegen Flüchtlinge

Der Berliner Verfassungsschutz bilanziert einen Anstieg des rechtsextremen Personenpotenzials und deutlich mehr rechts motivierte Straf- und Gewalttaten. Zumindest in der zweiten Jahreshälfte 2015 sei es in den östlichen Stadtbezirken Berlins beinahe täglich zu Protesten und Aktionen gegen Flüchtlinge gekommen, wird im aktuellen Bericht festgehalten. Die Zahl der dem rechtsextremen Spektrum zugerechneten Personen ist von 1355 auf 1450 angestiegen.
Die registrierten Delikte politisch motivierter Kriminalität von rechts sind ebenfalls hochgeschnellt und erreichen eine Größenordnung wie zuletzt 2007. 1655 (2014: 1536) entsprechende Straftaten wurden gezählt, darunter 143 Gewaltdelikte (plus 42). 700 Angehörigen aus dem rechten Lager, also knapp der Hälfte, wird dabei eine Gewaltorientierung attestiert, auch diese Zahl ist um 100 angewachsen.
Die Verfassungsschützer haben beobachtet, dass es bezogen auf die Örtlichkeit in der Nähe, wo es Proteste gegen Flüchtlinge oder deren Unterkünfte gegeben hat, auch zu vergleichsweise mehr Gewalthandlungen gegen Flüchtlinge und deren Einrichtungen gekommen ist. Eine verbale Agitation mündet demnach also direkt in aktionistischer Gewaltbereitschaft.

 

AfD-Gutachten zu Antisemitismus: Auftrag für einen Holocaust-Leugner?

Die Aufarbeitung der Antisemitismusvorwürfe in der baden-württembergischen AfD sorgt weiter für Wirbel. Berichten zufolge sollte ein bekannter Holocaust-Leugner an einem Gutachten mitwirken, das wissenschaftlich Passagen in einem Buch des Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon auf Antisemitismus hin untersucht. Die AfD-Spitze hat die Vorwürfe zurückgewiesen.
Angeblich sollte der Publizist Gerard Menuhin von der AfD als einer von drei Gutachtern bestellt werden, die sich mit Gedeons umstrittenen Buchpassagen auseinandersetzen. Der Sohn des berühmten Geigers Yehudi Menuhin hat allerdings selbst in einem Buch den Holocaust als „größte Lüge der Geschichte“ bezeichnet. Den Angaben zufolge hatte Menuhin eine Mitwirkung an dem Gutachten bereits abgelehnt.

 

Legida und Gegenprotest: Interreligiöses Treffen in Leipzig abgesagt

Es sollte ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz werden. Mitglieder verschiedener Religionen wollten sich am Montagabend austauschen und schließlich gemeinsam das Ende des Fastenmonats Ramadan begehen. Die Veranstalter haben das Treffen nun aber abgesagt, weil es in direkter Nachbarschaft zum Legida-Aufzug stattfinden sollte.
Die Stadtverwaltung wollte der interreligiösen Initiative nur ein Drittel des Richard-Wagner-Platzes zugestehen, zwei Drittel der Fläche wäre der Legida-Kundgebung zugewiesen worden. Das Treffen in direkter Nachbarschaft zur Legida-Demonstration abzuhalten - für Wolff undenkbar: "Das geht natürlich überhaupt nicht, dass wir direkt gegenüber denen das Treffen abhalten, die fremdenfeindliche und demokratiefeindliche Parolen brüllen und die Menschen aufhetzen". Wolff erklärte, dass man sich nach erfolglosem Einspruch für eine Absage des Treffens entschieden habe.

 

Demo-Verbot in Leipzig: Student soll 5500 Euro zahlen

Böse Überraschung für einen Studenten, der eine Demonstration im Hauptbahnhof Leipzig anmeldete: Der junge Mann, so hat das Landgericht in der Messestadt entschieden, soll die Kosten eines Zivilverfahrens tragen, in dem die Bahnhofsbetreiber eine einstweilige Verfügung gegen die für gestern Abend geplante Kundgebung erwirkt haben. Gesamtstreitwert: 100.000 Euro. Nach Angaben von Rechtsanwalt Jürgen Kasek kommen damit auf seinen Mandanten Kosten von etwa 5500 Euro zu; das Gericht bestätigte diese Größenordnung. "Für den Studenten", so Kasek, "bedeutet das den Bankrott."
Marcus Röder gehört zu den Aktivisten, die sich montags in Leipzig der islam- und fremdenfeindlichen Legida-Bewegung in den Weg stellen. "Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich habe ordnungsgemäß beim Ordnungsamt eine Versammlung angezeigt, um für Demokratie zu demonstrieren", erklärte der Soziologiestudent.

 

Mönchengladbach: Verfassungsschutz verwechselt Bündnisse

Peinliche Verwechslung im neuen Verfassungsschutzbericht für Nordrhein-Westfalen, den Innenminister Ralf Jäger (SPD) gestern vorstellte: Auf Seite 51 des Dokuments wird das Bündnis „Mönchengladbach stellt sich quer“ ganz offensichtlich für „Mönchengladbach steht auf“ gehalten und infolgedessen als „Gida“-ähnliche Vereinigung bezeichnet. Während „Mönchengladbach stellt sich quer“ in Wirklichkeit aber ein antifaschistisch, gewerkschaftlich und bürgerlich organisiertes Bündnis ist, ist es – anders als angegeben – de facto „Mönchengladbach steht auf“ gewesen, das „unter dem Einfluss des stellvertretenden Vorsitzenden von Pro NRW“ Dominik Roeseler Kundgebungen und „Spaziergänge“ durchführte. Das bürgerliche Gegenbündnis nahm’s gestern mit Humor und witzelte bei Facebook, jetzt verstehe man ja, „warum die Polizei unsere Demonstrationen teilweise nicht schützen wollte“.

 

Pegida am Montag ohne Bachmann und mit weniger Anhängern

Mit deutlicher Verspätung und ohne Lutz Bachmann hat Pegida am Abend im Stadtzentrum demonstriert. Ursache der Verspätung waren Technikprobleme, so Bachmanns rechte Hand Siegfried Däbritz. Auf dem Altmarkt hörten schließlich etwas mehr als 1000 Menschen zu als Däbritz sprach. Dem Demonstrationszug durch die Innenstadt schlossen sich später mehr Menschen an. Kleinere Gruppen protestierten gegen den Aufmarsch.

 

NSU-Ausschuss: Verfassungsschützer Temme war auch in Köln zum Zeitpunkt des Anschlags

Der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas Temme war nach Angaben eines Ermittlers 9. Juni 2004 in Köln, um eine Tagung zu besuchen. Das hat der Kasseler Polizist Jörg Teichert am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags berichtet.
Der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas Temme war nach Angaben eines Ermittlers 9. Juni 2004 in Köln, um eine Tagung zu besuchen. Das hat der Kasseler Polizist Jörg Teichert am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags berichtet.
Teicherts Team war nach seinen Angaben bereits 2006 auf Temmes Köln-Aufenthalt aufmerksam geworden. Der Verfassungsschützer habe die Tagung in seinem Kalender notiert. Der Polizist fügte im Ausschuss hinzu: „Alle Theorien sind offen.“

 

Wibbese: Die „netten“ Öko-Nazis von nebenan

Wibbese, ein 70-Seelen-Nest im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Als ein gewisser Timo L. ein leerstehendes Anwesen übernimmt und dort mit seiner Verlobten anfängt, Schweine, Gänse und Enten zu züchten, ahnt niemand was Böses. Der Biobauer ist freundlich, hilfsbereit. Mal lädt er die Dorfgemeinschaft zum Bier auf sein Grundstück ein, dann wieder verschenkt er Eier und Ziegenmilch an Nachbarn. Der nette Biobauer von nebenan, so scheint es.
Misstrauisch wird die 68-jährige Barbara Karsten, die direkt neben ihm wohnt, erst, als Timo L. mit entblößtem Oberkörper Gartenarbeit macht und sie die seltsamen Tätowierungen auf dem Oberkörper ihres Nachbarn erblickt: jede Menge Runen und andere keltische Symbole. Als L. immer häufiger Besuch von finsteren Gestalten erhält und Sonnenwendfeiern und Gartenpartys mit Rechtsrock veranstaltet, zieht sie Erkundigungen ein und erfährt, wer L. wirklich ist: ein polizeibekannter berüchtigter Neonazi.

 

NPD-NRW feiert mit Ex-Landser-Sänger „Lunikoff“

Verbotsverfahren, Finanzprobleme, Umfragen prognostizieren ein Scheitern an der fünf-Prozent-Hürde bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern: Die NPD hat in diesen Tagen nicht viel zu lachen. Trotzdem feiert die NRW-NPD ihr Sommerfest. Mit dem Neonazi-Barden Michael „Lunikoff“ Regener – mitten auf der grünen Wiese.
Seit Jahren gehört der nordrhein-westfälische NPD-Landesverband zu den schwächsten Gliederungen der Partei. Trotzdem sitzt Landeschef Claus Cremer seit Jahren fest im Sattel des humpelnden Ackergauls – aus Mangel an Alternativen.
Die auf dem Facebook-Profil von Cremer veröffentlichten Fotos vom Sonntag legen unterdessen die Vermutung einer eher kleinen Veranstaltung mit spartanischer Ausstattung irgendwo im Grünen nahe. Während sich auf einem Schwenkgrill das Grillgut dreht, lauschen die zu sehenden zehn Gäste den Ausführungen Schmidtkes. Ein Teil von ihnen sitzt auf einem Baumstamm, Stühle scheinen keine vorhanden. Dazu zwei kleinere Info-Tische und ein Pavillon – fertig ist das „Sommerfest“.

 

„Allgida“: Alter Wein wird Essig

An den großspurigen Ankündigungen der beiden Allgäuer Pegida-Ableger, diverse Neonazigruppen vergangenen Samstag nach Kempten zu schaffen, scheiterten diese zum wiederholten Mal. Aus der Demonstration „Deutsche zu erst Asyl flut stopen“ wurde nichts, Störaktionen gegen die vermeintlich „schwer bewaffnet“ mit „Rohrbomben“ marodierend durch Kempten ziehende Demonstration „Allgida? Nein danke – Kein Platz für Rassismus“ blieben aus. Stattdessen zeigten 300 lautstark Flagge gegen rechte Hetze. Die Hetzer indes bereiten sich auf ihren nächsten Flop vor – nur diesmal auf noch höherem Niveau.

 

Blinde Flecken in der Kriminalstatistik: Hassverbrechen sollen genauer erfasst werden

"Islamfeindlich" oder auch "christenfeindlich": Ab 2017 will das Bundesinnenministerium Hassverbrechen genauer registrieren. Experten sind sich einig: Bislang werden verschiedene Formen von Hasskriminalität zu ungenau oder gar nicht erfasst. Ab 2017 soll die Polizeiliche Kriminalstatistik um die Unterthemenfelder "islamfeindlich", "antiziganistisch" und "christenfeindlich" ergänzt werden. Für diesen Schritt sei es "allerhöchste Zeit", sagt die Islamwissenschaftlerin Anna Brausam. Sie ist bei der Amadeu-Antonio-Stiftung für den Opferfonds CURA zuständig.
Zahlreiche Verbände hatten seit längerem gefordert, antimuslimisch und antisemitisch motivierte Straftaten genauer als solche zu bewerten und zu verfolgen; auch der NSU-Untersuchungsausschuss hatte sich dafür ausgesprochen. Blinde Flecken sieht Brausam weiterhin bei der Erfassung von Straftaten gegen Flüchtlinge: In die Statistik schafften es nur direkte Angriffe auf Asylunterkünfte. "Dadurch entsteht eine Verzerrung der Statistik, da zum Beispiel ein Angriff auf einen Flüchtling an einer nahegelegenen Bushaltestelle nicht erfasst wird", kritisiert die Expertin.

 

Attentat auf Henriette Reker: In seiner Welt ein Held

Aber Frank S. hatte  sich die Sache doch ganz anders vorgestellt, als er am Abend des 16. Oktober 2015 eine Liste mit den Wahlkampfterminen der Oberbürgermeisterkandidatin ausdruckte und probte, wie er sein Messer aus der versteckt getragenen Halterung ziehen und dann zustechen würde.
Sein Attentat sollte die Menschen aufrütteln. Schon kurz nach der Tat würde man herausfinden, dass er aus der rechten Szene stamme und würde Schlüsse ziehen. Die Politiker würden endlich sehen, dass die Proteste im Land ernst gemeint seien. Sie würden den "Volkssturm fürchten" und wieder die Interessen ihrer eigenen Bevölkerung berücksichtigen, anstatt nur auf ihre Gehaltschecks zu achten. Und sie würden erkennen, dass die parteilose Kandidatin Reker von den Grünen unterstützt wird. Oder wie S. sagt: "Dass das eine Riesenvolksverarschung ist mit diesem 'überparteilich'."
Nun hat ihn das Gericht wegen versuchten Mordes und vierfacher Körperverletzung zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Havliza sagte, S. habe ein Klima der Angst schaffen wollen um damit Politiker von ihrer Flüchtlingspolitik abzubringen.

 

Niedersachsen gibt sich Programm gegen Rechtsextremismus

Niedersachsens rot-grüne Landesregierung will den Druck auf die rechtsextreme Szene im Land verstärken. Aktivitäten gegen Rechts sollen in einem Landesprogramm gebündelt werden. Ziel sei es, Kräfte zu bündeln und Doppelstrukturen zu vermeiden, sagte Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) am Montag in Hannover. Die mit einem Jahresbudget von 600 000 Euro ausgestattete Einrichtung für die Koordinierung nimmt offiziell Anfang 2017 ihre Arbeit auf.
Das Landesprogramm wird dem Landespräventionsrat angegliedert und untersteht somit dem Justizministerium. Neben der Beratung und Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt soll es auch in der Prävention tätig werden. So sollen Jugendliche argumentativ gestärkt werden, um sich gegen rechtsextreme Parolen besser durchsetzen zu können.
Eine weitere Aufgabe der neuen Einrichtung ist die Erhebung konkreter Zahlen, um frühzeitig Problemzonen identifizieren zu können. „Es wäre falsch, den Rechtsextremismus nur auf Parteien und feste Strukturen zu reduzieren - oft gibt es auch lockere Zusammenschlüsse, die auf einzelne Aktionen ausgerichtet sind“, sagte Staatssekretär Stephan Manke aus dem Innenministerium in Hannover.

 

Verschwörer-Magazin "Compact" darf Titel mit unfreiwilligem Cover-Girl nicht mehr verbreiten

Die Juni-Ausgabe des Verschwörer-Magazins Compact darf nicht länger beworben oder verkauft werden. Grund: Das Fotomodel, das auf dem Titel zur Zeile „Raus aus der EU!“ abgebildet war, hatte gegen die Verwendung ihres Bildes bei Compact geklagt - und Recht bekommen. Bei Compact wird geschäumt.
Das Magazin Compact zeigte auf der Juni-Ausgabe zur Titelgeschichte „Raus aus der EU!“ eine junge Frau, die den Mittelfinger in die Kamera reckt. Der Fingernagel ist dabei schwarzrotgold lackiert. Compact hatte das Foto von einer Bild-Agentur übernommen.
Die Verwendung des Bildes, vor allem auf dem Titel, unterstellt nach Meinung des Anwalts, dass die junge Frau „Befürworterin und/oder Unterstützerin der populistischen und politischen Meinung des Magazins des Compact Verlages“ ist. Schmidt: „Sie hat es folgerichtig nicht hinzunehmen, in ein für sie derart schlechtes Licht gerückt zu werden.“
Bei Compact nutzt man die Sache, um sofort wieder gegen eine vermeintliche „Lügenpresse“ und Bundeskanzlerin Angela Merkel Stimmung zu machen. „Wenn ein junges Model das Titelbild einer bundesweit vertriebenen, erfolgreichen Zeitschrift schmückt, hat es eigentlich allen Grund zum Feiern. Doch im lügenpresseverklärten und angstverseuchten Merkel-Deutschland ist selbst das keine Selbstverständlichkeit mehr.“ So schäumen die Compact-Macher in ihrem Mail-Newsletter, mit dem sie ihre neue Ausgabe bewerben.

 

Flüchtlingskinder in der Schule: Wenn Grundschüler plötzlich von "Kanaken" sprechen

Die Flüchtlingskinder verändern unsere Schulen - allerdings sind die Lehrer oft schlecht darauf vorbereitet. Nicht nur auf traumatisierte Kinder, sondern auch auf rassistische Sprüche.
Rund ein Drittel der Flüchtlinge in Deutschland sind schulpflichtige Kinder und Jugendliche. Mindestens 300.000 von ihnen sind also schon in unserem Bildungssystem angekommen - und treffen auf Lehrer, die häufig kaum auf diese Situation vorbereitet sind.
So wie Susanne S., Grundschullehrerin in der Nähe von Magdeburg. Im vergangenen Jahr hatte sie ein Zwei-Tages-Seminar zu Traumata bei Kindern gemacht - das war alles. Und dann erlebte die 35-Jährige eine komplizierte Situation, nachdem das syrische Mädchen Raniah neu in ihre Klasse gekommen war.
Das erste Mal passierte es ziemlich unerwartet. Andrea, zehn Jahre alt und schon immer ein ziemlich lebhaftes Kind, stürmte eines Morgens in die Klasse und verkündete: "Alle Flüchtlinge sind Ziegenficker. Alles Kanaken! Ich hasse Allah!"

 

Interview mit Dresdner Oberbürgermeister: „Pöbeleien werde ich nicht dulden“

Dirk Hilbert ist vor einem Jahr zum Dresdner Oberbürgermeister gewählt worden. Im Interview blickt er kurz vor der Sommerpause auf seine ersten Monate im Amt zurück – eine Zeit, die vor allem vom Thema Asyl und Flüchtlinge geprägt war.

Bei Facebook werden Sie beschimpft und bedroht. Wie gehen Sie damit um?

Ich habe in 15 Jahren Tätigkeit gelernt, dass man ein gewisses Bärenfell in dieser Funktion braucht. Dass manche Sachen nicht persönlich zu nehmen, sondern funktionsbedingt sind. Aber trotz alledem: Was in den letzten zwei Jahren vonstattengegangen ist, an Enthemmung in der Gesellschaft, macht einem schon Angst. Es ist in den sozialen Medien eine Unart, dass jeder denkt, er kann loslassen ohne nachzudenken, was ihm durch den Kopf saust. Und dass es zu Verbalangriffen kommt. Aber was mich noch mehr erschreckt ist, dass es auch in den jeweiligen öffentlichen Räumen passiert. Dass Menschen, die einen anderen kulturellen Background haben, ganz offen angepöbelt werden. Das werde ich nicht dulden und da werde ich mit aller Entschiedenheit gegen vorgehen.

 

Umgang mit dem Nationalsozialismus: Hochschulen ignorieren den Holocaust

Holocaust und Nationalsozialismus gehören in Deutschland zu den historischen Themen, die die Gesellschaft auch 71 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs intensiv beschäftigen. Für Schülerinnen und Schüler sind der millionenfache Mord an den europäischen Juden und andere NS-Verbrechen Pflichtstoff. Doch an vielen Hochschulen werden Lehrveranstaltungen dazu nur selten oder gar nicht angeboten. „Ein Desaster“ nennt dies der Berliner Politikwissenschaftler Johannes Tuchel.
Es fehle massiv an Vorlesungen und Seminaren zur Realgeschichte, insbesondere in der Lehrerbildung, kritisiert Tuchel. Er leitet die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, ist Experte für das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager.
Wie es um die Lehre über Holocaust und Nationalsozialismus bestellt ist, zeigt eine jetzt veröffentlichte Studie des Centers für Digitale Systeme (Cedis) der Freien Universität Berlin, die Tuchel wissenschaftlich beraten hat.
An jeder der 78 untersuchten Hochschulen fanden in den vergangenen beiden Jahren durchschnittlich nur 1,5 Lehrveranstaltungen über den Holocaust und 1,7 Veranstaltungen über den Nationalsozialismus statt.

 

Porträt des Flüchtlingsjungen Alan Kurdi: Ein lachender Alan

Frankfurter Künstler schaffen ein neues Porträt des Flüchtlingsjungen Alan Kurdi, diesmal zeigen sie ihn lächelnd. Ihr erstes Wandgemälde von dem Kind ist mit rechten Sprüchen verunstaltet worden.
Alan Kurdi lächelt. Seine Augen hat der kleine Junge genießerisch geschlossen, umgeben ist er von einer Gruppe freundlicher Teddybären. Dahinter sieht man den strahlend blauen Himmel, ein paar Wölkchen. „Rest in Peace“ steht ganz unten am Bildrand. Ruhe in Frieden.
Drei Tage lang haben Oguz Sen und Justus Becker an ihrem neuen Wandbild im Osthafen gearbeitet, am Montag ist es fertig. Die beiden Frankfurter Künstler wollen an Alan Kurdi erinnern, den dreijährigen Flüchtlingsjungen aus Syrien, der im vergangenen September im Mittelmeer ertrunken war und dadurch traurige Berühmtheit erlangt hatte. Ein Foto der Leiche des kleinen Alan, die an einen türkischen Strand gespült worden war, hatte weltweit Betroffenheit ausgelöst.

 

Osakas Anti-Hassreden-Methode

Ende Mai hat das japanische Parlament das erste Gesetz gegen Hassreden in Kraft gesetzt. Darin heißt es, dass rassistische Taten und Worte gegen Ausländer und deren Kinder nicht toleriert würden. Es verpflichtet die Behörden auf allen Ebenen, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um Hassreden in Zukunft zu vermeiden.
Die Stadt Osaka konkretisiert nun mit einer soeben in Kraft getretenen Verordnung den Kampf gegen die Hassredner. Demnach haben die dortigen Behörden nun die Möglichkeit, die Namen von Individuen und Gruppen zu veröffentlichen, die Hassreden halten oder aktiv zu ihrer Weiterverbreitung beitragen. Die Maßnahme soll vor allem abschreckende Wirkung haben. Den Behörden wird es zudem einfacher gemacht, gelisteten Individuen oder Gruppen, die Nutzung öffentlicher Orte für Demonstrationen zu verbieten.
Die Verordnung gibt der Stadt auch andere Möglichkeiten, direkt gegen rassistische Propaganda vorzugehen. So kann sie beispielsweise Internetanbieter auffordern, entsprechende Videos oder Websites zu löschen. Ob eine Aktion als Hassrede eingestuft werden darf, darüber beratet ein fünfköpfiges Gremium. Die Personen, die in die einzelnen Fälle involviert sind, haben dabei die Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Osaka ist somit die erste Stadt in Japan, die mit einer Verordnung das Gesetz gegen die Hassreden konkretisiert und aktiv gegen rassistische Propaganda vorgeht. In der Grossstadt ist schon seit Jahrzehnten die größte koreanische Minderheit des Landes zuhause, gegen die antikoreanische Gruppen immer wieder mobilisieren und Hetze verbreiten.

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