Presseschau ... 04.07.2016

+++ Rassistische Attacke gegen drei Polen in Berlin-Köpenick +++ Erneut Hitlergruß auf der Berliner Fanmeile gezeigt +++ Rangelei und „Sieg Heil“-Rufe am Infostand von "Der III.Weg" in Göppingen +++ München: Antisemtische Gesänge und "Heil Hitler"-Rufe bei Burschenschaft? +++ Al Quds-Demo in Berlin: Unverschleierter Hass +++

 

Rassistische Attacke gegen drei Polen in Berlin-Köpenick

Zwei unbekannte Männer haben am Freitagabend in Berlin-Köpenick zwei aus Polen stammende Frauen und einen Mann erst rassistisch beleidigt und dann eine Seitenscheibe des von den dreien genutzten Autos zerschlagen. Das meldete die Polizei am Samstagmorgen. Nach Angaben der beiden 22 und 24 Jahre alten Frauen und des 36-jährigen Mannes waren sie gegen 19 Uhr auf dem Parkplatz eines Supermarktes gerade dabei, ihre Einkäufe in ihr Fahrzeug zu laden. Plötzlich seien sie von zwei Männern mehrfach beleidigt worden, denen offenbar das ausländische Kennzeichen an dem Ford aufgefallen war. Die drei stiegen daraufhin zunächst in den Wagen und fuhren los, wurden jedoch von den beiden Unbekannten auf Fahrrädern verfolgt.
Dabei soll einer der Männer eine hintere Seitenscheibe des Wagens eingeschlagen haben, bevor das Duo dann geflüchtet war. Die 24-Jährige, die auf der Rückbank saß, erlitt durch herumfliegende Glassplitter leichte Verletzungen an einer Hand.

 

Erneut Hitlergruß auf der Berliner Fanmeile gezeigt

Es ist schon der dritte Vorfall dieser Art auf der Berliner Fanmeile: Zwei Männer sollen am Samstag vor dem Spiel gegen Italien den Hitlergruß gezeigt haben. Die Polizei nahm sie vorübergehend fest.
Beim EM-Spiel Deutschland gegen Italien sollen erneut Männer auf der Berliner Fanmeile den Hitlergruß gezeigt haben. Nach Angaben der Polizei vom Sonntag ermittelt der Staatschutz deswegen gegen einen 19-Jährigen und einen 22-Jährigen.
Laut Polizei beobachteten Polizeibeamte und Zeugen, wie die Männer während des Abspielens der deutschen Nationalhymne vor dem Viertelfinalspiel der Europameisterschaft den verbotenen Gruß zeigten. Sie wurden vorübergehend festgenommen. In einer ersten Befragung hätten beide die Taten eingeräumt, hieß es. Ermittelt wird wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

 

Rangelei und „Sieg Heil“-Rufe am Infostand von "Der III.Weg" in Göppingen

Neonazis der rechtsextremen Partei "Der III.Weg" haben am Freitagmittag in Göppingen einen Infostand in der Unteren Marktstraße aufgebaut. Ein Gegendemonstrant begann eine Rangelei und es gab "Sieg-Heil"-Rufe.

 

München: Antisemtische Gesänge und "Heil Hitler"-Rufe bei Burschenschaft?

Die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, im beschaulichen München-Bogenhausen: Im Verbindungshaus der Burschenschaft Cimbria sitzen mehrere Männer beisammen, Nachbarn berichten von einer Feierstimmung. Kurz vor drei, so ein Zeugenbericht, seien antijüdische Gesänge und "Heil Hitler"-Rufe durch die Straße getönt. Die eintreffende Polizei ermahnte die Männer lediglich, es doch ein bisschen ruhiger angehen zu lassen. Der Vorwurf der Volksverhetzung wird weiterhin untersucht.
Cimbria steht wegen Verbindungen zu nach rechts offenen Burschenschaften immer wieder in der Kritik. 2013 organisierte sie in ihrem Verbindungshaus in Bogenhausen ein dreitägiges Seminar der politisch rechts außen stehenden Burschenschaftlichen Gemeinschaft, bei dem auch Danubia anwesend war – deren Aktivitas, also die studierenden Mitglieder, werden vom Verfassungsschutz beobachtet.

 

Al Quds-Demo in Berlin: Unverschleierter Hass

Einmal mehr wurde die antiisraelische Al Quds-Demonstration am Samstag in Berlin von der Hisbollah-nahen Quds AG, der Islamischen Gemeinden der Schiiten in Deutschland, organisiert. Nachdem sich statt der angekündigten 1.500 DemonstrantInnen zunächst nur 200 an der Kundgebung am Adenauer Platz am Kurfürstendamm beteiligten, wuchs die Zahl im Laufe des Nachmittags nach Polizeiangaben auf 800 Personen an. Transparente und Flaggen mit den Symbolen der Hisbollah waren in diesem Jahr ganz offensichtlich nicht erlaubt. Innensenator Frank Henkel (CDU) hatte im Vorfeld entsprechende Auflagen verhängt, weil es in den vergangenen Jahren immer wieder zu volksverhetzenden und antisemitischen Botschaften kam.
Auf zwei pro-israelischen Gegenveranstaltungen trafen sich derweil 600 Personen. Nach einer mittäglichen Kundgebung lief das Bündnis No Al Quds-Tag. Nur wenige Meter entfernt vom Startpunkt der Al Quds-Demonstration hielt das Antifaschistische Berliner Bündnis gegen den Al Quds-Tag ebenfalls eine Kundgebung mit 300 Personen ab. Die Sprecherin des Bündnisses, Ricarda Lang, erklärte, dass man sich dieses Jahr vom „bürgerlichen“ Gegenprotest abgrenze, weil dort Innensenator Henkel eine Rede halte.
Ein Redner der Al Quds-Demonstration hatte die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert, ausschließlich Parolen zu skandieren, die vom Lautsprecherwagen aus verkündet werden. Diese „genehmigten“ Sprüche fielen dann drastisch aus: „Zionisten sind Faschisten“, und „Unsere Stimme bleibt nicht stumm. Israel bringt Kinder um.“
Der langjährige Organisator der Berliner Al Quds-Demonstration, Jürgen Graßmann, sagte, dass man so „falsche Parolen“ verhindern wolle. Außerdem verwies er auf die Auflagen der Senatsverwaltung für Inneres, die laut Graßmann „auf Druck des American Jewish Committee und indirekt der zionistischen Lobby auf die Politik“ eingesetzt würden.

 

800 gegen 25: Neonazis blamieren sich in Zirndorf

Die rechtsextreme Initiative „Franken wehrt sich“ demonstrierte am Samstagnachmittag im mittelfränkischen Zirndorf (Lkr. Fürth). Bei strömenden Regen marschierten lediglich 25 Neonazis zu einer Unterkunft für Asylbewerber.
Rund 800 Menschen schlossen sich der Kundgebung „Zirndorf heißt willkommen, außer für Nazis“ an, und stellten sich symbolisch vor und neben die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Zirndorf, wo die rechte Kundgebung endete.
Unter einem lauten Pfeifkonzert sprachen die Rechtsextremisten David Köckert (NPD) aus Thüringen, Dan Eising von der Partei „Die Rechte“ aus Nürnberg, Bernd Z. (Kameradschaft Unterfranken) und die „Franken wehrt sich“-Organisatorin Monique Schober aus Unterfranken. Obwohl die Neonazis rund 50 Teilnehmer erwarteten, schlossen sich nur 25 dem Aufmarsch an. Unter den Demonstranten waren ehemalige Aktivisten der verbotenen Kameradschaft „Freies Netz Süd“, der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ und der NPD.

 

Urteil: 14 Jahre Haft für Reker-Attentäter

"Er wollte ein Signal gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung setzen", sagte die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza in ihrer Urteilsbegründung am Oberlandesgericht Düsseldorf. "Er wollte ein Klima der Angst schaffen und die Politik beeinflussen."
Der Attentäter hatte Reker am 17. Oktober 2015, einen Tag vor ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin von Köln, ein großes Jagdmesser in den Hals gerammt und vier weitere Menschen verletzt. Reker schwebte in akuter Lebensgefahr und lag mehrere Tage im künstlichen Koma. Bei der Verlesung des Urteils schüttelte Frank S. auf der Anklagebank kurz den Kopf. Später wiederholte er seine Ankündigung, in Revision gehen zu wollen, also das Urteil beim Bundesgerichtshof anzufechten.
Die Bundesanwaltschaft hatte lebenslange Haft, der Verteidiger höchstens 15 Jahre Gefängnis beantragt. Attentäter Frank S. hatte in Bonn der rechten Szene angehört und wegen einer Reihe überwiegend rechtsradikal motivierter Gewalttaten bereits drei Jahre im Gefängnis gesessen.

 

Rechtsterrorismus in Freital: Gerichtsprozess im Flüchtlingsheim

Es wäre ein Ort mit Symbolwirkung: Das Oberlandesgericht Dresden will den Freitaler Rechtsterrorismusprozess in einem Flüchtlingsheim führen. Das bestätigte Sprecherin Gesine Tews am Freitag. Eine interessante Wende, denn: Gegen die acht Verdächtigen wird just wegen Anschlägen auf Asylunterkünfte ermittelt.
Komme es zu einer Anklage, seien die Säle am Oberlandesgericht für die Vielzahl der Prozessbeteiligten und das „zu erwartende große öffentliche Interesse“ zu klein, sagte eine Gerichtssprecherin. Deshalb sei man auf die im Bau befindliche Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende im Dresdner Norden gestoßen. Das Gebäude werde für das Verfahren und die nötigen Sicherheitsanforderungen „vorübergehend angepasst“. Bis zu 700 Flüchtlinge sollen dort künftig untergebracht werden. Bis zum Verhandlungsende werden sie aber nicht ins Gebäude einziehen. Die Auswahl sei aus rein logistischen Gründen erfolgt.

 

Nazi-Siedler umzingeln Hamburg

Seit Jahren schon lassen sich „völkische Siedler“ in der Lüneburger Heide, dem Wendland, vor allem aber in Mecklenburg nieder. Ihr Ziel ist die Herrschaft über die Dörfer.
Von rund 1.000 Personen bundesweit geht die Berliner Amadeu Antonio Stiftung aus . Viele völkische Siedler sind Bauern, andere arbeiten als Kunsthandwerker, Erzieher, Hebammen oder Gärtner.
Auffallend ist, dass sich viele stark ökologisch engagieren – weil Atomenergie und Gentechnologie aus ihrer Sicht ein „jüdisches Übel“ sind. Völkische Siedler leben in Großfamilien mit Rollenbildern von vorgestern. Frauen sind für Haus und Hof zuständig, tragen langes Haar und lange Röcke. Die meist zahlreichen Söhne und Töchter werden vom modernen Leben isoliert und in Zeltlagern gedrillt. „Ein Teil der Siedler stammt aus alteingesessenen völkischen Sippen, die seit Generationen ihre menschenverachtende Weltanschauung pflegen“, sagt Olaf Meyer, Sprecher der Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen.
Eine Hochburg ist der Landkreis Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatte sich schon in den 1920er Jahren der Bund Artam niedergelassen, eine radikal-völkische Siedlungsbewegung, der auch Reichsführer-SS Heinrich Himmler angehörte.

 

Das Braune Haus in Jena-Lobeda ist Geschichte

Schöner Wohnen statt dumpfer Hassparolen: Der ehemalige Sitz der Jenaer NPD und anderer rechtsextremer Gruppen in der Jenaischen Straße weicht einem Wohnhaus. Der Abriss des Hauses ist in vollem Gange.
Immer wieder hatte die ehemalige Gaststätte "Zum Löwen" für Schlagzeilen gesorgt, seit dort 2002 der NPD-Funktionär Ralf Wohlleben (steht derzeit wegen des NSU in München vor Gericht), das zeitweilige NPD-Mitglied André K. und der Liedermacher Maximilian L. in die ehemalige Gaststätte einzogen. Das Objekt sollte von L. durch Mietkauf erworben werden. Auch die Geschäftsstelle des NPD-Kreisverbandes Jena wurde dorthin verlegt. Die Einrichtung erhielt in der Öffentlichkeit die Bezeichnung "Braunes Haus", in Anlehnung an die ehemalige Parteizentrale der NSDAP in München. Die Stadt sperrte das Gebäude vor einigen Jahren baupolizeilich, nachdem ungenehmigte Eingriffe in die Statik vorgenommen worden waren.

 

Neuruppin: Gedenken an Neonazi-Mord vor 24 Jahren

In Neuruppin (Brandenburg) erinnerten am Samstagvormittag 35 Teilnehmer eines Gedenkens an die Ermordung des Neuruppiners Emil Wendland in der Nacht vom 1. zum 2. Juli 1992. Eine Gruppe Rechtsradikaler hatte den alkoholkranken früheren Lehrer Wendland umgebracht, der nachts auf einer Bank im Rosengarten saß. Die Täter wurden später vom Gericht verurteilt.
Im Anschluss an eine Schweigeminute legten einige Teilnehmer Blumen auf jener Bank nieder, die vor 24 Jahren zum Tatort geworden war.

 

Bandidos: Kuttenträger demonstrieren ihre Macht in Magdeburg

In Magdeburg hält die Rockergruppe ein europaweites Treffen ab. Für einen Motorradclub finden erstaunlich wenig Motorräder am Sonnabend ihren Weg in den Magdeburger Stadtteil Ottersleben. Die große Masse der Teilnehmer bevorzugt bequemere Anreisearten.
Die meisten Rocker sind im Familienvater-Alter, oft großflächig tätowiert und im Fitnessstudio gestählt. Ihre Kutten verraten Rang und Herkunft. Chicanos sind zu sehen, Rocker, die als Unterstützer der Bande fungieren, genauso wie Prospects (Anwärter), die auf ihre Vollmitgliedschaft warten. Auf vielen Kutten ist das Zeichen „1%“ zu sehen – ein selbstgewähltes Unterscheidungsmerkmal, um sich von den 99 Prozent rechtschaffenden Motorradfahrern zu unterscheiden. Und immer wieder ist unter den Kutten Kleidung der bei Neonazis beliebten Marke „Thor Steinar“ zu sehen.

 

„Fakten gegen Gerüchte“: Sächsische Zeitung will künftig Nationalität von Straftätern immer nennen

Viele Menschen zweifeln daran, dass Journalisten sich wirklich um einen möglichst hohen Wahrheitsgehalt bemühen. Sie glauben vielmehr, Journalisten würden Wahrheiten manipulieren, halbieren und unterdrücken.
Deshalb wird die „Sächsische Zeitung“ ab sofort systematisch gegen den Pressekodex verstoßen. Sie will die Nationalität von Tatverdächtigen nicht mehr nur in begründeten Ausnahmefällen nennen, wie es die Richtlinie 12.1 vorsieht, sondern in aller Regel. Sie wird das aber immer tun: nicht nur bei ausländischen, sondern auch bei deutschen Tätern. Auf diese Weise sollen die Leser des Blattes ein realistischeres Bild davon bekommen, wie oft Zuwanderer straffällig werden.
Ziel der Richtlinie im Pressekodex ist es, Ausländer und andere Minderheiten nicht zu diskriminieren und zu verhindern, Stereotype zu befördern. Die Sächsische Zeitung zeigt sich überzeugt: Gerade das Nichtnennen der Nationalität von Straftätern und Verdächtigen kann Raum für Gerüchte schaffen, die häufig genau denen schaden, die eigentlich geschützt werden sollen.

Kommentar: Futter für die Echokammer

Die Argumentation der Sächsischen Zeitung ist im Ansatz – weil statistisch gestützt – durchaus nachzuvollziehen, die Redaktion vernachlässigt in ihrer Gleichung jedoch eine entscheidende Größe: Die Polizei. Denn die Auswahl der Inhalte von Pressemitteilungen obliegt eben nicht der Redaktion. Diese Vorselektion – die selbstverständlich nach Ort und jeweiligem Diensthabenden stark variieren kann – macht das Verfahren jedoch äußerst anfällig.

 

Polizei in Berlin: Vertrauliche Daten im Neonazi-Blog stammen offenbar aus Gerichtsakten

Der Berliner Polizei bleibt vermutlich ein Skandal um Datenverrat aus den eigenen Reihen erspart. Das auf der rechtsextremen Seite „blog.halle-leaks.de“ veröffentlichte Dokument ist vermutlich nicht von der Polizei "durchgestochen" worden, wie am Abend und auch in der Nacht gemutmaßt worden war.
Die Daten stammen nach Angaben aus dem Präsidium vom Freitagmorgen definitiv aus dem Januar und nicht von dem jüngsten Einsatz in der vergangenen Woche. Vermutlich stammt das Dokument aus Gerichtsakten, hieß es am Freitagmorgen im Präsidium. Zu Ermittlungsakten haben zum Beispiel die Anwälte beider Seiten Zugang. Im Januar waren drei Mitglieder der rechten Szene in der Rigaer Straße angegriffen worden, als sie das Haus Nummer 94 filmten.

 

Rechtsruck beim Magazin „Cicero“: Ein neuer Ton

Seit Beginn der Flüchtlings­debatte nähern sich Texte des „Cicero“ dem rechten Rand. Was ist passiert mit dem Debatten-Magazin?
Der Cicero war schon immer ein eher liberal-konservatives Blatt. Seit Beginn der Flüchtlingsdebatte im vergangenen Sommer nähern sich viele Texte allerdings dem rechten Rand. Da schreibt ein Autor von der „Staatsdoktrin Willkommenskultur“, die in Deutschland herrsche, der stellvertretende Chefredakteur beschwert sich über die „linksideologischen Willkommens-Medien“ und den „sich selbst gleichschaltenden“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Kulturressortleiter schreibt über die „Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands“ durch die Flüchtlinge.
Im Februar dieses Jahres verkauft der Schweizer Ringier Verlag, der den Cicero 2004 in Deutschland gegründet hat, das Heft. Christoph Schwennicke, seit 2012 Chefredakteur, und sein Stellvertreter Alexander Marguier übernehmen es mit finanzieller Starthilfe von Ringier. Der Erfolg des Cicero ist ab jetzt für sie auch von ganz persönlichem finanziellem Interesse.

 

„Henkel ist ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko für Berlin"

Freke Over, 48, geboren in Wolfsburg, war in Ost-Berlin nach der Wende Hausbesetzer, Kneipier und Bierhändler, später Linken-Abgeordneter im Landesparlament.

Die Besetzer-Kneipe „Kadterschmiede“ ist jetzt geräumt worden – seitdem gibt es fast jede Nacht irgendwo in Berlin abgefackelte Autos und eingeworfene Glasfassaden. Wäre die Eskalation vermeidbar gewesen?

Ich finde, dass der Innensenator Frank Henkel im Wahlkampf frei dreht. Das ist schon alles sehr plump, wenn da mehrere Hundertschaften anrücken müssen, um ein feuchtes Erdgeschoss ausräumen zu lassen. Ich halte Herrn Henkel für ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko für Berlin: Der Senat lässt es zu, dass sich auf der größten Drogenpartymeile Europas vom Ostkreuz bis zum Kottbusser Tor Gewalt, Diebstahl und Raub ausbreiten. Statt sich um die Wiedererlangung der Sicherheit im öffentlichen Raum zu kümmern, inszeniert der Innensenator von der CDU ein Scheingefecht in der Rigaer Straße. Das ist ein klassisches Ablenkungsmanöver.

 

Digitale Bürgerwehr: Berlin startet Blockwart-App

Berliner Bürger können jetzt auch übers Smartphone Hinweise auf "Mängel oder Probleme im öffentlichen Raum" direkt ans zuständige Ordnungsamt melden. Innensenator Frank Henkel (CDU) erhofft sich davon mehr Sicherheit und Sauberkeit.
Müll oder Bauschutt wird einfach in Grünanlagen oder auf den Gehweg gekippt, der Hundekot nicht beseitigt, Fahrradwege oder Einfahrten werden wild zugeparkt, Wände mit Graffiti beschmiert. Wer derlei und andere Missstände wie Baustellenlärm, kaputte Straßenlaternen oder Rattenbefall künftig in Berlin den Behörden melden oder einfach mal den Messie-Nachbarn verpetzen will, hat es seit Freitag einfacher: Bürger der Hauptstadt können nun über eine App die Ordnungsämter der Bezirke direkt über "Mängel und Probleme im öffentlichen Raum" informieren. Die Anwendung kann anonym genutzt werden. Für „eilige Anliegen und selbst ernannte Hilfssheriffs“ sei die App jedoch nicht geeignet, warnte ein Stadtrat.

 

Pech für Neonazi: Mit verbotenen Zeichen in Unfall verwickelt

Ein Verkehrsunfall mit Blechschaden ereignete sich am Samstagabend an einer Ampelkreuzung in Erfurt. Bei der Unfallaufnahme mussten die eingesetzten Polizeibeamten bei einem 28-jährigen Insassen der zwei am Unfall beteiligten Fahrzeuge feststellen, dass dieser ein T-Shirt trug, auf welchem Symbole und Parolen verfassungswidriger Organisationen abgebildet waren.
Laut Polizei seien auf dem T-Shirt nationalsozialistische Zeichen zu sehen gewesen, unter anderem eine verbotene Rune und ein Totenkopf. Der Träger darf eine Anzeige wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erwarten.

 

Maas: "Viele Menschen haben Angst"

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) befürchtet wegen des Erstarkens rechter Kräfte einen Schaden für die Demokratie in Deutschland. „Es gibt viele Menschen, die wegen ihres Engagements Angst haben müssen vor rechten Übergriffen. Das ist für unsere Demokratie verheerend“, sagte Maas in Berlin. „Es gibt auch Fälle etwa in Sachsen, in denen es schwierig ist, überhaupt noch politisch zu arbeiten. Da trauen sich Parteien zum Teil gar nicht mehr mit ihren Wahlkampfständen auf die Straße.“
Der Minister appellierte an „alle, die Deutschland als weltoffenes und tolerantes Land sehen“, Alltagsrassismus nicht einfach achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen. „Wenn die schweigende Mehrheit weiter schweigt, dann wird in den sozialen Medien und auf der Straße immer mehr der Eindruck erweckt, dass es mehr Rechtspopulisten und Rechtsextreme gibt, als das in Wirklichkeit der Fall ist“, mahnte er. „Deshalb müssen alle aus der schweigenden Mehrheit die Gardinen, hinter denen sie stehen, zurückziehen, das Fenster aufmachen und sich nicht nur anschauen, was auf der Straße geschieht, sondern sich einmischen und den Mund aufmachen.“ Es sei wichtig, Hass und Hetze zu widersprechen - egal ob in der U-Bahn, bei der Arbeit, auf dem Fußballplatz oder in der Kneipe.

 

Gewaltforschung: Andreas Zick, der Rechtsexperte

Der Sozialpsychologe Andreas Zick bekommt den Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er ist ein gefragter Mann. Morgenmagazin, Tagesschau, Deutschlandfunk, Zeitungen: Der Wissenschaftler wurde im vergangenen Jahr so oft von Journalisten befragt, man konnte den Eindruck gewinnen, er sei hauptberuflich Interviewpartner. Seine Expertise war begehrt, als Flüchtlingsheime brannten und die AfD Anhänger gewann. Als Extremisten mordend durch Paris zogen, war es der Professor von der Universität Bielefeld, den man um Erklärungen bat.
Seit zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Zick mit der Frage, wie es in einer Gesellschaft zu Konflikten und Gewaltausbrüchen kommt. Genauso lange klärt er die Öffentlichkeit darüber auf, wie Vorurteile, Rassismus und Rechtsextremismus entstehen - und liefert mit seinen Forschungsergebnissen die Grundlage für Präventionsstrategien.
Zick ist Leiter des Bielefelder Instituts für Gewalt- und Konfliktforschung (IKG). So wahnsinnig das Jahr 2015 auch war, es hat bewirkt, dass Andreas Zick schnell aus dem Schatten seines charismatischen Vorgängers treten konnte, von dem er 2013 die Leitung des Instituts für Gewalt- und Konfliktforschung übernommen hat. Bis dahin war die Bezeichnung "Gewaltforscher in der breiten Öffentlichkeit gleichbedeutend mit dem Namen Wilhelm Heitmeyer. Der hatte das interdisziplinäre Forschungszentrum in Bielefeld aufgebaut und 15 Jahre lang geleitet. Seine Langzeitstudie über "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit", die von 2002 bis 2012 dauerte und an der Zick seit 2004 mitgearbeitet hat, war weit über die Fachwelt hinaus bekannt geworden.

 

Die Macht von Stimmungen – Heinz Budes Studie über den Alltag unserer Demokratie

Wie entstehen Stimmungen in unserer Gesellschaft? Sie beeinflussen die Politik manchmal mehr als logische Argumente und mehr als uns lieb sein kann, so die Analyse des Soziologen Heinz Bude in "Das Gefühl der Welt", einer tiefgründigen Studie über den Alltag unserer Demokratie.
"Wir befinden uns offenbar am Ende einer Periode von vielleicht dreißig Jahren, welche heute vielen prominenten Gegenwartsdeutungen als Endspiel zum Untergang erscheint. Es wird wieder denkbar, dass der Kapitalismus endet, eine Weltgesellschaft, die nicht mehr um Europa kreist, wird vorstellbar, und man sucht nach Bildern für ein Anthropozän, für das in Millionen Jahren der Erdgeschichte keine Entsprechung zu finden ist. Aber der Ausdruck von Empörung über die zugelassene Selbstzerstörung der Welt, so wie wir sie kennen, verdeckt nur die Angst davor, selbst nicht mehr weiter zu wissen."

 

Je mehr Fahnen, desto nationalistischer?

Die Sozialpsychologin Julia Becker untersucht seit Jahren in Umfragen und Experimenten, was das Fahnenschwenken mit den Deutschen macht. Nur soviel vorab: Nichts Gutes.

Frau Becker, die Grüne Jugend hat kürzlich eine Debatte über das Fahnenschwenken bei der Europameisterschaft ausgelöst. Der Nationalismus, so die These, werde durch die starke Sichtbarkeit nationaler Symbole gefördert. Die Grüne Jugend hat deshalb dazu aufgerufen, Fahnen zu Hause zu lassen. Wie harmlos ist der Partypatriotismus?

Es gibt ihn sicher unter den Leuten auf den Fanmeilen, den harmlosen Partypatriotismus. Aber aus meiner Sicht ist der Fußball-Patriotismus nicht generell harmlos. Wir führen aktuell online und durch persönliche Befragungen auf der Straße beziehungsweise beim Public Viewing eine Studie dazu durch.
Wir haben in einem Online-Experiment Personen einen Fragebogen ausfüllen lassen. In einer Ecke des Bildschirms haben wir unterschiedliche Flaggen gezeigt, einigen Teilnehmern die Deutschlandfahne, anderen eine US-Flagge, wieder anderen gar keine Flagge. Die Teilnehmer haben dann Fragen beantwortet, bei denen unter anderem Vorurteile erfasst wurden. Das Ergebnis war: Eher nationalistische Personen, die die Deutschlandflagge sehen, reagieren mit mehr Vorurteilen, als wenn sie keine Flagge sehen. Das tritt aber nur auf bei Personen, die ohnehin nationalistisch eingestellt sind. Bei den übrigen hatte es keinen Effekt, welche Flagge sie gesehen haben.

 

Hooligans: Spaßgesellschaft und Stahlgewitter

Bei der EM hat er wieder seine Grimasse gezeigt, seinetwegen wird sich geschämt: der Hooligan. Aber wer ist dieser Spielverderber, der sich um die Feierlaune der Nationen nicht schert?
Hooligan ist maskulin, und das gilt nicht nur für das Wort. Hooligans sind meist zwischen 15 und 35 Jahre alt; jüngeren Männern fehlt es noch an körperlicher Kraft, die älteren sind schon familiär entschärft. Hooliganismus ist also auch ein Jugendphänomen.
Hooligans entstammen allen sozialen Schichten. Sie sind vernetzt, mobil, beruflich integriert und außerhalb ihrer Gewaltexzesse Meister der Unauffälligkeit.

 

Rassismus: Rechte missbrauchen die polnischen EM-Erfolge

Sie hetzen gegen Ausländer: Rechte polnische Gruppen nutzen die Erfolge des Nationalteams als Bühne für rassistische Parolen. Die polnische Ultraszene ist stramm rechts.
Als im vergangenen Jahr die sogenannte Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte, zeigten die polnischen Kurven ihre hässlichen, hasserfüllten Fratzen. „Ganz Legia schreit laut und deutlich: Nein zu der islamischen, wilden Horde“, hallte es etwa bei einem Heimspiel von Legia Warschau durchs Stadion. Und in Breslau präsentierten Ultras des heimischen Vereins Slask eine große Choreographie, auf der ein Kreuzritter zu sehen war. „Wenn Europa von der islamischen Gefahr überflutet wird, dann stehen wir auf zur Verteidigung des Christentums“, stand darauf.
Bei solchen Parolen ist es nicht verwunderlich, dass auch rechte Parteien die polnische Ultraszene für sich einvernehmen wollen. Sowohl die Allpolnische Jugend als auch das Nationalradikale Lager (ONR) versuchen seit Jahren, in den Kurven Fuß zu fassen. Ebenso wie die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski.
Wie weit diese Anbiederung geht, zeigte Staatspräsident Andrzej Duda kurz nach seiner Amtsübernahme. Bei einer seiner ersten offiziellen Reisen ließ er sich im Flugzeug im Polohemd der polnischen Marke „Red Is Bad“ fotografieren, die sich in der polnischen Ultra- und Hooliganszene großer Beliebtheit erfreut.

 

Zum Tod von Elie Wiesel: Und die Welt hat geschwiegen

Elie Wiesel hat das Trauma des Holocaust in seinem Schaffen durchleuchtet und in seinem Leben zu überwinden versucht. Der Autor und Friedensnobelpreisträger ist am 2. Juli 87-jährig in New York gestorben.
Etwas sei geschehen im 20. Jahrhundert, sagte Elie Wiesel einmal in einem Gespräch, etwas, das die Welt, den Menschen und Gott verändert habe. Jenes Geschehen war Auschwitz: Der Name des Vernichtungslagers war für Wiesel Symbol der systematischen Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis, für die er seit den 1950er Jahren den Begriff «Holocaust» (vom griech. holókauston – «Brandopfer») verwendete. Es waren Wiesels essayistische, literarische und religionsphilosophische Schriften und nicht zuletzt seine öffentlichen Auftritte, die dieses Wort dem Allgemeinwortschatz und seine Bedeutung dem kollektiven Bewusstsein einverleibten. Der Holocaust war Wiesels Thema: die Nummer A-7713, die ihm in die Haut eingebrannt wurde, war für ihn ein Mal unauslöschlicher Erinnerung und – wie auch für Primo Levi, Imre Kertesz oder Jean Améry – eine Verpflichtung, von dem erfahrenen Schrecken zu berichten.
Wiesel, 1928 im siebenbürgischen Schtetl Sighet geboren, wurde im Frühjahr 1944 nach Auschwitz deportiert. Buna, Birkenau, dann Buchenwald wurden weitere Stationen einer Reise in die Hölle, die der Talmudschüler nach der Befreiung zuerst verdrängte, dann beschwieg, dann in einem achthundertseitigen Bericht beschrieb: «Un di Velt Hot Geshvign» – «Und die Welt hat geschwiegen», 1956 in Buenos Aires auf Jiddisch erschienen.

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