+++ Erneut Gedenktafel für Holocaust-Opfer in Berlin geschändet +++ Berlin: Rassistische Pöbelei eines 74-Jährigen +++ Messerattacke auf Geflüchteten in Rösrath +++ Geplante Geflüchtetenunterkunft in Leipzig mit Steinen attackiert +++ Flüchtlingsfeindliche Schmierereien an Bahnhöfen in Sachsen +++ Immer mehr Angriffe auf Flüchtlingsheime in Berlin +++
Erneut Gedenktafel für Holocaust-Opfer in Berlin geschändet
Eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Deportation von 30.000 Juden in Konzentrationslager in der Berlin-Moabit ist in der Nacht zu Sonnabend mit schwarzer Farbe beschmiert und antisemitisch bemalt worden.
Das gelbe Schild ist mit dem Schriftzug "Von hier fuhren Züge ins Gas" versehen. Der oder die unbekannten Täter übergossen das Schild mit schwarzer Farbe und strichen das Wort "Gas" durch. Daneben wurden die Worte "sachlich falsch" geschmiert.
In den vergangenen Monaten gab es bereits mehrfach ähnliche Schändungen der Tafel. Diese war erst am 21. Juli erneuert worden. Die Initiative "Sie waren Nachbarn" schrieb in einem Statement, die Tat beweise, dass der Hinweis auf das Gas "die vermutlich rechtsradikalen Täter besonders stört. Denn so wird die Öffentlichkeit immer wieder daran erinnert, wohin Rassismus und Verfolgung von einzelnen Teilen der Bevölkerung in Deutschland geführt hat."
Berlin: Rassistische Pöbelei eines 74-Jährigen
Zu einem rassistischen Vorfall kam es am Samstagvormittag in einem Zug der U-Bahnlinie 8 in Berlin-Gesundbrunnen. Laut Polizei beleidigte ein 74-Jähriger einen 81-jährigen Deutsch-Algerier. Anschließend soll er eine Plastikflasche hervorgeholt, diese hochgehalten und zwei Schläge angedeutet haben. Eine 52-jährige Zeugin zog den Angegriffenen aus der Situation heraus, woraufhin der 74-Jährige nun sie anpöbelte und mit einer Handgeste beleidigte. Alle drei stiegen an einem U-Bahnhof aus. Ein unbekannt gebliebener Fahrgast half, den 74-Jährigen bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Der Mann muss sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung verantworten.
Messerattacke auf Geflüchteten in Rösrath
Am Samstag, dem 25.07.2016, haben Unbekannte einen Geflüchteten aus Pakistan attackiert und mit einem Messer angegriffen. Drei Männer hatten den 26-jährigen Pakistaner zunächst beschimpft und danach körperlich attackiert. Im Verlauf der Auseinandersetzung verletzte einer der Männer den 26-Jährigen durch ein Messer leicht am Unterarm.
Geplante Geflüchtetenunterkunft in Leipzig mit Steinen attackiert
Auf eine noch nicht bezugsfertige Asylunterkunft in Leipzig-Gohlis ist am vorvergangenen Wochenende ein Angriff verübt worden. Mehrere Scheiben des ehemaligen Autohauses wurden mit Steinen eingeworfen. Fünf Scheiben eines ehemaligen Autohauses in der Lindenthaler Straße, das derzeit umgebaut wird, seien beschädigt worden.
Flüchtlingsfeindliche Schmierereien an Bahnhöfen in Sachsen
Entlang der S-Bahnstrecke zwischen Schöna und Dresden haben Unbekannte in der vergangenen Woche mehrere Haltepunkte beschmiert. In Heidenau, Königstein und Dresden-Zschachwitz skizzierten sie auf dem Boden die Umrisse liegender Personen. Mit einer roten Flüssigkeit wurde zudem Blut dargestellt, sodass man von getöteten Menschen ausgehen kann.
Die Bundespolizei entdeckte die Schmierereien am Sonntagmorgen. Sie geht von einem politisch motivierten Motiv aus. Die Beamten fanden an den Tatorten mehrere Zettel, auf denen „Migration tötet“ stand. Eine Fahndung nach den Tätern blieb bislang erfolglos. Nach Angaben der Bundespolizei konnte allerdings umfangreiches Spurenmaterial gesichert werden.
Immer mehr Angriffe auf Flüchtlingsheime in Berlin
Die Zahl fremdenfeindlicher Angriffe auf Flüchtlingsheime und Asylbewerber in Berlin hat im laufenden Jahr erneut zugenommen. In den ersten sechs Monaten in 2016 kam es zu 43 Über- und Angriffen.
Diese Zahlen gehen aus einer Antwort des Senats auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Clara Herrmann hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. 30 Angriffe galten Unterkünften, 13 richteten sich direkt gegen Menschen. Im gesamten vergangenen Jahr gab es 57 Angriffe auf Heime, im Vorjahr 2014 waren es 39 Vorfälle.
Eineinhalb Jahre Haft für Angriff auf Geflüchteten in Freital
Am Amtsgericht Dippoldiswalde wurde ein 22-jähriger Freitaler wegen vorsätzlicher und gefährlicher Körperverletzung sowie Sachbeschädigung für schuldig gesprochen. Der Angeklagte soll Ende Oktober vergangenen Jahres an einer Bushaltestelle in Freital-Zauckerode einen Asylbewerber brutal verprügelt haben. Nachdem sie zusammen aus dem Bus gestiegen sind, soll er ihm laut Anklage einen Kopfstoß verpasst und weiter mit Fäusten auf ihn eingeschlagen haben, als der Iraker schon am Boden lag. Laut Zeugen folgen Tritte gegen den Körper und den Kopf. Ein Kumpel von Ernst H. war mit dabei und hat ebenfalls zugeschlagen. H. nennt vor Gericht den Namen des bis dahin unbekannten Mittäters. Der Staatsanwalt kündigt ein weiteres Ermittlungsverfahren an.
Vor Gericht gibt der Angeklagte die Schlägerei zwar zu, sagt aber er könne sich nicht mehr an den genauen Hergang erinnern – zu viel Alkohol sei an diesem Tag geflossen. Zudem hatte Ernst H. Reste von Crystal im Blut.
Die Richterin verurteilte Ernst H. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten – ohne Bewährung. „Das war keine Ausnahmesituation, das ist Ihr altes Verhaltensmuster“, sagt sie. Schon 2011 wurde Ernst H. wegen Körperverletzung zu einer Jugendstrafe verurteilt.
Sommerlager für rechte Kinder: Gestählt in Schweden
Beim Morgenappell stehen die Mädchen und Jungen in ihren grünen Uniformen stramm. Nach Geschlechtern getrennt, müssen sie sich aufreihen. Vorher war schon Frühsport. Im späteren Tagesverlauf ziehen sie, deutsche Lieder singend, durch die Natur. Immer dabei, eine Fahne: ein schwarzer Vogel auf weiß-rotem Grund. Seit einer Woche richtet der rechte „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ in der schwedischen Kommune Markaryd sein Sommerlager aus.
Mit der Fähre Rostock-Trelleborg reisten die rund 40 Teilnehmer in Begleitung von einigen Betreuern aus Thüringen und Hessen nach Südschweden. Der „Sturmvogel“ entstand aus der militanten „Wiking Jugend“ (WJ). „Er ist eine radikale Abspaltung“, sagt der Rechtsextremismusexperte Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam, der zur sogenannten bündischen Jugend forscht. 1987 gründete sich die Gruppe nach einem internen Streit.
Berlin Nazifrei: Antifaschismus trifft auf „Zug der Liebe“
Wieder beteiligten sich tausende Menschen am Samstagnachmittag an verschiedenen Orten in Berlins Mitte an Demonstrationen für ein friedliches Miteinander, gegen Rassismus und besonders gegen einen rechtsextremen Aufmarsch, der nach März und Mai bereits zum dritten Mal unter dem Motto „Merkel muss weg“ vom Hauptbahnhof durch das Regierungsviertel zog. Größere Eskalationen blieben den Tag über aus.
Die antifaschistischen Bündnisse „Berliner Bündnis gegen rechts“ und „Berlin Nazifrei“ hatten sich für ihren Protest diesmal etwas Neues überlegt. Sie riefen dazu auf, sich diesmal der Technoparade „Zug der Liebe“ anzuschließen. Nach einem Stück gemeinsamer Route sollten sich aber die Wege trennen und die Antifaschisten in Richtung der rechtsextremen Aufmarschroute laufen.
Derweil kann die Gruppe „Wir für Berlin & Wir für Deutschland“ um „Pro Deutschland“-Bundesvorstand Enrico Stubbe zeitgleich vor dem Hauptbahnhof rund 1000 zum größten Teil aus anderen Bundesländern angereiste Rechtsextreme und rechte Hooligans mobilisieren. Das sind noch einmal deutlich weniger als bei der letzten Demo am 7.Mai, obwohl wegen der Meldungen über Terroranschläge eine höhere Teilnehmerzahl nicht ausgeschlossen wurde.
Rechte Demo in Berlin: Die Rhetorik wird aggressiver
Auf dem Washingtonplatz haben am Samstag etwa 1.400 Rechtsextreme gegen die Bundesregierung und ihre Asylpolitik demonstriert. Vor der gläsernen Fassade des Hauptbahnhofs versammelten sich am Nachmittag sogenannte „besorgte Bürger“, Hooligans und Neonazis, um anschließend durch das angrenzende Regierungsviertel zu ziehen.
Bereits bei der Auftaktkundgebung wurde gegen Muslime und Mitglieder des Kabinetts von Kanzlerin Angela Merkel gehetzt. Redner echauffierten sich über Islamisierung, Terror und Halal-Fleisch in deutschen Supermärkten. Die zum Teil stark aufgeheizten Zuhörer begleiteten die Reden mit lauten „Wir sind das Volk!“- und „Widerstand!“-Rufen. Neben zahlreichen Deutschlandfahnen, preußischen Adlern und schwarz-rot-goldenen „Wirmer-Flaggen“ zeigten die Demonstranten auch Anti-Islam-Plakate.
Mit ihrem Aufmarsch „Merkel muss weg!“ zogen die Rechten an diesem Wochenende bereits zum dritten Mal durch die Hauptstadt.
Thor-Steinar-Laden in Glinde steht vor dem Aus
Freude bei der Bürgerinitiative "Glinde gegen rechts" im Kreis Stormarn: Nach Informationen von Glindes Bürgermeister Reinhard Zug (parteilos) steht ein Bekleidungsgeschäft im Ort, das bei Neonazis beliebt ist, vor dem Aus. Der Mietvertrag laufe Anfang kommender Woche aus, so Zug. Eine im Vertrag ausgehandelte Option zur Verlängerung wolle der Betreiber des Ladens nicht ziehen. Das Geschäft in der Möllner Landstraße wird immer wieder von Rechtsextremen besucht. Sie decken sich dort zum Beispiel mit Pullovern und T-Shirts der Marke Thor Steinar ein. Der ungebetene Besuch sorgte in Glinde in den vergangenen fünf Jahren häufig für heftige Proteste.
Demo für Erdogan in Köln: Frauen, Kinder und Faschisten
Zehntausende jubeln und beten für ihn in Köln: Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei wird Präsident Erdogan auch in Deutschland gefeiert wie ein Popstar. Den Faschisten ist er noch zu lasch.
Bastarde, Verräter, Huren! Deniz spricht laut, denn um ihn herum hallt der Ruf: Türkiye, Türkiye, Allahu Akbar! Und immer wieder auch: Lügenpresse, Lügenpresse! Tausende Fahnen, weißer Halbmond auf rotem Stoff, flattern im Wind. Und über allem kreist ein Hubschrauber der Polizei.
Sonst findet hier, in der Deutzer Werft, die Kirmes statt. Heute ist es der Schauplatz der größten Huldigung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan auf deutschem Boden. Weil die Teilnehmerzahl viel über das deutsche-türkische Verhältnis aussagt, teilt die Stadt Köln zunächst vorsichtig mit: 20.000 Männer, Frauen und Kinder hätten sich in Deutz am rechten Rheinufer gesammelt. Tatsächlich sagt am Abend auch die Polizei, es seien wohl eher 30.000 bis 40.000 Demonstranten gewesen.
Deniz ist wohl nur rhetorisch ein Hardliner. Unter den Demonstranten gibt es noch ganz andere: Anhänger einer Großtürkei, in der alle turksprachigen Völker von Bosnien bis nach Kasachstan vereint sind. Fans eines Volksstaates, in dem für Juden, Schwule und Linke kein Platz ist.
Der Tag in Köln im Ticker: Polizei löst Pro-NRW-Kundgebung auf
Verletzte bei rechter Mahnwache in Göttingen
35 Rechtsextreme sind am Sonntagabend nach Göttingen gekommen. Sie wollen eine Mahnwache abhalten. "Ausländerkriminalität stoppen - Schluss mit Mord und Totschlag" lautet ihr Slogan. Was genau gemeint ist, bleibt unklar. Als Ort haben sie sich den Albaniplatz ausgesucht, ein Platz, auf dem in der Nazi-Diktatur 1933 Bücher verbrannt wurden. Ab 19 Uhr stehen sie dann doch einige Meter weiter, an der Stadthalle der Universitätsstadt. 35 Menschen hat der "Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen" für die nächsten eineinhalb Stunden mobilisiert. Demgegenüber stehen 500 Gegendemonstranten, Bürger, Gewerkschafter, Politiker, linke Aktivisten. Das Göttinger Bündnis gegen Rechts und zahlreiche weitere Initiativen haben dazu aufgerufen. Und während Gewerkschafter und Politiker wie Jürgen Trittin von den Grünen zu den rund 500 Teilnehmern der Gegenkundgebung sprechen, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Linken.
Bio, öko, tierlieb - und braun
„Umweltschutz ist Heimatschutz“ - unter dieser Parole vertreten Neonazis Positionen, die gemeinhin als grün und links gelten: Gegen TTIP, für Biolandbau, gegen Gentechnik. Für die grüne Partei ist das eine Herausforderung.
Bio und öko ist ein Thema, bei dem linke Grüne und rechte Braune viele gemeinsame Positionen vertreten: Für ökologische Landwirtschaft, für Bio-Lebensmittel und regionale Produkte, gegen Gentechnik, gegen Massentierhaltung. Diese Gemeinsamkeiten fallen natürlich auch denen auf, die sie politisch am stärksten betreffen.
„Wir erleben, dass AfD, Pegida und andere Gruppen bestimmte Themen ansprechen, die unseren ähneln oder sogar gleich klingen“, sagt Gesine Agena, Mitglied im Vorstand von Bündnis 90/Die Grünen und zuständig für die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.
Thüringens Antifa klärt Verfassungsschutz über AfD auf
Der thüringische Verfassungsschutz klang sicher: Die thüringische AfD verfüge über keine Kontakte zur völkischen „Identitären Bewegung“ (IB). Im Falle der Partei oder bei einzelnen Mitglieder lägen der Behörde „derzeit keine für eine nachrichtendienstliche Beobachtung ausreichenden Anhaltspunkte“ vor, teilte das Amt Mitte Juli mit. Es stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage eine Behörde, die offiziell die Rechtsaußen-Partei gar nicht bespitzelt, zu dieser Beurteilung im Stande war.
Ist bei der AfD Thüringen nun aber von einem Landesverband voller lupenreiner Demokraten auszugehen, bei denen es keinen Grund zur Sorge gibt? Nicht alle teilen diese Sicht. „Der Verfassungsschutz sagt: Die AfD hat keine Verbindungen zur rechten Szene. Zum Glück gibt es die Antifa-Recherche“, stellte die Landtagsabgeordnete der LINKEN, Katharina König, auf Twitter klar. Sie spielte damit auf eine aktuelle Recherche des antifaschistischen Blogs „Thüringen rechtsaußen“ an, der detailliert über angebliche Kontakte und eine Zusammenarbeit zwischen der thüringischen AfD und der extrem rechten Szene des Bundeslandes informiert.
Die Recherchen des Blogs behaupten, dass die Landesvorsitzende der Jungen Alternative Thüringen, Jana Schneider, sich Ende Juni mit Vertretern der Identitären Bewegung zu Gesprächen getroffen habe. Es werden Mailauszüge zitiert, die das Treffen sowie weitergehende Betrachtungen und Auswertungen Schneiders belegen sollen.
„Pro Deutschland“ im Existenzkampf
Als eine von 21 Parteien tritt „pro Deutschland“ im September bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus an. Für die Rechtspopulisten rund um Manfred Rouhs geht es auch finanziell um Sein oder Nichtsein. Zwischen der NPD, die selbst bangen muss, und der AfD bleibt wenig Platz.
„Stimmenzahl verdoppeln – 5 Prozent plus X für pro Deutschland!“ hat die Partei, für die ihr Bundeschef Manfred Rouhs und der Landesvorsitzende Günter Czichon auf den ersten Listenplätzen antreten, als Wahlziel ausgegeben. Man darf die Aussage als Beitrag zur allgemeinen Verwirrung auffassen, als Beleg dafür, dass eines der Grundprinzipen der Rouhs-Partei lautet: Mehr Schein als Sein. Stolz betont die Kleinpartei, man habe 2011 mit exakt 37 467 Stimmen 2,6 Prozent erreicht. Völlig falsch ist das nicht. Etwas Wichtiges sagt „pro Deutschland“ aber nicht: Nur bei den für den Parlamentseinzug völlig irrelevanten Erststimmen wurden diese 2,6 Prozent erzielt. Bei den wirklich wichtigen Zweistimmen kamen Rouhs & Co. vor fünf Jahren nur auf 1,2 Prozent.
Meine Nachbarn, die Nazis – Rechte bedrohen eine Familie
Die Kratzer am Auto konnte Antje C. noch wegstecken. Auch die umgebogenen Scheibenwischer, die geklaute Post und den Müll im Briefkasten. Erst als die 37-Jährige Hundekot auf ihrem Auto entdeckte, wurde ihr die Sache zu viel. Sie installierte eine versteckte Kamera und überführte so den Täter: einen Mann mittleren Alters, der im selben Haus wohnte. Der eigene Nachbar.
Die Schikanen sind fast drei Jahre her, doch sie markieren den Auftakt des Martyriums, das nun folgte. Antje C. sitzt mit ihren Söhnen (15 und sechs Jahre) im Wohnzimmer. Sie berichtet von rassistischen, obszönen Sprüchen, die ihnen der Nachbar bei jeder Gelegenheit an den Kopf warf. Der Ehemann der 37-Jährigen ist dunkelhäutig; sein Vater stammt aus Westafrika. „Ich weiß nicht, warum das alles angefangen hat“, sagt C., „aber die Beleidigungen wurden immer schlimmer.“ So schlimm, dass das Amtsgericht Lörrach ein Annäherungsverbot gegen den Nachbarn aussprach – an das dieser sich aber nicht hielt.
Die Familie wohnt in Friedlingen, einem Stadtteil von Weil am Rhein, der direkt an die Schweiz grenzt.Die Gegend um Lörrach ist auch bekannt für eine starke rechte Szene, die sich hier tummelt. Seit Jahren kommt es immer wieder zu Kundgebungen, Rechtsrock-Konzerten und Flashmobs, bei denen Reichskriegsfahnen gehisst werden. Auch der Schwiegersohn des Nachbarn ist in dieser Szene aktiv.
Die AfD und der Zeitgeist
Was die REPublikaner, der Bund freier Bürger (BfB) und die Schill-Partei nicht geschafft haben, könnte der Alternative für Deutschland (AfD) trotz heftiger Flügelkämpfe, zwischenzeitlicher Auswechslung des Spitzenpersonals und Abspaltung ganzer Richtungsgruppierungen gelingen: mit dem Einzug in alle ostdeutschen und mehrere westdeutsche Landesparlamente eine Machtbasis für den Sprung in den Bundestag aufzubauen.
Die überraschenden (Wahl-)Erfolge der noch jungen Partei verdanken sich nicht bloß der geschickten Rhetorik ihrer Führungsriege, die provokative Äußerungen mit schnellen Dementis einfängt, und einem guten taktischen Gespür, das sie nach den „Euro-Rettungspaketen“ zum richtigen Zeitpunkt die „Flüchtlingskrise“ sowie anschließend den Islam, „kulturelle Überfremdung“ und Terrorgefahren auf die Agenda setzen ließ. Noch entscheidender ist die Synthese neoliberaler und rechtspopulistischer Argumentationsfiguren.
Nach Ansbach und München: Eine Art der Ausgrenzung
„Ich bin Deutscher", rief David Sonboly, der Attentäter von München, während er weiter Menschen umbringen wollte, die er ganz offensichtlich nicht für Deutsche hielt. Sonboly war, nach allem, was man weiß, ein Rassist mit rechtsextremen Motivationen. Er war kein Amokläufer, der aus einem diffusen Gefühl von Wut und Weltekel heraus agierte. Sein Motiv, sein Name war Hass.
Warum also nennen fast alle Medien David Sonboly, der in Deutschland aufwuchs, einen Amokläufer? Und warum ist dann der Attentäter von Ansbach, Mohammad Daleel, ein Syrer, der seit zwei Jahren in Deutschland lebte, der, nach allem, was man weiß, nicht besonders religiös und aktuell von Abschiebung bedroht war, ein Terrorist?
Es geht hier ja um weit mehr als um ein paar sprachliche Feinheiten. Es geht darum, wie eine Gesellschaft auf eine Tat reagiert, wie und wo sie nach den Gründen sucht, den Ursachen, bei sich, bei anderen, lieber weit weg oder doch in den eigenen Gemeinden, Schulen, Neubauvierteln.
"Ich werde hier immer wie ein Ausländer behandelt werden", sagte Can L.s Vater Hasan der "Washington Post". Er ist in Deutschland geboren, er arbeitet bei BMW. Er erzählt davon, wie er von der Polizei schikaniert wurde, nachdem sein Sohn ermordet wurde, "weil ich so aussehe, wie ich aussehe, weil ich heiße, wie ich heiße".
Rassismus im Vogtland: Verknüpfung über Grenzen hinweg
Das Etikett wechselt von Zeit zu Zeit, aber die handelnden Personen und ihr Gedankengut bleiben. Dies ist eine der zentralen Aussagen der Broschüre "Grenzbereiche - Rassismus, Rechtspopulismus und Neonazismus im sächsischen, thüringischen und bayerischen Vogtland". Gestern wurde sie in den Räumen der Plauener Superintendentur das erste Mal öffentlich vorgestellt. Herausgeber ist die Arbeitsgruppe Vogtlandvernetzung. Die Gruppe besteht aus Vereinen und Organisationen, die sich in den drei Regionen des Vogtlands mit Rechtsextremismus und Rassismus beschäftigen.
Nicole Schneider vom Verein Mobit nennt als ein prominentes Beispiel David Köckert, der in der Stadt Greiz zur zentralen Figur beim Protest gegen eine Asylunterkunft wurde. Er war zeitweise Mitglied der AfD, wechselte dann zur NPD und hatte eine führende Rolle bei den Thügida-Demonstrationen. Die Protagonisten der rechten Bewegung, so eine zweite Kernaussage der Broschüre, wechseln nicht nur zwischen verschiedenen Parteien oder Organisationen, sie wechseln grenzüberschreitend auch ihre Betätigungsfelder.
Sputnik, FPÖ, Identitäre: Russisch-rechtes Rendezvous in Wien
Der Wien-Korrespondent des Staatssenders Sputnik war Obmann eines Wiener Vereins mit Kontakt zur extremen Rechten. Im Hinterzimmer des Café Weingartner im 15. Wiener Gemeindebezirk wird vergangenen Februar der Kampfkunst der Kosaken gedacht: Schwerter werden herumgereicht, der "Nahkampf-Instrukteur" Alexander Bereuter referiert über die "russischen Krieger". Das zeigen Fotos der Veranstaltung, die vom Suworow-Institut in Wien organisiert wurde. Der nach einem russischen General benannte Verein will den "russisch-österreichischen Dialog fördern" und organisiert etwa Sprachkurse.
Doch das Suworow-Institut bietet auch Rechtsextremen eine Bühne. "Die Einrichtung verfolgt eine nationalistische, antiliberale und antiwestliche Agenda und trifft sich mit der hiesigen extremen Rechten", sagt der Forscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Brisant ist, dass als Obmann des Suworow-Instituts ein russischer Journalist namens Igor Belov fungiert, der für das staatliche Auslandsmedium Sputnik aus Wien berichtet.
Rassismus in Großbritannien: "Geht zurück in euer verf***tes Land"
In Großbritannien hat sich eine neue Form von salonfähiger Fremdenfeindlichkeit etabliert. Darunter leiden auch EU-Bürger, die dort schon lange leben. Für viele EU-Bürger, die in Großbritannien leben und arbeiten, hat sich der Alltag radikal verändert: Die Zahl der gemeldeten Hassverbrechen ist seit Mitte Juni – eine Woche vor dem Referendum – deutlich in die Höhe geschnellt. Bis Mitte dieses Monats registrierte die Polizei fast 6.200 Vorfälle, ein Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum. Das sind mehr als 200 pro Tag. Zu den häufigsten Vorkommnissen zählen Beleidigungen und Bedrohungen. Häufig sind Menschen aber auch bespuckt und angegriffen worden.
Auffällig oft entlädt sich der Hass auf Muslime und EU-Bürger aus Osteuropa. In Plymouth haben Unbekannte die Gartenlaube einer polnischen Familie niedergebrannt und eine Nachricht zurückgelassen, auf der stand: "Geht zurück in euer verf***tes Land. Nächstes Mal wird es eure Familie sein." In Londons Stadtteil Hammersmith beschmierten Unbekannte die Türen eines polnischen Gemeindezentrums mit Beleidigungen. Immer wieder werden die Hasstiraden begleitet von Aufforderungen, das Land zu verlassen. Schließlich hätten die Briten ja für einen EU-Austritt gestimmt.
Graffiti-Aktion: Wie aus einem Hakenkreuz eine Mücke wird
Ibo Omari, der in seinem Laden Legacy in Schöneberg Sprühflaschen verkauft. Die Gruppe übermalt in Berlin rechte Schmierereien. Ein Kunde gab dazu den Anstoß. Der Mann war zum ersten Mal in Ibo Omaris Geschäft: "Zwei Spraydosen wollte er kaufen und ich habe ihn gefragt, was er damit vorhat." Gleich um die Ecke, auf einem Spielplatz an der Großgörschenstraße habe jemand auf anderthalb Meter Länge eine Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz gesprüht, das sei furchtbar und das wolle er übersprühen, erklärte der Mann.
Omari hat dem Kunden die zwei Dosen nicht verkauft. Natürlich war auch er entsetzt. Aber er dachte sich: Statt einfach nur drüberzusprühen, könnte man aus dem hässlichen Motiv doch etwas Schönes machen. Also rief er Poet an, einen Freund und Graffiti-Künstler.
Antifeministische Shitstorms: Körperbeschimpfung als Kampfmittel
Warum wird gerade jetzt das Klischee der hässlichen Emanze wiederbelebt? Dass Frauen, die sich öffentlich äußern, viel Hass entgegenschlägt und – vor allem im Internet – gerne auch jede Menge Gewalt angedroht wird, ist bekannt und wohlbelegt. So veröffentlichte der britische Guardian unlängst eine Studie, die zeigte, dass von seinen zehn in den Onlinekommentaren am meisten geschmähten Autoren acht Frauen sind (die anderen beiden sind schwarz). Besondere Konjunktur scheint derzeit aber gerade die Beleidigung von Frauen als unschön, hässlich, dick zu haben, jedenfalls als sexuell unattraktiv und des Bettes des Beleidigers nicht würdig.
Das ist mittlerweile zur beliebten Ersatzhandlung für politische Gegenargumente geworden und geradezu zum Markenzeichen von rechtspopulistischen Angriffen auf alles, was als weiblich, liberal, links, feministisch oder weltoffen wahrgenommen wird. Natürlich kann man darin eine kulturhistorisch wohletablierte Tradition der männlichen Objektivierung von Frauen sehen, ihrer Reduzierung auf Sexualität und damit auf ein Hingeordnetsein zum Mann, mittels derer versucht wird, allzu meinungsstarke Frauen "auf ihren Platz zu verweisen". Bleibt aber nicht nur die Frage, warum ausgerechnet jetzt das längst abgenutzte Klischee der hässlichen Emanze wiederbelebt wird, sondern auch, warum gerade die rechtspopulistische Ecke ihre zentrale "Sorge", nämlich die Angst vor Migranten, so oft mit einem Angriff auf Frauen verbindet.