Über die Fankurve von Hertha BSC geriet Aussteiger Karsten* damals in die Hooligan-Szene. Parallel dazu erfolgte sein Aufstieg bei den Berliner Neonazis.
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Fans, Hooligans, Ultras und Neonazis- ein Aussteiger berichtet

Es ist nicht viel, was tatsächlich über Hooligans bekannt ist. Lediglich die medialen Bilder sind prägnant und stark. Hooligans stehen darin für sinnlose Gewalt, Fanatismus und Fußball: eine merkwürdige Kombination von scheinbar nicht zusammenhängenden Dingen. Vor allem auch eine falsche Verbindung, meint der frühere Hooligan Karsten*. Für ihn stehen Hooligans auch für einen extravaganten Sport, mit klaren Regeln, Kontrollen und einer gehörigen Portion Spaß am Kräftemessen.

Von Prof. Dr. Dierk Borstel

Im zweiten EXIT-Werkstattgespräch beschreibt Karsten seinen Einstieg und seine Wahrnehmung der Hooliganszene, die sich mit seinem rechtsextremen Lebensentwurf verknüpfen sollte. Am Anfang war, wie für viele andere, die Begeisterung für den Fußball und das Erlebnis "Stadion" mit seiner Atmosphäre und den Emotionen rund um den Sport. Sein "Einstieg" in die Fan- und Hooliganszene war denkbar einfach. Er hat sich einfach dazugestellt und knüpfte so schnell Kontakt. "Ich war da der Benjamin",schmunzelt Karsten heute. Eine Gruppe aus Berlin-Neukölln integrierte ihn schnell. "Wir trafen uns dann oft auch Wochentags zum Fußballspielen oder mal ein Bier trinken. (…) Ich bin dann da immer wieder mal hingegangen." Die Kontaktaufnahme war somit denkbar niedrigschwellig und der gemeinsame Höhepunkt das Heimspiel von der geliebten Hertha.  "Das ging dann schon auf dem Weg ins Stadion ordentlich ab, in der U-Bahn und so. (…) Die wurde manchmal ziemlich auseinandergenommen." Karsten begeisterte sich an der Gruppe, an deren Gesängen und dem gelebten Gemeinschaftsgefühl. Gewalt war schnell ein normaler Bestandteil des gemeinsamen Habitus. Sie richtete sich zunächst eher weniger zielgerichtet und erst im Laufe der Zeit erkannte Karsten die darunter liegenden ideologischen Codes. "Der Rassismus war da schon normal." Noch überwog jedoch die Begeisterung für den eigenen Fußballclub. "Die Gesänge im Stadion richteten sich dann auch schon mal abwertend gegen den gegnerischen Club. Aber ich finde, das gehört zum Fußball auch dazu."

Aufstieg in der Hierarchie der Hooligans

Mit der Zeit stieg Karsten in der internen Hierarchie der Fußballfans auf. Zunehmend orientierte er sich auch an den gewaltbereiten Hooligans. "Das waren noch sogenannte Old-school-Hooligans." Die Unterscheidung in Old-School und New-School Hooligans ist heute eine gängige Praxis. Karsten erklärt sie vor allem aus der jeweiligen Zeit heraus: "Früher war das Stadion noch der Tatort, um sich mit den gegnerischen Fans zu messen. Das geht heute  nicht mehr. Heute sind die Stadien Hochsicherheitstrakte, in denen jede Handbewegung aufgenommen und gespeichert wird." Noch in den achtziger Jahren war die Sicherheit in den Fußballstadien deutlich geringer ausgeprägt als heute. Für Hooligans ergaben sich immer wieder Gelegenheiten, spontan auf andere Hooligangruppen zu treffen und sich zu prügeln. "Das war oft wirklich nicht geplant. Sondern da ergab sich die Chance und dann ging es los." Diese Sicherheitslücken sind heute geschlossen. Rund um das Stadion kontrolliert die Polizei jede Fanbewegung. Gegnerischen Fangruppen werden bereits vom Bahnhof oder Parkplatz eskortiert und zum Stadion geführt. Dort angekommen wird jeder Besucher registriert, alle Stadionbereiche werden mit Kameras überwacht, szenekundige Polizisten sind im ständigen Kontakt zu den Fans und jeder Verstoß gegen die Hausordnung wird umgehend – und oft auch mit dem besonders unangenehmen Stadionverbot – geahndet. Die Old-School Hooligans konnten somit  ihre Gewaltbereitschaft im Stadion nicht mehr ausleben. Die New-School Hooligans verlagerten deshalb das Tatgeschehen an Orte und Zeiten jenseits des Stadions. "Die neuen Treffpunkte waren jetzt oft irgendwelche Wiesen, auf denen man sich verabredete." Besonders das Internet eröffnete neue Möglichkeiten der unkomplizierten Kontaktaufnahme und Absprache. Das konkrete Aufeinandertreffen war dabei klar geregelt. "Keine aktiven Waffen, nur passive Bewaffnung, also zur Verteidigung  und wenn einer liegt, ist Schluss. Früher wurde das oft auch gefilmt; das ist jetzt eher verpönt." Das konkrete Aufeinandertreffen war dann oft auch nur kurz: "Das war ein kurzer Augenblick, wenige Minuten, in denen die Gruppen aufeinander los sind und dann war auch schon Schluss damit und es gab Sieger und Verlierer."

"Wir wollten auch gezielt anders sein"

Von den Hooligans zu unterscheiden sind die heute im Stadion oft dominierenden Ultra-Fangruppen, wobei die Übergänge fließend sind. "Die Ultras sind politischer; die wollen auch im Verein mitbestimmen." Vor allem aber garantieren die Ultras heute Stimmung im  Stadion. Sie erarbeiten Choreographien, identifizieren sich voll mit ihrer Mannschaft, begleiten sie auch zu Auswärtsspielen und feuern ihre Mannschaft an. Manche Ultragruppen sind auch mit anderen Gruppen befreundet; andere wiederum pflegen eine vermeintlich jahrzehntelange Feindschaft zueinander. Die Hooligans stehen heute, so Karsten, eher am Rande. "Wir wollten auch gezielt anders sein". Die Ultras hingegen feiern im Stadion ein Fest. Rechtsextremisten sind manchmal Teil der Gruppen; doch dominiert deutlich der Sport vor der Politik. Für die heutigen Fußballclubs stellen die Ultras ein größeres Problem dar als die Hooligans. Durch den Aufbau des Hochsicherheitstraktes "Stadion" konnte die Hooligangewalt verdrängt werden. Auf die Ultras sind die Fußballclubs hingegen angewiesen. Sie garantieren die Stimmung im Stadion, die die besser zahlende Kundschaft der Familien und VIPs erwartet, aber selbst nicht liefert. Andererseits versuchen organisierte Ultragruppen auch aktiv auf die jeweilige Vereinspolitik einzuwirken. So kritisieren sie regelmäßig die Stadionkontrollen, beklagen den Umbau der Vereine zu Wirtschaftsunternehmen, boykottieren Versuche der Platzierung am Aktienmarkt oder kritisieren lautstark die jeweilige Personalpolitik der Vereine. In der Regel hängen sie eher traditionellen Clubbildern nach und legen sich somit besonders mit den Modernisierern, die den Fußball vor allem auch als Marktgeschehen begreifen, offensiv an. 

Der Aufstieg in der Neonazi-Szene tat dem Leben als Hooligan keinen Abbruch

Karstens Hooligan-Karriere entwickelte sich schnell weiter. "Das ging dann halt mit zu den Auswärtsspielen." Bereits die Anreisen waren oft anstrengend. "Da gab es dann viel Alkohol, auch viele Drogen, um das überhaupt kräftemäßig durchzustehen." Im Stadion fiel es dann manchmal schon schwer, dem Spiel überhaupt noch zu folgen. Trotzdem lebte Karsten sein Hooligandasein weiter aus. "Mir gab das schon was. (…) Das war ein Sport, ein Wettkampf für mich und ich wollte mich da beweisen. (…) Da ging es natürlich auch um so Männlichkeitsgeschichten. (…) Das hatte einen enormen Reiz für mich." Die Gruppe gab Anerkennung. Die Gewalt reizte. Das Gefühl, der Stärkere gewesen zu sein, animierte und   selbst im Fall der Niederlage blieb das gute Gefühl, den inneren Schweinehund mal wieder überwunden zu haben. Das war ihm wichtig. In der Hooliganszene bezog Karsten jedoch parallel auch immer deutlich seine politische Orientierung. "Mir hat das halt irgendwann nicht mehr gereicht. Ich wollte dann auch politisch aktiver werden." In der Hooliganszene selbst führte sein Entschluss, sich in der rechtsextremen Szene mehr einzubringen, zu keinen  Verwerfungen. In der Regel gilt: Fußball ist Fußball. Politik ist Politik." Sein Aufstieg zu einem führenden Kopf der rechtsextremen Szene in Berlin tat seinem Leben in der Hooliganszene keinen Abbruch. Im Gegenteil: "Ich war dann nicht mehr immer dabei. Aber wenn, dann haben wir natürlich auch probiert im Umfeld unseren Nachwuchs zu rekrutieren." Wie eng Rechtsextremismus und die Hooliganszene zusammenhängen merkte Karsten eigentlich erst nach seinem öffentlichen Ausstieg aus dem Rechtsextremismus. Danach war ein Verbleib bei den aktiven Hooligans nicht mehr möglich: "Die Schnittstellen waren einfach zu groß; das ging nicht mehr." Das bedeutet jedoch nicht, dass die Hooliganszene politisch eindeutig sei. "Da gibt es auch linke Gruppen, z. B. in Düsseldorf. Die stehen neben den Rechten und beide vereint die Zugehörigkeit zur Fortuna." Es sind diese Paradoxien, die in der Schnittstelle Fußball immer wieder überraschen, aber vermutlich schlicht zeigen, dass der Sport Personen integriert, die sich politisch oder auch sozial sonst nicht verständigen könnten.   

Blick zurück ohne Reue – aber selbstkritisch

Heute geht Karsten noch immer gerne zum Fußball und die Hertha ist noch immer sein Verein. Aber der Weg führt heute nicht mehr zum harten Kern der Fans, sondern eher an den Rand, auf die Sitzplätze, die früher noch belächelt wurden. Manchmal trifft er dort seine Freunde von früher. Dann grüßt man sich und geht seinen Weg. Sein Blick zurück ist dabei selbstkritisch, aber ohne Reue: "Für mich ist das Sport. Das teilen nicht alle, das ist mir klar." Ein Knackpunkt in seiner Argumentation sieht er jedoch auch: "Die Gewalt gegen unbeteiligte  Dritte war und ist ein Problem." Angesprochen auf den bekannten Fall des französischen Polizisten Nevil, der bei der Fußballweltmeisterschaft 1998 nach einer Attacke deutscher Hooligans nur knapp sein Leben retten konnte und heute schwer behindert ist, wird Karsten nachdenklich: "Früher war ich da ganz klar: Da habe ich gesagt, das ist eben sein Berufsrisiko. Heute sehe ich das anders. " Tatsächlich gehörten Angriffe besonders auf die Polizei zum Alltag, nämlich dann, wenn es keine Kontakte zu gegnerischen Gruppen gab.  Gewalttaten gegen andere Dritte waren hingegen verpönt. "Wenn es dann mal jemanden erwischt hatte, der nicht Dazugehörte, wurde das eigentlich immer verschwiegen." Dabei beschreibt er die Szene normalerweise als beredt: "Kämpfe und besondere Siege, darüber wurde dann noch jahrelang gesprochen, das waren dann richtige Legenden." Über die kritischen Seiten, die unbeteiligten Opfer, wurde hingegen geschwiegen. Auch ein anderer Punkt erscheint Karsten heute paradox: "Probleme habe ich heute besonders mit Länderspielen. (…) Da ist dann das nationale Element besonders ausgeprägt. (…) Ansonsten verfeindete Hooligangruppen stehen dann gemeinsam zusammen." Internationale Auseinandersetzungen haben dann auch einen besonderen Stellenwert. "Besonders die Osteuropäer gelten als sehr stark und gewaltbereit. (…) Das motiviert dann besonders." Trotzdem nahm Karsten schnell davon Abstand.  

Was fehlt, sind geeignete pädagogische Konzepte

Kritisch sieht Karsten die Möglichkeiten pädagogischer oder repressiver Interventionen. "Ich will dem nichts Ungutes. Aber das Fanprojekt z. B., die haben wir benutzt. Die hatten Kontakt zu uns, aber steuern lassen haben wir uns von denen nicht." Konkret wurden zwar einzelne  Angebote angenommen, aber Einfluss auf die Hooliganszenen gab es nicht. Den hatten, wenn überhaupt, eher die Vertreter des Sports gehabt. "Das war ja früher anders als  heute. Da waren auch mal verletzte Spieler mit in der Kurve, da gab es viel mehr Kontakte und das hatte auch Einfluss." Heute sind die Spieler weitestgehend abgeschottet. Wirkung  erzielten auch Ansagen von Ikonen des Vereins. "Wenn so ein Uwe Seeler mal was Kritisches  in Richtung Fans sagt, dann hat das in Hamburg sicherlich Gewicht." Andere, eher symbolische Aktionen, wie die Vereinsbekenntnisse zu Fairness oder Gewaltlosigkeit verpufften vermutlich wirkungslos. Eine messbare Wirkung erzielte somit bisher vor allem die Zunahme polizeilicher Repressionen im Verbund mit der Sicherheitsaufrüstung der Stadien. Für eine ausstiegsorientierte Arbeit im rechtsextremen Feld ist diese Erkenntnis problematisch. "Ich habe da auch keine wirklich guten Lösungsideen", so Karsten. Es fehlen  noch geeignete pädagogische Konzepte zum Umgang mit den gewaltbereiten Hooligans und ihren Schnittstellen mit dem organisierten Rechtsextremismus jenseits von symbolischen Handlungen, reinen Verdrängungsstrategien oder einem Alibiengagement zur Imagepflege der Vereine. Ein Ansatzpunkt könnte die hohe Identifikationskraft des Fußballs sein. Alle hochklassigen Mannschaften setzen sich heute multiethnisch zusammen. Wenn der Rassist dem schwarzen Stürmer zujubelt, ist das paradox und könnte dazu genutzt werden, Zweifel an der rassistischen Ideologie auszulösen. Die autoritäre Ansprache von Fußballikonen und der nähere Draht von Vorzeigespielern zu den Fans könnten ebenfalls Wege sein, Einfluss auf gewaltaffine Fans und Gruppen zu bekommen. Ob das jedoch reicht, um eine realistische Strategie zu entwickeln, bezweifelt Karsten. Sicher ist er sich in einer anderen Frage: "Hertha steigt wieder auf, keine Frage." Und das dürfte für viele Fans, Hooligans und Ultras, nicht jedoch für alle Rechtsextremisten im Stadion, das wichtigste sein.  

*Name geändert

Dieser Beitrag erschien zuerst in "Journal Exit-Deutschland. Zeitschrift für Deradikalisierung und demokratische Kultur" und wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

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