Roberto Hilbert (rechts) spielt aktuell für Bayer 04 Leverkusen.
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Roberto Hilbert über Rassismus: »Papa, ich möchte kein Afrikaner sein!«

Fußballer schauen nur von Spiel zu Spiel? Fußballer spielen nur PlayStation? Fußballer denken nur an ihre nächste Tätowierung? Von wegen! Bayer Leverkusens Roberto Hilbert über Rassismus im Alltag und auf dem Platz.

Interview: Andreas Bock, zuerst veröffentlicht auf 11Freunde.de

Roberto Hilbert, es ist nicht üblich, dass Fußballprofis über Rassismus sprechen. Warum ist Ihnen das Thema ein Anliegen?
Weil es mich seit meiner Kindheit begleitet. Ich bin mit vielen türkischen Freunden aufgewachsen, die oft als »Scheiß Ausländer« beschimpft wurden. Es gab damals auch die eine oder andere körperliche Auseinandersetzung. Sogar ich habe damals Probleme bekommen, weil ich angeblich nicht typisch Deutsch aussehe. (überlegt) Wobei das auch schon wieder so ein Thema ist: Was heißt das überhaupt: »typisch Deutsch«?
 
Einige Politiker und Fußballfunktionäre würden sagen, im Vergleich zu früher sei in puncto Rassismus doch vieles besser geworden.
Meine Erfahrung ist eine andere. Seit ich mit meiner Frau, einer Eritreerin, zusammen bin und wir Kinder haben, merke ich erst, wie schlimm es wirklich ist.
 
Das heißt, Sie sprechen nicht nur vom Rassismus im Stadion, sondern auch auf der Straße?
Der Fußball ist ja nur ein Abbild der Gesellschaft. Sowohl auf der Straße als auch im Stadion sind  Rassisten nicht mehr so häufig an bestimmten äußerlichen Merkmalen zu erkennen wie vor 20 Jahren. Doch diese latente Unzufriedenheit, die sich in einem alltäglichen Rassismus äußert, ist nach wie vor da. Dieser unterschwellige Rassismus wird zwar gerne verharmlost, er ist aber gefährlich.
 
Wie spüren sie das?
An Blicken, an Gesten, an Kommentaren. Ich erlebe das immer wieder, wenn ich mit meiner Frau oder türkischen Freunden auf die Straße gehe. Das Absurde daran ist, dass die Leute vermutlich nicht mal von sich behaupten würden, Rassisten zu sein. Der klassische Einstiegssatz lautet: »Ich bin kein Rassist, aber...«
 
Haben Sie Beispiele?
Unzählige. Einmal bekamen meine Frau und ich ein Haus nicht, weil wir dem Vermieter nicht Deutsch genug waren. In einer anderen Wohnung hatten wir ständig Ärger mit den Nachbarn, wir galten als nicht anpassungsfähige Ausländer, die mit ihren vielen Freunden und der fremdartigen Kultur die sittsame deutsche Nachbarschaft stören würden. Ich könnte den ganzen Tag mit solchen Geschichten füllen.
 
Nur zu.
Als ich noch für Besiktas spielte, stand meine Frau mit unseren Kindern einmal am Flughafen in Stuttgart, um den Flieger nach Istanbul zu nehmen. Ein älterer Mann stieß da versehentlich eine Frau an und entschuldigte sich auf Türkisch. Die Frau, die ebenfalls nach Istanbul reisen wollte, zischte nur: »Hier wird Deutsch gesprochen.« Auf dem Flug wurde meine Frau dann mehrmals beschimpft. Ein Mann sagte voller Ernst: »Neger sind nur am Saufen und bringen nichts als Krankheiten in unser Land.« Mit diesem Mann liegen wir gerade im Rechtsstreit. Neulich beschimpfte man eine Freundin von uns auf der Geburtstagsparty meiner Frau in einem Club als »Nigger«, und vor zehn Tagen wurde ein Mann beinahe handgreiflich.
 
Wie erklären Sie so etwas Ihren Kindern?
Das ist schwierig. Ich kann ihnen nur immer wieder sagen, dass es vollkommen egal ist, welche Hautfarbe ein Mensch hat oder an welchen Gott er glaubt. Trotzdem stehen sie nach solchen Vorfällen vor mir und sagen: »Papa, ich möchte kein Afrikaner sein!«
 
Wie reagieren Sie, wenn Ihre Frau angefeindet wird?
Anfangs habe ich versucht, sachlich und ruhig zu argumentieren. Doch ich merke, wie mir das von Mal zu Mal schwerer fällt. Mir fehlen mittlerweile echt die Worte. Wir haben drei Jahre in Istanbul gelebt, und meine Frau wurde dort nie rassistisch beleidigt. Vor meiner Heimkehr nach Deutschland hatte ich auch gehofft, es sei besser geworden.

Wie ist es denn im Fußball? Passiert dort heutzutage noch viel im Verborgenen?
Dass sich Spieler gegenseitig beleidigen, habe ich noch nicht mitbekommen. Dafür sind die Mannschaften zu international.
 
Und auf den Tribünen? Es gibt ja heute Initiativen gegen Rechts, die meisten Ultragruppe in Deutschland gelten als links, viele Vereine haben Anti-Rassismus-Paragraphen in ihre Stadionordnungen aufgenommen.
Ich denke auch, dass es in den Stadien besser geworden ist, weil man die Leute sanktioniert. Wie gesagt: Der offene Rassismus ist vielleicht nicht mehr so stark wie zu Zeiten von Souleyman Sané oder Anthony Yeboah, doch das Thema muss weiter besprochen werden. Auch im Stadion.
 
Inwiefern kann der Fußball in dieser Diskussion eine wichtige Funktion einnehmen?
Indem man alles anspricht, was passiert. Denn nur so werden Leute sensibilisiert. Der immer wiederkehrende Satz »Fußball ist Fußball, und Politik ist Politik« ist großer Schwachsinn. Gerade als Fußballer mit der immensen Öffentlichkeitswirkung, sollte man viel häufiger Stellung beziehen.
 
Ein Beispiel ist Kevin-Prince Boateng.
Kevin hat das einzig Richtige gemacht. Ich wäre mit ihm vom Platz gegangen. Ein anderes Beispiel ist Danny Da Costa vom FC Ingolstadt, der bei einem Spiel gegen 1860 München rassistisch beleidigt wurde. Der Vorfall wurde danach medial kommentiert und von einigen Spielern scharf vorurteilt. 
 
Da Costas Mitspieler Ralph Gunesch attestierte den Fans via Twitter »einen IQ knapp über dem eines verbrannten Toastbrotes«.
(lacht) Eine schöne Reaktion, die kannte ich noch gar nicht. Aber so etwas ist genau richtig. Wir Spieler, die eine gewisse Bekanntheit haben, müssen alle Kanäle nutzen, um auf solche Vorfälle aufmerksam zu machen.

Sie sind Mitglied bei »Zeig Rassismus die Rote Karte«. Im Rahmen dieser Initiative ist nun eine Dokumentation entstanden, die am Samstag auf dem 11-mm-Festival in Berlin Premiere feiert. Können Sie uns etwas darüber sagen?
Der Film heißt »Wie im falschen Film«. Eine Dokumentation, in der Fußballspieler über ihre Erfahrungen mit dem Thema Rassismus sprechen. Dabei sind auch Jimmy Hartwig, Otto Addo oder Jerome Boateng. Schaut ihn euch an!

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