Gut gelaunt, energisch und bunt: Die Berliner Demo für Vielfalt und gegen Homophobie
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"Putin go homo"

4.000 Menschen haben am Samstag in Berlin ein deutliches Zeichen gegen Homophobie gesetzt. Unter dem Motto "Enough is Enough: Open your Mouth" demonstrierten sie gegen das umstrittene russische Anti-Homosexuellen-Gesetz. "Fussball-gegen-Nazis.de" hat die bewegende Demo begleitet – eine Reportage.

Von Juliana Hilf und Julius Hermann

12.30 Uhr in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf auf der Kreuzung, wo sich Kurfürstendamm und Bleibtreustraße treffen: Viele Menschen stehen auf den Bürgersteigen und sehen gespannt aus. Gespannt,  aber auch gut gelaunt, energisch und vor allem eins: bunt. Sie warten darauf, dass endlich der Startschuss zum Loslaufen fällt – die russische Botschaft in Berlin Mitte ist ihr Ziel. Sie wollen heute auf den Straßen für Aufmerksamkeit sorgen, sie sind für Vielfalt und gegen Homophobie. Fragt man in der Menge nach der Stimmung, lautet die einhellige Meinung: "Super!", "Ähnlich wie beim CSD (Christopher Street Day), nur eben etwas politischer und weniger Party". Allerdings würde das Ganze auf politischer Ebene nichts ändern, es sei eher wichtig, um den russischen Brüdern und Schwestern Solidarität zu zeigen, sagt ein 41-jähriger Mann, der mit bunter Halskette und strahlenden Augen eine Regenbogenfahne hochhält. Hauptanlass der Demonstration mit dem Motto "enough is enough" (deutsch: genug ist genug) ist ein kürzlich erlassenes Gesetz, dass Putin in Russland ermöglicht hat.

Ein Gesetz, das sexuelle Freiheit verbietet

Besagtes Gesetz verbietet die Betreibung sogenannter "Homosexuellen-Propaganda" im Beisein von Minderjährigen, denn diese könnten davon negativ beeinflusst werden. Hierbei wird schon Händchen halten, aber auch positives oder neutrales Sprechen über homosexuelle Orientierung als Propaganda definiert. Ein Verbot von Aussagen - für viele unvorstellbar. Personen, die gegen dieses Gesetz verstoßen, müssen mit Inhaftierung und einer Geldstrafe von bis zu 1.200 Euro rechnen. Medien, die sich positiv oder neutral zu Homosexualität äußern, können bis zu drei Monate gesperrt werden, Ausländern droht Ausweisung und Einreiseverbot. Verboten ist auch das Hissen der Regenbogenfahne, das internationale Symbol der Schwulen- und Lesbenszene.

"Putin, you make me gay"

Mit einer Stunde Verspätung, um 13 Uhr, startet der Zug. Mittendrin Fraktionsvorsitzende Renate Künast hinter einem Bündnis 90/die Grünen–Banner. Zu sehen sind außerdem neben den vielen bunten Fahnen auch aussagekräftige Schilder, Banner und T-Shirts, mit Aufforderungen wie "Putin go homo", "Legalisiert Liebe" oder "Stop homophobia". Ein Plakat zeigt ein Foto von Putin mit nacktem Oberkörper, untertitelt: "Das ist, was ich homosexuelle Propaganda nenne!" Ein junger Mann trägt ein Shirt mit der Aufschrift "Putin, you make me gay" (deutsch: Putin, du machst mich schwul). Ein anderer trägt so hohe High Heels, dass so manche Frau vor Neid erblassen würde. Der 25-jährige Berliner erzählt, dass er diese jedoch nur in einem geschützten Raum trage,  um Anfeindungen zu vermeiden. Daher sei heute, trotz des langen Marsches, eine gute Gelegenheit die "Schätzchen" auszuführen - allerdings habe er noch Turnschuhe dabei. Der Musiker Ben Ivory läuft auch mit, ein paar seiner Lieder werden vom Technikwagen gespielt, dazu laufen inhaltlich passende Lieder wie Katie Perrys "I kissed a girl" oder "Where ist the love" von der Gruppe Black Eyed Peas.

In die gewaltige Menge der Protestierenden mischt sich auch das Team der Berlin Bruisers. Für den Rugby-Laien vielleicht unbekannt wurde das erste schwule Rugby-Team Deutschlands im April 2012 gegründet. Initiatoren waren damals drei junge Männer, die erkannten, dass es zwar in zahlreichen europäischen Städten schwule Rugby-Teams gab, nur eben in Deutschland nicht. Seitdem habe man nur positive Erfahrungen gemacht, so ein 42-jähriger Spieler - sowohl mit Menschen im näheren Umfeld als auch mit den "heterosexuellen" Teams gegen die man bereits gespielt habe.

Ein Kioskbetreiber, der am Rand steht, fragt, was denn hier genau gefordert würde. Als er aufgeklärt wird, streckt er den Daumen nach oben, um die Demonstrierenden zu ermutigen, und sagt "Putin, verpiss dich, du Schwein" – auf Russisch, obwohl sein Akzent eher nach türkischen Wurzeln klingt.

Aufforderung an IOC, FiFa und Sponsoren

Der Protest zielt zwar gegen Putin und das diskriminierende Gesetz, viele Aufforderungen richten sich aber auch an internationale Sportverbände, wie beispielsweise das IOC (das internationale Olympische Komitee), den deutschen Sportbund und die FIFA (Weltfußballverband mit Sitz in Europa). Auch das Logo der Organisatoren der Demo beinhaltet die fünf olympischen Ringe. Hintergrund ist die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2014 in der russischen Stadt Sotschi und die Fußball-WM 2018. Viele sind der Meinung, dass die grundlegenden Prinzipien dieser Sportveranstaltungen mit dem neuen Gesetz kollidieren, denn zu den Grundsätzen der Olympischen Spiele gehört z.B. auch das Recht für jeden, an ihnen teilzunehmen zu dürfen - unabhängig von Nationalität, Religion, Geschlecht und eben auch sexueller Orientierung. Auch Sponsoren werden auf den Plakaten und in Ansprachen dazu aufgefordert, ihre finanzielle Macht zu nutzen und die Winterspiele beispielsweise zu boykottieren. Große Partner dieser Spiele sind unter anderem die Coca Cola Company, Samsung oder McDonalds.

BVG zeigt Flagge

Um 15 Uhr hält der Zug am Nollendorfplatz, Wolken haben sich vor die Sonne geschoben und der Wind gibt dem gesamten Geschehen einen theatralischen Touch. Das Mädchen auf dem Technikwagen bedankt sich bei der BVG-Chefin, die unbürokratisch erlaubt hat, eine Regenbogenfahne an die U-Bahnstation zu hängen. Im Vorfeld wurde versucht, solche Fahnen an vielen Gebäuden, an denen die Route vorbeiführt, anzubringen, allerdings stand den Organisatoren oft das gesetzliche Flaggenverbot im Weg. Auf dem weiteren Weg verhält sich der Zug mal lauter und mal leiser, auch einige Schweigeminuten werden eingehalten.

Gegen 16 Uhr bewegt sich die Demo am Brandenburger Tor  vorbei und steuert auf die nahgelegene russische Botschaft zu. Langsam wird spürbar, dass einigen nach den vielen gelaufenen Kilometern die Füße wehtun, -auch ohne High Heels. Je mehr sich der Zug der russischen Botschaft nähert, umso lauter werden die Buh-Rufe in den Reihen, manche schreien auch einfach: "Gesetz abschaffen!"

"Homo-Hasser, eure Zeit ist zu Ende"

Angekommen vor der Russischen Botschaft mit ihren mächtigen grauen Mauern bildet sich nun nach und nach ein Meer aus Regenbogen-Fahnen, bunten Transparenten und Protestschildern, mit Forderungen wie "STOP HOMOPHOBIA! TEAR DOWN THIS LAW! ", oder "Don’t drink a Coke with Putin". Die Stimmung in der Menge ist nach wie vor entspannt, auch, wenn nun die ersten Regentropfen vom Himmel fallen. Vielleicht ein Zeichen? Wenn ja, dann eines des Willens, denn nicht nur direkt vor der Botschaft kann man kaum noch einen freien Platz ausmachen, auch vor und um die Bühne versammeln sich nach Aufforderung über die Lautsprecher immer mehr Menschen.

 "Wir rufen euch dazu auf, so laut zu schreien, dass die Fensterscheiben der russischen Botschaft klirren", schallt es von der Bühne aus über die Protestierenden, die sich dazu nicht zweimal auffordern lassen. Darauf brandet eine Lärmwelle aus Schreien und Pfiffen an die Botschaftsfassade. Mit seiner markigen Parole "Homo-Hasser eure Zeit ist zu Ende!" leitet Alfonso Pantisano die Podiumsveranstaltung ein und erklärt den gespannt lauschenden Zuhörenden, dass die Idee für diese Veranstaltung gerade einmal vier Wochen zuvor bei einem Spieleabend entstanden war. Unter frenetischen Beifall bedankt sich Pantisano bei Barby Breakout mit den Worten "ohne sie wären wir heute alle nicht hier". Er bezieht sich auf das schockierende Video auf Youtube, in dem sich die Drag Queen vor laufender Kamera den Mund zunähte,  während ihr aus den Lippen das Blut herunter lief.

Die darauf folgende Tonaufnahme wird schon bei ihrer Ankündigung ausgiebig beklatscht. Es ist die Stimme von James Kirchick, einem couragierten Journalisten, der bei Russia Today, einem Pendant zum amerikanischen CNN, über die Missstände der Schwulenszene in Russland bei seinem TV-Auftritt redet. Während einem noch der Satz "I take my two minutes to tell the truth" (deutsch: ich benutze meine zwei Minuten um über die Wahrheit zu reden) im Ohr liegt, steigt der im Prenzlauer Berg wohnende Journalist unter gellendem Beifall auf die Bühne. Auf die Frage, wie er zu einem Boykott der Olympischen Winterspiele steht, antwortet Kirchick direkt und stellt klar, dass dies nicht fair den Athletinnen und Athleten gegenüber wäre. Seiner Meinung nach sollte es einen politischen Boykott der Spiele geben, der Putin mit den anderen Diktatoren dieser Welt alleine dastehen lassen würde.

"Eure Angst ist unsere Angst, eure Wut ist unsere Wut"

Jede Demonstration möchte ein Zeichen setzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Kombiniert wird dies mit der Aufstellung von deutlichen Forderungen, die sich an diesem Samstag Unter den Linden nicht nur an die russische Regierung richten, sondern auch an die Sponsoren, die Funktionäre der Sportverbunde und die Bundesregierung. Die Forderungen der Enough-is-Enough Demo bekommen durch Alfonso Pantisano auf der Tribüne eine starke Stimme und jede seiner Forderungen wird von entsprechend begeisterten bzw. Buh-Rufen begleitet. So stellt der Aktivist klar, dass sich die Verfolgung Homosexueller und die Olympischen Spiele ausschließen. Aber auch das IOC und der Deutsche Sportbund sollten endlich einsehen, dass es so nicht weiter gehen könne. Man müsse endlich verstehen dass Homosexualität keine politische Agenda sei. Die Funktionäre mögen sich einmal das Grundgesetz ansehen und würden dann feststellen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Aber auch die Betroffenen in Russland werden bedacht. "Zuerst ein Gruß nach Russland. Wir wissen genau dass manche Leute ganz genau hingucken, was hier heute passiert. Ihr seid nicht allein. Nicht mit eurer Angst, nicht mit eurer Wut. Denn es ist auch unsere Angst und unsere Wut." Es sind solche Reden, die aus einer wichtigen eine bedeutende Veranstaltung machen, mit Strahlkraft und Zuversicht für andere, sich zu engagieren und ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Mit diesen unmissverständlichen Worten ist nun auch Unbeteiligten um das Geschehen herum klar, dass hier vor der russischen Botschaft eine Protestwelle angestoßen werden soll, die sich nach Wunsch der Organisatoren zum Tsunami entwickeln wird.

Applaus und wehende Fahnen. Indizien für eine gelungene Veranstaltung. Doch was einer Demonstration Authentizität verschafft, ist, denen eine Bühne zu geben, die wahrhaftig von den Umständen in Russland betroffen sind. Diesen Part übernimmt die russische LGTB-Aktivistin Olga Renkova (LGTB = Lesbian, Gay, Bisexual und Trans). Die zierliche Frau mit ihrem kleinen Notizblock in der Hand bringt Ruhe  in die ansonsten laute Veranstaltung, zumindest für einen kurzen Moment. Die deutlichen Worte der St. Petersburgerin kann so jeder Unter den Linden vernehmen. Und so betont die stolze LGTB-Aktivistin ihre Einstellung mit den Sätzen: "Wir machen einfach weiter. Auch, wenn wir in Gefahr stehen, als ausländische Agenten verhaftet zu werden."

Buh-Rufe für Löning

Dass Regierungsvertreter bei vielen Berlinerinnen und Berlinern einen schweren Stand haben, beweist indes auch diese Veranstaltung wieder. So sieht sich Markus Löning (FDP), Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, mit der offenen Ablehnung des Publikums konfrontiert. Als einziger, der sich auf die Anfragen der Organisatoren aus dem politischen Lager gemeldet hatte, solle ihm Respekt gezollt werden, betont Pantisano, der kurz das Mikrophon übernimmt, um die "Buh"-, "Lüge"- und "Sagen sie das Frau Merkel"-Rufe zu unterbinden. Trotzdem gelingt es Löning ,unter mehrheitlichem Applaus von der Bühne zu gehen, nachdem er lobt, dass er es gut fände dass sich so viele Menschen eingefunden hätten und er das auf jeden Fall für seine Arbeit mitnehmen werde.

Grablichter für die Hoffnung

Symbole sind wichtig, um ein bleibendes Bild in den Köpfen der Beteiligten zu hinterlassen. Mit Fackeln und Windlichtern, die zahlreich verteilt werden, findet die Veranstaltung gegen 18 Uhr ihr Ende. So drängen sich die Journalistinnen und Journalisten an die Absperrung, um einen Blick darauf zu bekommen, wie eine der Aktivistinnen einige Kerzen platziert – und das nahezu vor die Tür der Botschaft. Grablichter als Zeichen der Hoffnung und Anteilnahme: Es bleibt zu hoffen, dass die bewegende Demo ihre Wirkung nicht verfehlt und den Betroffenen in Russland Mut macht, weiter für ihre Rechte zu kämpfen.

 

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