Presse- und Blogschau 3.1.-9.1.2013

Rechts vor links in der Kurve +++ Boateng, Italien und die Fifa +++ Gelunger Start für Rettig, Dialog wieder in Gang +++ V-Leute gegen Fußballfans +++ Gute Bengalos, böse Bengalos? +++ Streit um "Kategorie C"-Konzert in Pinneberg +++ Rechter Haken im Boxverein +++ Fußball im KZ +++ Der Fall van der Vaart +++ Gutes West Ham, böses West Ham +++ Energie Cottbus weist Vorwürfe zurück +++ BVB, der Rechtsextremismus und die Medien +++ Wer ist schuld am Tod des Linienrichters?

Die wöchentliche Presse- und Blogschau von fussball-gegen-nazis.de

Rechts vor links in der Kurve

Tipp der Woche: Eurosport-Redakteur Michael Wollny bloggt über die Zusammenhänge zwischen Nazis, Ultras, Verbänden, Innenpolitikern und der Sicherheitsdebatte: "Ultra-Gruppen, die sich mit enormer Zivilcourage in der Kurve gegen Rassismus und Homophobie stellen, stehen mit ihrem aktiven Engagement im Alltag ziemlich allein. Die Mehrzahl der Vereine sowie DFL und DFB begnügen sich mit symbolpolitischen Aktionen, mit wohlgemeinten Sprüchen auf T-Shirts und Werbebanden oder holprig abgelesenen Stadion-Durchsagen der Mannschaftskapitäne. (…) Und somit wird Zivilcourage als Korrektiv für rechtsradikale Strömungen aus den Fankurven gesperrt. Bei aller Hysterie um vermeintliche Stadiongewalt scheint man bei DFL und DFB einfach noch nicht nicht mitbekommen zu haben, dass sich hinter der hübsch gepflegten Event-Fassade längst braune 'Talentscouts' mit klaren Absichten unters Fanvolk gemischt haben. Und so wundert es auch nicht, dass dieser Entwicklung nach einer von Pyrotechnik überhitzen Debatte im anschließenden Sicherheitskonzept kaum Rechnung getragen wird." (Eurosport)

Boateng, Italien und die Fifa

Über die rassistischen Beleidigungen gegen Kevin-Prince Boateng und einige seiner Mitspieler, dessen Abgang vom Platz mitsamt Teamkameraden sowie die Reaktionen darauf, berichtete Fußball-gegen-Nazis.de bereits gestern ausführlich. Nachzutragen bleibt:

Für die meisten im italienischen Fußballgeschäft sind die ständigen Attacken ein Kavaliersdelikt, schreibt die Badische Zeitung. Boateng selbst denkt nach den Vorfall sogar an Abschied aus Italien: "Das geht nicht spurlos an mir vorbei. Ich werde jetzt drei Nächte drüber schlafen und mich nächste Woche mit meinem Berater Roger Wittmann treffen. Dann muss man schauen, ob es weiter Sinn macht, in Italien zu spielen." (Bild.de) Sein Trainer hofft allerdings, dass er bleibt: "Boateng ist glücklich und wird beim AC Milan bleiben, und ich bin noch glücklicher, dass er bleibt", sagte Massimiliano Allegri. Mittlerweile sind die ersten Fans zu einem Stadionverbot von fünf Jahren verurteilt worden. Unter den sechs Männern befindet sich auch ein Lokalpolitiker der norditalienischen Regionalpartei Lega Nord. (Bild.de) Am Dienstag legte ein Sportrichter der Lega Pro fest, der Vereinigung der italienischen Dritt- und Viertligisten, dass der italienische Viertligist Pro Patria nach den rassistischen Vorfällen ein Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen muss. Der Richter hob hervor, dass im Laufe dieser Saison Pro Patria wegen ähnlicher Vorfälle bereits zur Zahlung einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt worden war. (SpOn)

Auch die Nationalmannschaften von Ungarn und Bulgarien sind vom Weltverband Fifa wegen Fehlverhalten ihrer Fans zu Spielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verurteilt worden. In der Qualifikation zur WM 2014 in Brasilien muss Ungarn die Begegnung gegen Rumänien am 22. März ohne Zuschauer bestreiten und umgerechnet etwa 33.000 Euro Strafe zahlen. Bulgarien wird am gleichen Tag gegen Malta vor leeren Rängen spielen und muss rund 29.000 Euro zahlen. Ungarische Anhänger hatten im Länderspiel gegen Israel am 15. August 2012 antisemitische Sprüche skandiert und andere verunglimpfende Symbole gezeigt. Im WM-Qualifikationsspiel zwischen Bulgarien und Dänemark am 12. Oktober war der Däne Patrick Mtiliga von einer Gruppe bulgarischer Fans bei jeder Ballberührung nach dessen Einwechslung in der 54. Minute rassistisch verunglimpft worden.(SpOn) Fans von Pro Patria setzten inzwischen ein Zeichen gegen Rassismus. Auch der neue DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig hat das Verhalten von Kevin-Prince Boateng nach dem Rassismus-Eklat in Italien als vorbildlich gelobt. Das sei ein ein großartiges Zeichen von ihm gewesen, sagte der Funktionär der Deutschen Fußball-Liga. (Süddeutsche)

Gelunger Start für Rettig, Dialog wieder in Gang

Großartig muss man wohl auch den Start von Rettig in seiner neuen Funktion als DFL-Geschäftsführer seit Anfang Januar nennen. Der Spiegel ernennt ihn bereits zum "Großen Kommunikator" und meint, er habe vermutlich "die besten Voraussetzungen, um die Gräben zuzuschütten, die Fans und Verbände zuletzt mit großer Freude gegraben haben". Auch die taz hat mit Rettig gesprochen und entlockt ihm Sätze, die viele aufhorchen lassen: "Nur gemeinsam geht’s. Das gilt sowohl für das Miteinander von DFL und DFB als auch für unser Verhältnis zu den Fans." Auch er fühle sich im Stadion sicher, sagt der frühere Manager des SC Freiburg, des 1. FC Köln und des FC Augsburg. Der Platzsturm von Düsseldorf war ein "Ausdruck von Freude". Er sei froh, "dass es die Ultras gibt".

Ausdruck des kommunikativen Ansatzes: Nach monatelangen Streitigkeiten hat es nun eine erste Annäherung zwischen Fans und Funktionären gegeben. Über zwei Stunden haben sich 20 Fanvertreter, unter ihnen auch einige Ultras, am Dienstag in Frankfurt am Main mit den DFL-Geschäftsführern Christian Seifert und Andreas Rettig ausgetauscht. "Es gab viel Redebedarf und es gibt immer noch viel Redebedarf", sagte Jan-Henrik Gruszecki, Sprecher des Aktionsbündnisses "12:12", und war zugleich optimistisch: "Wir vertrauen Herrn Rettig, dass er es ernst meint mit einem offenen Dialog mit den Fans", so Gruszecki. Rettig kündigte an, dass voraussichtlich Ende März ein weiteres Treffen in dieser Runde stattfinden werde, bei dem die künftige Einbindung von Fanvertretern in den Strukturen von DFB und DFL besprochen werden soll. "Alle beim heutigen Treffen Anwesenden waren sich darüber einig, dass der Austausch notwendig ist, auch weil in vielen Punkten noch Redebedarf bestand und weiterhin besteht", so Rettig. In der DFL-Zentrale waren neben Seifert und Rettig auch Hendrik Große Lefert, der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sowie Sprecher der Fanbeauftragten, der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS), der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte, von "Unsere Kurve", "ProFans", "12:12" und "Kein Zwanni" anwesend. (SpOn, Liga3-online)

NRW: V-Leute gegen Fußballfans

Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat V-Leute in der Fußball-Fanszene eingesetzt. Das bestätigte Innenminister Ralf Jäger nach einer Kleinen Anfrage der Landtagsfraktion der Piratenpartei. “Die Maßnahmen ähneln mittlerweile denen eines Überwachungsstaats”, schreibt Frank Herrmann, Abgeordneter der Piratenfraktion, der Mitte November eine Kleine Anfrage zum Thema an die Landesregierung gestellt hatte. (DerWesten, DLF, Neues Deutschland)

Gute Bengalos, böse Bengalos?

Schanze oder Stadion – offenbar ist Pyrotechnik nicht immer gleich gefährlich. Bei der Vierschanzentournee legen die Berichterstatter eine merkwürdige Doppelmoral an den Tag. Sie erwecken den Eindruck, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. (RP) Fußballfans empören sich in den sozialen Netzwerken, warum hier freundlich belächelt, was in den Fußball-Stadien verteufelt wird. (WDR.de)

Streit um "Kategorie C"-Konzert in Pinneberg

Das Konzert der umstrittenen Band "Kategorie C" im Elmshorner "One" soll ein juristisches Nachspiel haben - aber nicht für den Veranstalter, sondern für die Antifa Pinneberg, die auf das Konzert aufmerksam gemacht hatte. Der Betreiber des "One" sagte gegenüber dem Pinneberger Tageblatt, dass er sich von der Antifa verleumdet fühle. Das St. Pauli-Blog "lichterkarussel" nimmt sich des Konzert ebenfalls an und meint: "Einfach mal vorher fragen".

Rechter Haken im Boxverein

Die taz hat eine Reportage aus Zwickau. Im Zentrum: Frank Hillmer. Er trainiert junge Leute. Ein Kümmerer, Politik ist ihm egal. Dann hieß es, sein Verein sei von Neonazis unterwandert. Die Vorwürfe, sagt er, kamen vor allem wegen eines Mitglieds auf, das "der rechten Szene angehört". Marco H. ist in Zwickau bekannt, weil er hinter dem Laden Eastwear Department steckt. Viele der Marken in seinem Sortiment sind bei Neonazis beliebt, Thor Steinar oder die Zwickauer Labels Brachial und Eastfight. Bei mir trainieren auch sechs Polizisten", sagt Hillmer, "und die trainieren auch mit Herrn H. zusammen." (taz)

Fußball im KZ

Fußball ist ein Massenphänomen - und auch im Nationalsozialismus erfreute er sich großer Beliebtheit. Neuere historische Forschungen zeigen sogar: Selbst in den Konzentrationslagern wurde Fußball gespielt. Für die Häftlinge war er Ablenkung und Bedrohung zugleich. Doch auch die Nazis verbanden mit dem runden Leder ihre ganz eigenen Interessen. (Transparent-Magazin)

Der Fall van der Vaart

Patrick Gensing setzt sich auf Publikative.org mit den Reaktionen auf den Fall van der Vaart auseinander und urteilt: "Doppelmoral statt Doppelpass. 'Ehe-KO' – so lautete beispielsweise eine der geschmacklosen Schlagzeile im Fall des HSV-Profis Rafael van der Vaart. In den folgenden Tagen konzentrierten sich Medien auf Spekulationen, ob der Fußballer wohl eine Affäre gehabt habe und ob sich die Trennung von Sylvie sportlich negativ auswirken könnte. Das Thema häusliche Gewalt spielte hingegen kaum eine Rolle. Jetzt schon." In der am morgigen Donnerstag erscheinenden Ausgabe der Jungle World schreibt Martin Krauß über "Die Banalisierung häuslicher Gewalt des Profi-Fußballers Rafael van der Vaart".

Gutes West Ham, böses West Ham

Während in Deutschland vorwiegend wegen Jakob Augstein über die Top Ten antisemitischer Äußerungen 2012 des Simon Wiesenthal Center diskutiert wird, weist die taz darauf hin, dass der Londoner Klub West Ham United auf dieser Liste höher als Augstein rangiert: Mit ihren Gesängen beim Spiel gegen den Lokalrivalen Tottenham Hotspur, einem Verein, der in dem ehemals stark jüdisch geprägten Londoner Viertel Stamford Hill beheimatet ist, schafften sie es auf Platz vier der SWC-Liste, knapp hinter den ägyptischen Muslimbrüdern und dem iranischen Regime. "Adolf Hitler ist zu euch gekommen" und "Ihr werdet morgen vergast", schallte es den Spurs aus einigen Fansektoren entgegen. Die Geschmacklosigkeit wurde noch übertroffen durch zischende Geräusche, angelehnt an das Rauschen von Gaskammern. (taz) Unterdessen ehrte Queer.de Matt Jarvis mit dem Bild des Tages. Der West-Ham-United-Kicker ist nach David Beckham und Freddie Ljungberg bereits der dritte Erstligist auf dem Cover des britischen Gay-Magazins "Attitude" - mit freiem Oberkörper! In der Titelstory ermuntert der selbst heterosexuelle Flügelspieler seine schwulen Kollegen zum Coming-out. (Queer.de)

Energie Cottbus weist Vorwürfe zurück

Fußball-Zweitligist FC Energie Cottbus hat Vorwürfe der brandenburgischen Verfassungsschutz-Chefin Winfriede Schreiber (siehe Presseschau der vergangenen Woche) zurückgewiesen, wonach der Verein nicht konsequent genug gegen Fans aus der rechtsextremen Szene vorgehe. "Bei einem Treffen vor wenigen Wochen haben wir sie gebeten, uns konkrete Namen, Adressen und Vergehen der betreffenden Personen zu nennen. Sofern wir diese Angaben als Handlungsgrundlage haben, wird derjenige sofort des Stadions verwiesen", erklärte Pressesprecher Lars Töffling am Freitag. (Stern.de) Bei der von Winfriede Schreiber angesprochenen Fangruppe handelt es sich vermutlich um "Inferno Cottbus", wie die Lausitzer Rundschau (LR) berichtet. Die LR hatte bereits im August ausführlich über Verbindungen dieser Gruppe ins rechtsradikale Milieu berichtet. Ein Mitglied gehörte zur 2012 verbotenen neonazistischen "„Widerstandsbewegung Südbrandenburg"“. Bei Auswärtsspielen zeigt "Inferno"“ eine Banner-Parole, die in rechtsradikalen Kreisen als klare Chiffre für Hitler-Begeisterung und Wehrmachtsverehrung gilt. (Lausitzer Rundschau)

BVB, der Rechtsextremismus und die Medien

Zukünftige Fans von Borussia Dortmund werden bei der Betrachtung der Vergangenheit das Jahr 2012 als ein sportlich ruhmreiches Jahr der Vereinsgeschichte bewerten. Andererseits wird sich der ein oder andere Anhänger an die kurveninternen Querelen über den Protest gegen das DFL-Sicherheitskonzept sowie an eine weitere Eintrübung erinnern: Der Entfaltung rechtsextremistischer Aktivitäten sowie deren Thematisierung durch die Medien. (Endstation Rechts, zuerst erschienen bei Fankultur.com)

Wer ist schuld am Tod des Linienrichters?

Tobias Müller fragt in der Jungle World: Wer ist schuld am Tod des Linienrichters Richard Nieuwenhuizen? Vor einem Monat wurde der von jugendlichen Kickern in den Niederlanden totgeprügelt. Seither dreht sich die Debatte, wer schuld sei, im Kreis: der Fußball, die Erziehung oder doch die Ausländer?

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