In mehr als 50 Städten gibt es derzeit Fanprojekte - diese begleiten jugendliche Fußballfans, unterstützen sie bei Problemen und verschaffen ihnen Gehör. Das schätzen die Fans, wie hier in Wolfsburg.
Koordinationsstelle Fanprojekte

„Für die Fanprojekte ist Arbeit gegen Diskriminierung wesentlich“

Fanprojekte sind Einrichtungen der sozialpädagogischen Arbeit mit jugendlichen Fußballfans, die seit 22 Jahren einen maßgeblichen Beitrag zur Bekämpfung von Diskriminierung leisten. Laura Piotrowski hat mit Gerd Wagner von der Koordinationsstelle der Fanprojekte (KOS) darüber gesprochen. Er ist seit 2004 bei der KOS und war schon vorher im sportpädagogischen Bereich tätig.

Eine grundlegende Frage zu Beginn: Was sind „Fanprojekte?

Fanprojekte sind eine besondere Form der Jugend- und Sozialarbeit. Die Projekte sind unabhängige Einrichtungen der Jugendhilfe und zeichnen sich durch einen szenenahen und sozialpädagogischen Zugang zu den aktiven Fanszenen aus. Zielgruppe sind alle Fußballfans zwischen 12 und 27 Jahren unabhängig von Geschlecht und sozialer Schicht. Zentrale Aufgabe der Fanprojekte ist es, jugendliche Fußballfans in ihrer Persönlichkeit zu fördern. Sie sind dabei eine Vermittlungsinstanz zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen Verein, Polizei und den Fußballfans. Es geht in erster Linie darum, den Fans Gehör zu verschaffen und die Interessen der Jugendlichen zu vertreten. Außerdem ist ein Ziel, die positiven Aspekte der Fankultur für die Jugendlichen herauszuarbeiten. Fanprojekte sind übrigens nicht an Profivereine gebunden, sondern existieren in den Städten mit einem hohen Fanaufkommen durch Traditionsvereine, wie zum Beispiel FSV Zwickau oder auch Kickers Offenbach.

Seit wann und warum gibt es Fanprojekte in Deutschland?

1981 wurde in Bremen das erste Fanprojekt als Reaktion auf gewalttätige und rassistische Vorfälle in Fußballstadien gegründet. Damals bestand die Reaktion von Vereinen und Verbänden aber auch seitens der Politik auf diese Situation in erster Linie darin, Strafen auszusprechen, Restriktionen, die das eigentliche Problem aber nicht lösen konnten. Es zeigte sich einmal mehr, dass um sich greifende Gewalt gesellschaftliche Ursachen hat, die sich im Stadion nur wieder spiegelten. Es wurde klar, dass der Fokus auf die Probleme der jugendlichen Fans gerichtet werden muss und Prävention eine größere Rolle spielen sollte. Negativer Höhepunkt zu der Zeit war der tragische Tod von Adrian Maleika, der bei Auseinandersetzungen zwischen Bremer und Hamburger Fußballfans ums Leben kam. Die Politik musste nun reagieren und beschloss gemeinsam mit dem Fußball 1992 das Nationale Konzept Sport und Sicherheit (NKSS), das die Grundlage für die Fanarbeit bildet. Im NKSS wurden die politischen und strukturellen Rahmenbedingungen festgelegt und Fanarbeit auf zwei Säulen verankert. Einerseits die Arbeit der Fanbeauftragten bei den Vereinen, die sich besonders am Spieltag um die Fans und ihre Belange kümmern. Andererseits die Fanprojekte als Einrichtungen der Jugendarbeit, die sich auch zwischen den Spieltagen besonders mit den Problemen der Jugendlichen beschäftigen. Sie aber auch in ihrem positiven Engagement stärken oder Fangruppen unterstützen können.

Wie setzen sich die Fanprojekte gegen Diskriminierung ein?

Die Arbeit gegen Diskriminierung ist für die Fanprojekte ein wesentliches Aufgabenfeld, das wir aber nicht ohne die Fans denken wollen und können. Die Fans sind dabei immer die Träger der Aktivitäten und wir unterstützen sie dabei. Das kann in den Fanprojekten ganz unterschiedlich erfolgen, aber ich nenne zwei Beispiele. Das Fanprojekt Frankfurt lobt seit drei Jahren den „im-gedächtnis-bleiben“-Preis aus. Für den können sich Initiativen, Projekte, Vereine oder auch Einzelpersonen bewerben, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus oder gegen jegliche Form der Diskriminierung engagieren. Angefangen hatte alles mit einer Idee von Fans der Frankfurter Eintracht, die gemeinsam mit dem Fanprojekt die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz und Birkenau besuchten. Diese Idee wurde zu Recht 2012 mit dem „Julius Hirsch Preis“ des DFB ausgezeichnet. Ein Teil des Preisgeldes wurde dann dazu genutzt, einen eigenen Preis auszuloben. Zum Beispiel gestalteten Jugendliche eine Hauswand mit dem Konterfei des ehemaligen Frankfurter Fußballspielers Anthony Yeboah und dem Spruch „Wir schämen uns für alle, die gegen uns schreien“. Yeboah kickte Anfang der 1990er in Frankfurt und war massiven rassistischen Anfeindungen ausgesetzt.

Oder in Halle organisierte das Fanprojekt eine Israel Reise mit Jugendlichen. Die Gruppe war sehr heterogen, es waren u.a. auch Jugendliche mit Tendenz zu rechten Einstellungen dabei. Die besondere Leistung des Fanprojekts ist zum einen, diese Jugendlichen zu erreichen und zum anderen, das Vertrauen von ihnen zu gewinnen. Zurück in Halle berichteten die Jugendlichen über ihre Erfahrungen an Jene aus der Fanszene, die nicht mitgereist waren. Das zieht natürlich weite Kreise. Und hier wirkt ein pädagogischer Leitsatz: Belehrung kommt gegen Erfahrung nicht an.

Gleichwohl zeigt sich hier auch ein Spagat der Fanprojekte, wenn sie mit rechtsoffenen Jugendlichen arbeiten müssen?

Ja. Die besondere Hausforderung für die Fanprojekte besteht nach meiner Auffassung darin, dass sie sich keinen Zugang zu irgendeiner Gruppe verbauen dürfen, sie müssen, wie wir das nennen, moderationsfähig bleiben. Es geht ja in der Fanarbeit darum, durch das Akzeptieren der Person oder einzelner Gruppen eine belastbare Beziehung aufzubauen und so auch inhaltliche Auseinandersetzungen zu ermöglichen. Das bedeutet nicht, mit ihren Ansichten einverstanden zu sein. Fanprojekte müssen ein klares Profil zeigen und deutlich machen, dass sie gegen jegliche Diskriminierung, für Gleichberechtigung und demokratische Werte einstehen. Das ist gerade gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen wichtig, deren Persönlichkeitsbild noch nicht so gefestigt ist. Theoretisch klingt das sehr gut, aber in der praktischen Arbeit ist es alles andere als einfach. In dem Moment, wo es in der Szene echte Konflikte um die Hegemonie in der Kurve gibt, gerät auch das Fanprojekt zwischen die Fronten – das haben einige Beispiele gezeigt. Und zwar sowohl innerhalb der Fanszene als auch durch die öffentliche Berichterstattung. Gleichzeitig genießen die Fanprojekte in den jeweiligen Fanszenen eine hohe Akzeptanz, sie sind nahe dran an der Lebenswelt der Fans und haben somit beste Voraussetzungen, langfristig erfolgreich zu wirken.

Was hat sich seit der Einführung von Fanprojekten in den deutschen Fanszenen in Bezug auf den geforderten Abbau von extremistischen Gesinnungen verändert?

Im Vergleich zu den 1980er-Jahren hat sich die Situation bezogen auf rassistische und diskriminierende Vorfälle in den Stadien wesentlich verbessert. Auch wenn Menschen mit rechtsextremen Einstellungen nicht aus den Stadien verschwunden sind, hat die Arbeit der inzwischen 55 Fanprojekte in Deutschland einen großen Anteil daran, die positiven Kräfte der Fankultur zu unterstützen und insbesondere die jüngeren Fans durch vielfältige und kreative Aktivtäten gegen jegliche Form von Diskriminierung zu sensibilisieren. An den Veränderungen hat natürlich auch die Ultrabewegung einen großen Anteil, die die vormals dominierende rechte Hooliganszene aus den Fankurven verdrängt hat. Die Ultras haben neue und andere Werte mit ins Stadion gebracht, antirassistische Einstellungen. Die Fanprojekte haben sie dabei gestärkt und ihnen Gehör verschafft. Das Auftreten von offen gezeigten Rassismus ist wesentlich zurückgegangen. Dennoch darf nicht verschwiegen werden, dass es besonders gegenüber anderen Diskriminierungsformen im Fußballsport wie Homophobie und Sexismus weniger Aufmerksamkeit gibt und hier noch Handlungsbedarf besteht.

Was wären Eure Forderungen, um weiterhin eine erfolgreiche Arbeit zu leisten?

Wir wünschen uns die notwendige Anerkennung unserer Arbeit. Die Fülle der Aufgaben der Fanprojekte bedarf längerfristig sicherer und verlässlicher Rahmenbedingungen, wenn man das Verhältnis der zu bearbeitenden Herausforderungen und der möglichen Abdeckung von den MitarbeiterInnen in den Fanprojekten betrachtet. Wir würden uns wünschen, dass die Bedeutung dieser Arbeit sich auch in einer verbesserten Finanzierung durch die Öffentliche Hand niederschlägt.

Dabei ist uns bewusst, dass wir die gesellschaftlichen Probleme von Gewalt und Diskriminierung nicht allein lösen können, aber wir und die Fanprojekte leisten im Fußballbereich und darüber hinaus einen wichtigen Beitrag.

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