Die Chronik für 2013 zeigt: Diskriminierung und rechte Gewalt sind im deutschen Fußball nach wie vor ein Problem.
Flickr/cc-Lizenz/straßenstriche

Diskriminierung im deutschen Fußball 2013 – Eine Bilanz

Für das Jahr 2013 hat die Redaktion von fussball-gegen-nazis.de insgesamt 59 Vorfälle im deutschen Fußball gezählt, bei denen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie eine Rolle spielten. Das bedeutet, dass es häufiger als einmal pro Woche zu einem Zwischenfall kommt. Die Bandbreite reicht dabei von rassistischen Beleidigungen und volksverhetzenden Parolen bis hin zum Einsatz massiver physischer Gewalt. Unsere Zählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt.

Von Joschka Fröschner

Im vergangenen Jahr sorgten Übergriffe von Rechtsextremen im Fußball wiederholt für Schlagzeilen. Bereits im Frühjahr diesen Jahres beispielsweise erklärte die antirassistische Fangruppierung "Aachen Ultras" ihren Rückzug aus dem Stadion, nachdem sie monatelang von Rechtsextremen aus dem Umfeld der "Karlsbande" gejagt, bedroht und verprügelt wurde – ohne dass Verein, Stadt oder Polizei Maßnahmen gegen die rechte Gewalt ergriffen hätten, so der  Vorwurf der Fans. Nachdem dieser Fall zunächst als bloßer Konflikt zwischen Fangruppen behandelt wurde, lässt sich im Rückblick auf 2013 feststellen, dass die Zwischenfälle in Aachen Teil einer breiteren Dynamik sind:  Rechtsextreme drängen zurück in die Stadien.

Erschreckend hoher Anteil von antisemitischen Vorfällen

Von den insgesamt 59 Zwischenfällen, deren Dokumentation größtenteils auf Zeitungsrecherchen beruht, sind 49 Prozent als rechtsextrem einzuordnen – hierzu gehören beispielsweise das Zeigen des Hitlergrußes oder Angriffe auf linke Fans durch rechte Fangruppierungen unter Beteiligung von Nazi-Kadern, wie in Duisburg. Antisemitische Vorfälle nehmen in unserer Chronik mit einem Anteil von 30 Prozent eine besorgniserregend hohe Stellung ein. Dabei scheint sich auch das sogenannte "U-Bahn"- Lied in deutschen Stadien immer noch größter "Beliebtheit" zu erfreuen. Erschreckend ist auch, dass antisemitische Beschimpfungen nicht selten mit der Ausübung physischer Gewalt einhergehen. In Halle etwa wurden Fans von Halle 96 als "Juden" bezeichnet, während sie verprügelt wurden. 27 Prozent der von uns gezählten Fälle wiesen rassistische Merkmale auf, hier waren häufig nicht-weiße Spieler und Offizielle Opfer von Beschimpfungen, wie etwa der Ingolstadt-Profi Danny da Costa.  Homophobe Zwischenfälle wurden dieses Jahr erstaunlich wenig gezählt, sie machen nur knapp 7% der Gesamtzahl aus. Hier ist unserer Meinung nach aber von einer größeren Dunkelziffer auszugehen, da die Sensibilisierung für diese Problematik, trotz lobenswerter Initiativen, immer noch gering ist. So werden homophobe Beschimpfungen oft nicht dokumentiert, da unter Fans, Spielern und Offiziellen ein heterosexuelles Männlichkeitsbild als Norm vorherrscht und homophobe Beleidigungen deshalb nicht als solche wahrgenommen werden. Bei unserer Einordnung der Fälle waren Mehrfachnennungen möglich, da verschiedene Diskriminierungsformen oft miteinander verschränkt auftreten - es dürfte wenig überraschen, dass Rechtsextreme oft sowohl auf antisemitische als auch auf rassistische Beschimpfungen zurückgreifen. Von den in unserer Chronik dokumentierten Fällen sind 56% als Beleidigungen und Beschimpfungen einzuordnen. 37 Prozent waren Propagandadelikte, in 22 Prozent der von uns gezählten  Zwischenfälle wurde physische Gewalt eingesetzt.

Problemzone Amateurbereich?

Die größte Anzahl von Fällen (fast 34 Prozent) haben wir im Amateurbereich gezählt. Dort ist es besonders häufig zu Zwischenfällen gekommen, bei denen Spieler und Offizielle selbst beteiligt waren, sei es als Täter oder als Opfer von Beschimpfungen durch Zuschauer_Innen. Exemplarisch sei hier ein Fall aus der Bezirksliga Hochrhein genannt, bei dem der kubanische Torhüter des SV Nollingen von Zuschauern fortwährend rassistisch beleidigt wurde. Die Dokumentation von rassistischen oder rechtsextremen Übergriffen auf dem Platz ist dabei besonders schwierig, da dort oft  die Aussage des Opfers gegen die des Täters steht. Der Nachweis solcher Zwischenfälle wird nahezu unmöglich, wenn Schiedsrichter_Innen Vorfälle nicht im Spielbericht vermerken. Dementsprechend ist auch im Amateurbereich von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Deswegen sind aus unserer Sicht die Sensibilisierung und Fortbildung von Schiedsrichter_Innen im Themenbereich Rassismus und Rechtsextremismus unerlässlich. Wegen der schwierigen Beweislage und mangelnder Berichterstattung durch die Presse im unterklassigen Fußball haben wir auch Fälle gezählt, bei denen Vorwürfe von Rassismus oder Rechtsextremismus nicht gerichtskräftig bestätigt wurden. Ebenso zentral für das Sichtbarmachen dieser Vorfälle ist somit eine für die Problematik sensibilisierte Lokalpresse. Gerade eine regelmäßige Berichterstattung über und gesteigerte Aufmerksamkeit für rassistische Übergriffe kann sowohl den Opfern die Möglichkeit geben, sich gegen derartige Beschimpfungen zu wehren, als auch vorbeugend und abschreckend wirken. Relativiert wird die hohe Anzahl der Zwischenfälle aber natürlich auch durch die große Anzahl unterschiedlicher Ligen und ausgetragener Spiele im Amateurbereich. Besondere Aufmerksamkeit verdient aber auch der Fakt, dass ein Großteil der Zwischenfälle im Profibereich im Allgemeinen (45 %) und in der 1. Bundesliga im Speziellen (22%) gezählt wurden. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind somit keinesfalls ein Problem allein der unteren Ligen, wie oft und gerne behauptet wird. Hier verschieben sich im Vergleich zum Amateurbereich allerdings die Konfliktparteien. Im Profifußball kam es in erster Linie zu Übergriffen an denen  Fans beteiligt waren- sei es durch das Rufen von antisemitischen Parolen im Fanblock oder in Auseinandersetzungen mit Fangruppen anderer Vereine. Dabei ist selbstverständlich zu erwähnen, dass sowohl das hohe Fanaufkommen im Profifußball, als auch die größere Aufmerksamkeit der Presse es erst möglich gemacht hat, diese Fälle zu dokumentieren.

Nordrhein-Westfalen führt Statistik an

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass sämtliche Ligen und Regionen von der Problematik Neonazismus und Rassismus betroffen sind. Für 2013 muss auch darauf hingewiesen werden, dass Ostdeutschland keinesfalls den Schwerpunkt rechtsextremer Aktivitäten im Fußball bildete. Nach Nordrhein- Westfalen und Bayern liegt Sachsen nach der Anzahl der Fälle auf dem dritten Platz. Bei unserer Zuordnung der Zwischenfälle nach Bundesländern und Regionen war für uns nicht der konkrete Ort, an dem sich diese ereigneten, maßgeblich, sondern die Herkunft des auffällig gewordenen Vereins beziehungsweise seiner Anhänger_Innen. Nur so kann  unserer Auffassung nach genauer abgebildet werden, aus welchen Regionen die Fans kommen, die sich an rassistischen, neonazistischen oder antisemitischen Übergriffen beteiligen. Von allen Bundesländern führt Nordrhein- Westfalen die Statistik mit weitem Vorsprung an. Hier kam es zu 33,9 %  aller 2013 von uns gezählten Vorfälle. Dies mag zum einen auch an der hohen Aufmerksamkeit der lokalen Presse liegen, zum anderen ist aber natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass eine Vielzahl von Vereinen aus Nordrhein-Westfalen mit neonazistischen Umtrieben zu kämpfen haben. Genannt seien hier  Borussia Dortmund, Alemannia Aachen, MSV Duisburg, und Rot Weiß Essen.

Auf rechte Umtriebe hinweisen

Eine hohe Anzahl von dokumentierten rechtsextremen Angriffen oder Propagandadelikten kann auch darauf zurückzuführen sein kann, dass andere Fans oder der Verein selbst sich gegen derartige Aktivitäten wehren. So wurden beispielsweise rassistische und rechtsextreme Parolen im Block von 1860 München während eines Auswärtsspiels in Duisburg erst dadurch öffentlich, dass das Bündnis "Löwenfans gegen Rechts" darüber berichtete. 2013 hat darüber hinaus gezeigt, dass sich Fans und Offizielle, die sich gegen Rechts positionieren, der Gefahr von Übergriffen von militanten Neonazis aussetzen. Dies geschah auch bei Borussia Dortmund, wo Fanbetreuer beim Auswärtsspiel in Donezk Opfer massiver körperlicher Angriffe von Neonazis wurden, die sie unter den Rufen "Dortmund bleibt Rechts!" mit Schlägen traktierten. Vergleichbares ereignete sich auch in Duisburg, Braunschweig und Aachen. Eine hohe Anzahl dokumentierter rechtsextremer Handlungen kann also zum einen auf ein existentes Problem mit Neonazis hinweisen, zum anderen aber auch auf eine sensibilisierte Fangemeinschaft. Wo Rechte ungestört agitieren können, ohne dass jemand Widerspruch erhebt, wird dieser Zustand für die Presse unsichtbar – und für Nicht-weiße und Andersdenkende gefährlich.

Es gibt viel zu tun

Auch Ende 2013 lässt sich keine Abnahme rechtsextremer Aktivitäten, antisemitischen Beleidigungen oder rassistischer Diskriminierungen im deutschen Fußball feststellen. So gingen in der vergangenen Woche Spieler des Rheinland-Pfälzischen Bezirksklasse-Vereins FV Budenheim mit einem Brief an die Öffentlichkeit, in dem sie ihrem Trainer vorwarfen, nach rassistischen Gesichtspunkten aufzustellen. Und in der Stadtliga in Halle zeigte ein Spieler kürzlich auf dem Platz den Hitlergruß. Beim Auswärtsspiel des BVB in Mainz machte außerdem die mittlerweile wieder im Stadion präsente rechte Hooligangruppierung "Borussenfront" mit dem Singen antisemitischer Lieder auf sich aufmerksam. Mit Blick auf 2014 sollte auch noch einmal hervorgehoben werden, dass auch beim Auswärtsspiel der deutschen Nationalelf in Schweden Anhänger mit Hitlergrüßen und Nazi-Liedern auffällig wurden. Vor der WM in Brasilien ist es also wichtig, auch in dieser Hinsicht tätig zu werden. Es gibt also auf allen Ebenen viel zu tun.

Die gesamte Chronik für 2013 ist untenstehend im pdf-Format herunterladbar.

Die Zahlen:

Zwischenfälle gesamt: 59

Davon (in Prozent):

1. Bundesliga: 22 %

2. Bundesliga: 13,6 %

3. Liga: 10,2 %

Regionalligen: 15,3 %

Amateurbereich: 33,9 %

Jugendbereich, Nationalelf, Sonstige: jeweils 1,7%

Art der Zwischenfälle (Mehrfachnennung möglich, in Prozent):

Rechtsextrem: 49,2 %

Antisemitisch: 30,5 %

Rassistisch: 27,1 %

Homophob: 6,8 %

Grauzone: 3,4 %

Qualität der Zwischenfälle (Mehrfachnennung möglich, in Prozent):

Beleidigungen: 55,9 %

Propaganda: 37, 1%

Gewalt: 22 %

Bedrohung: 11,9%

Sonstiges: 6,8 %

Beteiligte (in Prozent):

Fans untereinander: 55,7 %

Fans gegen Spieler/ Offizielle: 18 %

Spieler/ Offizielle gegen Spieler/ Offizielle: 13,1%

Andere: 9,8%

Fans gegen Polizei/ Justiz: 3,3%

drucken