Abschied: Die Aachen Ultras bei dem Spiel in Köln, 13.1.2013
Jan Tölva

"Es lohnt sich, andere Fans zu bedrohen, zu jagen und zu verprügeln": Aachen Ultras am Ende

Es wurde schon länger darüber gemunkelt, nun war es soweit: Die antirassistischen Aachen Ultras (ACU) haben endgültig resigniert in ihrem Kampf gegen Nazis, Rassisten und Sexisten in der Fanszene der Alemannia. Sie fühlen sich alleingelassen – vom Verein, den Spielern, anderen Fans. Sie wurden angegriffen, verprügelt, beschimpft. Am Sonntag haben sie das letzte Mal als Gruppe ein Spiel des insolvenzbedrohten Drittligisten besucht. Ein Überblick über Berichte und Reaktionen.

Von der Redaktion

Bernd Schwickerath auf Spiegel online war wohl der erste, der überregional davon berichtete. Ausführlich zeichnete er noch einmal die Vorgeschichte und die Ereignisse vom Sonntag nach, es kommen zu Wort der Fanbeauftragte, die Fanprojektleiterin, die ACU, Fanforscher und BAFF-Sprecher: "Die 'Aachen Ultras' wurden bedroht, gejagt und verprügelt (...) Der Alemannia-Fanclub fühlte sich vom Verein im Stich gelassen und hilflos den rechtsorientierten Aachen-Anhängern "Karlsbande Ultras" ausgesetzt. Ein deutschlandweit einmaliger Vorgang. (…) Es hätte aufregendere Orte für den finalen Akt dieses zweieinhalbjährigen Schauspiels geben können als das Kölner Flughafenstadion an einem kalten Januartag. Nicht einmal 3000 Zuschauer sind gekommen, um das Zweitrundenspiel im Mittelrheinpokal der heimischen Viktoria gegen die Alemannia (2:5 nach Elfmeterschießen) zu sehen. Doch bis zum ersten Ligaspiel im neuen Jahr in zwei Wochen wollte der antifaschistische Teil der Aachener Ultraszene nicht mehr warten. Zu oft wurden die ACU wegen ihrer Ideale körperlich angegriffen, zu selten bekamen sie Unterstützung vom Verein, dem Fanprojekt und den übrigen Fans. (…) Fanforscher Gerd Dembowski steht am Rand des Blocks und spricht von 'einem schwarzen Tag für die demokratischen Verhältnisse'. Martin Endemann vom 'Bündnis Aktiver Fußball-Fans' (BAFF) wählt ähnliche Worte. Am Beispiel Aachen könne man gut sehen, was passiert, wenn einer Gruppe, die sich offen gegen rechts positioniert, niemand zur Hilfe kommt. 'Sie geben auf, und das kann ich gut verstehen', sagt Endemann, der kritisch in die Zukunft blickt: 'Hier wird ein erschreckendes Signal gesendet: Es lohnt sich, andere Fans zu bedrohen, zu jagen und zu verprügeln.' (Spiegel online)

Oliver Schmetz berichtet in der Aachener Zeitung ebenfalls von de Ereignissen am Sonntag und lässt unter anderem den Aachener Politikwissenschaftler Richard Gebhard zu Wort kommen: "Vorher halten die ACU-Mitglieder auch das Banner 'Alemanniafans gegen Alemanniafans' in die Höhe – eine treffendere Bezeichnung der Zustände in der Aachener Fans-Szene gibt wohl kaum. Denn seit die 'Aachen Ultras' offen gegen Neonazis im Stadion Position beziehen, sind sie gewaltsamen Übergriffen der teils rechtsradikal unterwanderten 'Karlsbande Ultras' (KBU) ausgesetzt – zuletzt im November nach dem Spiel in Stuttgart, als auf dem Rastplatz Pforzheim die Insassen eines Pkw attackiert wurden. Die Polizei, die die Täterschaft in der weit überwiegenden Zahl der Fälle der KBU zuweist, sprach damals 46 befristete Stadionverbote aus. Dass das Banner einen traurigen Ist-Zustand beschreibt, zeigt sich auch beim Spiel in Köln. Weil sie sich offenbar von der Aktion provoziert fühlen, stürmen während des Elfmeterschießens aus dem KBU-Block etwa 30 Leute hinüber zum ACU-Block. Einige klettern auf den Trennzaun, es fliegen Knallkörper, Feuerzeuge und Becher in Richtung ACU. Aus deren Reihen laufen einige Vermummte in Richtung Zaun und werfen mit Fahnenstangen aus Kunststoff. Nach kurzer Zeit unterbindet die Kölner Polizei den Konflikt, indem sie in den ACU-Block eindringt – eine 'einseitige' Aktion gegen diejenigen, die reagiert haben, wie das der Aachener Politikwissenschaftler Richard Gebhard empfindet, der selbst im Stadion ist." (Aachener Zeitung)

Unter der Überschrift "Rassismus ist ein Problem der 'Mitte'" diskutiert Hugo Kaufmann vom Blog "lichterkarussell" den Zusammenhang zwischen den Geschehnissen bei Alemannia Aachen und der Extremismustheorie: "Rassismus ist ein Problem der 'Mitte' und muss als solches auch von dieser bekämpft werden. Die Extremismustheorie ist für vieles gut, nur nicht dazu, die Realität adäquat zu erfassen. Man spricht dort von einer demokratischen Mitte, die nicht näher definiert wird und von extremistischen Rändern, die sich, wie bei einem Hufeisen ganz weit von dieser Mitte entfernen und doch ganz nah beieinander liegen. Eine besondere Nähe war zwischen der irgendwie linken ACU und der 'unpolitischen' Karlsbande nicht gerade zu spüren. Im Gegenteil, die große Gruppe, die sich gegen emanzipatorische Ansätze entschied und sich von ACU als Karlsbande abspaltete (ähnlich Cattiva / Ultras Braunschweig) firmierte zwar als 'unpolitisch', doch wie so oft in solchen Fällen gab es enge Verknüpfungen ins Milieu der extremen Rechten. Wenngleich die Karlsbande aus ACU hervorgegangen ist, ist sie die größte Ultragruppierung am Aachener Tivoli. Zuletzt wurde der Konflikt zwischen beiden Gruppen immer häufiger medial rezipiert. Doch selbst die geschaffene Öffentlichkeit vermochte nicht mehr zu helfen." (lichterkarussell)

Christian Spiller sagt auf ZEIT online: "Die Aachen Ultras haben sich aufgelöst, weil sie von Rechtsextremen gejagt wurden." Nun brauche es unter Fans einen ähnlichen Aufschrei wie Ende des vergangenen Jahres, denn: "Nazis sind gefährlicher als Nacktkontrollen". (ZEIT online)

Am Montag veröffentlicht der Verein Alemannia Aachen eine eigene Stellungnahme: "Alemannia Aachen hat sich in der Vergangenheit klar gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt positioniert und wird dies auch künftig tun. Wer dagegen verstößt, kann kein Fan der Alemannia sein und schadet dem Verein. Der Vorwurf der Fan-Gruppe AC Ultras, angeblich vom Verein nicht unterstützt worden zu sein, kann nicht nachvollzogen werden, denn der Verein hat den Ultras verschiedene Unterstützung – zum Beispiel in Form von kostenlosen Räumlichkeiten, dem gewünschten Block im Stadion inklusive Umbau mit zusätzlichen Wellenbrechern, Parkausweisen, Begleitung von Auswärtsspielen durch eigenen Ordnungsdienst etc. – zukommen lassen. Der Verein ist – soweit es in seiner Macht steht - gegen Rechtsextremismus und Gewalt vorgegangen und hat zum Beispiel zahlreiche Stadionverbote ausgesprochen, die Stadionordnung angepasst sowie Materialverbote ausgesprochen. Darüber hinaus wurde vielfach von der Alemannia sowie anderen Fanklubs versucht, zwischen den einzelnen Gruppen zu vermitteln. Die aktuelle Auseinandersetzung beim Spiel bei Viktoria Köln wird vom Verein genau untersucht. Sollten gewaltbereite Randalierer ausfindig gemacht werden, wird der Verein entsprechend seinen Möglichkeiten reagieren. (Alemannia-Website)

Demgegenüber fordert der Fussball-gegen-Nazis.de-Partner Bündnis Aktiver FußballFans (BAFF) in einer Pressemitteilung "den Verein Alemannia Aachen auf, endlich seinen Lippenbekenntnissen Taten folgen zu lassen und ein engagiertes Vorgehen gegen rechtsradikale und faschistische Gruppen im Stadion zu entwickeln!" Weiter heißt es: "BAFF erklärt sich solidarisch mit der Gruppe Aachen Ultras und bedankt sich für die aufopferungsvolle und mutige Unterstützung im Kampf für einen diskriminierungsfreien Fußball." (BAFF-Website)

Auch die "FUSSBALL-FANS GEGEN RECHTS" (ebenfalls Partner von Fussball-gegen-Nazis.de) fordern "Konsequenzen, ein entschlossenes Vorgehen und ein deutliches Zeichen GEGEN RECHTS von Alemannia Aachen!" (FFGR-Facebookseite)

Ron Ulrich bringt bei "11 Freunde" auch Zitate von ACU: "Ein langjähriges Mitglied der 'Aachen Ultras', das anonym bleiben will, erklärt den Schritt gegenüber 11FREUNDE so: 'Wir haben sehr viel Solidarität von außerhalb erfahren, aber in Aachen waren wir die Gejagten und Geächteten.' Dabei hätten die Übergriffe nicht nur an den Spieltagen stattgefunden, die Mitglieder fürchteten auch unter der Woche um ihre Sicherheit. 'Selbst bei privaten Treffen in der Stadt wurden wir angegriffen. Das führte dazu, dass man nie alleine das Haus verlassen konnte.'" (11Freunde.de)

Blogger und Fussball-gegen-Nazis.de-Autor Jan Tölva, der selber am Sonntag vor Ort war kommentiert: "Gut zwei Tage sind vergangen seit den Ereignissen von Köln und noch immer schüttel ich unwillkürlich mit dem Kopf, wennich daran denke, was ich dort erlebt habe." Es schockiere und verstöre ihn, schreibt Tölva, "was in Aachen als 'zu links' gesehen wird. Gemessen an dem nach außen kommunizierten Politikverständnis der Alemannia und ihrer Fanszene dürfte selbst die CDU zeitweise nur knapp am Verdacht des Kommunismus vorbeischrammen, denn was von ACU und deren Unterstützer_innen gefordert wird, ist in den allermeisten Fällen nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung geltender Andiskriminierungsgesetze und die Gewährung der im Grundgesetz festgehaltenen Rechte auf Unverletzlichkeit der menschlichen Würde und körperliche Unversehrtheit. Wenn nicht einmal darüber Konsens herrschen kann, dann ist es wahrscheinlich wirklich für jegliche positive Intervention zu spät." (Jan Tölva Blog)

Fussball-gegen-Nazis.de-Redakteur André Anchuelo hatte bereits vor dem Spiel am Sonntag in der Jungle World allgemeinere Betrachtungen angestellt: "Die Ultra-Bewegung im deutschen Fußball bekommt immer mehr Gegenwind von anderen Fangruppen. Für den Kampf gegen Nazis in den Kurven ist das keine gute Nachricht." (Jungle World)

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