Aktion Libero

Blogs gegen Homophobie im Fußball

Heute vor einem Jahr startete die "Aktion Libero - Sportblogs gegen Homophobie im Fußball". Am morgigen 17. November veranstaltet die Kampagne eine Diskussionsveranstaltung zum Thema "Fußball und Homosexualität – die Rolle der Medien". Ein "Aktion Libero"-Mitinitiator blickt zurück auf Schwierigkeiten und Erfolge.

Von Heinz Kamke

Vor einem Jahr war ich nicht sonderlich entspannt. Wir hatten gerade die Katze aus dem Sack gelassen, die den geneigten Leserinnen und Lesern vermittelte, was es mit der "Aktion Libero" auf sich hat. Nachdem wir zuvor nicht gänzlich erfolglos die Social-Media-Klaviatur gespielt und eine gewisse Erwartungshaltung geschürt hatten. Will sagen: Ein wenig Unmut hatte sich breitgemacht, erste Erinnerungen an das vor einigen Jahren nervende Fragezeichen auf der Dortmunder Brust waren laut geworden.

Vielleicht darf ich mich an dieser Stelle kurz selbst zitieren:

"Wie jetzt, das war’'? Dafür machen die so einen Aufstand? Twittern wochenlang geheimnisumwoben, tun so, als wollten sie das Rad neu erfinden, oder erwecken zumindest den Eindruck, als hätten sie irgendwas Bahnbrechendes entwickelt [...]. Und dann lüften sie den Schleier, nicht ohne in den Tagen zuvor nochmal so richtig penetrant die Werbetrommel gerührt zu haben, und heraus kommt – was? Ein Statement gegen Homophobie im Fußball? Eine Selbstverständlichkeit also, in der fünfzigsten Auflage? Mannmannmann, die müssen Zeit haben! Ist das wirklich alles? Dafür der ganze Aufwand?"

So stand es am 16. November 2011, als die "Aktion Libero" aus dem Kleiderschrank trat, drüben in meinem Blog, und es war kein bisschen übertrieben. Ich hatte tatsächlich die Sorge, wir hätten überzogen, hätten viel zu hohe Erwartungen geschürt, die wir niemals zu erfüllen in der Lage wären.

Überwältigende Reaktion

Umso überraschter war ich, waren vielleicht wir alle, von der überwältigenden Reaktion in Blogs, bei Twitter und Facebook, zum Teil gar in den klassischen Medien. Selten war ich Teil einer Initiative gewesen, die so viel öffentlichen Zuspruch erfuhr, selten hatte ich aber auch dieses ausgeprägte Gefühl gehabt – nun noch wesentlich stärker als während der vorangegangenen Geheimniskrämerei –, von derart hohen Erwartungen begleitet zu werden.

Dabei wussten wir alle, dass wir die Welt nicht auf einen Schlag verändern würden. Vermutlich würden wir sie gar nicht verändern. War auch nicht unser Anspruch. Wir wollten schlichtweg unserer Haltung zu Homophobie (nicht nur) im Fußball Ausdruck verleihen, wollten dem einen oder der anderen nicht einmal eine Plattform, sondern vielmehr einen Anlass bieten, sich klar zu äußern, sich gegen schwulen- und lesbenfeindliche Parolen ebenso wie gegen die latente, unterschwellige, "kleine" Homophobie zu positionieren, wie wir sie alle immer wieder im Umfeld des Fußballs erleben.

Aus meiner Sicht hat das ganz gut geklappt. Natürlich gab es Anlass zu Kritik. Am Logo. Am Aktionstext. An der Kommunikation im Vorfeld. An der Heimlichtuerei oder daran, dass nur einige Eingeweihte von Anfang an dabei sein konnten. An den prominenten Unterstützerinnen und Unterstützern. Manche Kritikpunkte hatten wir erwartet, andere nicht, einiges hielten wir für völlig berechtigt, anderes etwas weniger. Die Diskussionen, die darüber geführt wurden, waren – so ist es halt, dieses Internet – nicht immer leicht zu bündeln, zu den Punkten, die uns erreichten, nahmen wir zumeist Stellung, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können. Manches würden wir heute anders machen, einiges bestimmt auch besser, und doch: Es war gut, wie es war. Finde ich.

Hohe Erwartungen

Ich hatte von hohen Erwartungen gesprochen. Zumindest hatte ich sie so wahrgenommen. Hohe Erwartungen dahingehend, was diese "Aktion Libero", die von so vielen Leuten begrüßt, zum Teil auch bejubelt worden war, nach ihrem durchaus bemerkenswerten Aktionstag denn noch so in petto habe. Hatte sie gar nicht. Sie hatte eine Idee, wofür sie sich einsetzen wollte, hatte ein paar engagierte Initiatoren, allen voran Harald, die ein gesellschaftliches Problem nicht unkommentiert lassen wollten, hatte ein paar vage Ideen für weitere Aktivitäten. Kampagnenfähig im engeren Sinne war sie nicht. Wie sollte sie, mit einem Team, das aus einer Handvoll Haupt- und ebenso vielen Nebenaktivisten bestand?

Es kam hinzu, dass die Vorbereitung der Auftaktveranstaltung recht aufwändig gewesen war und die Kräfte der Organisatoren stark in Anspruch genommen hatte. Zwar fielen sie danach keineswegs in das viel zitierte Loch – zu groß war der zusätzliche Antrieb gewesen, den der Aktionstag geschaffen hatte; dennoch war eine Verringerung der Drehzahl unumgänglich, aus beruflichen, familiären, gesundheitlichen oder sonstigen Gründen jeder und jedes Einzelnen.

Umso bemerkenswerter war die Reaktion derer, die ich zusammenfassend als Sympathisanten bezeichnen möchte. Die die "Aktion Libero" bei zahlreichen Gelegenheiten nannten und ins Spiel brachten. Die Interviewanfragen an uns herantrugen, Gespräche und Diskussionsrunden vermittelten. Die Querverbindungen herstellten, Kontakte zu anderen Organisationen, Aktionsgemeinschaften oder sonstwie organisierten Gruppen mit ähnlichem Themenfokus vermittelten und mit aufbauten. Die uns verlässlich und in schöner Regelmäßigkeit auf jeden relevanten Text, jede Fernsehsendung, jede anstehende Aktion, jedes besonders gute oder besonders schlechte Interview zur Homophobie im Fußball aufmerksam machten, per Facebook, mit einem kurzen Tweet, per Mail, you name it.

Beschränkte Möglichkeiten

Wir fühlten uns gewiss nicht als Speerspitze, so anmaßend sind wir nicht, aber doch als integraler Bestandteil einer großen Gruppe von Menschen, die zu einem bestimmten Thema ähnlich denken, und fühlten uns geschmeichelt, dass uns die eine oder der andere eine bündelnde Wirkung zuschrieb. Die wir im Rahmen unserer Möglichkeiten gerne wahrnehmen.

Dass diese Möglichkeiten beschränkt sind, deutete ich bereits an. Wenn wir ganz ehrlich sind, und dabei deute ich mit dem Finger zuallererst auf mich selbst, wird die Aktion in ganz besonderem Maß von Stefanie getragen, die sich in bemerkenswerter Weise um all das kümmert, was man wohl "Tagesgeschäft" nennen könnte – was man schon wieder negativ interpretieren mag, damit aber völlig falsch läge. Sie kommuniziert, konzipiert, verhandelt, kurz: Sie ist dafür verantwortlich, dass wir in den letzten Monaten einige schöne und zielführende Aktivitäten durchführen konnten, unter denen die Teilnahme am Come-Together-Cup in Köln herausstach – der spendenfinanzierte (Danke!) Auftritt der "Aktion Libero" wusste zu gefallen, inklusive Merchandising:

Merchandising? Klingt irgendwie falsch, ne? Nach viel Geld, Profit, Kommerz, Ausverkauf. Stimmt natürlich alles nicht. Niemand verdient hier Geld. Niemand will Geld verdienen. Der Liberoladen soll lediglich helfen, so steht’s auch dort geschrieben, "den Gedanken der ›Aktion Libero‹ vom Internet auch ›nach draußen‹ zu transportieren".

Menschen sensibilisieren

Womit wir bei einer Kernfrage angelangt wären: Was hat denn die "Aktion Libero" bisher bewirkt? Und wie wollen wir das überhaupt messen?

Tja. Wir wissen es nicht. Sicher, wir bekommen immer wieder positive Rückmeldungen, aber stammen die nicht in erster Linie aus jenem Chor, dem wir nicht mehr zu predigen brauchen? Oder anders: "Toll, dass Ihr das laut sagt!" oder Ähnliches habe ich immer wieder mal gehört; eher selten hört man sinngemäß dies: "Mensch, ich hab mir das jetzt mal überlegt. Ihr habt ja recht, ich finde schwule Fußballer eigentlich doch nicht schlimm." Wäre auch utopisch, Leute mit tief verankerten homophoben Gedanken mit ein paar Buttons und sorgfältig formulierten Worten mir nichts, dir nichts zu einem grundsätzlichen Kurswechsel zu bewegen.

Was indes gelingen kann und auch gelingt: Menschen stärker zu sensibilisieren. Ihnen vor Augen zu führen, was sie da eigentlich für einen furchtbaren Unsinn von sich geben, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Ihnen zu verdeutlichen, dass Sie mit homophoben Gesängen eine ganze Reihe derer ganz persönlich treffen, die mit ihnen im Block stehen und eben noch mit ihnen die eigene Mannschaft angefeuert haben, dass sie sie beleidigen, ausgrenzen, ihnen die Freude am Fußball, am Stadionerlebnis vermiesen.

Augen nicht verschließen

Auch mich selbst hat das Ganze sensibilisiert. Dahingehend, dass ich die Augen nicht mehr verschließe, oder zumindest seltener, dass ich homophobes Gerede aktiv kritisiere, bei "lustigen" Sprüchen nicht mehr schweigend die Augen verdrehe, sondern auch sage, dass ich sie zum Kotzen finde. Nicht immer – man kann nicht jeden Strauß ausfechten –, aber häufig genug.

Und ich glaube, es geht vielen so. Ich glaube, dass ein Bewusstseinswandel im Gange ist. Der in ganz bescheidenem Ausmaß mit der "Aktion Libero" zu tun hat, und zudem mit so vielen guten Initiativen da draußen, mit so vielen Menschen, die sich gegen Homophobie in der Gesellschaft im Allgemeinen oder beim Fußball im Speziellen engagieren. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir mittlerweile so viel und so häufig über Homophobie im Fußball lesen, hören, diskutieren, so viel und so häufig, dass es manche(r) vielleicht nicht mehr lesen, nicht mehr hören, nicht mehr darüber diskutieren mag.

In der Tat treibt das Thema Blüten, die man mitunter als seltsam empfinden mag, und meist hat es mit dem vielerorts aus den unterschiedlichsten – nicht nur ehrbaren – Gründen ersehnten Coming-out eines homosexuellen Bundesligaspielers zu tun, gerne eines Nationalspielers – "Deutschland sucht den schwulen Kicker", wie Ronny Blaschke so treffend formulierte.

Man nimmt zur Kenntnis, dass jemand einerseits behauptet, es gebe keine schwulen Bundesligaspieler, und andererseits wenige Wochen später "ein homosexuelles Outing prominenter Bundesligaspieler" fordert, man hört wöchentlich neue Empfehlungen pro oder contra Coming-out, man liest ein Interview mit einem angeblich schwulen anonymen Bundesligaprofi, das zu mancherlei Zweifel Anlass gibt, und man fragt sich angesichts der entstehenden Diskussion, ob man sich nicht doch massiv getäuscht hat in seiner Wahrnehmung des Fortschritts hin zu einem Umfeld, in dem Homosexualität und Fußball genauso gut oder schlecht zusammen passen wie Heterosexualität und Fußball. Wie meinen? Letztere Frage stelle sich gar nicht? Eben.

Jubiläumsveranstaltung

Eine der zahlreichen Fragen, die sich indes stellen, ist jene nach der Rolle der Medien und Blogs im – offensichtlich verbesserungswürdigen – Zusammenspiel von Fußball und Homosexualität. Die "Aktion Libero" nimmt sich dieses Themas anlässlich ihres einjährigen Bestehens an. Einen Tag nach ihrem Geburtstag, am 17. November in Köln, in Form eines Diskussionsabends. Kurzentschlossene sind herzlich willkommen:

Wir lösen den Blick vom Thema Coming-out bzw. Outing, schauen uns stattdessen den aktuellen Umgang der Medien und Blogs mit Homosexualität im Fußball an und sprechen darüber mit:

Ronny Blaschke, Journalist und Autor. In seinem Buch Versteckspieler erzählte er die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban.

Andreas Stiene, Gründer und Organisator des Come-Together-Cups in Köln, Mitgründer des schwul-lesbischen FC-Fanclubs "Andersrum Rut-Wiess".

Jan F. Orth, Präsidiumsmitglied und Pressesprecher des Fußballverbands Mittelrhein (FVM), Beisitzer des DFB-Bundesgerichts.

Dirk Leibfried, Journalist und Autor. Gemeinsam mit Andreas Erb schrieb er das Buch Das Schweigen der Männer. Homosexualität im deutschen Fußball.

Die Gesprächsleitung übernimmt Alex Feuerherdt, freier Publizist, Blogger und Mitinitiator der "Aktion Libero".

Und zwischendurch liest man die Geschichte jenes schwulen Amateurschiedsrichters, der seine Homosexualität nach vielen Jahren in einem wohlüberlegten und begleiteten Prozess öffentlich gemacht hat, und glaubt fest daran, dass alles gut wird.

Der Text erschien zuerst auf Aktion Libero. Heinz Kamke bloggt unter "angedacht".

Mehr zum Thema Homophobie auf Fussball-gegen-Nazis.de:

Mehr im Internet:

Buchtipps:

drucken