Wie umgehen mit Opfern rechtsextremer Gewalt in Sachsen?

Im Mai informierte sich der Innenausschuss des Landtages Sachsen auf einen Antrag der Fraktion der Linken hin mit dem „Umgang mit Opfern rechter Gewalt in Sachsen seit 1990“. Eingeladen waren als Sachverständige neben Vertretern der landeseigenen Opferberatungsstelle auch ExpertInnen der anderen langjährig agierenden Opferberatungsstellen in Deutschland sowie der Amadeu Antonio Stiftung aus Berlin, die sich seit über zehn Jahren darum bemüht, Augenmerk auf die Opfer rechtsextremer Gewalt zu lenken. Ziel der Anhörung sollte sein, eine zukünftige Strategie für den Umgang mit Opfern rechtsextremer Gewalt zu finden.

Von Simone Rafael

Heike Kleffner, Journalistin und Mitglied im Beirat der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt, sprach über die Wichtigkeit, rechtsextreme Gewalttaten auch als solche zu klassifizieren. Sie selbst hat mit weiteren Journalisten 2010 eine Liste mit 137 Todesopfern rechtsextremer Gewalt recherchiert – gemäß der PMK-rechts-Definition, die seit 2001 bundesweit Gültigkeit hat. Durch diese Definition können nicht nur Straftaten als rechtsextrem klassifizier t werden, die den politischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung politischer Ziele dienen oder sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten. Sondern auch solche, die sich gegen Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten richten, weil sie Angehörige der Minderheit sind. Allerdings, so wies Kleffner hin, ist die Dunkelziffer bei rechtsextremen, rassistischen oder antisemitischen Taten erschreckend hoch: Wie eine Studie der Grundrechteagentur der Europäischen Union belegt, wenden sich nur 20 Prozent der von rassistischer Gewalt Betroffenen an die Polizei. Kleffner regte an, die in Sachsen seit 1990 erfassten Tötungsdelikte noch einmal überprüfen solle – Kleffner nannte fünf Fälle, bei denen die offizielle Anerkennung noch aussteht.

Volker Pfitzner von der Opferhilfsorganisation „Weißer Ring“ betonte die gute Zusammenarbeit mit den Opferberatungsstellen in Leipzig – so, dass etwa der Weiße Ring Opfer rechtsextremer Gewalt in Mügeln finanziell unterstütze, während die Opferberatungsstelle der RAA in Leipzig sich um die Betreuung und Prozessbegleitung der Opfer kümmerte. Pfitzner wünschte sich besonders die Einrichtung von Trauma-Ambulanzen in Sachsen, um Opfern schneller helfen zu können.

Für die „Opferperspektive“, die Opferberatungsstelle in Brandenburg, berichtete Tobias Pieper von den Arbeitserfahrungen. Die Opferperspektive berät MigrantInnen, alternative Jugendliche und Menschen, die sich gegen Recht s engagieren. Schwierig sei dagegen die Betreuung von betroffenen Obdachlosen und sozial Schwachen, die oft noch weniger Hilfe und Kontakt suchten als die anderen drei Opfergruppen. Pieper beschrieb die Unberechenbarkeit der Arbeit, die von wenigen Treffen bis zu jahrelanger Begleitung durch verschiedene gerichtliche Instanzen reicht und das Ziel hat, die Betroffenen nach dem Angriff wieder handlungsfähig zu machen. Im Hinblick auf die Opferberatung in Sachsen regte er an, dringend die finanzielle Ausstattung zu verbessern. Sie sollte sich an den Angriffszahlen orientieren, die in Sachsen deutlich höher lägen als in Brandenburg. Entscheidend für den langfristigen Erfolg gegen Rechtsextremismus in Brandenburg wertete das 1998 verabschiedeten Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“, das auf die Kooperation von Landesregierung und zivilgesellschaftlichen Initiativen setzt und sowohl in der Prävention als auch in der Repression zu erfolgen führte. Ein ähnliches Handlungsrezept sei auch Sachsen zu empfehlen, weil sich damit auch ein politischer Konsens gegen Rechts jenseits sonstiger politischer Differenzen erarbeiten ließe.

Die Opferberatungsstelle, die in Sachsen seit zehn Jahren aktiv ist, ist bei der RAA Sachsen angesiedelt. Marianne Thum berichtet von Erfolgen, die sich die Opferberatung durch ihre anonyme und vertrauliche Arbeitsweise und den aufsuchenden Ansatz erarbeitet hat. Sie benennt aber auch Probleme der Arbeit: Etwa, dass zwischen Angriff und Gerichtsverfahren oft Jahre liegen, was eine massive Belastung für die Betroffenen bedeute. Oder von einem unbewussten Rückhalt, den rechtsextreme Gewalttäter in der Gesellschaft erleben, wenn etwa Lehrer einem nichtrechten Jugendlichen sagen: Wenn Du ein T-Shirt mit einem Slogan gegen Nazis trägst, bist du selbst schuld, wenn du verprügelt wirst. Sie berichtet von „Gewöhnungseffekten“, wenn in einer Region so häufig etwa nichtrechte Jugendliche angegriffen werden, dass diese gar nicht mehr auf die Idee kommen, die Übergriffe anzuzeigen. Entsprechend wünscht sich Marianne Thum vom Freistaat Sachsen, Lobbygruppen wie etwa alternative, nichtrechte Jugendliche zu unterstützen oder eine Dunkelfeldstudie in Auftrag zu geben, um mehr Klarheit zu erlangen. Auch eine Sensibilisierung der Strafverfolgungsbehörden bei der Einordnung und Bewertung solcher Taten sähe Thum als hilfreich an – ebenso wie einen Unterstützungsfonds für Opfer rechter Gewalt in Sachsen. Dies könne ein deutliches Zeichen für die Ächtung derartiger Übergriffe sein.

Timo Reinfrank, Stiftungskoordinator der Amadeu Antonio Stiftung, betonte die Initiativfunktion der Opferberatungsstellen, die eine offen Diskussion und Berichterstattung zum Thema oft erst möglich machte, und wies in diesem Zusammenhang daraufhin, dass es dieser lebendigen Diskussionskultur fundamental entgegensteht, wenn die geförderten Opferberatungsstellen nun ihre Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuvor inhaltlich mit staatlichen Stellen abstimmen müssen. Außerdem äußerte er sein Unverständnis, dass in Sachsen die Ausstattung der Opferberatungsstelle stagniere, während andere Bundesländer mit Opferberatungsstellen eine vom Bund angekündigte degressive Förderung umsetzten. Auch Reinfrank riet zu einer stärkeren Verzahnung von Prävention, Repression und Förderung. Es gehe nicht nur darum, Zivilgesellschaft zu fördern, sondern sich auch zu fragen: „Was kann jede Senats- und Landesverwaltung in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus tun?“ Schließlich betonte Reinfrank, Akte rechtsextremer oder rassistischer Propaganda und Gewalt stellten Menschenrechtsverletzungen dar – und in diesem Sinne habe das Land durch die allgemeine Menschenrechtserklärung ein Instrument, um sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren.

Bei der Sitzung des Innenausschusses war natürlich auch der NPD-Abgeordnete Andreas Storr anwesend. Der konnte den Argumentationen zwar inhaltlich nicht zustimmen, analysierte aber richtig in einer Pressemitteilung zur Anhörung: „Alle Vertreter der sogenannten ‚Opferberatungsinitiativen‘ sind in Wirklichkeit Teil des politischen ‚Kampfes gegen Rechts‘ und sehen ihre Aufgabe eben nicht nur darin, Hilfe für Opfer von Gewalttaten anzubieten, sondern wollen rechtes Gedankengut generell als illegitim brandmarken (…).“ Ohne Zweifel, das würde wohl auch keiner der Anwesenden bestreiten. Interessant wird es, wenn Herr Storr fordert: „Gewalt ist (…) ein Phänomen, dem man – unabhängig von der Motivation der Täter – präventiv und mit Strafrecht begegnen muss. Gewalt ist zudem definitiv kein Mittel, um politische Konflikte zu lösen.“ Da wird sich das Verhältnis der NPD zu den freien Kameradschaften wohl wieder verschlechtern, wenn das Standard wird.

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