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Warum es “die Reichsbürger” gar nicht gibt

Lange Zeit waren Reichsbürger_innen, Selbstverwaltende und Souveränist_innen für staats- und verfassungsschützende Behörden bestenfalls eine Randnotiz. Dies änderte sich schlagartig, als im August und Oktober 2016 zwei Personen aus diesem Milieu, nämlich Adrian Ursache und Wolfgang P., ihre politische Ideologie mit Waffengewalt durchzusetzen suchten und dabei ein Polizist getötet wurde. Verfassungsschutz, Polizei und städtische Verwaltungen arbeiten seitdem Hand in Hand, um einen möglichst genauen Überblick über die Verbreitung und Reichweite des Milieus zu erlangen und gegebenenfalls Waffenscheine und Waffen zu entziehen. “Die Reichsbürger” sind ad hoc zu einem Thema öffentlichen Interesses avanciert. Diese Entwicklung, die zunächst durchaus begrüßenswert und notwendig ist, bringt jedoch auch inhaltliche Schwierigkeiten mit sich. Denn “die Reichsbürger”, in der Form, in der sie bisweilen durch die Presse geistern, gibt es eigentlich gar nicht. Wie Jan Rathje für die Broschüre, “‘Wir sind wieder da’. Die Reichsbürger: Überzeugungen, Gefahren und Handlungsstrategien”, herausgearbeitet hat, lässt sich das Milieu der Reichsideologie in vier Subkategorien unterteilen: Rechtsextreme, Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten.

Von Melanie Hermann

Diese Unterteilung macht insofern Sinn, dass spezifische inhaltliche Zugänge, politische Absichten und die daraus folgende Praxis differenziert und kontextualisiert werden können. Dennoch weist Rathje darauf hin, dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Strömungen des Milieus fließend sind und sie sich sowohl inhaltlich beeinflussen als auch personell miteinander kooperieren. Insbesondere durch die Vernetzungsmöglichkeiten des Internets bieten sich zahlreiche Möglichkeiten für Koalitionen miteinander sowie ideologische Bezugnahme aufeinander.

 

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Nicht alle Anhänger_innen einer Reichsideologie wünschen sich, wie traditionelle Rechtsextreme, das “Dritte Reich” zurück, viele grenzen sich dezidiert vom Nationalsozialismus ab, fordern beispielsweise das Fortbestehen der Weimarer Verfassung und behaupten, die BRD sei nicht entnazifiziert. Andere wiederum schaffen sich gleich ihre eigenes Königreich, Fürstentum oder ihren persönlichen Kleinstaat, den sie als Souveräne selbst verwalten. Legitimiert wird bei all diesen sehr heterogenen Gruppen, Personen und Zirkeln ihr politisches Handeln durch den Glauben an die Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland. Die Begründungen dafür sind so zahlreich wie hanebüchen. Deutschland habe keinen Friedensvertrag, keine Verfassung, sei kein Staat, sondern eine Gesellschaft mit bedingter Haftung (“BRD-GmbH“) und alle Staatsbürger_innen lediglich ihr Personal, wie dem Begriff Personalausweis zu entnehmen sei. Jan Rathje zufolge lassen sich diese diversen Behauptungen dennoch auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Die ideologische Klammer, durch die dieses ausgesprochen diverse und variable Milieu umschlossen wird, ist Rathje zufolge, die Verschwörungserzählung von einer fremden Macht, die im Hintergrund die Fäden zieht, Deutschland beherrscht, das „deutsche Volk“ unterjocht und Böses im Schilde führt. In diesem Narrativ werden hoch komplexe gesellschaftliche Strukturen, Phänomene oder Probleme zu widerspruchsfreien, intentionalen Handlungen einer kleinen Gruppe mächtiger Strippenzieher. Die enorme Fluchtbewegung nach Europa, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, wird im reichsideologischen (sowie den meisten verschwörungsideologisch operierenden Milieus) zu einem gezielten Angriff auf Deutschland, deren Bevölkerung durch Geflüchtete ausgetauscht werden soll.

 

Souveränität im Reihenhaus

Von einem “Holocaust gegen die Deutschen“ spricht beispielsweise Adrian Ursache, der Ex-Mister-Germany, in einem seiner Vorträge. Ursache erlangte im August 2016 zweifelhafte Berühmtheit, als er es zunächst medienwirksam schaffte, die Zwangsenteignung seines Hauses aufzuschieben. Als anschließend die Vollstreckung mithilfe eines Sondereinsatzkommandos der Polizei durchgesetzt wurde, griff Ursache zur Waffe. Im Schusswechsel wurde sowohl ein Polizist als auch Ursache selbst verletzt. Adrian Ursache gehört zwar im weitesten Sinne zum Milieu der Reichsideologie, ist jedoch kein Reichsbürger sondern ein “Selbstverwalter mit Souveränitätsanspruch”. Da er seine Vorstellung von Souveränität in der BRD nicht erfüllt sieht, nennt er das Grundstück, auf dem er lebt, Ur und bezeichnet es als seinen eigenen Staat. Der er selbst sich als Oberhaupt dieses Staates sieht, haben er und seine Familie, seiner Logik folgend, alleinig alle Rechte auf diesem Gebiet inne.

In den Interviews, die er im Zuge der Proteste auf seinem Grundstück gibt, macht er seinen Standpunkt mehrfach sehr deutlich. So sagt er beispielsweise zu einem Journalisten des MDR:

“Wir sind im Völkerrecht. Hier leben also Menschen, die sind anerkannt worden. Und kommt er [der Gerichtsvollzieher] jetzt egal womit auch immer, dann wäre es eine Gewalt im Völkerrecht und dann erleben wir einen Krieg. Nichts anderes!“

Kurze Zeit später fügt er noch an:

“Der Staat Ur ist anerkannt worden. Das ist ein Angriffskrieg, was jetzt passiert. Dann würde die BRD nicht nur Besatzer der Deutschen Demokratischen Republik sein, nein, sie würde jetzt auch noch einen Krieg anfangen.“

Auch der Waffensammler Wolfgang P. der im Oktober 2016 seine selbstgegebene Souveränität mit Waffengewalt verteidigte, ging davon aus, legitim zu handeln. Er schoss durch die geschlossene Tür auf die Polizisten, die sich Zutritt zu seinem Haus verschaffen wollten. Dabei wurden drei Beamte schwer verletzt – einer von ihnen starb kurz darauf im Krankenhaus.

Beide verbindet die Vorstellung, als Souveräne auf ihrem selbsterdachten und selbstverwalteten Staatsgebiet zu leben und daher das Recht in Anspruch nehmen zu dürfen, ihre Souveränität auch militant zu verteidigen. Die Aggression geht in ihrer Weltsicht nicht von ihnen, sondern von jenen aus, die ihre Grenzen verletzen. Beide haben sich über einen längeren Zeitraum sukzessive in ein geschlossenes Ideologiesystem zurückgezogen, dass ihren Handlungen ungebrochene Legitimität eingeräumt und sie selbst zu Märtyrern stilisiert hat.

Die meisten Reichsbürger zeichnen sich durch ein enormes Sendungsbewusstsein aus. Insbesondere die sogenannten Vielschreiber bombardieren die Ämter und Behörden jenes Staates, den sie für illegitim, nicht-souverän oder nicht-existent halten mit Forderungen, Erklärungen, Beschwerden und vielem mehr. Was zurecht paradox erscheint, ist lediglich ein Ausdruck des autoritären Wunsches nach Anerkennung der eigenen politischen Agenda und schafft es häufig, Behörden und Ämter bis an die Schmerzgrenze mit Arbeit auszulasten.

Zwar tritt auch Adrian Ursache an die Öffentlichkeit, gibt Seminare und bemüht sich, Menschen in seine wahnhaften Theorien einzuweihen, sein vordergründiges Ziel ist jedoch, sich selbst verwalten zu dürfen.

Eine weitere Strömung innerhalb des reichsideologischen Milieus sind die Souveränisten, zu denen unter anderem das “Compact Magazin”, Teile der AfD sowie von Pegida gezählt werden können. Sie arbeiten sich insbesondere an der Idee ab, dass Deutschland nicht souverän, sondern lediglich ein “Vasallenstaat“ der USA sei.

Erst durch die von Ursache und P. angewandte Militanz rückte das reichsideologische Milieu in den Blick der Öffentlichkeit und wurde staatlicherseits als Gefährdung wahrgenommen.

Zwar ist es begrüßenswert, dass auf diese tragischen Ereignissen politische Konsequenzen folgten, die Gefährlichkeit des Milieus stellt sich jedoch nicht erst durch die Affinität zu bzw. den Gebrauch von Waffen her.

 

Geheime Mächte im Hintergrund

Die diversen Gruppen, Personen und Strömungen des reichsideologischen Milieus in unterschiedlichen Abwandlungen greifen alle auf das verschwörungsideologische Narrativ der mächtigen Elite zurück, die im Hintergrund die Fäden zieht. Diese Grunderzählung von der Ausbeutung, Unterjochung und geplanten Auslöschung des “deutschen Volkes“ bildet die Blaupause aller weiteren Fantasien, die als Welterklärungsmodelle herangezogen werden. Doch wer sind diese Mächtigen, die insbesondere den Deutschen an den Kragen wollen? Die „Banker von der Ostküste“, „das Finanzkapital“, „die Zionisten“, „die Rothschilds“, „George Soros“ – die Metaphern, die zur Beantwortung dieser Frage genutzt werden, sind zahlreich. Letztendlich sind sie jedoch lediglich Platzhalter. Wie Monika Schwarz-Friesel gemeinsam mit Jehuda Reinharz in „Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“ herausgearbeitet hat, hat sich die Artikulation antisemitischer Ressentiments und Stereotype nach der Shoah in Deutschland verändert. Diese Form der Kommunikation funktioniert dann, wenn die angesprochenen die verwendeten Codes und Chiffren zu entschlüsseln wissen. Es ist nicht mehr nötig, dezidiert vor der “jüdischen Weltverschwörung“ zu warnen, wenn die Rezipient_innen diese Abstraktionsleistung selbst vollziehen. Nicht nur können so vermeintliche Sprachverbote umgangen werden, es entwickelt sich über diese codierte Kommunikationsform auch ein Gefühl von Gemeinschaft mit jenen, die zu verstanden haben glauben, wie die Welt “wirklich“ funktioniert. Zudem ist der persönliche Lernerfolg dann nachhaltig, wenn sie davon ausgehen, dass sie selbst den entsprechenden Schluss gezogen und „die Verantwortlichen“ ausgemacht haben.

“Bevor nicht der letzte Jud den letzten Atemzug getan, ob Mann, ob weiß, ob Greis, ob Kind, wird auf Erden kein Frieden werden.”

Dieses Zitat verbreitete Burghard Bangert alias Burgos von Buchonia am 6. Januar 2015 über sein - immer noch öffentlich einsehbares - Facebookprofil. Angeblich stammt der Ausspruch von Martin Luther. Es ist einer von zahlreichen explizit antisemitischen Posts. Burghard Bangert, ein reichsideologischer Esoteriker, der als Druide in Süddeutschland lebt, wurde Anfang des Jahres 2017 festgenommen wegen des Verdachts, Kopf einer terroristischen Vereinigung zu sein. Ihr Ziel soll es gewesen sein, Anschläge auf Polizisten, Asylsuchende, und Jüdinnen_Juden sowie jüdische Einrichtungen zu verüben. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand man Waffen, Munition und Sprengstoff. Schon lange hatte er über Internetportale insbesondere gegen Juden gehetzt und dabei schließlich sehr offen und plakativ gedroht, wie dem vorangestellten Zitat zu entnehmen ist.

Der Wahn von der „jüdischen Weltverschwörung“ birgt einen eliminatorischen Charakter. Das heißt, die imaginierte, auf Jüdinnen und Juden projizierte Bedrohung, lässt sich in letzter Instanz für die Antisemit*innen nur durch die Beseitigung der als Aggressoren identifizierten bekämpfen. Die Nationalsozialist*innen haben dieses Ansinnen zur Staatsräson gemacht und infolgedessen über 6 Millionen Jüdinnen und Juden ermordet.

Dementsprechend ist es nötig Antisemitismus zu erkennen und als wahnhaften Zugang zur Welt ernst zu nehmen, bevor sein menschenfeindlicher Charakter in manifeste Gewalt umschlägt.

Der Band "Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten – Vom Wahn des bedrohten Deutschen" von Jan Rathje erscheint im August im Unrast Verlag. 

Titelbild oben: Flickr Conticium CC BY-ND 2.0 

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