Unter der Blutbuche - Vor zehn Jahren wurde Alberto Adriano Todesopfer rechtsextremer Gewalt

Am 11. Juni vor zehn Jahren wurde Albert Adriano von Neonazis in Dessau-Roßlau zu Tode geprügelt. Auch wenn der Mord für die Stadt ein Schock war, haben die Schwarzen, die heute im sachsen-anhaltinischen Dessau leben, weiter mit Rassismus zu kämpfen.

Von Marie-Sophie Adeoso

Eigentlich ist dieser Ort zu friedlich zum Sterben. Kies knirscht leise unter den Schritten, Vögel zwitschern, im Brunnen planschen Kinder. Die Bäume im Stadtpark von Dessau-Roßlau stehen in vollem Laub, saftig grün. Alberto Adriano starb unter einem Baum, der tiefrote Blätter trägt. Es ist eine Blutbuche. Heute wirft sie Schatten auf einen kantigen Gedenkstein: "Alberto Adriano, Opfer rechter Gewalt."

"Der Mord war ein Schock für Dessau", sagt Razak Minhel, Leiter des Multikulturellen Zentrums. "Er traf mitten ins Stadtherz." Minhel hat die vielen Zeitungsartikel gesammelt, die erschienen, nachdem Neonazis in der Nacht zum 11. Juni 2000 den 39-jährigen Vater dreier Söhne erschlagen hatten, weil er schwarz war. "Die Täter haben eine ganze Familie vernichtet", sagt er.

Aufstand der Anständigen

Hinter den Wipfeln ragt ein Plattenbau in den blauen Himmel. Grauer Waschbeton, Bierglasscherben auf dem Gehweg. Hier lebte Adriano, der 1988 als DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik nach Dessau kam und als Schlachter arbeitete. Es war kurz vor zwei Uhr am Morgen des 11. Juni, als er von einem Besuch bei Freunden nach Hause lief. Drei junge Männer überfielen und beschimpften ihn, als er schon am Boden lag, traten sie weiter. Sie schleiften seinen Körper durch den Park und zogen ihn aus - seine Kleider hängten sie in die Bäume. Am 14. Juni erlag Adriano seinen Verletzungen. Die Täter wurden zu langen Haft- und Jugendstrafen verurteilt.

Adriano war nicht das erste Opfer rechter Gewalt. Und nicht das letzte. Die Kriminalstatistik zählt bis 2009 seit der Wiedervereinigung 46 Todesopfer, die Amadeu Antonio Stiftung 149. Adriano war Nummer 112. Doch die Tat rief erstmals bundesweites Entsetzen hervor. Die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) forderte einen "Aufstand der Anständigen" und begründete neue Programme gegen Rechtsextremismus. Und der afrodeutsche Sänger Ade Bantu initiierte das schwarze Musikerkollektiv Brothers Keepers mit Stars wie Xavier Naidoo. "Ich rapp´ für meinen Bruder, denn ich könnte auch das Opfer sein", sangen sie. "Ich dachte, es hört niemals auf, dass wir Freiwild sind", erinnert sich Ade Bantu.

Heute, am zehnten Todestag, werden die Anständigen wieder aufstehen. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir wird sprechen und der Präsident des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer. Für Samstag ist eine Demonstration angemeldet und ein Konzert, bei dem auch Ade Bantu singt.

Doch die Menschen auf der Straße zucken beim Namen Adriano nur mit den Schultern. An einer Laterne hängt ein zerfetztes Plakat, weiße Flecken haben sich in Adrianos Gesicht gefressen. Der Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, habe den Fall Adriano im Bewusstsein der Menschen verdrängt, sagt Marco Steckel von der Opferberatungsstelle. "Wenn wir diese Fälle thematisieren, bekommen wir keinen Beifall", sagt er. Der Adriano, was habe der sich denn nachts im Park rumgetrieben, sagen die Leute. Drogendealer sei er gewesen, verleumden ihn andere. "Es muss stärkere Solidarisierung mit den Opfern geben", fordert Steckel. Das zivilgesellschaftliche Engagement habe sich in den vergangenen zehn Jahren professionalisiert, aber Dessau-Roßlau sei weiter ein Zentrum rechter Gewalt.

"Die Meinungen sind da ja unterschiedlich", sagt eine 49-jährige Dessauerin, die beim Bäcker einen Kaffee trinkt. Viele seien empört gewesen über den Mord an Adriano, "aber andere haben gesagt, wäre er in seinem Land geblieben, dann wäre das nicht passiert". Die ganzen Ausländer, die bekämen ja "vom Staat das Geld in den Arsch gesteckt" und kauften sich in der Heimat große Anwesen. Sie sagt, sie höre das so von den Leuten. "Aber für das deutsche Volk wird nichts getan."

"Wir leben sehr gefährlich"

Wer schwarz ist in Dessau, der fühlt sich alleine gelassen. "Wir leben sehr gefährlich hier", sagt ein Guineer im Telecafé, in dem sich die wenigen Afrikaner treffen, um nicht den ständigen Blicken auf der Straße ausgesetzt zu sein. Ihre Namen möchten sie nicht nennen, das Vertrauen ist weg. Erst Adriano, dann Oury Jalloh - wer kann, zieht weg aus Dessau.

Das Telecafé gehörte einst Mouctar Bah, der für sein Engagement im Fall Jalloh mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille geehrt wurde und auch mit Familie Adriano in Kontakt steht. Im Dezember habe die Polizei hier alle Schwarzen wegen Drogen kontrolliert, sie unter Generalverdacht gestellt, sagt Bah. Das sei rechtswidrig, aber kein Einzelfall. Struktureller Rassismus sei das Hauptproblem. "Die Menschen hier wissen, wenn ich Schwarzen etwas tue, passiert mir nichts."

Dieser Text erschien zuerst am 11.06.2010 in der Frankfurter Rundschau. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Mehr im Internet

Am Wochenende erinnern zahlreiche Aktivitäten an Alberto Adriano. Einen guten Artikel und eine Übersicht aller Aktivitäten gibt es hier:
| www.derbraunemob.info

| 149 Todesopfer rechtsextremer Gewalt nach der Wende

Opfern rechtsextremer Gewalt helfen:
| www.opferfonds-cura.de

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