Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern fordern vom Bundestag: Wie in den USA sollen die Urteile bei rassistischer Gewalt künftig generell verschärft werden. Doch die Front der Ablehnung gegen diese Initiative ist überraschend breit – sie reicht von CDU/CSU bis zu den Grünen. Auch Opferberater halten andere Probleme für drängender.
Von Nicole Walter
Die Tat im August 2007 erregte großes Aufsehen, das Urteil für die Täter weniger: Nur mit Bewährung und Sozialstunden sind die jungen Männer bislang bestraft worden, die auf einem Volksfest im sächsischen Mügeln eine Gruppe Inder durch die Stadt gejagt und bedroht haben. Künftig soll so etwas – zumindest nach dem Willen der Justizminister von Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – nicht mehr möglich sein. Die drei Länder wollen erreichen, dass Straftaten mit "menschenverachtenden, rassistischen oder fremdenfeindlichen Beweggründen oder Zielen" konsequenter verfolgt und härter bestraft werden. Polizei und Staatsanwaltschaft sollen zudem verpflichtet werden, diese Motive hinreichend zu ermitteln. Im Bundesrat haben sich die ostdeutschen Länder bereits durchgesetzt, am 4. Juli stimmte die Mehrheit der Länderkammer einer entsprechenden Initiative zu. Jetzt liegt der Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches im Bundestag und wartet auf seine erste Lesung.
Was genau schlagen Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt vor?
Der allgemeine Teil des Strafgesetzbuches (StGB) soll in drei Punkten erweitert werden. Zunächst geht es um den § 46(2) StGB, nach dem die Richter das Strafmaß bestimmen. Dort sollen explizit "menschenverachtende, rassistische oder fremdenfeindliche" Motive in die Liste der Tatumstände aufgenommen werden, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Was bringt das? Es würde Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter verpflichten, diese Motive konsequent zu ermitteln und strafverschärfend zu berücksichtigen.
Zweitens will der Entwurf, dass laut § 47(1) StGB bei leichteren Taten mit diesen Motiven künftig Haftstrafen von bis zu sechs Monaten verhängt werden. Reine Geldstrafen sollen dann nicht mehr möglich sein. Bislang stehen Geldstrafen an erster Stelle und Freiheitsstrafen unter sechs Monaten werden nur dann verhängt, wenn sie "zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich" sind.
Drittens schließlich sollen nach § 56 StGB Freiheitsstrafen von über sechs Monaten für Straftaten mit diesen Motiven generell nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Das ist heute dann nicht der Fall, wenn die "Verteidigung der Rechtsordnung" oder besondere Umstände dem entgegenstehen. Künftig jedoch soll bei schwerwiegenden Hasstaten regelmäßig gelten, dass "zur Verteidigung der Rechtsordnung" keine Bewährung, sondern nur eine Haftstrafe in Frage kommt.
Eigentlich stößt der Gesetzentwurf also nur Türen auf, die bisher auch schon offen sind. Denn die geforderten höheren Strafen sind bereits heute möglich. Nur liegt es bisher im Ermessen des Richers, ob der Strafrahmen ausgeschöpft wird. Diesen Ermessensspielraum wollen die Länder ersetzen durch die klare Regel, stets an die Obergrenze zu gehen. Sie wollen also gewissermaßen Türen zu milderen Strafen schließen.
Vorbild: USA
Gezielt gegen Hasskriminalität vorgehen
Dahinter steht der Gedanke, dass die hinter den Begriffen "menschenverachtend, rassistisch oder fremdenfeindlich" stehende Hasskriminalität bzw. Vorurteilskriminalität besonders schlimm ist. "Vorurteilstäter" suchen sich ihr Opfer selten gezielt aus – sondern sie greifen es als Teil der verhassten Gruppe an, beispielsweise als Ausländer, Antifa-Mitglieder, Obdachlose oder Homosexuelle. Dabei ist ihnen ziemlich egal, ob der "Ausländer" längt eingebürgert ist, der "Schwule" wirklich schwul oder oder das Antifa-Mitglied vielleicht nur ein nicht-rechter Jugendlicher ist. Das macht diese Taten – so die juristische Argumentation - besonders niederträchtig und hat zudem das Ziel, ganze Bevölkerungsgruppen zu verängstigen, sie in ihrem Alltag massiv einzuschränken. Etwa wenn sie bestimmte U- oder S-Bahnhöfe oder Straßenzüge meiden, weil dort Rechtsextreme ständig präsent sind.
Anders als in den USA, wo der Begriff "hate crime" in den achtziger Jahren geprägt wurde, wird Hasskriminalität in Deutschland bislang nicht explizit im Strafrecht berücksichtigt. In den USA hat ein Bundesgesetz 1994 festgelegt, Hassmotive strafverschärfend zu berücksichtigen. Die Erweiterung des Bundesgesetzes ("Matthew Shepard Act") scheiterte jüngst an der Opposition konservativer Gruppen und Präsident George W. Bushs. Auf der Ebene der US-Bundesstaaten haben 45 Staaten und der District of Columbia eigene Gesetze gegen Hasskriminalität erlassen. Aber auch in etlichen europäischen Staaten, beispielsweise in Belgien, Frankreich, Finnland, Italien und Spanien sehen Gesetze explizit vor, dass Hassmotive strafverschärfend berücksichtigt werden müssen.
In Deutschland, so argumentieren die Befürworter des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs, müsse der Rechtsstaat auch mit den Mitteln des Strafrechts unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er derartige kriminelle, menschenverachtende Angriffe nicht toleriert. Da diese Taten – anders als dies üblicherweise bei Straftaten der Fall sei – auf Zustimmung und Nachahmung angelegt seien, solle gegenüber den Tätern und potentiellen Nachahmern mit dem Ausschöpfen des Strafhöchstmaßes die Abschreckung erhöht werden. "Ihnen soll klar gemacht werden, dass sie selbst bei einer ersten Tat nicht zwangsläufig mit Geld- oder Bewährungsstrafe rechnen können", heißt es in der Begründung der Länderinitiative. "Gerade letztgenanntes wird oft in diesen Kreisen nicht als spürbare Sanktion, sondern wie ein Freispruch empfunden."
"Deutlich machen, dass dies keine Bagatelldelikte sind"
Beate Blechinger, brandenburgische Justizministerin und Mitinitiatorin des Gesetzentwurfs, hält das heute geltende Recht für"offenbar zu abstrakt". In der Praxis machten die Gerichte selten Gebrauch von der Möglichkeit, längere Haftstrafen nicht zur Bewährung auszusetzen, weil sie unsicher seien, "ob die Rechtsordnung bereits in Gefahr ist und mit einer Haftstrafe verteidigt werden muss, wenn ein Ausländer zusammengeschlagen wird, weil er Ausländer ist, oder wenn ein Behinderter angegriffen und verletzt wird, weil er behindert ist". Deshalb müsse der Staat ein Zeichen setzen: "Ja, unsere Rechtsordnung ist in den geschilderten Fällen in Gefahr."
Carlo Weber, Oberstaatsanwalt in Frankfurt/Oder, bestätigt dies. Die Forderung nach der Verteidigung der Rechtsordnung sei derart abstrakt, dass sie in der Rechtspraxis praktisch nicht vorkomme, sagte er in der Expertenanhörung zum Gesetzentwurf. Auch deshalb erhielten rechtsextreme Gewalttäter beim ersten Mal häufig eine Bewährungsstrafe.
Einer, der das unerträglich findet, ist Sebastian Edathy (SPD). Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag zählt zu den klaren Unterstützern des Gesetzentwurfs: "Auch wenn harte Strafen heute schon möglich sind, ist es wichtig, besonders deutlich zu machen, dass dies eben keine Bagatelldelikte sind, sondern ein besonders gravierendes Unrecht."
Breite Ablehnung im Bundestag
Doch im Bundestag scheinen solche Stimmen in der Minderheit zu sein. Überraschend breit ist die Koalition derer, die Änderungen des Strafgesetzbuches nicht für das beste Mittel im Kampf gegen Rechtsextremismus halten. Auch die Bundesregierung unterstützt den Gesetzentwurf nicht. Bereits das geltende Recht gebiete es, derartige Motive bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Eine regelmäßige Verhängung von Haftstrafen kehre die bewährte Systematik um, bei der Prüfung einer Bewährung vorrangig auf die Sozialprognose des Täters zu setzen – und nur ergänzend generalpräventive, also abschreckend auf die gesamte Gesellschaft wirkende Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Bereits vor Jahren kam eine vom Bundesjustizministerium zu diesem Thema eingesetzte Expertenrunde zum gleichen Ergebnis. "Das Strafrecht, das Menschen und ihre Persönlichkeit ohne jede Differenzierung schützt, ist (…) das geeignete Mittel, um die (…) Menschenwürde gegen entsprechende Angriffe zu stabilisieren. Es bedarf insoweit keiner spezifischen Änderung." Die Arbeitsgruppe hatte von 2001 bis 2003 das Konzept der "hate crimes" in den USA für die deutsche Situation diskutiert. Sie empfahl stattdessen einen höheren Ermittlungsdruck und zügige Strafverfahren.
So begründen auch heute Rechtspolitiker im Bundestag ihre ablehnende Haltung. Dabei sind schärfste Kritiker nicht nur in der CDU/CSU-Fraktion zu finden, sondern auch am ganz anderen Ende des demokratischen Spektrums - bei den Bündnisgrünen und der Linken. "Wir finden es prinzipiell gut, dass die Länder erkannt haben, dass die Bedrohung durch rechtsextreme Taten zunimmt", sagt etwa Monika Lazar, Sprecherin der Grünen-Fraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus. "Aber der heutige Strafrahmen reicht aus." Sie fordert stattdessen eine bessere Ausstattung der Justiz zur Beschleunigung von Strafverfahren. "Oft begegnen die Opfer auch nach der Tat noch fast täglich den Tätern, obwohl diese womöglich längst in Untersuchungshaft gehören. Außerdem wird das Erinnerungsvermögen der Zeugen ja nicht besser, wenn zwischen Tat und Prozessbeginn Monate oder gar Jahre vergehen."
"Das Wichtigste für die Opfer ist Respekt"
Viele Anwälte, Richter und Opferbetreuer unterstützen diese Position. So nennt Stephan Martin, der im Prozess um den Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt die Nebenklage vertrat, die Länderinitiative bloße "Symbolpolitik". Dringlicher sei es, zunächst die bereits vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen. "Im Land Brandenburg etwa hat sich seit den neunziger Jahren durch die - teils private - Weiterbildung von Richtern und Staatsanwälten die Aufarbeitung und Verfolgung rechtsextremer Straftaten wesentlich verbessert." Denn immer wieder passiere es, so sagen Praktiker, dass die Justiz die Indizien für Rechtsextremismus oder Ausflüchte der Täter aus Unwissenheit nicht erkenne.
Auch Christoph Frank, der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds und Oberstaatsanwalt in Freiburg, plädiert gegen die automatische Strafverschärfung. "Kurze Freiheitsstrafen als Regel vorzuschreiben, ist schädlich, die Rückfallquote steigt." Eine längere Haft, ausgesetzt zur Bewährung wirke durchaus abschreckend. Für eine gute Idee aber hält Frank, dass die Pflicht zur genauen Ermittlung der Motivation ins Strafgesetz aufgenommen wird – wenn auch nur wegen der Symbolik, denn korrekt ermittelt werde schon heute.
Dem widersprechen viele Opferberater vehement. Sabine Seyb etwa vom Verein ReachOut Berlin betreut seit langem die Opfer rassistischer Angriffe und sieht durchaus Defizite bei Ermittlungen und Prozessen. "Das letztliche Strafmaß spielt für die Opfer oft nur eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist für sie von den Ermittlungsbehörden und vor Gericht respektiert zu werden", so Seyb. Es sei wichtig, "dass die Gründe, weshalb sie beleidigt und verletzt wurden, Anerkennung finden. Und das ist häufig leider nicht der Fall, weil es an Wissen und Sensibilität fehlt."
"Populistisch werden immer härtere Strafen gefordert, obwohl Studien längst belegen, dass potenzielle Täter davon nicht abgeschreckt werden", kritisiert Judith Porath von der Opferperspektive Potsdam, die in ganz Brandenburg tätig ist. Sie will vor allem schnellere Verfahren, "damit die Strafe in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tat steht". Für die Opfer sei langes Warten auf einen Prozess "oft unerträglich". Und: "In vielen Bundesländern muss der Verfolgungsdruck auf rechte Täter deutlich erhöht werden." Sie hält es daher für "absolut richtig", dass der Gesetzentwurf Polizisten, Staatsanwälte und Richter dazu anhält, die Tatmotivation zu klären. "Das ist heute oft nicht der Fall. Dies liegt unseres Erachtens oft an der Überarbeitung der Richter, fehlender Fachkompetenz oder schlicht und ergreifend am Desinteresse."
Heute ist es oft so, dass Opfer rechtsextremer Gewalt aus Mangel an Geld, Wissen oder Sprachkenntnissen in Prozessen nicht als Nebenkläger auftreten – und die können dann nicht intervenieren, wenn ein Staatsanwalt bei Zeugenbefragungen oder im Plädoyer nur ganz am Rande auf ein mögliches rassistisches Motiv eingeht. Eine explizite Pflicht im Gesetz zur Ermittlung in diese Richting könnte helfen – möglicherweise auch dabei, Polizisten, Staatsanwälte und Richter später für Versäumnisse haftbar zu machen.
Womöglich lenkt die Debatte des Gesetzes im Bundestag den Blick auf das dringend Notwendige: eine bessere Organisation, mehr Geld für die Justiz und eine langfristige Förderung für Vereine, die Opfer rechtsextremer Gewalt betreuen, beraten und in Gerichtsprozessen beistehen. Die bisher übliche kurzatmige Projektförderung behindert diese Organisationen – und in manchen Teilen der Republik gibt es gleich gar kein Geld für jene, die den Opfern helfen.
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