Auf der Domplatte in Köln wird gern mit vielen Menschen gefeiert. Hier ein Bild vom Weihnachtsmarkt 2015. Frauen sind in Menschenansammlungen immer besonders gefährdet, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Eine aufmerksame Öffentlichkeit ist wichtig.
ngn / sr

Silvesternacht in Köln: Sexuelle Gewalt ist keine Frage der Ethnie

Update 08.01.2016: Nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln diskutieren viele in Deutschland nicht über das Leid der Opfer der sexuellen Nötigungen, sondern über die Herkunft der mutmaßlichen Täter. Dabei hagelt es Pauschalisierungen und Gewaltandrohungen, vor allem gegen Flüchtlinge. Das Bundesinnenministerium bestätigte unterdessen am Freitag (08.01.2015), dass unter den bislang ermittelten Tatverdächtigen auch Flüchtlinge sind. Die Bundespolizei erfasste an Silvester nach WDR-Informationen am Kölner Hauptbahnhof 32 Verdächtige, darunter waren 29 Ausländer: Neben drei Deutschen wurden neun algerische, acht marokkanische, vier syrische, fünf iranische, ein irakischer, ein serbischer und ein US-amerikanischer Tatverdächtiger ermittelt. Insgesamt sollen 22 von ihnen Asylbewerber sein.

Dieser Artikel wurde am 05.01.2016 nach dem damaligen Ermittlungsstand verfasst. Einige Schlussfolgerungen hat die Wirklichkeit überholt. Fehler aus aktueller Sicht sind in Klammern dahinter berichtigt. Die aktuellesten Informationen werden chronologisch am Ende des Dokuments angefügt.

Haben in Köln zu Silvester alkoholisierte, enthemmte "Nordafrikaner" oder gar ausgehungerte Flüchtlinge Jagd auf deutsche Frauen gemacht, um sie sexuell zu belästigen? Nein [falsch, siehe oben], es handelt sich um organisiertes Verbrechen zum Zweck von Diebstahl - ein klarer Fall für Staat und Polizei [teilweise falsch - manchen Tätern ging es offenbar doch vor allem um die sexuelle Motivation]. Das macht es für die betroffenen Frauen nicht besser, es ist aber wichtig, um nicht rassistische Ressentiments zu schüren - und Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

Von Simone Rafael

In der Silvesternacht kam es in Köln nach aktuellem Ermittlungsstand zu diversen sexuellen Übergriffen mit dem Ziel von Diebstählen gegenüber Frauen, die vor dem Hauptbahnhof unterwegs waren. In ersten Presseberichten war von einer Ansammlung von 1.000 Männern die Rede, aus deren Reihen die Taten begangen worden seien - dies geschah auf einer vollen Silvesterfeier vor dem Dom. Inzwischen geht die Polizei von mehreren hundert Tatverdächtigen aus, die aus krimineller Diebstahl-Motivation handelten und gezielt und strategisch vorgingen, wie die Polizei berichtet: "Die Geschädigten befanden sich während der Neujahrsfeier rund um den Dom und auf dem Bahnhofsvorplatz, als mehrere Männer sie umzingelten. Die Größe der Tätergruppen variierte von zwei bis drei, nach Zeugenaussagen nordafrikanisch Aussehenden bis zu 20 Personen. Die Verdächtigen versuchten durch gezieltes Anfassen der Frauen von der eigentlichen Tat abzulenken - dem Diebstahl von Wertgegenständen. Insbesondere Geldbörsen und Mobiltelefone wurden entwendet. In einigen Fällen gingen die Männer jedoch weiter und berührten die meist von auswärts kommenden Frauen unsittlich." Diese kriminelle Methode ist als "Antanztrick" bekannt [teilweise falsch, neben der Diebstahl- gab es auch sexuelle Motivation].

Anders, als erste Presseberichte suggerierten, handelt es sich nach bisherigem Informationsstand also nicht um enthemmte Männer, nicht um Flüchtlinge, nicht um Muslime, sondern um polizeibekannte Intensivstraftäter mit klarer krimineller Motivation, die diese allerdings zu massiven Sexualdelikten ausdehnten [falsch. Unter den Tätern waren enthemmte, stark alkoholisierte Männer. Ob es Flüchtlinge oder Muslime sind, hat mit der Straftat nichts ursächlich zu tun. Aber es sind Flüchtlinge unter den Tatverdächtigen. Gestohlene Handies wurden in Flüchtlingsheimen geortet.] Nach Silvester waren rund 30 Delikte angezeigt , inzwischen liegen rund 90 Anzeigen vor, darunter 15 wegen sexueller Belästigung und eine wegen Vergewaltigung (vgl. Ksta[aktuelle Zahlen siehe unten].

Polizeipräsident Wolfgang Albers sagte auf der Pressekonferenz zu den Ereignissen, es sei "völlig unerträglich", dass so etwas in Köln passiere.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat für heute ein Krisentreffen unter anderem mit der Kölner Polizei, der Bundespolizei und Stadtdirektor Guido Kahlen einberufen. Denn die wirklich interessante Frage lautet: Wie ist es möglich, dass so eine massive Zahl von Delikten begangen wurde, ohne dass die Polizei damit adäquat umgehen konnte? War die Aktion organisiert? Und lässt sich ein ähnliches Szenario in Zukunft verhindern? Wie können Frauen geschützt werden?

Dies ist auch insofern interessant, als dass ähnliche Delikte unter Nutzung des "Antanztricks" aus Hamburg und Stuttgart berichtet werden. Dem muss die Polizei begegnen.

Zur problematischen Berichterstattung kann die Frage nur lauten: Wie lässt sich in Zeiten von Internetjournalismus mit dem Run auf Schnelligkeit und Klicks verantwortungsbewusster Journalismus realisieren?

Anmerkung:

Und: Es geht nicht darum, die Taten in irgendeiner Weise zu verharmlosen. Den Opfern gilt unser ganzes Mitgefühl. Doch wir setzten auf Staat und Polizei, um Verbrechen adäquat zu begegnen -und warnen davor, die Taten für rassistische Stimmungsmache zu missbrauchen, zumal beim sensiblen Thema sexueller Übergriffe.

Anmerkung 2:

Die Hetze in Sozialen Netzwerken ist, erwartungsgemäß, bereits im vollen Gange. Verbrechen werden von Verbrechern begangen, von individuellen Menschen,  nicht von Gruppen oder Religionen.Trotzdem wird Hetze gen Flüchtlinge verbreitet, gegen Muslime, gegen Angela Merkel (dito) - und jede_r, der oder die sich für Sachlichkeit ausspricht, ist "gegen Frauen" oder gegen die "Realität" oder für sexuelle Gewalt oder "hat verdient, dass es ihr auch passiert" ... Wir werden trotzdem weiter Sachlichkeit fordern und freuen uns, wenn Sie mit dabei sind. 

Und immer dran denken:

Leute, die sich für den Schutz von Frauen nur interessieren, wenn wir von Ausländern angegriffen werden, sind Rassisten. Ob in Köln o. Kabul

— Anne Roth (@annalist) 5. Januar 2016

 

Update 06.01.2015

Anmerkung 3

Dieser Text wurde am 05.01.2015 viel in den Sozialen Netzwerken diskutiert - wie das Thema generell. Dabei gab es an einigen Punkten offenbar Verständnisschwierigkeiten, die wir deutlich ausräumen möchten:

  • Es geht nicht darum, die Opfer der sexuellen Gewalt herabzusetzen, wenn man vor Rassismus warnt, der sich aus der Täter-Diskussion ergibt. Den Opfern dieser Taten gilt unser ganzes Mitgefühl - für sie ist die Herabwürdigung durch sexuelle Gewalt ein traumatisierendes Erlebnis.
  • Sexuelle Gewalt ist nicht zu dulden und durch nichts zu entschuldigen. Die Täter müssen bestraft, den Opfern muss geholfen werden. Die Nationalität oder Ethnie des Täters darf keinen Unterschied machen in der strafrechtlichen Behandlung - für die Opfer macht es auch keinen.
  • Trotzdem macht es einen Unterschied, ob dies als perfide, verbrecherische Taktik oder aus Triebtäterschaft geschieht - für die Rassismus-Diskussion um die mutmaßlichen Täter. Das Bild des "wilden, instinktgesteuerten Fremden", der sich an die "unschuldige weiße Frau" heranmacht, ist ein rassistischer Stereotyp seit Jahrhunderten - keine Realitätsbeschreibung.
  • Offenbar missverständlich formuliert war der Satz, bei den Tätern handele es sich "nach bisherigem Informationsstand also nicht um enthemmte Männer, nicht um Flüchtlinge, nicht um Muslime, sondern um polizeibekannte Intensivstraftäter mit klarer krimineller Motivation, die diese allerdings zu massiven Sexualdelikten ausdehnten." Gemeint war: Wir wissen bisher nicht, wer die Täter sind, und sollten deshalb nicht darüber spekulieren, ob es Flüchtlinge oder Muslime sind. Die Polizei hatte bis zum Zeitpunkt des Artikels lediglich gesagt, unter den Tatverdächtigen seien polizeibekannte Intensivstraftäter. Inzwischen gilt auch die "Intensivtäter"-Aussage nicht mehr (siehe unten). Wir bitten die Missverständlichkeit zu entschuldigen.

 

Aktueller Ermittlungsstand zur Silvesternacht in Köln, 06.01.2016

  • Zahl der Tatverdächtigen weiter unklar
  • Die Zahl der Anzeigen stieg mittlerweile auf 90, eine davon wegen Vergewaltigung, 15 wegen sexueller Übergriffe. Die Opfer sind laut "Kölner Stadtanzeiger" größtenteils weiblich. Unter den Opfern sich auch Flüchtlinge.
  • Von fünf festgenommenen Männern wurden drei wieder freigelassen. Gegen die anderen beiden wurde Haftbefehl erlassen, jedoch wegen Taschendiebstahls und nicht wegen sexueller Übergriffe. Aktuell werden Videoaufnahmen ausgewertet.
  • Die Augenzeugenberichte deckten sich darin, was die Altersspanne der Männer (zwischen 15 und 35) angeht, als auch was ihr Aussehen betrifft, wonach es sich um Männer mit Migrationshintergrund gehandelt habe. Auch Polizeibeamte vor Ort hätten dies so wahrgenommen, so Polizeipräsident Albers.
  • Die vorwiegend weiblichen Opfer beschrieben die Täter als "nordafrikanisch" und "arabisch" aussehend. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ waren unter den 1000 Männern vor dem Bahnhof aber bei weitem nicht nur polizeibekannte Taschen- und Trickdiebe aus Nordafrika, wie es bislang hieß. Die Polizei hat an jenem Abend von etwa 100 Männern die Personalien kontrolliert, darunter soll zum Beispiel auch „eine Reihe von Flüchtlingen“ aus Syrien gewesen sein, aus dem Irak und aus Afghanistan; auch unter den fünf Festgenommenen vom Sonntag, von denen inzwischen zwei in Untersuchungshaft sitzen, seien syrische Staatsbürger, bestätigte ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Düsseldorf auf Anfrage.
  • Die Polizei widersprach Spekulationen, wonach es sich um eine bekannte Gruppe von Männern handele, die am Kölner Hauptbahnhof mit Drogen deale.
  • Nach Informationen von ARD-Reporter Jens Eberl geht die Polizei davon aus, dass die Täter extra nach Köln reisten, um das Gedränge in der Silvesternacht auszunutzen.
  • Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte im Radiosender NDR Info, es handele sich zwar nicht um organisierte Kriminalität, aber schon um "eine Absprache der Täter, die die Masse der Menschen nutzen, die Dunkelheit und den Überraschungseffekt, um nach vollzogener Tat wieder unerkannt zu entkommen".
  • Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, sagt, das Verhalten der Täter in der Neujahrsnacht sei untypisch für Kölner Trickdiebe: "Die Gruppe war erheblich alkoholisiert. Das spricht dagegen, dass es organisiert war."
  • Die Kriminologin Rita Steffes-enn beobachtet seit rund zwei Jahren ein Phänomen, bei dem vor allem junge Männer unter 30 bei öffentlichen Veranstaltungen Frauen antanzen, um diese dann auszurauben. Die sexuelle Annäherung sei gewissermaßen das Mittel zum Zweck. Für die Opfer könne diese Form der Gewalt hochgradig belastend sein.
  • Die Kölner Oberbürgermeisterin Heriette Reker und die Kölner Polizei wollen in Hinblick auf künftige Großveranstaltungen auf Prävention setzen, Sicherheitskonzepte überarbeiten und prüfen, , ob Menschen, die bereits mehrfach durch Taschendiebstahl aufgefallen seien, für einen bestimmten Zeitraum das Betreten bestimmter Orte in Köln untersagt werden könne. Außerdem sollen mehr Polizisten eingesetz werden, mobile Videoanlagen mit Teleskopkameras und ein neues Sicherheitskonzept für große Menschenansammlungen und Großverantaltungen. 
  • Viel Kritik erhielt Reker für den Verhaltenshinweis für Frauen auf Großveranstaltungen, sie sollten zu fremden Männern eine Armlänge Abstand halten - erstens, weil es übel ist, von den Opfern sexueller Gewalt andere Verhaltensregeln einzufordern, nicht aber von den Täter - klassisches Victim Blaming. Außerdem ist der Tipp auch noch unpraktikabel. Auf Twitter #einearmlaenge
  • NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) erinnerte noch einmal an die geltende Rechtslage: "Straftäter haben keinen Anspruch auf ein Bleiberecht".

Quellen:

Kommentar auf tagesschau.de von Sonja Mikisch: Hirn statt Hetze, Vernunft statt Verdacht - Es könne nicht sein, dass nun Verhaltensregeln für Frauen verkündet werden, meint Sonia Seymour Mikich. Und angesichts der Hetze im Netz fordert sie mehr Hirn - sowie Generalvernunft statt Generalverdacht. Nötig ist zudem Härte gegen die Täter.

http://www.tagesschau.de/kommentar/koeln-silvester-101.html

Kommentar im "Tagesspiegel": Übergriffe gegen Frauen in Köln - Der Gau, auf den die Rechte gewartet hat: Nach den Übergriffen in Köln gegen Frauen helfen pauschale Schuldzuweisungen genauso wenig wie pauschale Schonhaltungen. Ein Kommentar.

http://www.tagesspiegel.de/politik/uebergriffe-gegen-frauen-in-koeln-der-gau-auf-den-die-rechte-gewartet-hat/12794270.html

 

Update 07.01.2016

Aktueller Ermittlungsstand zu Silvester in Köln:

  • Die Zahl der Verdächtigen nach den Übergriffen in Köln hat sich auf 16 erhöht. Die meisten Verdächtigen seien zwar noch nicht namentlich bekannt, aber auf Bild- oder Videoaufnahmen klar erkennbar. 
  • Inzwischen liegen 121 Anzeigen vor, drei Viertel auch wegen sexualisierter Gewalt; 2 Anzeigen wegen Vergewaltigung.
  • Die Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigt: Dort wurde noch in der Silvesternacht ein 20-jähriger Verdächtiger festgenommen. 
  • In Hamburg melden sich immer mehr Opfer sexueller Übergriffe in der Silvesternacht: Dort gibt es nun 50 Anzeigen, davon 39 wegen sexualisierter Gewalt.
  • Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärte, die Abschiebung straffälliger Asylbewerber erleichtern zu wollen. "Wer schwere Straftaten begeht, in welchem Status auch immer er sich befindet, der muss damit rechnen, aus Deutschland abgeschoben zu werden", sagte der CDU-Politiker. Die Genfer Flüchtlingskonvention mache dazu allerdings strenge Vorgaben. In Deutschland gelte bisher die Regel, dass sich erst eine Haftstrafe von drei Jahren auf ein Asylverfahren auswirke. Für jemanden, der sein Asylverfahren bereits durchlaufen habe und eine Straftat begehe, gebe es ohnehin keinen Abschiebeschutz, sondern es gebe hier die üblichen Ausweisungsregelungen für Ausländer. De Maizière betonte: „Wer (...) schwere Straftaten begeht, in welchem Status er sich auch immer befindet, der muss damit rechnen, aus Deutschland abgeschoben zu werden.”
  • Einem internen Bericht eines Polizeibeamten zufolge sollen während der Ausschreitungen Frauen Schutz bei der Polizei gesucht. "Im Einsatzverlauf erschienen zahlreiche weinende und schockierte Frauen/Mädchen bei den eingesetzten Beamten und schilderte sex. Übergriffe durch mehrere männliche Migranten/ -gruppen", schreibt der Leiter einer an dem Einsatz beteiligten Hundertschaft in einem von der "Bild" veröffentlichten internen Erfahrungsbericht. "Frauen mit Begleitung oder ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne 'Spießrutenlauf' durch die stark alkoholisierten Männermassen", heißt es in den Bericht weiter. Da die Polizisten "nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration". Der Polizist beklagt in dem Bericht eine viel zu geringe Zahl eingesetzter Beamter (Tagesspiegel)
  • http://www.sueddeutsche.de/panorama/kriminalitaet-hinweise-auf-verdaechtige-in-koeln-festnahme-in-stuttgart-noch-an-silvester-1.2806747
  • http://www.saarbruecker-zeitung.de/nachrichten/themen/weltnews/Kriminalitaet-Deutschland-Asylbewerber-Asylverfahren-Bundesinnenminister-Verbrecher-und-Kriminelle;art8511,6026777
  • http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-den-uebergriffen-in-koeln-interner-polizeibericht-soll-von-spiessrutenlauf-sprechen/12800416.html

Leseempfehlungen zum Umgang mit der Silvesternacht in Köln:

 

Update 08.01.2016

Aktueller Ermittlungsstand zu Köln: Wie glaubwürdig sind die "Erlebnisberichte" der Polizei?

Da können wir zur Achtsamkeit mahnen, so viel wir wollen: War schon bisher viel Vorverurteilung ohne Background in der Berichterstattung zu den Gewalt- und Straftaten in der Silvesternacht in Köln, wird es jetzt fast unmöglich, dagegen noch anzukommen: Die "Welt" und die "BILD" haben mutmaßliche Polizisten gesprochen bzw. einen Polizeibericht  ("Einsatznachbereitung") veröffentlicht, angeblich vom 4. Januar 2016. In beiden Quellen werden Migranten und vor allem Flüchtlinge als Täter der Delikte benennen und auch ansonsten alle erregten Diskussionsthemen bestätigen - es wären "frisch eingereiste Asylbewerber" gewesen, die die Polizei festgesetzt und kontrolliert haben will, und "vorrangig ging es den meist arabischen Tätern um die Sexualstraftaten oder, um es aus ihrem Blickwinkel zu sagen, um ihr sexuelles Amüsement", so ein anonymer Polizist in der "Welt". Warum die Öffentlichkeit das nicht erfahren hat? Der Polizeipräsident und die Oberbürgermeisterin hätten sie eben belogen.

Allerdings wirft gerade der "Einsatznachbereitungs"-Bericht etliche Fragen auf, wie Radio Eins mit der Kriminologin und ehemaligen Polizistin Rita Steffes-enn vom Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung diskutiert: (Audiofile anhören!) Etwa, wenn genannt wird, die Menschenmenge habe sich rund um die Straftaten so verdichtet, so dass die Polizisten nicht mehr zu Hilfesuchenden durchkamen - aber andererseits wird betont, durch die Präsenz der Beamten seien "vollendete Vergewaltigungen" verhindert worden, was beides zusammen nicht möglich ist. Wenn aber der Polizist die geschädigte Person nicht gesehen habe, wie könne er sagen, was dort geschehen ist, fragt Frau Steffes-enn,  ob Raub, Vergewaltigung, sexuelle Belästigung oder Nötigung? Und auch wegen versuchter Vergewaltigungen - die ja die Formulierung suggeriert werden - würde polizeilich wegen Vergewaltigung ermittelt, so dass es laut diesem Polizeibericht geradezu erstaunlich scheint, dass nicht mehr Vergewaltigungen angezeigt wurden (aktuell: 2 von 121 angezeigten Delikten). Auch die Aussagen, Menschen hätten bei Personenkontrollen angegeben, sie seien Asylbewerber und hätten vor den Augen der Polizei ihre "Aufenthaltstitel" zerrissen mit der Aussage, sie holten sich halt morgen neue, sowie den Ausspruch "Ich bin Syrer, ihr müsst mich freundlich behandeln. Frau Merkel hat mich eingeladen", findet Kriminologin Steffes-enn aus ihrer zwanzigjährigen Erfahrung im Polizeidienst hinterfragenswürdig: Täter würden in der Regel nicht einfach ihren Ausweis abgeben, sondern vielmehr falsche Spuren leben, um von der eigenen Person abzulenken. Was wurde da zerrissen, ein "Aufenthaltstitel" oder irgend ein Zettel? Sind die Spuren gesichert worden? Und der Satz mit Frau Merkel sei vielleicht so gefallen - doch die Frage ist, ob er wirklich von einem Flüchtling geäußert wurde, die ja meist des Deutschen nicht so mächtig seien. Diese Fragen sähe sie gern vom Autor des Textes beantwortet. Wir auch.

Aktueller Stand in Zahlen:

Update 20 Uhr:

Weitere lesenswerte Artikel:

  • Sexualisierte Gewalt: Des Rudels Kern (Spiegel Online)
  • Die rassistische Hysterie nach den Übergriffen in verschiedenen deutschen Städten schadet den Opfern, weil sie eine wirkliche Debatte über sexualisierte Gewalt verhindert. Es ist so ekelhaft. Die Debatte um muslimische Migranten hat ihren bisherigen Hysterie-Höhepunkt erreicht. Die Opfer der Übergriffe in Köln, Hamburg, Stuttgart oder Frankfurt sind in dieser Debatte denen, die sich am meisten aufregen, vollkommen egal. Sie sind gerade gut genug für reißerische Beschreibungen von zerfetzter Unterwäsche und Fingern an Körperöffnungen und gut genug als Grund, sich als besorgter Bürger zum edlen Ritter und Frauenbeschützer aufzuschwingen. Inzwischen wird über die Ausweisung straffällig gewordener Asylsuchender gesprochen, obwohl die Herkunft der Täter bislang nicht klar ist. Dabei ist das noch der vergleichsweise seriöse Teil dieser Debatte. Stumpf vereinfacht gelten die Täter kaum noch als Einzelpersonen, sondern sind nur noch eine diffuse Masse notgeiler Ausländer, die mit Tiervokabeln beschrieben werden: Wie konnte das geschehen, dass sich Männer "zusammenrotten" und "in großen Rudeln über Frauen herfallen", fragt die "Emma". Von einer "wild gewordenen Männer-Meute aus dem arabischen/nordafrikanischen Raum" wird woanders gesprochen. Auf Twitter ist von "Primaten" und "Affen" die Rede. Denen, die nun darauf hinweisen, dass sexualisierte Gewalt nicht erst mit den Flüchtlingen nach Deutschland gekommen ist, wird vorgeworfen, die Vorfälle von Köln zu verharmlosen. Feministinnen, die seit Jahren und Jahrzehnten über Gewalt gegen Frauen schreiben, wird erklärt, sie würden nur ablenken wollen, um die Täter von Köln zu schützen - das ist absurd und zeigt, wie sehr die Debatte aus dem Ruder gelaufen ist. Es ist, als würde jemand rufen: "Es brennt in der Küche!" und jemand antwortet: "Im Wohnzimmer auch!", und dann sagt der Erste: "Ach was, du willst also nicht die Feuerwehr rufen?"
  • Rechte Hetze: Wie die AfD die Übergriffe von Köln instrumentalisiert (Spiegel Online)
  • Die AfD versucht, von den Kölner Übergriffen politisch zu profitieren: Mit massiven Angriffen gegen die Kanzlerin und Stimmungsmache gegen Flüchtlinge wollen die Rechtspopulisten punkten. Die deutsche Frau, angeblich bedroht vom fremden Mann - mit diesem Vorurteil lässt sich bei der Anhängerschaft der AfD punkten. "Die Angsträume werden größer in unserem Land", rief Björn Höcke. "Gerade für blonde Frauen werden sie leider immer größer." Im Herbst war das, bei einer von ihm organisierten Kundgebung in Erfurt. Einige Tausend Teilnehmer jubelten dem Landes- und Fraktionschef der Thüringer "Alternative für Deutschland" zu.
  • Nach den Übergriffen in der Silvesternacht: Das Problem ist und bleibt Sexismus (tagesschau.de)
  • Köln: Kampf gegen sexuelle Gewalt und gegen Rassismus gehören zusammen (freiheitsliebe.de)
  • Die unfassbaren Taten in Köln lösten in den letzten Tagen berechtigte Kritik aus. Medienberichte überschlagen sich und Rechte werden plötzlich zu Verfechtern von Frauenrechten. So wird die berechtigte Empörung auch für die Verbreitung rassistischer Hetze missbraucht. (...) Es sind genau diese Männer und ihre Positionen, die eine ernsthafte Debatte über sexuelle Gewalt seit Jahren verhindern. Es ist ihre Politik die die Situation für Frauen tatsächlich erschwert, indem Einrichtungen, die sich um Betroffene kümmern, nicht ausfinanziert werden, indem Sozialleistungen gekürzt werden, und sexistische Geschlechterrollen reproduziert werden. Genau deshalb ist es einfach nur unglaubwürdig, wenn sich Rechte plötzlich als „Verfechter von Frauenrechten“ darstellen. Sie sind selbst Teil des Problems, und verstellen uns mit ihrer Hetze gegen Flüchtlinge und Migrant_innen tatsächlich den Weg zu einer Lösung.

Update 12.01.2016

Aktuelle Ermittlungsergebnisse zu Silvester in Köln

  • Der Polizei liegen - Stand Montagabend - 553 Strafanzeigen vor. Noch am Nachmittag war von 516 Strafanzeigen die Rede gewesen. In 237 Fällen handele es sich dabei um mutmaßliche Sexualdelikte. In 107 dieser Sexualfälle sei gleichzeitig ein Diebstahl angezeigt worden. Bei den übrigen 279 angezeigten Straftaten handele es sich um mutmaßliche Eigentums- und Körperverletzungsdelikte.
  • Die Bundespolizei identifizierte 32 Tatverdächtige. Darunter sind neun algerische, acht marokkanische, fünf iranische, vier syrische, ein irakischer, ein serbischer, ein US-amerikanischer sowie drei deutsche Staatsangehörige. 22 seien Asylbewerber.
  • Der Kölner Polizei sind 19 Personen namentlich bekannt, die für Straftaten in der Silvesternacht am und im Hauptbahnhof verantwortlich sein könnten. Keiner der Tatverdächtigen hat nach Polizeiangaben die deutsche Staatsbürgerschaft. Auf einer Liste der Polizei sind unter den Verdächtigen sieben marokkanische, ein tunesischer, ein syrischer, ein libyscher, ein somalischer, ein iranischer, ein türkischer, ein albanischer und drei algerische Staatsangehörige. Von zwei Beschuldigten ist die Staatsangehörigkeit noch nicht geklärt. Zehn Tatverdächtige sind Asylbewerber, neun von ihnen vermutlich illegal in Deutschland. Niemand von ihnen soll seinen Wohnsitz in Köln haben.
  • Vier der Tatverdächtigen sind dem Innenministerium zufolge bereits in Untersuchungshaft, ihnen wird Diebstahl und Raub in unmittelbaren Zusammenhang mit den Ereignissen in der Silvesternacht vorgeworfen.
  • Laut NRW-Innenminister Ralf Jäger hat die Polizei die Lage falsch eingeschätzt. So habe die Kölner Polizei habe keine Verstärkung angefordert. Dabei hätten viele Einsatzreserven zur Verfügung gestanden. Gegen 23.30 Uhr sei die Landesleitstelle der NRW-Polizei informiert worden. Während des Telefonats hätte die Leitstelle Unterstützungskräfte angeboten. Der Dienstgruppenleiter der Leitstelle des Polizeipräsidiums Köln habe deren Einsatz jedoch nicht für nötig gehalten.
  • Die Polizei hat nach Angaben des NRW-Landeskriminaldirektors bisher keine Erkenntnisse, dass die Übergriffe in Köln an Silvester im Vorfeld geplant und abgesprochen waren.
  • Die Zahl der Anzeigen nach den Attacken auf Frauen in Hamburg steigt weiter. Inzwischen habe die Polizei 153 Anzeigen gezählt, sagte ein Polizeisprecher. Um wie viele Opfer es sich handle, sei noch unklar, da in einigen Fällen mehrere Frauen zugleich angegriffen, begrapscht oder bestohlen wurden.
  • http://www.tagesschau.de/inland/koeln-uebergriffe-109~_origin-b9772078-0677-4be2-ad0d-6a982cb68734.html

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