Sächsicher Bürgerpreis: „Auszeichnung ist Freude, aber auch Verpflichtung“

Ruth Zacharias und Dr. Albrecht Goetze sind am 20. Oktober in der Dresdener Frauenkirche mit dem “Sächsischen Bürgerpreis” für ihr gesellschaftliches Engagement ausgezeichnet worden.

Von Joachim Wolf

„Jede Auszeichnung ist eine Freude, aber auch eine Verpflichtung - eine Verpflichtung weiter aufzurütteln und weiter zu streiten“, sagte Ruth Zacharias in ihrer Dankesrede. Sie kündigte an, das Preisgeld von 5.000 Euro für die weitere Sanierung einer Tages- und Begegnungsstätte für taubblinde Menschen zu spenden, die ihr Radeberger Verein „Taubblinden e.V.“ unter anderem betreibt. Dabei rief sie auch zu weiteren Spenden für das Projekt auf. Ruth Zacharias war bereits als Kind vollständig erblindet und erfuhr deshalb schon früh, was es bedeutet, aufgrund einer Behinderung ausgegrenzt zu werden. Wohl auch wegen dieser Erfahrung setzt sie sich schon seit vielen Jahren dafür ein, dass taubblinden Menschen „das Recht auf Teilhabe am kirchlichen, gesellschaftlichen, kulturellen Leben gewährt“ wird, wie es in den Leitlinien von „Taubblinden e.V.“ unter anderem heißt. Der Verein betreibt die Seelsorge-, Beratungs-, Bildungs- und Ferienstätte „Storchennest“, die von einem Botanischen Blindengarten umgeben ist. Angeschlossen ist ein Wohn- und Arbeitsprojekt für 22 Taubblinde. Das „Storchennest“ befindet sich in einer alten Villa, deren Ruine aus Spendengeldern und mit nur geringen öffentlichen Geldern renoviert wurde. „Taubblinden e.V.“ ist ein Fachverband im Diakonischen Werk der EKD.

Auch Dr. Albrecht Goetze war sichtlich über die Auszeichnung erfreut und stolz darauf, an einem Ort, der „eigentlich die Wunde der Stadt ist“, einen „Ort der Begegnung“ geschaffen zu haben. Goetze hatte 2006 den Verein „Meetingpoint Music Messiaen“ gegründet, um auf dem Gelände des ehemaligen deutschen Kriegsgefangenenlagers Stalag VIII A eine Jugend-Kultur-Begegnungsstätte zu errichten. Seitdem organisierte der Verein zahlreiche Musikevents, Vermittlungsveranstaltungen sowie eine Geschichtswerkstatt, in der sich Jugendliche mit der dunklen Vergangenheit des Ortes beschäftigen: Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sollen etwa 10.000 Menschen in dem Lager, dessen Gelände sich im heutigen Zgorzelec befindet, gestorben sein. Benannt hat sich der Verein nach dem Komponisten Olivier Messiaen (1908-1992), der selbst im Stalag VIII A interniert war und dort eines seiner wichtigsten Werke komponierte und zur Aufführung brachte. „Europa ist Musik - mit diesem Leitmotiv bauen wir den Meetingpoint Music Messiaen bewusst auf dem geschichtsträchtigen Terrain des ehemaligen Strafgefangenenlagers, mit Ehrfurcht und Achtung vor den Menschen, die hier gelitten haben, bevor Europa sich auf den Weg zu sich machen und beginnen konnte, zusammenzuwachsen“, ist deshalb auch auf der Vereins-Homepage zu lesen.

Was ehrt der "Sächsische Bürgerpreis"?
„Pioniere des bürgerschaftlichen Engagements“ nannte Prof. Dr. Wolfgang Böhmer die Preisträger in seinem Festvortrag. Gleichzeitig mahnte er, dass Demokratie „kein Ruhekissen, sondern eine permanente Aufgabe“ sei. Bürgerschaftliches Engagement habe einen „konstitutiven Anteil an einem freiheitlich-demokratischen Staat“, betonte der ehemalige Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. Überhaupt hoben alle Redner an diesem Abend die Wichtigkeit der aktiven Teilnahme der Bürger an der Demokratie hervor. Dabei verwendeten sie hierfür allerdings teilweise ganz unterschiedlich besetzte Begriffe. Während Prof. Dr. Böhmer vom „bürgerschaftlichen Engagement“ sprach, betonte der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich mit dem Sächsischen Bürgerpreis solle „demokratische Kultur sichtbar gemacht, gewürdigt und gestärkt werden“. Aber auch von „ehrenamtlichen Engagement“ sprach er in diesem Zusammenhang.

Anspielungen auf die "Extremismusklausel"-Auseinandersetzung
Für den Pfarrer der Frauenkirche, Sebastian Feydt, ist der „Sächsischen Bürgerpreis“ eine Auszeichnung für das Engagement der Preisträger für „Frieden und Toleranz“. Und der Sächsische Ministerpräsident Tillich sagte in seiner Rede: „Wir würdigen Bürger, die selbstbestimmt handeln“. Dieses demokratisch-selbstbestimmte Handeln bedeute, dass „niemand uns Bürgern vorschreiben dürfe, was wir zu tun oder zu lassen haben“. Es finde aber dort seine Schranken, wo demokratisch bestimmte Grenzen überschritten würden - eine deutliche Anspielung auf die Auseinandersetzung um die „Extremismusklausel“, bei der Projekte, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, unterschreiben müssen, dass sie und alle ihre Projektpartner auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Diese Regelung wird von einer Vielzahl zivilgesellschafticher Akteure als „Mißtrauenklausel“ abgelehnt. Die Auseinandersetzung um die „Extremismusklausel“ hatte auch dazu geführt, dass der Freistaat Sachsen, die Stiftung Frauenkirche und die Kulturstiftung der Dresdner Bank sich nicht mehr am „Sächsischen Förderpreis“ beteiligten, sondern in diesem Jahr zum ersten Mal den Sächsischen Bürgerpreis verlieh. Der „Sächsische Förderpreis“ wird am 9. November ebenfalls in Dresden verliehen.

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