Rechtsextremismus im Web 2.0: Verwirrspiele, Penetranz und Gegenwehr

Der Verfassungsschutz Niedersachsen warnt aktuell vor Nazis in sozialen Netzwerken. Wie ungestört sie dort agitieren können, hängt auch von der Aufmerksamkeit der Mitnutzer und Mitnutzerinnen ab. Ein Erfahrungsbericht aus der Netzdemokratie.

Von Simone Rafael und Joachim Wolf

Netz-gegen-Nazis hat eine Seite auf Facebook. Hier vermelden wir Nachrichten der Presseschau sowie neue Artikel auf der Seite. Am 31. März etwa: „In deutschen Schulen treten immer häufiger Fälle von Ausgrenzung unter den Jugendlichen auf. Oft ist es die Unwissenheit und starke Vorurteile, die das Bild der Ausgrenzer von ihren Mitmenschen prägen.“ Der erste Kommentar dazu kam von Toralf G.*: „Ich als einer der wenigen Deutschen habe mich in meiner damaligen Schule auch ausgegrenzt gefühlt. Die Araber, Vietnamesen und Osteuropäer blieben lieber unter sich.“ Eine klassische Rechtsaußen-Internet-Kommentar-Strategie: Bilder von Migranten in der Übermacht entwerfen und ihnen dabei gleich noch eine geheimbündnerisch-verschlagene Komponente geben. Ein anderer Leser wurde aufmerksam, klickte mal aufs Profil und da waren die Verbindungen nicht mehr schwer zu erkennen: „Vielleicht waren es in dem Fall nicht Unwissenheit und starke Vorurteile, die zu seiner Ausgrenzung führten, sondern eher die Tatsache, dass seine Mitschüler einem REP-Sympathisanten lieber aus dem Weg gegangen sind. Für alle die mehr erfahren wollen: Das ist Toralf G.* (Bundesvorstandsmitglied der Republikaner, die Red.). Ich glaube nicht, dass jemand, der derart offenkundig mit dem Nationalismus zündelt, hier auch nur ein Wort sagen sollte!“ Danach war Herr G.* still.

Erstaunlich offen

Auch wenn die NPD in ihrer Parteizeitung "Deutsche Stimme" den Anhängern aktuell zur Tarnung rät - Rechtsextreme treten in sozialen Netzwerken oft erstaunlich offen auf – mit Hakenkreuzabbildung oder „Stahlgewitter“-CD als Profilbild, mit Nicknames wie „NSDAP88“, „Combat18“ (militanter Arm der Neonazi-Organisation "Blood & Honor") oder „Lunikoff“ (Name des ehemaligen Sängers der Neonazi-Band „Landser“) (haben sich alle so hier im Forum von „Netz GEGEN Nazis“ angemeldet und wollten ernsthaft so mitdiskutieren), oder mit Pinnwand-Postings wie „Netz gegen Nazis interessiert mich nicht, bin Nazi“ oder „Antifanten an die Wand“ (alle auf dem „Netz gegen Nazis“-Profil bei SchülerVZ). Hier geschieht in der Regel, was sich die Betreibe sozialer Netzwerke wie die VZ-Gruppe oder Facebook auch wünschen: Nutzerinnen und Nutzer werden aufmerksam, melden die Profile – und die Betreiber löschen sie (mehr oder weniger) umgehend, wenn sie rassistische, antisemitische oder andere menschenfeindliche Inhalte enthalten.

Praktische und scheinbare Dominanzen

Bei den offen Rechtsextremen ist vor allem die Penetranz ermüdend, mit der sie ihre Meinung unters Volk bringen wollen – übrigens mehr als in sozialen Netzwerken noch in den Kommentarspalten der Internetauftritte von großen Tageszeitungen, gestern etwa „live“ zu beobachten bei welt.de, deren Redaktion einen Artikel zu Rechtsextremismus in Internet brachte, der zunächst von Nutzern mit Namen wie „Horst Mahler 4 president“, "Pro NPD" oder „Erdogan greif Israel an“ einschlägig kommentiert wurde (inzwischen dankenswerterweise von der Moderation bearbeitet). Deutlich erkennbar: Wo die Rechtsaußen-Diskutanten in der Überzahl sind, haben Demokraten oft keine Lust mehr, sich zu Wort zu melden – dabei kann dies die einzig wirkungsvolle Strategie sein, wenn man mit dem Gedanken eines freien Internet sympathisiert. Pikanterweise stand der Artikel auf welt.de auch noch anderer Stelle, dort ohne Kommentarfunktion, aber mit automatisch nach Stichwort generierter Google-Ads-Werbeanzeige der "NPD Weißenfels“ mit Link zu deren Internetseite. Noch eine Variante von Rechtsextremismus im Internet.

Foren-Strategien: Ablenken und verwirren

Bei Foren- oder Pinnwand-Kommentaren verfolgen rechtspopulistisch, islamfeindlich, antisemtisch oder rechtsextrem argumentierende Menschen schon geschicktere Strategien, die nicht nur die vom Verfassungsschutz so gern genannten Jugendlichen, sondern auch gestandene Erwachsene verwirren. Diskutiert man etwa zum Thema Rechtsextremismus, sind typische Störversuche und Ablenkungsmanöver rechtsextremer Nutzer etwa der Verweis auf Themen wie Linksextremismus („In Berlin brennen täglich Autos und da macht keiner Lichterketten“), Ausländerkriminalität („Man kann sich in bestimmte Viertel in Deutschland schon gar nicht mehr trauen als Deutscher, ohne Angst zu haben, zusammengeschlagen zu werden.“) oder Islamismus („Ihr werdet hier bestimmt noch alle ruhig sein, wenn die Kulturbereicherer hier die Scharia einführen.“). Zwar muss es sich hierbei nicht zwangsläufig um rechtsextreme Ablenkungsversuche handeln- von den Neonazis werden diese Themen aber gerne benutzt, um die Gefahr von Rechts herunterzuspielen, den Einsatz gegen Rechtsextremismus zu diskreditieren oder vom eigentlichen Diskussionsthema abzulenken. Ob jemand wirklich an einer konstruktiven Diskussion interessiert ist oder eher Parolen drischt, lässt sich oft durch Nachfragen herausfinden.

"Die NPD ist doch nicht verboten!"

Dem Herunterspielen der Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht, dient auch die Selbststilisierung der Neonazis als „Opfer“ einer „Meinungsdiktatur“ und als „wahre Freiheitskämpfer“ bzw. „einzige Opposition“. Diese Argumentation findet sich immer wieder vor allem in moderierten Internetforen. Durch Argumente wie „Wir leben doch in einer Demokratie und die NPD ist nicht verboten!“ sollen demokratische Nutzer verunsichert und der Einsatz gegen demokratiefeindliche Ideologien diskreditiert werden. Und: Die Diskussion wird auf ein anderes Thema gelenkt, wenn beispielsweise in einem Forum, in dem es darum geht, was man tun kann, wenn die NPD Flugblätter von der Schule verteilt, plötzlich grundsätzlich über das Thema „Demokratie“ diskutiert wird. Allerdings: Wenn Neonazis über „Meinungsfreiheit“ und „Demokratie“ reden, dann meinen sie Holocaustleugnung, Volksverhetzung und NS-Verherrlichung.

Demokratische Grundwerte auch im Web 2.0 verteidigen

Sind solche rechtsextremen Aktivitäten im Internet gefährlich? Das sind sie, wo sie als steter Tropfen, der den Stein höhlt, allmählich Grenzen des Tolerierbaren verschieben – und eine Meinungsvorherrschaft vorgaukeln, die im Vergleich mit der wirklichen Welt zum Glück lächerlich ist, aber genau deshalb auch nicht einschüchtern sollte. Wo fangen Rassismus und Antisemitismus an? Wie viele Verallgemeinerungen und Falschdarstellungen sind noch persönlicher Unwissenheit zuzuschreiben und wann sind die Grenzen erreicht, an der eigene Meinungsfreiheit die Gleichheitsrechte anderer Menschen verletzt? Dass muss in der virtuellen Welt genauso ausgehandelt werden wie in der wirklichen Welt. Zum Glück, so unser Erlebnis der sozialen Netzwerke, nimmt aber nicht nur die Zahl der Rechtsextremen im Netz zu, sondern auch die Zahl derjenigen, die bereit sind, dagegen aktiv zu werden und die Einhaltung demokratischer Grundrechte einzufordern.

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Mehr im Internet:

| Social Networking für Nazis (mut-gegen-rechte-gewalt.de)

| Revolution im Web: Hier kommen die Nazis 2.0 (npd-blog.info)

* Ergänzung 25. Januar 2011: Nach eigenen Angabe ist Toralf G. im November 2010 "aus dieser Partei ausgetreten und ich habe mich aus dieser Szene zurückgezogen."

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