Rechtsextreme Alltagskultur in Anklam: Mit Mutti ins "New Dawn"

Wie sieht sie aus, rechtsextreme Alltagskultur? Wissenschaftler Dierk Borstel hat sie in Mecklenburg-Vorpommern im ländlichen wie im städtischen Raum beobachtet und analysiert - etwa, wie ein rechtsextremes Geschäft Aufschluss gibt über die Einstellung der umgebenden Gesellschaft.

Von Dierk Borstel *

„Braun gehört zu bunt dazu“ ist die Aussage eines Teilnehmers einer rechtsextremen Demonstration im Jahr 2004 in Anklam. Rechtsextreme Akteure suchen nach Wegen in die Mitte der Gesellschaft. Ostvorpommern gehört zu den von Rechtsextremisten europaweit gepriesenen Modellregionen. Dabei ist der Landstrich auch ohne Rechtsextremismus schon mit zahlreichen Problemen behaftet - wie demographischer Wandel, hohe Arbeitslosigkeit, unsicheres Demokratieverständnis. All das ist ein idealer Nährboden für diejenigen Strömungen, die sich in Opposition zur Demokratie definieren und für einen neuen nationalen Sozialismus einstehen.

Im Buch "'Braun gehört zu bunt dazu!'. Rechtsextremismus und Demokratie am Beispiel Ostvorpommern" gibt Dierk Borstel exemplarisch anhand der Kreisstadt Anklam sowie eines kleinen Dorfes Einblick in die Interaktion zwischen rechtsextremen und demokratischen Akteuren im ländlichen Raum. Es beschreibt dicht die Akteure und ihr Handeln sowie die spezifische politische Kultur, die dieses Handeln umrahmt.

Auszug: Anklam: Das "New Dawn" und seine Kundschaft

Neben A-Dorf interessiert mich schnell das urbanere Anklam. Aus Presseveröffentlichungen und von Kollegen wusste ich, dass es in Anklam aktive rechtsextreme Akteure gibt. Auch bei ersten Besuchen fällt bereits im öffentlichen Raum der Innenstadt die deutliche Präsenz rechtsextrem orientierter Jugendlicher und Erwachsener auf. Gleichzeitig begegne ich jedoch bei Gesprächen und ersten Begegnungen in Anklam - wie vorher schon in A-Dorf - einer angenehmen Freundlichkeit im Umgang mit mir, dem Fremden. Mir scheint dies damals widersprüchlich zu sein. Hinzu kommt die offensichtlich schwierige sozio-ökonomische Situation der Region und der Stadt im Besonderen.
In vielen Diskursen zur Etablierung der Demokratie in Westdeutschland wird auf die integrierende und Demokratie verankernde Rolle des wirtschaftlichen Aufschwungs verwiesen. Wie steht es jedoch um die Verankerung der Demokratie in einem Transformationsgebiet mit dermaßen schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen? Und: wie kann dort die Auseinandersetzung mit einem offensichtlich starken Rechtsextremismus erfolgen? Diese Rahmenfragen verengte ich schließlich zur selben Frage wie in A-Dorf:

Wie erfolgt die Interaktion von Rechtsextremismus und Demokratie in Anklam?

Schon nach wenigen Besuchen war mir dabei klar, dass Felder der Auseinandersetzung nicht alleine das Stadtparlament oder der öffentliche Raum sind, sondern dass ein Teil der Interaktion, ähnlich wie in den Familien von A-Dorf, im Alltag der Menschen erfolgt. Meine erste Vermutung ist, dass Rechtsextremismus in Anklam wie schon in A-Dorf Teil der Alltagskultur ist und es dort Auseinandersetzungen geben könnte.

Um die Interaktion von Rechtsextremismus und Demokratie verstehen und analysieren zu können, entschloss ich mich, auch einen Teil meines Alltags nach Anklam zu verlegen. Meine Forschungsstrategie ist es, mich besonders durch teilnehmende Beobachtungen, Gespräche und leitfadengestützte Interviews der Interaktion von Rechtsextremismus und Demokratie in der Alltagskultur von Anklam zu nähern. Teil meiner Forschungsstrategie ist die Anmietung einer Wohnung im Lindenstraßen-Viertel, die ich etwa zwei Jahre lang von 2003 bis 2005 als Zweitwohnung nutze. Ich verspreche mir davon eine deutlichere Nähe zur Alltagskultur und Kontakte, die ich als Reisender sonst nicht bekommen hätte.
(…)

Es gibt in Anklam einen Ort, an dem Rechtsextremismus nicht zu übersehen ist: das „New Dawn“. Dabei handelt es sich um ein Fachgeschäft mit rechtsextremen Musikprodukten, Printmedien und Kleidungsstücken. Das Geschäft liegt etwa fünf Fußminuten vom Rathaus entfernt an der Anklamer Hauptverkehrsader. Es öffnet ab Dienstag am frühen Nachmittag. Ist es geschlossen, sind schwere Rollläden heruntergezogen. Durch die verschlossene Tür kann man vom Inneren nichts sehen.. Zu den Öffnungszeiten kann man in ein spärlich dekoriertes Schaufenster gucken. Die Innenausstattung wird nach dem ersten Besuch im Forschungstagebuch wie folgt protokolliert:

„Wenn man durch die Ladentür eintritt, kann man geradeaus auf einen Verkaufstresen zugehen. Der Laden ist innen überraschend groß und hauptsächlich mit Kleidungsständern an den Wänden, in der Fläche und auch an einzelnen Säulen vollgestellt. Hinter dem Tresen steht eine Frau, bunt geschminkt und vielleicht Ende 20 Jahre alt. Sie telefoniert und nickt mir zu. Ansonsten ist keine Kundschaft im Raum. Ich schaue mich um. Auf dem Tresen befindet sich links ein Schubfach mit aktuellen Fanzines. Daneben steht eine Sammlung von vielleicht 100 CDs einschlägiger rechtsextremer Bands und Liedermacher und sogar einige Langspielplatten. Ich erinnere mich an folgende Namen: Frank Rennicke, Jörg Hähnel, Skrewdriver, Nordsturm, Kahlschlag, Oidoxie, Tonstörung, Spreegeschwader, Sammlungen des Nationalen Widerstandes, Annett – Eine deutsche Mutter klagt an, Bollwerk. Der Laden besteht aus zwei Einheiten. Rechts vom Tresen ist ein größerer Raum, in dem hauptsächlich Kleidungsstücke angeboten werden. Dabei lassen sich größere Sammlungen in allen Größen und Farben u.a. folgender Marken finden: Lonsdale, Consdaple, Masterace, Alpha Industrias, Pitbull, Fred Perry, Ben Sherman, Pitbull. Hinten links erkenne ich eine kleine Umkleidekabine. Sie ist dekoriert mit einem Schal, dessen Aufdruck „White Power“ lautet. Dort findet sich auch eine kleine Anzahl an Reichskriegsflaggen. Auffallend ist auch ein Bildschmuck mit Wikingern, der auch in Kalenderform angeboten wird.

Einige Shirts haben Sprüche als Aufdruck. Ich erinnere mich an: „White Power“ und „Nationaler Widerstand“. Einige ziert auch eine weiße Faust als Emblem.

Die Verkäuferin fragt mich, ob ich etwas Spezielles suche. Ich frage deshalb, ob es auch Angebote für Kinder gebe. Sie stutzt etwas und zeigt auf eine kleine Abteilung an der linken Hauswand. Dort seien einige Stücke. U.a. befindet sich dort ein Shirt für vielleicht 4-5-jährige Kinder mit der Aufschrift „Kleiner Wikinger“. Direkt daneben finden sich Shirts, bei denen unklar ist, ob sie für Kinder geeignet oder bauchfrei zu tragen sind.“

Es ist dies nicht die Stelle, an der die Bedeutung rechtsextremer Symbolik analysiert werden soll. Folgende Punkte seien nur festgehalten:

• Die genannten Markenartikel und Kleidungsfirmen gehören allesamt zu denen, die in der rechtsextremen Szene begehrt sind und hoch gehandelt werden.

• Einige Symboliken sind ohne den rechtsextremen Kontext sinnlos und damit eindeutig rechtsextrem. Beispielsweise stehen „14 words“ in der rechtsextremen Szene für die Forderung nach arischer Reinheit, wie am Beispiel A-Dorf bereits ausgeführt wurde.

• Der Ausspruch „White Power“ steht für die Zuordnung zur internationalen „White Power“-Bewegung, die besonders im Musikkontext, aber auch in ihrer internationalen Verbindung u.a. in Richtung USA, bedeutend ist.

• Bei den CDs handelt es sich um ein Angebot eindeutig rechtsextremer Bands bzw. Liedermacher wie Frank Rennicke oder Jörg Hähnel. Einige CDs kommen eher aus dem unpolitischen Spektrum der Skinheadmusik. Weitere Bands gehören dem Layout ihrer CDs nach auch zur Black Metall-Szene und dem Grufti-Spektrum.

Das Geschäft befindet sich mitten im Herzen der Stadt Anklam und dort auch nicht im Hinterhof, sondern nach vorne zur Hauptverkehrsstraße gelegen. Seine Angebotsstruktur lässt auf einen eindeutig rechtsextremen Kontext schließen. Die rechtsextreme Szene unterhält somit eine öffentlich zugängliche und zentrale Anlaufstelle. Es ist deshalb interessant, wer die Anbieter und Nutzer dieses Angebots sind. Im Laufe der Besuche können diesbezüglich immer wieder Beobachtungen gemacht werden. So ist das Geschäft in immerhin acht von zehn Fällen besucht, als ich dort zu unterschiedlichen Zeiten erscheine. Im Forschungstagebuch sind dazu folgende Passagen festgehalten:

Beobachtung Nr. 1
„… Als ich gerade in einigen Fanzines blättere, geht hinter mir die Tür auf. Herein kommt ein unauffällig gekleidetes Mädchen – vielleicht 14 oder 15 Jahre alt. Im Schlepptau hat sie eine ältere Frau, vom Äußeren her vermutlich ihre Mutter. Das Mädchen zeigt auf einen Kleidungsständer und sucht etwas zwischen den Jacken. Immer wieder zeigt sie der älteren Frau einzelne Stücke. Beide beraten, was zu dem Mädchen passen würde. Dabei höre ich nur einzelne Wortbrocken wie „etwas zu teuer“, ‚steht Dir nicht’, ‚Die Farbe ist doch nichts’ oder ‚Was ist denn damit?’“

Beobachtung Nr. 2:
„Im Türeingang steht ein durchtrainierter Mann, offensichtlich Kraftsportler, im weißen Hemd mit freien Armen, die über und über mit nicht genau erkennbaren Bildern tätowiert sind. Vor seinen Füßen liegt ein vielleicht acht bis zehn Monate altes Baby, welches sich neugierig umguckt. Der Mann trinkt ein Bier, blickt mir unfreundlich in die Augen, spricht kurz mit dem Besitzer und lacht dann das Kind an. Im Hintergrund läuft englische Rockmusik. Die CD wird später wieder in ein Regal mit diversen rechtsextremen Titeln zurückgestellt.“

Beobachtung Nr. 3
„…Am Tresen stehen zwei Männer, groß gewachsen, sportlich. Sie reden mit der Bedienung, vor sich haben sie jeder eine geöffnete Bierflasche. Einer hält in seiner Hand eine CD, öffnet diese und zeigt auf einzelne Bilder im Booklet. Der andere hat eine Hundeleine in der Hand. Der Kampfhund fängt an zu knurren und starrt mich an, als ich zu den Fanzines gehe. Der Hundehalter blickt zum Verkäufer. Der sagt: „Ist OK.“ Darauf zieht er kurz an der Leine und der Hund beendet sofort seine Gebärde. Alle drei duzen sich, reden in meinem Beisein aber scheinbar deutlich weniger als vor meinem Erscheinen….“

Beobachtung Nr. 4
… An einem Kleidungsständer mitten im Raum steht ein etwa 18-jähriger Junge. Er hat einen kahl geschorenen Kopf, trägt Domestosjeans, Stiefel und eine Bomberjacke. Auf seinem Shirt erkenne ich den Ausspruch ‚White Skinheads’“

Beobachtung Nr. 5
„… Gleich links von der Eingangstür sitzen ein Mädchen und ein Junge. Sie ist vielleicht 16 und er 17 oder 18 Jahre alt. Beide tragen keine auffälligen Kleidungsstücke, sondern Jeans und T-Shirt. Sie zeigt auf einzelne Hemden, z. T. lachen beide zusammen. Er küsst sie kurz, was sie mit einem Lächeln erwidert. (…) Etwa zehn Minuten später sehe ich zufällig das jugendliche Pärchen aus dem New Dawn an mir vorbeigehen. Er hält eine CD in der Hand und zeigt ihr das Booklet. Sie hält ein T-Shirt in der Hand, welches sie vorher im Laden vom Ständer nahm und ihm zeigte. Die Aufschrift kann ich nicht erkennen. Dafür ist auf der Vorderseite ein Sonnenrad sichtbar.“

Beobachtung Nr. 6
„Heute stehen wieder zwei Männer, Ende 20 bis Ende 30, am Tresen. Sie unterhalten sich angeregt bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich ihnen nähere. Dann wird es zumeist ruhig und dabei bleibt es auch, bis ich den Laden wieder verlasse. (…) Der Typus der Kernbesucher ist oft ähnlich: männlich, meistens um die 30 Jahre alt, zumeist mit Bierflasche in der Hand, sehr kurz geschorene Haare, zumeist eher sportlich.“

Die Beobachtungen zeigen, dass es kein einheitliches Publikum im New Dawn gibt. Zwar herrscht männliche Kundschaft um die 30 Jahre vor. Es finden sich dort aber auch Teenager, einmal sogar mit elterlicher Begleitung. Auch das spielende Baby soll nicht unerwähnt bleiben. So eindeutig das Angebot, so scheinbar uneindeutig ist das Publikum. Die Gespräche mit dem Inhaber deuten darauf hin, dass ihm das Stammpublikum wohl bekannt ist. Dazu muss die örtliche rechtsextreme Szene gezählt werden, wie beispielsweise das Thema Musik zeigt. Hinzu kommt ein Vertreter der jugendlichen Subkultur Skinheads, dessen T-Shirt ihn als Vertreter des rechtsextremen Flügels der Skinheadbewegung auszeichnet.

Dass Vertreter der rechtsextremen Szene „ihre“ Infrastruktur benutzen, oder dass sich dort rechtsextreme Skinheads neu einkleiden, ist kein besonders aufregender Befund. Interessanter ist hingegen das Auftreten der Teenager. Sie haben im Laden Spaß und zeigen den auch durch ihr Verhalten. Von Scham oder Aufregung ist keine Spur. Es ist für sie ein „normaler“ Ort zum Konsum. Auch die Mutter hat kein Problem mit dem Geschäft oder dessen Inhalten. Ihre Kommentare beziehen sich alleine auf unpolitische, rein ästhetische Fragen. Sie zahlt später auch die ausgesuchte Jacke. Dieses Verhalten deutet darauf hin, dass der Besuch nicht als unangenehm oder unpassend für das Mädchen empfunden wird Alles scheint völlig „normal“ oder wie Schröder es provokativ formuliert: Rechtsextreme Symbolik ist hier „Pop“ bzw. populäre Kultur.

* Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch:

Dierk Borstel:
"Braun gehört zu bunt dazu!". Rechtsextremismus und Demokratie am Beispiel Ostvorpommern.
MV-Wissenschaft, Münster, ISBN 978-3-86991-312-4, 22,80 Euro

| www.mv-buchhandel.de

Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Mehr im Internet:

| Erlebniswelt Rechtsextremismus
| Mecklenburg-Vorpommern

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