Preise für Demokratie mit und ohne Bürger und Eigensinn in Sachsen

Stanislaw Tillichs neuer "Bürgerpreis" soll aufrechte Demokraten ehren. Stattdessen ist blamiert, wer ihn erhält.

Von Michael Kraske

Vom neuen Sächsischen Bürgerpreis hat Anetta Kahane aus der Zeitung erfahren. Maßlos enttäuscht und frustriert sei sie, sagt die 57-Jährige. Kahane – rothaarig, streitbar – ist Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung für Zivilcourage. Und bundesweit eine der markantesten Stimmen im Kampf gegen Rechtsextremismus.

Kahanes Stiftung vergibt jährlich den renommierten Sächsischen Förderpreis für Demokratie. Er ist als Ermutigung gedacht. Ermutigen will man jene, die sich Neonazis in den Städten und auf dem Land entgegenstellen. Denn der Freistaat, sagt Kahane, sei noch immer rechtsextremer Brennpunkt: »Die NPD sitzt weiterhin im Landtag, die gewaltbereite Neonazi-Szene hat sich vielerorts festgefressen.« Die Stiftung war stolz, ihren Preis jahrelang gemeinsam mit der Staatsregierung vergeben zu können. Denn dieser Akt hatte Symbolkraft – Bürgerinitiativen und Regierung, Seite an Seite gegen Neonazis.

Damit ist jetzt Schluss. Die Staatskanzlei ist vor wenigen Monaten aus dem Projekt ausgestiegen und hat einen neuen, eigenen Preis ausgelobt. In dieser Woche wird der Sächsische Bürgerpreis erstmals vergeben – ohne Kahane und ihre Stiftung; und nunmehr nur noch an Initiativen, die der CDU-geführten Regierung genehm sind. Die Preisträger werden damit eher blamiert als geehrt. Sie wissen, dass sie auf der Siegerliste stehen, weil Premier Stanislaw Tillich glaubt, sie seien für seine PR nützlich. Schon heißt es: Beim Bürgerpreis werde geballte Harmlosigkeit ausgezeichnet. »Der Freistaat«, sagt Anetta Kahane, »stellt das geschlossene Signal gegen Rechtsextremismus in Frage.«

Künftig gibt es zwei Trophäen für vorbildliche Sachsen – von Kahane und von Tillich. Bei dem Streit um die Preise geht es vor allem um Deutungshoheit. Darüber, wer und was eigentlich die Demokratie im Freistaat bedroht.

Die Geschichte der Entfremdung zwischen Amadeu-Antonio-Stiftung und Sachsens Staatsregierung begann ausgerechnet mit einem Festakt. 2010 endete die Verleihung des Demokratiepreises im Eklat. Der Verein Akubiz aus Pirna, seit Jahren Gegenspieler der militanten Kameradschaftsszene in der Sächsischen Schweiz, verzichtete auf seine Ehrung – aus Protest: Ehe die Staatskanzlei Akubiz die Urkunde überreichen wollte, verlangte sie die Unterzeichnung einer »Demokratie-Erklärung« – jenes Papiers, das später als »Extremismusklausel« bekannt wurde. Wer es signierte, verpflichtete sich, alle Partner und freien Mitarbeiter auf Verfassungstreue zu überprüfen. Die Männer und Frauen, die geehrt werden sollten, weil sie für die Demokratie kämpfen, fühlten sich gegängelt. Landesweit protestierten Mitglieder von Vereinen gegen den »Generalverdacht des Extremismus« und die eingeforderte »Schnüffelei«. Am Ende stand Stanislaw Tillich ohne den eigentlichen Preisträger da – dafür hatte er eine wütende Debatte darüber entfacht, warum preiswürdige Demokraten Verfassungstreue bekennen müssen.

Vom Kampf gegen Rechtsextreme steht in der neuen Ausschreibung nichts

Heute kommentiert die Staatskanzlei das lapidar: »Das vergangene Jahr hat uns gezeigt, dass eine Neuausrichtung notwendig ist.« Diese Neuausrichtung heißt: Bürgerpreis. Im Gegensatz zum Demokratiepreis fehlt in der Ausschreibung nun das Ziel, Engagement gegen Rechtsextremismus und Rassismus honorieren zu wollen. Stattdessen sollen jene belohnt werden, die »einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft und die demokratische Kultur leisten und für Toleranz und Frieden einstehen«. Den Zugang zum Preis hat die Staatskanzlei klar geregelt. Nur noch Oberbürgermeister kreisfreier Städte und Landräte dürfen Kandidaten vorschlagen. Dazu muss man wissen: Alle zehn sächsischen Landkreise werden von der CDU regiert, nur in zwei der drei kreisfreien Städte, in Chemnitz und Leipzig, amtieren Oberbürgermeister der SPD. 11zu2, das ist das Verhältnis, nach dem beim Bürgerpreis Kandidaten ausgewählt werden. Ministerpräsident Tillich hat darüber hinaus jene Jury, die letztlich über die Preisträger entscheidet, im Alleingang berufen.

Plötzlich fällt da auch die Extremismus-Klausel unter den Tisch: »Die Unterzeichnung ist nicht mehr notwendig«, erklärt eine Sprecherin der Staatskanzlei, »weil von vornherein nur jene ausgezeichnet werden, deren Engagement erfolgreich zur Stärkung der Demokratie beigetragen hat.« Was so verklausuliert klingt, ist eine forsche Botschaft: Wen die Jury des Ministerpräsidenten erwählt, der wird vom Extremismusverdacht befreit. Doch warum wird die siebenköpfige Jury von Tillich allein erkoren, obwohl er den Preis gemeinsam mit den Stiftungen der Dresdner Bank und der Frauenkirche vergibt, die sich, klammheimlich, ebenfalls von der Amadeu-Antonio-Stiftung getrennt haben? Die Sprecher der Stiftungen wollen sich dazu nicht äußern. Die Staatskanzlei habe alles gesagt. »Die Obrigkeit schlägt vor und wählt aus«, kritisiert Anetta Kahane, »das ist eine Ehrung von Staatsgnaden.«

Beim »Schwimmen für Demokratie« landet ein NPD-Mann weit vorn

Für Neonazi-Gegner passt die Debatte um den Bürgerpreis in eine absurde Reihe von Gängelungen durch Politik und Justiz. Schon länger hat es den Anschein, als hielten etwa die Dresdner Ermittlungsbehörden nicht Rechtsextremisten für die gefährlichsten Feinde der Demokratie im Freistaat, sondern deren Gegner. Am 19. Februar demonstrierten in Dresden Zehntausende gegen einen Neonazi-Aufmarsch. Um angebliche linke Gewalttäter verfolgen zu können, sammelten die Ermittlungbehörden über eine Million Handydaten. Zehntausende Personen gerieten ins Visier: Politiker, Anwohner, Journalisten. Die Kritik schwoll an, als Sachsens Polizei ohne große Absprache mit Thüringer Behörden nach Jena raste und dort in martialischer Manier eine Razzia beim Jugendpfarrer Lothar König durchführte. Dieser habe, auch am 19. Februar, zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen. Bewiesen ist das nicht.

Erst die vergangene Woche brachte den neuesten Fall in dieser Serie der Eigentümlichkeiten: Der Sächsische Landtag hob die Immunität des Linken-Fraktionschefs André Hahn auf; die Staatsanwaltschaft könnte nun Anklage gegen ihn erheben. Hahn soll als Kopf einer Blockade vom 13. Februar 2010 belangt werden. Er fragt sich selbst, warum.

Während bei der Verfolgung möglicher linker Straftäter alle Mittel ausgeschöpft werden, fühlen sich Opfer rechter Gewalt im Stich gelassen. Seit Jahren werden in Mügeln oder Limbach-Oberfrohna Demokraten von Neonazis gejagt, bedroht und verprügelt. Opfer berichten immer wieder, dass die Polizei zu spät oder gar nicht eingreife. Eine Strategie gegen die alltägliche rechte Gewalt hat die Regierung bisher nicht vorgelegt. Stattdessen tun viele Bürgermeister die Aktivisten gegen Rechtsextremismus als Unruhestifter und Nestbeschmutzer ab. In Limbach-Oberfrohna haben die Eltern von Opfern rechter Gewalt das Bunte Bürgerforum für Demokratie gegründet. Deren Mitglieder, darunter ein Lehrer, ein Architekt und ein Richter, werden von Neonazis bedroht und beschimpft. Wohnhäuser wurden mit Flaschen und Steinen angegriffen. Bis heute wird der Demokratieverein von den Stadtoberen ausgegrenzt. Der Oberbürgermeister Limbach-Oberfrohnas wird den Verein gewiss nicht beim Landrat für eine Bürgerpreis-Nominierung vorschlagen. Stattdessen wurde das Bunte Bürgerforum nun für den Demokratiepreis der Amadeu-Antonio-Stiftung nominiert.

Wie inhaltsleer die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Freistaat bisweilen geführt wird, zeigte kürzlich das von Stadt und Innenministerium organisierte »Schwimmen für Demokratie und Toleranz« in Zwickau. Auch die NPD ging heimlich mit ins Wasser. Und verbreitete danach, man habe »das heuchlerische Motto ad absurdum geführt«. Am Ende überreichten Rathauschefin Pia Findeiß (SPD) und Michael Wilhelm (CDU), Staatssekretär im Innenministerium, ausgerechnet einem NPD-Kreisrat eine Urkunde und posierten mit ihm fürs Foto. Die NPD feierte. Grit Hanneforth, Leiterin des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus, sprach Staatssekretär Wilhelm jüngst auf die Szene an. Wilhelms Antwort blieb ihr im Gedächtnis: »Dann müssen die Demokraten eben schneller schwimmen«, sagte er.

Dieser Text erschien zuerst bei ZEIT online am 20.10.2011. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors.

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