Nazi-Flashmobs für den Führer-Stellvertreter

Schon seit Jahren wird es Neonazis schwergemacht, öffentlich dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß (Neonazi-Jargon: „Friedensflieger“) gedenkend zu huldigen. Demonstrationen am Grab in Wunsiedel werden schon seit fünf Jahren verboten, auch kleinere, dezentrale Veranstaltungen rund um den 17. August (Hess‘ Todestag im Jahr 1987), erleiden oft dasselbe Schicksal. Jetzt wollen Aktivisten eine ganz moderne und spontane Form öffentlichen Agierens wählen: einen Flashmob. Dies löst in der Szene allerdings nicht nur Begeisterungsstürme aus.

Von Simone Rafael

Ein Flashmob ist ein wildes Ding: Menschen verabreden sich im Internet oder per Handy, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort bestimmte Dinge zu tun. Allerdings kennen sich die Menschen nicht, die Aktion wird außerhalb der virtuellen Sphäre nicht organisiert – ob also wirklich andere Menschen zum Flashmob erscheinen oder am Ende ein Teilnehmer allein Absurdes auf der Straße vollführt, weiß jeder erst in dem Moment, in dem der Flashmob passiert oder zumindest passieren soll.

Erprobt wurde die Aktionsform, die das erste Mal um die Jahrtausendwende auftrat, weltweit zunächst mit Nonsense wie Kissenschlachten und das gleichzeitige Schwenken gleichfarbiger Regenschirmen. Allerdings ist der Flashmob auch für politische Inhalte nutzbar. Dies will sich offenbar nun eine Gruppe des rechtsextremen „Freien Widerstandes“ zunutze machen, wie sich Kameradschaften gern als kämpferischen Sammelbegriff bezeichnen. Auf einer Internetseite rufen sie die Kameradinnen und Kameraden am 17. August um 19.30 Uhr zu „Flashmobs“ in Gedenken an Rudolf Heß auf: Versteinert stehen bleiben, die Schlussworte von Rudolf Heß vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg verlesen (in denen er betont, dass er nicht bereut und sich vor Gott als unschuldig ansieht), Platz in unterschiedliche Richtungen verlassen.

Dazu gibt es eine Liste von Orten, in denen sich offenbar Interessierte gemeldet haben: Aachen, Ahlen, Borna, Burg, Chemnitz, Cottbus, Dortmund, Dresden, Eilenburg, Emmerich am Rhein, Geithain, Gladbeck, Halberstadt, Hannover, Hoyerswerda, Köln, Königs Wusterhausen, Köthen / Anhalt, Lübben, Lüneburg, Leipzig, Magdeburg, Mannheim, Marburg, Pirna, Ruhland, Schwarzenbek, Schwarzheide, Senftenberg, Stuttgart, Unna, Vetschau, Wernigerode, Wunsdorf, Zittau. Falls Menschen hinterher in den Genuss der Dokumentation der Aktion kommen wollen, sollen sie, so fordert der „Freie Widerstand“, bei Youtube, Flickr und Twitter fündig werden, Stichwort: „Hessmob09“.

Um die Liste der veröffentlichten Orte allerdings entspinnen sich derweil im Netz Diskussionen: Von rechtsextremer Seite kritisieren besonders die „Freien Kräfte Köln“ die Aktion: Deren öffentlich vollzogene Planung sei „entweder grenzenlos naiv oder aber ein bewußter Versuch junge und noch unerfahre Kameraden zu kriminalisieren“ (Fehler im Original). Ergo sei der Aufruf zu Flashmobs, die natürlich nazigerecht übersetzt werden („Blitzaufläufe“), „Fakes, die Staat und Antifa auf den Plan und unbedarfte Kameraden im wahrsten Sinne des Wortes in die Falle locken sollen.“ Das „Aktionsbüro Norddeutschland“ meint: „Der sog. ‚Flashmob‘ mag vielleicht ein lustiges Späßchen für bundesrepublikanische Freizeitgestaltung sein, aber ganz sicher keine praktikable Aktionsform für unseren politischen Kampf.“ Organisatorisch gesehen seien sie „sinnlos bis schädlich“, weil „Versammlungsleiter“ (den es eigentlich nicht gibt) von der Polizei verhaftet werden könnten.

Auf Nazigegner-Seite weiß aber offenbar keiner von bewussten Fakes, um den Nazis ein Schnippchen zu schlagen: Es wird zu Gegenaktionen aufgerufen. Es wird auch spekuliert, dass die Treffpunkte im Stadtzentrum und die durch die Vorankündigung zu erwartenden Gegenprotestes und polizeiliche Aktivitäten einkalkuliert sind, um die Provokationswirkung der Aktion zu maximieren.

Vielleicht können die „Hessmobs“ aber so am Ende gar Positives bewirken: Wenn es in den genannten Orten statt zur Hess-Huldigung zu spontanen Anti-Nazi-Aktionen kommen sollte, wäre das auch eine schöne Öffentlichkeitswirkung für die Demokratie.

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