Mach meinen Kumpel nicht an - Gewerkschaftliche Aktivitäten gegen Rechtsextremismus

"Manch einer stellt auch die bange Frage, ob die Nationalisierung des Denkens eine Reaktion auf die Entsozialisierung des Systems ist? Ja, natürlich ist sie das. Nationalismus ist eine äußerst moderne Verteidigungshaltung gegen die Zumutungen der Globalisierung, die die Menschen systematisch verarmt, verohnmachtet und entheimatet." – so leitet der sächsische Landtagsabgeordnete und NPD-Parteiideologie Jürgen Gansel seinen Artikel ein, der unter der Überschrift "Der Abschied der Linken von der sozialen Frage – Der Nationalismus wird die Schutzmacht der ‚kleinen Leute’" in der Dezember-Ausgabe der NPD-Zeitung Deutsche Stimme erscheinen wird und vorab im Internet veröffentlicht wurde.

Dass die extreme Rechte seit Jahren versucht, die soziale Frage in den Mittelpunkt ihrer Agitation zu stellen, ist keine neue Entwicklung. Doch sie trifft damit in zunehmendem Maße auf eine positive Resonanz. Vor allem die NPD kann mit ihrer Mischung aus Nationalismus, sozialer Protestattitüde und antikapitalistischen Forderungen Erfolge verbuchen. Gewerkschaftliche Gegenmaßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus müssten je- doch mehrere Strategien miteinander verzahnen.

Von Hans-Peter Killguss

Rechtsextreme Einstellungen

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, bei denen über sieben Prozent der Wähler der NPD ihre Stimme gegeben haben, scheinen der Ansatz der rechtsextremen Partei, ganz stark "das Soziale" zu thematisieren, recht zu geben: Vor allem im östlichen Teil des Landes, der wirtschaftlich schwächsten Region, kam die NPD auf Anteile um 15 Prozent. Ist also rechtsextremes Denken vor allem ein Phänomen der "Verlierer des Systems"?

Allzu schnelle Schlussfolgerungen verbieten sich: Rechtsextremismus ist weder auf Ostdeutschland beschränkt, noch ein reines Jugendproblem und – entgegen der landläufigen Meinung – kein Phänomen, welches allein bei sozial Deklassierten und Arbeitslosen auftritt. Die jüngst von Oliver Decker und Elmar Brähler im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellte Studie weist ein hohes Potential an rassistischen, antisemitischen und antidemokratischen Einstellungsmustern quer durch alle Schichten, Altersgruppen und Regionen nach.

Mehr als 39 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die "Bundesrepublik durch die vielen Ausländer in gefährlichem Maß überfremdet" sei, der Aussage "Ausländer kommen nur hierher, um den Sozialstaat auszunutzen" stimmen 36,9 Prozent größtenteils zu. Fast genau so viele sind es bei der Frage, ob Ausländer wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden sollten, wenn Arbeitsplätze in Deutschland knapp werden und mehr als ein Viertel teilt überwiegend die Ansicht, dass Deutschland eine einzige starke Partei brauche, die die "Volksgemein- schaft" insgesamt verkörpere. Damit einher geht die Forderung von vielen Interviewten nach einem "harten und energische Durchsetzen deutscher Interessen" sowie dem "Mut zu starkem Nationalgefühl".

Die Verdichtung fremdenfeindlicher und nationalistischer Orientierungen zu einem geschlossen neonazistischen Weltbild lässt sich in dieser Vereinfachung nicht belegen. Mehrheitlich handelt es sich um Übergangsformen innerhalb derer sich das Alltagsbewusstsein mit den Deutungsangeboten rechtspopulistischer Formationen verbinden. Dennoch bestätigt die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, was vorangehende Untersuchungen seit den 1980er-Jahren immer wieder nachgewiesen haben: Die Zustimmung zu ex- trem rechten Positionen in Deutschland ist erschreckend hoch.

Rechtsextremismus und soziale Frage

Deutsche Stimme-Autor Jürgen Gansel sieht hier ein erhebliches Potential für die NPD und verkündet siegesgewiss in seinem vor Pathos triefenden Artikel: "Die Nationalisierung der sozialen Frage und die Vision eines solidarischen Volksstaates, in dem die soziale Teilhaberschaft eines jeden Deutschen garantiert ist, wird dem Nationalismus soviel Zulauf bescheren, dass die morschen Knochen der Volks- und Vaterlandsabwickler noch gehörig zittern werden."

Gansel macht jedoch deutlich, dass es bei der von ihm proklamierten Solidargemeinschaft keinesfalls um soziale Gerechtigkeit für alle geht, sondern vor allem um Ausgrenzung und Ausschluss jener, die nicht zur deutschen Volksgemeinschaft gehören. "Die Ethnisierung des Sozialen (wir Deutschen oder die Fremden) ist eine Aktualisierung und sozialpolitische Durchformung von Carl Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung als Essenz des Politischen – und eben auch als Essenz des Sozialstaatsprinzips", so der rechtsextreme Autor. "In diesem Sinne lauten die Gegensatzpaare: Sozialstaat oder Einwanderungsstaat." Migrantinnen und Migranten gehören also nicht dazu, Juden und Jüdinnen, Obdachlose und sog. Behinderte, alternative Jugendliche und alle anderen, die nicht in die- ses Weltbild passen, sollen ebenfalls draußen bleiben.

Gemäß der Logik der extremen Rechten ist der Sozialabbau vor allem auf die immensen Kosten zurückzuführen, die die Zuwanderung verursachen würde. Die Vorstellung, dass Ausländer aus der ganzen Welt nach Deutschland kämen, nur um Sozialhilfe oder andere Hilfeleistungen zu beziehen – durchaus auch immer wieder gern von deutschen Boulevardblättern suggeriert – ist stark emotionalisierend und sehr wirkungsmächtig. Mit wenigen Stichworten werden ganze Assoziationsketten in Gang gesetzt. Die Unmutsäußerungen der "kleinen Leute", die schon immer wussten, dass sie "von denen da oben" nur betrogen und beschissen wurden, werden mit einfachen Losungen in ein "Wir gegen die" kanalisiert. "Mit [...] der Frontstellung gegen Zuwanderung, EU-Fremdbestimmung und Globali- sierung trifft die NPD bereits jetzt den Nerv der Menschen", stellt Gansel zufrieden fest.

Ursachen

Um plausible Erklärungsansätze zu liefern, müsste sicherlich ein ganzes Bündel an Ursachen herangezogen werden. Ein Schlüssel hierfür könnte jedoch in der Arbeitswelt liegen: Neueste Forschungen zeigen auf, welche entscheidende Rolle arbeitsweltbezogene Verwerfungen und Transforma- tionsprozesse bei der Entstehung von diskriminierenden Denk- und Handlungsmustern zukommen kann.2 Zwar liefern erwerbsarbeitsbezogene Prekarisierungs- und Desintegrationserfahrungen lediglich den "Problemroh- stoff", der in höchst unterschiedlichen politischen Orientierungen aufgegriffen und bearbeitet wird. Dennoch kann man kaum verneinen, dass sich viele Menschen von den globalisierten Veränderungsprozessen überfordert fühlen und in rassistisch besetzten Verein- fachungen Antworten auf komplexe Fragen suchen. In einem Klima permanenter Beschäftigungsunsicherheit, beruflicher Verunsicherung und Statusinkonsistenz, gepaart mit der Angst vor dem sozialen Abstieg, geraten Migrantinnen und Migranten schnell zum "Wohlstandsrisiko" und werden als unliebsame Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen. Das gilt nicht allein für so genannte "bildungsferne Schichten", für die ganz besonders die diffus als "Billigkonkurrenz aus dem Osten" bezeichnete Verdrängungskonkurrenz auf dem Markt für gering Qualifizierte zum Feindbild wird. Die ökonomische "Krise" und der Umbau des Sozialstaats erfassen gleichermaßen Schichten der Bevölkerung mit hö- herem Bildungsabschluss und besseren sozialen Ausgangsbedingungen.

Das gilt ebenso für Mitglieder von Gewerkschaften. Besonders die "gewerkschaftliche Mittelschicht" zeige sich anfällig für Rechtsextremismus – so das Ergebnis einer im letzten Jahr vieldiskutierten Studie.

Warum haben Gewerkschaften hier Verantwortung und was sollten sie tun?

Dies ist nicht der einzige Grund, war- um gerade Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sich in besonderem Maße gegen Rechtsextremismus, Ras- sismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzen sollten. Um der Ideologie der Ungleichheit, die die extreme Rechte propagiert, langfristig etwas entgegensetzen zu können, gilt es, eine Kultur der Solidarität und der Gleichberechtigung für alle Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder ihrer Kultur entgegenzusetzen. Und zwar gerade in der Arbeitswelt – hier auch und vor allem in "schwierigen Situationen". Zum Beispiel, wenn Betriebe oder Teile der Produktion ins Ausland verlagert werden und anhand dieser Ereignisse rassistische Stereotype Konjunktur erhalten. Oder wenn angesichts drohender Massenentlassungen Migrantinnen und Migranten ins Zentrum des Arbeitsplatzabbaus gerückt werden. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sollte gerade dann nicht einem neuen Standortnationalismus Vorschub leisten, sondern die Unteilbarkeit von Solidarität und Men- schenwürde betonen und daraus politische Handlungskonzepte ableiten. Dies bedeutet gleichermaßen Strategien zu entwickeln, bei denen die Be- kämpfung des Rechtsextremismus und die Bemühungen, Diskriminierung und Benachteiligung von Arbeitnehmenden mit Migrationshintergrund abzubauen und die Gleichberechtigung zu fördern, eng miteinander verzahnt werden.

Diskriminierung in der Arbeitswelt Von den Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen sind in star- kem Maße Menschen nicht-deutscher Herkunft betroffen. Als Arbeitsmigrantinnen und –migranten wurden sie vor allem zunächst für angelernte Tätigkeiten in der Massenproduktion angewor- ben und in den industriellen Ballungsgebieten eingesetzt. Diese Jobs sind im strukturellen Wandel der letzten Jahrzehnte stark reduziert worden. Gleichzeitig ist feststellbar, dass die Gruppe der Migranten ohne abgeschlossene Berufsausbildung überproportional hoch bleibt. Beide Faktoren tragen mit zur Arbeitslosigkeit bei.

Auch die Situation der Jugendlichen aus Zuwandererfamilien auf dem Ausbildungsmarkt ist weiterhin sehr problematisch. Die Ungelerntenquote liegt bei rund 40 Prozent. Neben der Tatsache, dass viele von ihnen aus dem Bildungssystem fallen und dabei über keine oder mangelhafte schulische Qualifikationen verfügen, liegen die Gründe, auch in Entscheidungspraktiken, die Migranten von höher führenden Schulen ausschließen – selbst dann wenn weder Sprachkompetenz noch Notenspiegel noch Bildungsmotivation dagegen sprechen. So können sie auch Partizipationschancen nur bedingt wahrnehmen.

Zum anderen sehen sich Migrantenjugendliche nach wie vor mit Vorurteilen seitens der Arbeitgeber konfrontiert. Statistisch gesehen ist die Chance für einen Deutschen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, doppelt so hoch. Ähnliches gilt für die Vergabe von Arbeitsplätzen. Studien zeigen, dass es für Menschen mit einem "ausländisch klingenden" Namen ungleich schwerer ist, eine Arbeitsstelle zu finden.

Ein weiteres Hemmnis ist das deutsche Berufsrecht, das mit seinen streng formalisierten Berufsabschlüssen vielfach Qualifikationen von Einwanderern nicht erfasst oder nicht anerkannt. Damit findet eine systematische Dequali- fizierung dieser Personen statt. Migranten sind häufig am untersten Ende der Beschäftigungsskala vertreten. Die entsprechenden Arbeitsver- hältnisse sind oft ungeschützt, instabil und schlecht vergütet; sie erzeugen lange Perioden der Erwerbslosigkeit und wirken sozial destabilisierend und dequalifizierend. Somit gilt es, die infor- melle Diskriminierungsleiter in Unternehmen zu durchbrechen, auf der ganz oben die gut ausgebildeten Deutschen stehen und unten die schlecht ausgebildeten Arbeitnehmer- und Arbeitnehme- rinnen nicht-deutscher Herkunft. In dem genannten – zugegebenerma- ßen: sehr weiten – Themenfeld, gibt es eine Vielzahl an gewerkschaftlicher und betrieblicher Aktivitäten. Der Verein "Mach meinen Kumpel nicht an!" ("Kumpelverein") ist ein gutes Beispiel für das langjährige gewerkschaftliches Engagement gegen Rassismus und für Gleichberechtigung.

Die Arbeit des Vereins "Mach meinen Kumpel nicht an!"

Gegründet wurde der "Kumpelverein" 1985 von der DGB-Jugend und der Gewerkschaftszeitung "ran". Seine Wurzeln liegen in der französischen Aktion "SOS racisme”, die in den 1980er-Jahren in Frankreich entstand. Unter dem Logo der Gelben Hand führt der Verein eigene Aktivitäten durch und unterstützt Multiplikatorinnen und Multipli- katoren in der Arbeitswelt.

Ein Beispiel ist der Wettbewerb, der unter dem Titel im "Netz gegen Rechts – Arbeitswelt aktiv!" ausgeschrieben wurde. Berufsschulen und Betriebe waren aufgerufen, Materialien gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung zu entwickeln. Die zahlreichen Einsendungen, die von Internetseiten über Broschüren, Plakate, Postkarten, Flash-Animationen, Theaterstücke und Lieder bis hin zu Filmen reichen, dokumentieren die intensive und kreative Auseinandersetzung mit dem Thema und sind ein Beispiel für Handeln mit Zivilcourage in der Ausbildung und am Arbeitsplatz. Die ausgezeichneten Beiträge sind über die Homepage des Vereins abrufbar und sollen andere dazu anregen, selbst aktiv zu werden. Mit Workshops und an- deren Veranstaltungsformen wurden die Teilnehmenden bei der Konzeption und Realisierung von entsprechenden Projekten unterstützt.

Der Verein sieht es als seine Aufgabe an, Aktivitäten zu erfassen und für andere Projekte nutzbar zu machen und dabei vor allem Impulse und Ideen für das eigene Engagement zu geben. Diesem Zweck dient die "Best-Pratice-Datenbank", die ständig erweitert wird und ebenfalls auf der Internetseite des "Kumpelvereins" eingestellt ist, aber auch der Newsletter "Aktiv + Gleichberechtigt". In dieser monatlichen Publikation werden Aktionen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und für Gleichberechtigung in der Arbeitswelt vorgestellt und die verschiedensten betrieblichen Akteure, aber auch Personen aus Initiativen, Gewerkschaften, Politik und Wissenschaft miteinander vernetzt.

Jede Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung muss eingebettet sein in gesamtgesellschaftliche Ansätze gegen Diskriminierung. Nötig ist eine Strategie, die den gleichberechtigten Zugang zu Ausbildung und Arbeit ermöglicht, die Gleichbehandlung fördert und ein Klima schafft, in dem kulturelle Un- terschiede nicht mehr als eine Gefahr, sondern als eine Bereicherung wahrgenommen werden. Dazu will der Verein mit seiner Arbeit einen Beitrag leisten.

Erschienen in Vom "Rechten Rand" in die Mitte der Gesellschaft, Rundbrief AG Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Parteivorstand der Linkspartei.PDS, 4/06

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