"Kriegerin" zeigt rechtsextreme Erlebniswelt in der Provinz

Der Film „Kriegerin“ von Regisseur David Wnendt erzählt die Geschichte zweier junger rechtsextremer Frauen. Während der Weg der Jüngeren den Einstieg in die neonazistische Szene nachzeichnet, durchlebt die Ältere eine Entwicklung, die schließlich zum Ausstieg führt. Der Film berührt, zwingt den Zuschauer in eine Welt aus Hass, brutaler Gewalt, Einsamkeit, provinzieller Langeweile und jugendlicher Perspektivlosigkeit. Ein pädagogischer Zeigefinger fehlt, Fragen werden aufgeworfen und nur selten beantwortet.

Von Ulla Scharfenberg

Sommer in der ostdeutschen Provinz. Die 20-jährige Marisa (Alina Levshin) lebt in einer rechtsextremen Clique. Hass und Gewalt prägen ihren Alltag. Als Kassiererin im Supermarkt muss sie zwar ihre Hakenkreuz-Tätowierung überkleben, weigert sich aber, zwei afghanische Flüchtlinge zu bedienen. Ihr Freund Sandro (Gerdy Zint) sitzt wegen eines brutalen Angriffs auf einen jungen Asiaten im Gefängnis. Die zweite Figur ist Svenja (Jella Haase), eine gute Schülerin, die unter ihrem autoritären und sadistischen Stiefvater leidet. Jugendliche Rebellion und ihre Beziehung zum älteren Markus (Lukas Steltner) lassen sie immer tiefer in die neonazistische Szene im Ort eintauchen. Zunächst naiv und neugierig, entwickelt sie sich zur überzeugten Rechtsextremistin.

Jung, brutal, rechtsextrem
Marisa hasst alles, was nicht in ihr Weltbild passt. Sie ist brutal und frei von Mitgefühl. Lediglich im Umgang mit ihrem Großvater (Klaus Manchen), den sie regelmäßig im Krankenhaus besucht, zeigt sie Zärtlichkeit. Im Verlauf des Films kommt der Rolle des Großvaters eine wachsende Bedeutung zu. Marisa erzählt ihren Freundinnen, dass es der Opa war, der sich um sie kümmerte, als sie klein war. Wie dieses Kümmern aussah macht eine Szene deutlich, die Marisa als junges Mädchen zeigt: beladen mit einem Rucksack voll nassem Sand marschiert sie, angetrieben vom Großvater, am Ostseestrand entlang, er nennt sie „meine Kriegerin“ und erklärt ihr, dass es bis heute „die Juden“ seien, die die Fäden in der Hand hielten. Zur Mutter hat Marisa kein liebevolles Verhältnis, ein Vater kommt im Film nicht vor.

In ihrem grenzenlosen Hass fährt Marisa zwei junge Flüchtlinge aus Afghanistan fast tot. Der jüngere der beiden, Rasul (Sayed Ahmad Wasil Mrowat), taucht kurz darauf an ihrem Arbeitsplatz auf, im örtlichen Supermarkt, bittet sie um Lebensmittel und später auch um Hilfe bei der Flucht nach Schweden. Ob Marisa tatsächlich aus Mitleid handelt, oder doch aus Schuldgefühl, bleibt unklar, aber sie hilft dem jungen Rasul. Zuerst schickt sie ihn mit Konservendosen weg, später bietet sie ihm sogar Unterschlupf im Schuppen ihres Elternhauses. Als Rasul von ihrer Clique brutal zusammengeschlagen wird, trifft sie eine Entscheidung, die eine Wende bedeutet, in ihrem Leben und im Film.

Alkohol, Gewalt und männliche Härte
Der Film entlarve „die Vorstellung von rechter Kameradschaft als Mythos. Er zeigt die Gruppe der Neonazis nicht als straff organisierte, paramilitärische Einheit, sondern als verrohte Horde“, erklärt Regisseur David Wnendt. Marisa und ihre Clique verbringen ihre Freizeit mit Alkohol und Parties, Politik spielt eine eher untergeordnete Rolle. Einzig ein älterer Mann, gespielt von Haymon Maria Buttinger, in dessen Wohnung die jungen Neonazis feiern, sorgt mit Nazi-Filmen für die ideologische Festigung. Der Zusammenhalt zwischen den Jugendlichen und jungen Erwachsenen scheint stärker über verbindende Elemente, wie neonazistische Tätowierungen, Hass-Musik und NS-Verherrlichung, zu funktionieren, denn über die Auseinandersetzung über die politische Weltanschauung. Gewalt und männliche Härte dominieren die Szene und nehmen auch in der filmischen Darstellung viel Raum ein. Rebecca Weis vom Verein „Gesicht Zeigen – Für ein weltoffenes Deutschland“ zeigt sich von der „offensichtlich hervorragende(n) Recherche innerhalb der rechten Szene“ beeindruckt: „Erfreulicherweise ist eine Verharmlosung der Szene, aus dramaturgischen Gründen, wie man es so oft bei anderen Filmen sieht, nicht zu erkennen.“ Auch David Begrich von „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen Anhalt“ hält die Darstellung der rechtsextremen Szene für „authentisch und überzeugend“. Die Frage, ob die explizite Darstellung rechtsextremer Symbole, der ausgiebigen Party- und Gewaltorgien, sowie der knallharte Soundtrack, nicht auch Neugier und Bewunderung unter Jugendlichen hervorrufen könnten, muss sich der Film allemal gefallen lassen.

Eine Realität des Rechtsextremismus
„Unscharf bleiben die Konflikte mit einem äußeren Feind, als wären sie nicht nötig“, schreibt die Deutsche Film- und Medienbewertung, die „Kriegerin“ das „Prädikat besonders wertvoll“ verlieh. Die beiden Asylsuchenden Rasul und Jamil, sowie ein asiatisches Pärchen verkörpern das Feindbild „Ausländer“ im Film. Linke Jugendliche kommen nicht vor. Zumindest im Falle der Schülerin Svenja verwundert es, dass niemand ernsthaft Anstoß an ihrem Abrutschen in die rechte Szene nimmt. Lehrer/innen, Mitschüler/innen - eine Zivilgesellschaft - kommen im Film nicht vor. Ein paar junge Männer, die sich am örtlichen „Asia-Imbiss“ treffen, stellen den einzigen „Gegenpart“ zur Neonazi-Gruppe dar.

Regisseur David Wnendt recherchierte für „Kriegerin“ in Lübben, Forst, Preschen und anderen Orten der ostdeutschen Provinz, sprach dort mit jugendlichen Neonazis und begleitete sie mit der Kamera. Gleichzeitig interviewte er rechtsextreme Frauen und Mädchen, die er in Internetportalen traf. „Das Ziel war es, einen Film zu schaffen, der das Milieu und die Figuren realistisch zeichnet und gleichzeitig den Zuschauer durch seine dramatische Struktur fesselt und berührt“, beschreibt Wnendt seine Motivation. Sicher werden viele, die den Film gesehen haben, kritisieren, dass das Gezeigte doch nicht der Wirklichkeit entspräche, dass es in der rechtsextremen Szene doch ganz anders zugehe, dass die „wahren Neonazis“ viel politischer seien, etc. „Kriegerin“ erhebt keinen Anspruch, den Rechtsextremismus allumfassend und endgültig wiederzugeben. Im Gegenteil: die Zuschauer erleben einen Ausschnitt, ein „wie es sein kann“, eben eine Realität des Rechtsextremismus, eine unter vielen.

„Der Film soll aufklären, ohne vordergründig pädagogisch zu sein. Er soll Stellung beziehen, ohne auf Klischees zurückzugreifen. Er soll provozieren und unterhalten, ohne nach billigen Effekten zu haschen. Man wird den Figuren nahekommen, sie verstehen können, ohne ihre Taten zu entschuldigen. Der Film gibt keine abschließenden, einfachen Antworten. Er beleuchtet aber die für den Rechtsextremismus ursächlichen Faktoren und macht klar, dass es nicht um ein Jugendphänomen geht, sondern dass rechte Tendenzen ein Problem sind, das weit in alle Gesellschafts- und Altersschichten vorgedrungen ist.“ (David Wnendt)

„Kriegerin“ läuft ab dem 19. Januar 2012 im Kino.

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Mehr im Internet:

| "Kriegerin" - Homepage (mit Trailer)

| Deutsche Film- und Medienbewertung zu "Kriegerin"

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