Kampf gegen Rechtsextremismus gerät unter Generalverdacht

Hinter Ehrenamtlichen dürfen keine Radikalen stecken. Das ist die Idee hinter Familienministerin Schröders Extremismusklausel. Doch die bringt linke Vereine in Not, denn sie ist unklar definiert und sät Misstrauen.

Von Anna Mertens

Steffen Richter kämpft, seit seiner Schulzeit. Der 32-Jährige führt einen Kampf gegen rechte Gewalt und Antisemitismus. Ausgetragen in Pirna, dem "Tor zur sächsischen Schweiz". Es ist ein zäher Kampf: Erst letzten Winter wurde das Auto seines Bruders angezündet, ein Bekannter attackiert und das Büro des Alternativen Kultur- und Bildungszentrums verunstaltet.

Den Verein, kurz AKuBiZ, hat Richter mitbegründet, heute ist er Vorsitzender. Seit diesem Jahr ist sein Engagement gegen Rechts noch ein wenig komplizierter geworden. Das Bundesfamilienministerium hat Anfang 2011 die Extremismusklausel eingeführt. Sie verlangt von allen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die staatlich gefördert werden wollen, ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung – also einen Beweis dafür, dass in keinem Ehrenamtlichen ein Extremist steckt. Doch damit nicht genug, sämtliche Kooperationspartner der Initiativen müssen auf "extremistische Strukturen" hin überprüft werden – im Zweifelsfall mittels der Verfassungsschutzberichte und durch Nachfrage bei öffentlichen Behörden. Die Zusammenarbeit, die bis dato auf Vertrauen basierte, soll nun aus Sicht des Ministeriums durch Kontrolle optimiert werden.

Richter begegnete die Klausel erstmals im vergangenen November. Sein Verein sollte den Sächsischen Förderpreis für Demokratie erhalten. Preisgeld 10.000 Euro – für den Verein eine wichtige Unterstützung. Kurz vor der Preisverleihung – der Eklat. Die sächsische Regierung, Förderer und Jurymitglied, fügte eine Bedingung an: die Extremismusklausel. Ohne Unterschrift kein Preis. Richter war das zu viel, sein Verein verweigerte die Unterschrift, 10.000 Euro hin oder her. "Warum sollten wir plötzlich als gemeinnützig eingetragener Verein ein solches Bekenntnis ablegen? Waren wir verdächtig?", fragt Richter. Die Konsequenzen einer solch allgemein gehaltenen Formel für die Vereinsarbeit seien zudem doch unüberschaubar.

Die Folge waren bundesweite Proteste. Noch Anfang März riefen zahlreiche Wissenschaftler, Pädagogen und Initiativen die Bundesregierung in einem offenen Brief dazu auf, die "Extremismusklausel" zurückzunehmen. Dennoch bleibt die Bundesregierung bei ihrer Klausel. Extremistische Strukturen, rechts oder links, sollen enttarnt werden – ob und wie die Arbeit der Initiativen darunter leidet, ist zweitrangig.

Mit 15 ehrenamtlichen Mitgliedern ist AKuBiZ ein überschaubarer Verein, dessen Arbeit mehrfach ausgezeichnet wurde. Der AKiBiZ-Comic über rechtsextreme Gewalt wird bundesweit in Schulen verteilt. Vor allem in Pirna und den umliegenden Dörfern wird das Engagement des Vereins geschätzt. Hier wurde einst die heute verbotene "Skinhead Sächsische Schweiz" (SSS) gegründet, eine der größten rechtsradikalen Gruppen Deutschlands.

Auch ohne diese Organisation bleibt Rechtsextremismus ein Problem. Deutschlandweit gibt es jährlich rund 19.000 Straftaten Rechtsextremer. Die Zahl der linksextremen Straftaten liegt bei weniger als 5000. Laut Statistik gab es allein in Sachsen im vergangenen Jahr über 200 rechtsmotivierte und rassistische Angriffe. Für Richter und seinen Verein Grund genug weiterzumachen. "Wir selbst beantragen eigentlich gar keine Bundesmittel – viel zu viel Bürokratie", berichtet Richter. Doch der Verein arbeitet seit Jahren mit größeren, staatlich geförderten Initiativen zusammen – wie sich die Zusammenarbeit mit diesen in Zukunft gestalten soll, ein großes Rätsel für alle Beteiligten. Schließlich hat Richters Verein sich gegen die Klausel gestellt und ist damit im Sinne des Bundesfamilienministeriums als Kooperationspartner tabu.

Ein staatlich geförderter Partner des AKuBIZ ist die Berliner Amadeu Antonio Stiftung, Gründer des Demokratiepreis Sachsen. Geschäftsführer Timo Reinfrank ist verärgert: "Misstrauen unter Ehrenamtlichen streuen, das ist ausschließlich kontraproduktiv." Er selbst habe miterlebt wie Ehrenamtliche anfingen über andere Ehrenamtliche im Internet Nachforschungen zu betreiben, erzählt Reinfrank. Gerade im kommunalen Raum und bei kleinen Initiativen behindere das die Arbeit. Weitere Partnervereine wie das Kulturbüro Sachsen und die RAA Opferberatung Dresden sehen die Sache ähnlich. "Die Arbeit mit den kleinen regionalen Initiativen, wie AKuBiZ, ist essentiell, nur durch sie kommen wir an die Betroffenen von rechtsextremer Gewalt heran", sagt Marianne Thum von der Opferberatung. Die beiden sächsischen Vereine beantragen Bundes- und Landesfördermittel. Die Ehrenamtlichen von AKuBIZ hoffen nun, dass sie sich von der Extremismusklausel nicht von der gemeinsamen Zusammenarbeit abbringen lassen.

Zwei juristische Gutachten jedenfalls schätzen die Klausel als verfassungsrechtlich bedenklich ein, darunter sogar ein Papier des wissenschaftlichen Dienstes der Bundesregierung. Demnach fehlt eine klare Definition, wer als Partner überprüft werden müsse. Auch der Busfahrer, der einen Verein zum nächsten Vereinsausflug fährt? Schließlich kooperiert er. Es scheint, als ob auch die offiziellen Stellen nicht genau wissen, wer die Klausel denn unterzeichnen muss. "Wieso den Befürwortern diese Gutachten nicht reichen, um die Klausel wieder abzuschaffen?" Richter und viele andere können darüber nur den Kopf schütteln.

Familienministerin Schröder bleibt standhaft. Für sie ist die Klausel nicht nur verfassungskonform sondern darüber hinaus wichtig. Eine Begründung, warum man sie gerade jetzt eingeführt hat, fehlt allerdings. Auf Nachfrage kann das Familienministerium keinen Fall nennen, bei dem ein links- oder rechtsextremer Verein Bundesfördermittel erhalten hat.

Der Kritik zum Trotz hat das Land Sachsen eine eigene, etwas abgemilderte Klausel eingeführt. Das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung aber bleibt. Innenminister Markus Ulbig, ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Pirna, konstatiert, dass jeder, der die Erklärung als unzumutbar erkläre, sich doch selbst entlarve. Frank Wend, Sprecher des sächsischen Innenministeriums, ist zufrieden, dass man nun endlich die rechtliche Grundlage habe, im Zweifelsfall Fördergelder zurückzufordern. Von solchen "Zweifelsfällen" weiß jedoch auch in Sachsen keiner etwas.

Eine letzte Hoffnung für die Initiativen ist der Datenschutz. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es datenschutzrechtlich genehmigt ist, über Partner Informationen zu sammeln und an Dritte, in diesem Fall die Regierung, weiterzugeben", sagt Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Kulturbüros Sachsen. Das soll nun geprüft werden.

Für den Verein AkuBiZ hat sich das finanzielle Problem vorerst gelöst. Nachdem sie den Preis abgelehnt hatten, meldete sich ein anonymer Gönner. Der über siebzigjährige Unternehmer, der anonym bleiben will, betont, dass er weder einer Partei angehöre noch den Verein AKuBiZ vor der Preisverleihung kannte, sondern mit seiner "Rückgratspende" von 10.000 Euro ihre Entscheidung bestärken wollte. "Diese Erklärung ist eine Zumutung. Misstrauen ist gerade im zivilgesellschaftlichen Bereich eine zerstörerische Macht, das sollten wir aus der deutschen Vergangenheit wahrhaftig gelernt haben."

Dieser Artikel erschien am 19.04.2011 in der ZEIT. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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