Während im nördlichen Teil von Rheinland-Pfalz Razzien gegen Neonazi-Strukturen Wirkung zeigen, entzieht sich die Szene im Süden des Bundeslandes dem Zugriff der Behörden durch das Verlagern von Konzerten und Veranstaltungen nach Frankreich. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus wirken staatliche Stellen oft überfordert. Das ermöglicht den Nazis ein breites Betätigungsfeld – von der Uni bis zur Beteiligung an Wehrsportübungen in Osteuropa.
Ein Beitrag vom Antifaschistischen Infobüro Rhein-Main
1. Was waren die wichtigsten Ereignisse in Ihrem Bundesland 2012, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus?
Der Staat handelt: Razzien gegen Neonazis
Das Jahr 2012 begann mit einer Party: Neonazis vom Aktionsbüro Mittelrhein feierten zu dem Motto "2 Jahre braunes Haus Bad Neuenahr – jetzt knallts richtig". Dabei waren die Buchstaben "NSU" farblich hervorgehoben.
Dies dürfte erstmal eine der letzten Party gewesen sein: Die Neonazis vom Aktionsbüro Mittelrhein wurden im März von einer Razzia überrascht. Dabei wurden über 20 Neonazis inhaftiert, darunter führende Neonazis aus NRW wie der langjährige Kölner Neonazi Axel Reitz. Auch die NPD war von der Razzia betroffen: Quasi zwei Kreisverbände wurden inhaftiert, mit Sven Lobeck sitzt ein Mitglied des Landesvorstands in U-Haft. Die Gruppe aus dem Hinterland zwischen Koblenz und Bonn war mindestens seit 2004 aktiv gewesen.
Der Prozess begann im August und wird wahrscheinlich weit ins Jahr 2013 gehen. Es sind insgesamt über 100 Verhandlungstage geplant. Den Neonazis wird dabei die Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Im Zuge des Prozesses kam heraus, dass Neonazis aus Rheinland-Pfalz im Jahr 2011 in Osteuropa an einem Schießtraining teilgenommen haben. Zudem wurde einem Mitarbeiter des Landesjugendamts ein Peilsender ins Auto eingebaut.
Deutlich wird das Klischee vom Neonazi mit wenig Bildung widerlegt: Mindestens vier der Angeklagten studierten an der Fachhochschule Koblenz, ein weiterer Medizin an einer Universität.
Im Herbst traf eine Razzia die Westerwälder RechtsRock-Band "Kaltes Judenleder". Die Band, ein Untergrundprojekt der NS-BM-Band "Blutkult", wollte gerade damit anfangen, die erste selbstproduzierte CD zu vertreiben. Bei der Razzia wurden auch Waffen gefunden. Der Sänger war bereits mehrere Jahre inhaftiert wegen seiner Mitgliedschaft in der Kameradschaft Westerwald und dem Handel mit Hakenkreuzflaggen.
Von Ludwigshafen aus über die Grenze
Während also Neonazis im nördlichen Rheinland-Pfalz recht viel Aufmerksamkeit auf sich zogen, konnte die Ludwigshafener Neonazi-Szene recht ungestört weiter machen.
Ludwigshafen ist nach wie vor das organisatorische Zentrum der Neonazis im südwestdeutschen Raum. Von hier aus wird das Aktionsbüro Rhein-Neckar gesteuert. Die NPD stellt sich für das Aktionsbüro zur Verfügung und ist organisatorisch eng verwoben, ebenso eng ist die Verbindung zu den Hammerskins Westmark, die eine führende Rolle im europäischen Hammerskins-Netzwerk innehaben. Gute Kontakte bestehen auch in das neonazistische Hooligan-Milieu des 1. FC Kaiserslautern. So beteiligten sich bspw. Hools aus dem Spektrum "First Class Limburgerhof" an Naziaufmärschen.
Um ihre Veranstaltungen ungehindert durchführen zu können, wichen im Jahr 2012 genau diese Strukturen über die Landesgrenze nach Frankreich aus:
Ein Konzert mit Kategorie C, einer rechtsgesinnten Hooligan-Band aus Bremen, fand am 4. August in Frankreich statt, nachdem Behörden dies für Kaiserslautern verhindert hatten. Organisiert wurde das Konzert von den Nazi-Hooligans der "Rot-Front Kaiserslautern".
Am 3. November fand das "Hammerfest" der Hammerskins im französischen Toul statt, anwesend waren etwa 1.500 Neonazis. Besonders aus Süddeutschland reisten mehrere Busse an. Organisiert wurde dieses Konzert von Ludwigshafen aus.
Sogar die NPD wich mit einer Veranstaltung hinter die Landesgrenze ins französische Elsass aus: Am 14. April fand der sogenannte "3. Südwestdeutsche Kulturtag" statt, eine Veranstaltung die stark an die verbotene Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) erinnert. Ehemalige HDJler haben in NPD und JN eine neue politische Bleibe gefunden.
Die NPD
Weitere Aktivitäten werden durch die NPD als Partei ermöglicht. Ein RechtsRock-Open-Air-Konzert mit der "Lunikoffverschwörung" um Michael Regener, den ehemaligen Sänger der als krimineller Vereinigung eingestuften Band Landser, konnte als "Pfalztreffen" der NPD in Pirmasens stattfinden. In dem Ort hat die NPD Räumlichkeiten angemietet und sitzt im Stadtrat sowie im Kreistag des Landkreis Südwestpfalz.
Besonders in der Pfalz versuchte die NPD auch 2012, die kommunale Verankerung vor Ort voranzutreiben. Ob dies mit dem vorhandenen Personal gelingt, darf bezweifelt werden. Auch wenn die bundesweit bekannte NPD-Kaderin Ricarda Riefling sich aus privaten Gründen in Pirmasens niederließ, hat die NPD in Rheinland-Pfalz zu wenig fähiges Personal, um flächendeckend aktiv zu sein. Dazu kommt, dass die NPD zerstritten ist. Beide Flügel beschimpfen sich gegenseitig als "völkische" bzw. "Subkultur-Assis".
Die Nachwuchsorganisation der NPD, die Jungen Nationaldemokraten, sind um einen Ausbau der bisher eher kümmerlichen Strukturen bemüht und gründeten 2012 einen Landesverband, vorher gab es lediglich vier "JN-Stützpunkte" in der Pfalz.
Die NPD spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle für die meisten Aufmärsche im Bundesland. Zum einen gibt es immer wieder "größere" Aufmärsche mit 100 bis 200 Teilnehmer_innen (18. Februar Worms, 1. Mai Speyer, 18. August Koblenz, 24. November Remagen), zum anderen Mini-Aktionen, vor allem in der Pfalz wie etwa der jährliche Trauermarsch in Zweibrücken. Die NPD meldet davon den größten Teil an, zuletzt den "Trauermarsch" des Aktionsbüro Rhein-Neckar am 16. November in Ludwigshafen.
Rechtspopulismus
In Rheinland-Pfalz sind verschiedene Gruppen und Organisationen aus dem rechtspopulistischen Bereich aktiv und um den Aufbau von Strukturen bemüht, hinter denen jedoch oft nur recht wenige Personen stecken. Mehrere örtliche Gruppen des rassistischen Hetzblogs PI-News treten in Erscheinung. Ebenso betätigt sich die Partei "Die Freiheit" in mehreren Städten. Des weiteren ist Pax Europa aktiv, ein Aktivist ist sogar im AstA der Universität Koblenz und organisiert dort den Protest gegen Sozialabbau und Mittelkürzungen.
Überforderte Behörden
Die Landesregierung hat den "Kampf gegen Rechts" zur Chefsache erklärt. Behörden vor Ort sind jedoch im Umgang mit extrem Rechten oft überfordert. Dies zeigte sich am 24. August in Betzdorf (Westerwald). Nachdem eine türkischstämmige Familie in ihrem Wohnhaus Ziel eines rassistischen Angriffs wurde, war es den herbeigerufenen Polizeibeamten nicht möglich, den Vorfall richtig einzuordnen. Sie nahmen zunächst den Familienvater fest.
Ebenfalls überfordert waren zuständige Pädagog_innen, als die Schüler_innen einer Abschlussklasse in Kirchberg im Hunsrück ein Lied der RechtsRock-Band Sleipnir zum Besten gaben. Als Konsequenz aus dem Vorfall fiel den Zuständigen nichts Besseres ein, als auf Kontrolle zu setzen und sich in Zukunft "alles vorlegen zu lassen".
2. Wie sind die Erwartungen für 2013?
Der Prozess gegen das Aktionsbüro Mittelrhein wird weitergehen. Gerade deswegen werden die Neonazis versuchen, auch 2013 wieder Aktivitäten zu den ehemaligen Gefangenenstätten "Rheinwiesenlager" durchzuführen.
Wahrscheinlich wird es leider auch 2013 wieder Vorfälle geben, die es in die überregionalen Schlagzeilen schaffen. Solange der Alltagsrassismus den Nährboden für Übergriffe und rechte Jugendkulturen vor Ort bietet, werden neue Organisationen nachwachsen.
Vielleicht schlägt die staatliche Repression dann auch mal in der Pfalz zu, das wäre gemessen an dem Vorgehen der Behörden im nördlichen Landesteil längst überfällig.
Wer im Jahr 2013 verlässliche und ehrliche Informationen zur rechten Szene in Rheinland-Pfalz erhalten will, wird sich auch 2013 bei antifaschistischen Gruppen und Projekten informieren müssen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Behörden aufhören werden, das Problem der Öffentlichkeit gegenüber zu verharmlosen und systematisch herunterzuspielen.
Mehr im Internet:
Antifaschistisches Infobüro Rhein-Main
redaktionelle Betreuung: Roger Grahl