Gedenkveranstaltung in Nürnberg
Rüdiger Löster/Endstation Rechts.Bayern

Die Radikalisierung der rechtsextremen Szene: Der Jahresrückblick 2012 aus Bayern

Im Schatten der NSU-Morde radikalisiert sich die Nazi-Szene in Bayern fernab der NPD – nur ein Resümee, das Experten 2012 für den Freistaat gezogen haben. Dieser Jahresrückblick bildet den Auftakt einer Serie über die Entwicklungen des Rechtsextremismus in den einzelnen Bundesländern.

Ein Beitrag von der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus

Seit Bekanntwerden der NSU Taten tritt die rechtsextreme Szene in Bayern nicht nur vermehrt, sondern auch in ihrem Selbstbewusstsein sichtlich gestärkt auf. Es wird offen mit Anspielungen und Huldigungen an das Terrortrio provoziert. Medial im Netz ebenso wie bei Aufmärschen werden Bilder eines Tatorts der NSU in Nürnberg gezeigt, welche mit dem Kommentar unterlegt sind: "Tod dem Döner – es lebe die Nürnberger Bratwurst".

Spontan angemeldete Demos, wie der Marsch von 60 Neonazis am 14. Januar in Mühldorf am Inn und am 21. Januar in München, sind der Auftakt für landesweite Aktionen mit klarem Bezug zu den NSU-Morden: Das "Pink-Panther-Lied" wird gespielt oder die Veranstaltung unter die Kampagne "Wir sind keine Terroristen – die Presse lügt" gestellt, wie u.a. am 24. März 2012 in Coburg von den Kreisen um die NPD-nahe Division Franken.

Eine Radikalisierung spiegelt sich auch in der Bewegung weg von der NDP hin zu den Freien Kräften wieder. Für viele Mitglieder scheint die NPD in Bayern unter dem gemäßigten Kurs von Ralf Ollert, welcher den Landesvorsitz von 2001 bis November 2012 innehatte, nicht radikal genug. Mit den Austritten von Daniel Weigl, Simon Preisinger und Robin Siener haben drei der bedeutendsten Aktivisten der Oberpfalz der Partei den Rücken gekehrt und sich den Freien Kräften zugewandt. Kurz nach ihrem NPD-Austritt gründeten sie die Tarnorganisation "Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz (Bisao)" und versuchen so, unter dem scheinbar bürgerlichen Mantel Einfluss im kommunalen Raum zu gewinnen. Themen sind unter anderem die Asylpolitik, Leiharbeit und Drogenkonsum.

Stimmenfang mit populistischen Themen

Die Ähnlichkeiten mit Tarnorganisationen wie der "Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA)" und der "Bürgerinitiative Soziales Fürth" sind offensichtlich. Beide sind auf Stimmenfang mit populistischen Themen, im Fall der BIA sogar erfolgreich mit Sitzen im Stadtrat von München und Nürnberg. Diese Abspaltungen schwächten die NPD offensichtlich, können aber auch als strategische Ausrichtung für die im Jahr 2013 anstehenden Landtagswahlen gewertet werden. Fast wöchentlich werden populistische, ultrarechte Infostände an belebten Plätzen in München veranstaltet, vereinzelt auch Mahnwachen. Veranstalter sind abwechselnd "Die Freiheit", "Politically Incorrect (PI)" –  ultrarechte Splittergruppen, die überwiegend gegen Muslime hetzen. Ins gleiche Spektrum fällt auch die "Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA)" unter dem Stadtrat Karl Richter. Zwischen den einzelnen Gruppierungen bestehen enge personelle Überschneidungen.

Mit dem "Freien Netz Süd" (FNS) existiert ein Zusammenschluss von Kameradschaften, der weit über die Landesgrenzen Bedeutung hat. Den zentralen Knotenpunkt für Information und Vernetzung bietet eine gemeinsame Internetseite, die zur größten und schlagkräftigsten Mobilisierungsplattform für Aktionen in Bayern geworden ist. Zentral dafür sind die erfolgreichen Bemühungen, die Kameradschaften im Süden Bayerns mit einzubinden. Feste Strukturen werden vermieden und die Zusammenarbeit erfolgt meist von Fall zu Fall. Gute Kontakte werden zudem nach Ungarn, Südtirol, Österreich und Tschechien gepflegt. Für Aufruhr sorgte in diesem Jahr unter anderem der "III. Tag der Freundschaft" am 9. Juni, den das "Freie Netz Süd" gemeinsam mit dem "Deutsch-Böhmischen Freundeskreis" und tschechischen Neonazis in Oberprex feierte. Die szeneeigene Immobilie in dem Örtchen Oberprex im Landkreis Hof hat sich als wichtiger Anlaufpunkt für Festen, Veranstaltungen und Schulungen etabliert. Selbstbewusst wird hier von der Realisierung einer "national befreiten Zone" in Bayern gesprochen.

Auch in Nürnberg versuchte das "Freie Netz Süd" am 21. Juli ein "Nationales Zentrum" zu eröffnen. Der von Norman Kempken (FNS-Kader, Nürnberg) angemietete Keller im Stadtteil Langwasser sollte als angeblicher Vereinstreff für Veranstaltungen und Schulungen genutzt werden. Die Stadt Nürnberg konterte mit der Abweisung des Antrags auf Nutzung für Versammlungszwecke. Zeitweise ebenfalls mit der Begründung eines Vereinssitzes in Beschlag genommen wurde das "Gasthaus Gruber" in Halsbach (Lkr. Altötting). Hier residierte der angeblich von Norman Bordin gegründete Verein "Frei Räume e.V." mit dem Ziel, "Platz für nationale Wohn- und Gewerbeprojekte" zu schaffen und "zusätzlich als Anlaufpunkt patriotischer Menschen in Bayern und Österreich" zu fungieren.

Die Kundgebung am 1. Mai Kundgebung in Hof, bei der 450 Neonazis marschierten, stand im Zeichen der Parolen "Zeitarbeit abschaffen" und "Jeder weiß es ganz genau - Zeitarbeit braucht keine Sau". Zur Kundgebung riefen das "Freien Netz Süd", diverse Kameradschaften und die "Bürgerinitiative Ausländerstopp München (BIA)" auf. Im Vorfeld gab es am 31. März bereits eine regelrechte Bus-Tour zum Thema Zeitarbeit. So zeigten Kameradschaftsgruppen des "Freien Netz Süd" in Deggendorf, Regensburg, Schwandorf, Pegnitz, Bayreuth und Hof Präsenz.

Flüchtlinge als Zielscheibe

Als eine weitere zentrale jährliche Veranstaltung fand am 8. September der "5. Nationale Frankentag" in Mainleus-Schwarzach (Lkr. Kulmbach) statt, welcher von 200 Neonazis besucht wurde. Zu den Hauptattraktionen gehörte auch dieses Jahr wieder ein international besetztes Rechtsrockkonzert.

Offen und zunehmend aggressiv gingen landesweit Nazis gegen politische Gegner und Andersdenkende vor. Jugendzentren wurden mit Buttersäure angegriffen und Sprecher von Bündnissen gegen Rechts an ihren Wohnorten bedroht. Am 19. Juli wurde in Regensburg der Vorsitzende der ver.di Jugend auf offener Straße zusammengeschlagen.

Opfer unverhohlener Agitation bis hin zu Körperverletzungen sind 2012 vor allem Asylbewerberinnen und Asylbewerber geworden. Wo eine Flüchtlingsunterkunft geplant wurde, standen rechte Gruppen und ultrarechte  "Bürgerinitiativen" umgehend mit Infoständen und Flugblattaktionen auf dem Plan, um die Bürger zu "informieren". Es wurde offen mit vermeintlich drohender Überfremdung, Volkstod und Kriminalitätsanstieg durch Asylbewerber gehetzt. Am 3. November legten Unbekannte Feuer an verschiedenen Stellen in einer Asylbewerberunterkunft in Wörth an der Isar. Das Gebäude war zuvor mit rechten Parolen beschmiert worden.

Ausblick auf 2013

Solange die Beweisaufnahme des bayerischen NSU-Ausschusses weiterhin nur schleppend Informationen an den Tag bringt, ist es unwahrscheinlich, dass sich die führenden Köpfe der Szene in Bedrängnis fühlen. Insgesamt scheint es realistisch, mit einer weiteren Zunahme an Selbstbewusstsein und unverhohlener Präsenz zu rechnen.  

Vor allem durch den in München stattfinden Prozess gegen Beate Zschäpe ist im nächsten Jahr  mit einer erhöhten Aktivität und Agitation von Seiten der Rechtsextremisten zu rechnen. Mit den für 2013 anstehenden Landtagswahlen zeichnet sich ab, dass sich ultrarechte Tarnorganisationen und Splitterparteien weiterhin um öffentliche Auftritte und Stimmenfang bemühen. Die Grenze zwischen Populismus und Rechtsextremismus wird hier wahrscheinlich zunehmend verwischt.

Mehr im Internet:

Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus

B.U.D. - Beratung. Unterstützung. Dokumentation. Für Opfer Rechtsextremer Gewalt

BJR: Bayerischer Jugendring

redaktionelle Betreuung: Roger Grahl

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