Screenshot der Liste "Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs" vom Simon Wiesenthal Center
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Jabob Augstein – der Vierte aus der Mitte? Ein Gastbeitrag zur Antisemitismus-Debatte

Seit Tagen kocht die Diskussion um Jakob Augstein, seine "Spiegel"-Beiträge und die Auseinandersetzung mit dem Simon Wiesenthal Center. Nun melden sich drei jüngere Antisemitismusforscher und –forscherinnen zu Wort. Sie analysieren die Aussagen Augsteins als Beispiel für den Antisemitismus der Mitte.

Von Dr. Julia Eksner, Antonia Schmid (MA) und Dr. Günther Jikeli

Statistiken sind oft zu abstrakt, um sich darunter etwas vorstellen zu können. Jakob Augstein könnte dabei in Sachen Antisemitismus einmal hilfreich sein.

Als er am 19. November 2012 einen seiner nun umstrittenen "Spiegel"-Beiträge veröffentlichte und Hamas und Israel gleichsetzte, befand sich Israel seit Monaten unter massivem Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen. Israel hatte mit einer achttägigen Militäraktion geantwortet, die mit der Tötung des militärischen Chefs der Hamas begann. In seiner Kolumne "Überall Antisemiten" eine Woche später ging es Augstein dann vor allem darum, vorbeugend den Antisemitismusvorwurf für auch noch so krude Äußerungen zu Israel, Boykottforderungen oder Verharmlosungen der Hamas zu entkräften. Das lag durchaus im Eigeninteresse. Das Simon Wiesenthal Center setzte Zitate des Verlegers und Journalisten auf den neunten Platz der weltweiten Hitliste der antisemitischen respektive antiisraelischen Verunglimpfungen des vergangenen Jahres.

Was die empörte öffentliche Debatte um Augstein auszeichnet, ist die Frage wie es passieren konnte, dass ein deutscher Journalist der Mitte auf einer solchen Liste landet. Eines der häufigsten Argumente der Debatte – und auch des Angeklagten selbst in seinem Blog - ist, dass Augstein doch nur über Israel rede, und nicht über Juden. Darüber, dass es da oft einen Zusammenhang gibt, wird lieber geschwiegen.

Dass sich Antisemitismus in Deutschlands Medienlandschaft zumeist verdeckt äußert und insbesondere über eine Argumentation funktioniert, die augenscheinlich Kritik an Israel übt, aber tatsächlich über Juden als solche Aussagen macht, ist der Antisemitismusforschung bekannt. Diese Form des antisemitischen Diskurses wird inzwischen als eine eigene Form gesehen, die sich von einer selbstverständlich immer möglichen und oft berechtigten Kritik unterscheidet. Sie zeichnet sich durch Ressentiments, Verallgemeinerungen und Gleichsetzung von Regierung und Bevölkerung aus und eben nicht durch Kritik etwa an bestimmten Handlungen der israelischen Regierung.

Nathan Sharansky hat den antisemitischen Diskurs über Israel deshalb treffend als 3-D-Diskurs bezeichnet: Dämonisierung, Doppelstandards, und Delegitimierung. Dämonisierung insbesondere bezeichnet den Vergleich von Israel mit dem nationalsozialistischen Deutschland und seiner Politik gegenüber den Palästinensern als Vernichtungspolitik, sowie von Gaza mit Großraum-Lagern und dem Warschauer Ghetto. Solche Vergleiche sind nicht nur absurd, sondern beinhalten eine Umkehrung der Täter-Opfer-Rollen, auch "Holocaust Inversion" genannt, so dass Israel, Israelis und auch Juden allgemein mit Nationalsozialisten gleichgesetzt werden, und die Palästinenser zu ihren Opfern. Wilhelm Heitmeyers Forschung an der Universität Bielefeld und der Antisemitismusbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 zeigen, dass diese antisemitischen Motive in Deutschland gesellschaftlich starke Akzeptanz finden. Auffällig ist außerdem, dass diejenigen, die sich sehr kritisch gegenüber Israel äußern, selten ohne antisemitische Stereotype auskommen. In einer repräsentativen Studie Heitmeyers stimmten 90 Prozent derjenigen, die sich israelkritisch äußerten, auch antisemitischen Aussagen zu.

Umfragen, die immer wieder belegen, dass Antisemitismus nicht auf die extreme Rechte beschränkt ist, sondern auch "in der Mitte der Gesellschaft" vorhanden ist, sind allenfalls eine Randnotiz wert, denn sie zwingen nicht zu Konsequenzen. Wird das Problem aber einmal konkret benannt, das heißt, werden Aussagen bestimmter Personen als antisemitisch bezeichnet, hat das einen kollektiven Aufschrei zur Folge. Ein Reflex der Abwehr erfolgt, wo es stattdessen angebracht wäre, sich mit den Positionen auseinander zu setzen und dazu Stellung zu beziehen.

Wie verhält es sich im Fall Augstein? Die "Schwelle zum Antisemitismus" habe er in Aussagen zu Israel überschritten, bestätigt beispielsweise Michael Wolffsohn, aber ein Antisemit sei er nicht. Andere meinen, seine Urteile seien zwar falsch und pauschalisierend, aber nicht antisemitisch. Ab wann ist denn jemand, der antisemitische Bilder und Stereotype benutzt, ein Antisemit?

Jakob Augstein hat in seinen "Spiegel Online"-Kolumnen Israel pauschal dämonisiert und mit antisemitischen Bildern gearbeitet, als er über die "Endzeit des Menschlichen" in dem "Lager" Gaza schrieb, über das "grenzenlose Gesetz der Rache" oder als er, Beinart paraphrasierend, schrieb "Die israelische Machtpolitik bedroht die Legitimität des ganzen Staates." Auch mit der Gleichsetzung von Hamas und Israel und der Äquidistanz, die er in seiner Kolumne "Der ewige Krieg" einfordert, sieht er absichtlich über den terroristischen Charakter der Hamas hinweg, die ganz offen und – ein Blick in ihre Charta genügt – ausdrücklich die Vernichtung der Juden betreibt, hinweg. Seine Gleichsetzung von "Ultraorthodoxen" und palästinensischen Fundamentalisten blendet auch aus, dass es nur letztere sind, die Terroranschläge auf die Zivilbevölkerung verüben.

Es sind solch einseitige Bilder vom Nahostkonflikt mit zahlreichen Anknüpfungspunkten zum Antisemitismus, die es vielen erleichtern, etwa der Aussage "Durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer." zuzustimmen. Im letzten Jahr tat dies laut einer Studie im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung fast jede und jeder Vierte. Augstein ist nicht allein mit seinen Ressentiments, sondern in guter Gesellschaft – sowohl am Stammtisch als auch im deutschen Feuilleton.

Jakob Augstein ist auch und gerade deshalb der ideale Kandidat für die Liste des Wiesenthal Centers, weil er klar in der politischen Mitte zu verorten ist. In ihm haben wir keinen Rechtsextremisten, keinen geifernden Antisemiten, sondern einen demokratischen, vermutlich gar kritischen Intellektuellen, dessen journalistische Arbeit – bewusst oder unbewusst - jedoch eben durch gesellschaftlich akzeptierte antisemitische Motive gekennzeichnet ist. Die eigentliche Bedeutung der Augstein-Debatte sehen wir deshalb darin, dass sie den normalisierten antisemitischen Diskurs des deutschen Feuilletons über Israel auf unvorhersehbare Weise wieder "zentriert" hat, indem sie als "Israel-Kritik" verharmloste gesellschaftlich akzeptierte antisemitische Motive und Argumentationen wieder als das benannt hat, was sie eigentlich sind: als alten Fritz in neuen Kleidern.

Die Autorinnen und der Autor sind zur Zeit Fellows am Kantor Center for the Study of European Jewry an der Tel Aviv University und forschen zum Thema Antisemitismus in Deutschland.

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