Ein Interview mit Stephan Kramer, dem Präsidenten des Verfassungsschutzes in Thüringen
dpa

Ist die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz?

Wenn AfD-Funktionär André Poggenburg in seiner rassistischen Aschermittwochsrede gegen die Türkische Gemeinde in Deutschland giftet, fragen sich etliche: Ist das noch mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar? Ist es nicht zumindest ein Fall für den Verfassungsschutz?  Das wollten wir auch einmal wissen und haben Stephan Kramer, den Präsidenten des Verfassungsschutzes in Thüringen, gefragt.

 

Von Simone Rafael

 

Die AfD als Partei wird bisher nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Ab wann wird oder ab wann kann eine Organisation überhaupt vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

Stephan Kramer: Das ist gesetzlich geregelt. Beobachtet werden „regelmäßige Personenzusammenschlüsse“ – das können Parteien sein, Vereine oder Gruppierungen-, wenn es Anhaltspunkte für „extremistische Bestrebungen“ gibt. Extremistische Bestrebungen sind Handlungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Das ist etwa der Fall, wenn eine Organisation in ihre Statuten schreibt, sie wolle das politische System der Bundesrepublik Deutschland abschaffen. Die NPD hat das faktisch gemacht. Für die Prüfung sind erst einmal nur Informationen nutzbar, die aus offenen Quellen stammen – also die der Öffentlichkeit zugänglich sind, über Medien, Social Media, Veranstaltung.

 

Auf die AfD tritt das meiner Meinung nach noch nicht zu. Die sieht sich ja selbst als Partei innerhalb der Parteiendemokratie, und es gibt noch nicht ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte, dass die AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung handelt.  Für Parteien gelten nach Artikel 21 Grundgesetz, der das Parteienprivileg regelt, noch zusätzliche Schutzmechanismen. Weil Parteien wichtige Säulen der politischen Willensbildung innerhalb der Demokratie sind, stehen sie unter besonderem Schutz, der erst mit einem Parteiverbot durch das Bundesverfassungsgericht erlischt. Das fußt in der Erfahrung des Nationalsozialismus, als ja alle demokratischen Parteien von den Nationalsozialisten verboten wurden. Nun heißt das heute aber eben auch, dass das Grundgesetz auch Parteien schützt, die Teile dieses Grundgesetzes verändern oder abschaffen wollen, wie etwa den Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Menschen.

 

Interessant ist allerdings, dass der Verfassungsschutz auch Personenzusammenschlüsse beobachten darf, deren Handlungen „gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), gerichtet sind“. Wenn nun ein AfD-Funktionär wegen Volksverhetzung rechtskräftig verurteilt würde – wie es etwa bei der Aschermittwochsrede von André Poggenburg abzuwarten ist -, hätte das Einfluss auf die Frage der Beobachtung. Volksverhetzung widerspricht definitiv dem Gedanken der Völkerverständigung.

 

Es wurde jüngst bekannt, dass einzelne Mitglieder/Funktionäre der AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Wie kommt es dann dazu und was bedeutet das?

Wann Einzelpersonen beobachtet werden können, ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. In Thüringen wäre eine Beobachtung möglich, wenn die Aktivitäten der Person auf Gewalt gerichtet sind, also zu Gewalt aufgerufen, oder wenn sich eine Person so betätigen, dass sie die freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Werte, für die sie steht, angreift.

Aus der Sicht des Thüringer Verfassungsschutzes sind hierfür in unserem Bundesland derzeit ebenfalls keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beobachtung von Einzelpersonen aus der AfD erkennbar.

Was wir neben den Äußerungen und Handlungen einer einzelnen Person prüfen können: Wenn eine Person doch zu einer Gesamtorganisation gehört, ist die Frage, wie die Gesamtorganisation auf Einzeläußerungen reagiert – also rügt sie demokratiefeindliche Aussagen oder bekräftigt sie sie?

Und dann ist da noch die Frage von Kontakten zwischen Rechtsextremen und AfD-Mitgliedern. Wir wissen, dass sich einzelne Menschen kennen oder auch treffen und austauschen. Das ist aber noch nicht genug für eine Beobachtung. Entscheidend ist die Frage, ob die AfD dabei von Rechtsextremen unterwandert oder sogar maßgeblich gesteuert wird. In Thüringen können wir das bisher nicht feststellen.

Die Bewertung basiert also auf den drei Aspekten Mitgliederstruktur, mögliche Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten sowie programmatische Inhalte und Äußerungen von Parteimitgliedern.

Einbezogen wird dabei ausschließlich öffentlich zugängliches Material. Die Einschätzung berücksichtigt dabei ebenso belastende, wie entlastende Aspekte.

 

Wird die AfD also auf absehbare Zeit kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes sein?

Bei einer Partei wie der AfD haben wir es mit einem dynamischen Entwicklungsprozess zu tun – den müssen wir berücksichtigen. Die rechtsradikalen Äußerungen einzelner Mitglieder nehmen derzeit in der Partei besorgniserregend zu. Ob diese extremistischen Positionen einzelner Mitglieder für die Gesamtpartei prägend werden, bleibt dabei aber dennoch weiter abzuwarten.

Wir können erkennen, dass einzelne Mitglieder der AfD zunehmend auf rechtsextremen Sprachgebrauch zurückgreifen. Wir beobachten auch mit Sorge den Einfluss der „Patriotischen Plattform“ auf die Partei und auch die mögliche Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung (IB) und Teilen der „Gida“-Bewegung. Denn Vertreter_innen und Protagonist_innen der „Patriotischen Plattform“, der „Identitären“ und beispielsweise der Thügida-Bewegung beziehen vermehrt offen rechtsextreme insbesondere "ethnopluralistische" Positionen. Der Rassismus der „Identitären“ und damit der sogenannten „Neuen Rechten“ mit ihrer Apartheitsideologie findet zunehmend einen Resonanzboden auch in der AFD.

Die „Patriotische Plattform“ ist derzeit kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Die „Identitäre Bewegung“ und die Thügida-Bewegung sind indessen Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes in Thüringen und teilweise des Bundes.

Aktuell existieren noch Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit den „Identitären“ und den „Gidas“* – die AfD will sich also noch von rechtsextremen Gruppierungen distanzieren. Andererseits gibt es regionales Führungspersonen der AfD, die so eine Zusammenarbeit nicht ausschließen oder sogar befürworten. Hier müssen wir also prüfen, ob die Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit den faktischen Realitäten noch in Einklang stehen.

*Das Interview wurde am 28.02.2018 geführt. Mittlerweile hat der Parteikonvent der AfD beschlossen, dass AfD-Mitglieder künftig bei Kundgebungen des Pegida-Bündnisses auftreten dürfen.

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