Ausschnitt des Covers des Buches "Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand"
Unrast-Verlag

Islamfeindlichkeit: Der konstruierte Hass

Wer versteckt, aber nicht offen rassistisch sein mag, ist aktuell "islamkritisch". Es gibt ja auch ganz real Probleme mit Muslimen! Oder? Der Band "Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand" von Iman Attia, Alexander Häusler und Yasemin Shooman zeigt, wie Hass, Feindlichkeit und Kritik am Islam konstruiert sind, warum es dabei eigentlich nie um den Islam geht - und warum ein kritisches Bewusstsein zu diesem Thema auch großen Teilen der "abendländischen" Gesellschaft fehlt, die sich doch als so demokratisch und aufgeklärt dargestellt.

Von Simone Rafael

Wenn Pegida auf der Straße steht und gegen "die Muslime" brüllt, die NPD gegen Moscheen wettert oder die AfD auf Facebook postet, in Deutschland müssten deutsche Gesetze herrschen (gemeint ist: und nicht die Scharia), dann ist relativ klar, dass hier Islamfeindichkeit im Spiel ist. Doch auch von feministischer oder linker Seite werden "dem Islam" manchmal Dinge unterstellt, die einer kritischen Betrachtung bedürfen. Diese liefert der schmale Band "Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand" von Iman Attia, Alexander Häusler und Yasemin Shooman aus dem Unrast-Verlag schnell und kompakt. Darin geht es - trotz seines Titels - nicht nur um rechtspopulistische und rechtsextreme "Argumente" gegen "Muslime", sondern auch um problematische "Islamkritik" in der ganzen Gesellschaft.

Einige wichtige Kernthesen: 

  • Islamfeindlichkeit richtet sich nicht wirklich gegen Muslime, denn sie zielt nicht auf gläubige Menschen, sondern auf Menschen, die aufgrund ihres Aussehens, ihres Herkunftslandes (oder dem ihrer Eltern) oder ihres Nachnamens als "Muslime" markiert werden.  Ob sie sich wirklich dem Islam zugehörig fühlen (und welcher Glaubensrichtung innerhalb des Islam), ob sie wirklich gläubig sind, interessiert Menschen nicht, die islamfeindlich argumentieren, also Vorurteile über Menschen verbreiten, die sie als "Muslime" benennen.

Dafür muss man einiges konstruieren:

  • Dass eine nationale Herkunft auch eine kulturelle bedeutet
  • Dass Kultur und Religion sich gegenseitig bedingen
  • Dass Physiognomie, Nation, Ethie, Kultur und Religion zusammenhängen und zu einer unabänderlichen "Natur" werden -> das ist ein Konzept wie "Rasse"
  • Dass tatsächliche oder vermeintliche Religionszugehörigkeit der (alleinige) Grund für Verhalten und soziale Praktiken ist

Islamfeinde glauben das so. Darauf basiert ihre weitere "Argumentation".

  • Als Gegensatzpaar dient "rückständig, archaisch, brutal" vs. "fortschrittlich, vernünftig, empanzipiert"
  • Daraus folgt für die Islamfeinde die Annahme einer grundsätzlichen und unabänderlichen religiösen und kulturellen Differenz, die zu Problemen führt („Der Islam gehört nicht zu Deutschland“)
  • Es wird nicht (immer) die Vertreibung von Muslimen gefordert, aber ihre "Erziehung" und "Zivilisierung" nach christlich-westeurpäischem Vorbild.
  • Gesellschaftliche Probleme wie Armut oder Arbeitslosigkeit werden nicht politisch bearbeitet, sondern kulturalisiert und „muslimisiert“, indem man die religiöse Zugehörigkeit als Ursache imaginiert
  • Oft werden soziale Praktiken durch vermeintliche religöise Zugehörigkeit begründet – obwohl die Belege dafür nie erhoben wurden (z.B. Akzeptanz oder Fehlende Akzeptanz von Homosexuellen)

Auch „moderate“ Islamkritik argumentiert mit dem Gegensatzpaar „Wir“ und „Die Anderen“ und benennt gesellschaftliche Missstände als „muslimisch“

  • Siehe den (auch medialen) Tenor Sarrazin-Debatte: Das geht zu weit, aber grundsätzlich hat er doch recht)
  • Beispiel „Bildungsverlierer“: Statt die Bildungspolitik in die Pflicht zu nehmen oder die Lebensumstände von Familien mit Kettenduldurng zu thematisieren und Verbesserung zu fordern, wird mangelnde Bildung als Folge des Muslimischsein imaginiert
  • Unterschieden wird in „gute“ (angepasste) und „böse“ Muslime
  • Feministische Diskurse: Das Kopftuch wird als Utensil markiert, dass Frauen zu Menschen zweiter Klasse mache. Um vorgeblich Musliminnen vor Islamist_innen zu schützen, soll das Kopftuch im öffentlichen Dienst verboten sein – was den muslimischen Frauen abspricht, eine eigenen Entscheidung treffen zu dürfen, wie sie sich kleidet, oder wofür sie sich einsetzen möchte.
  • In der Debatte um „Zwangsehe“ und „Ehrenmorde“ wird häusliche, sexualisierte und patriarchale Gewalt als zum Islam gehörig diskutiert; kommt es zu entsprechender Gewalt in nicht-muslimischen Zusammenhang, werden die Fälle als tragische Einzelfälle und Folge von Beziehungskrisen, Elternversagen oder Überforderung bezeichnet (nicht als Folge von christlicher oder säkularer Lebensweise)

Warum antimuslimischer Rassismus?

  • Der „Othering-Prozess“: als Muslim_innen Markierte werden als homogene Gruppe angesehen und zu „Den Anderen“ gemacht – und als Opposition zu „dem Eigenen“ verstanden
  • Sie werden sich als bestimmt von Ethnie, Religion und Kultur verstanden. Alle sozialen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten der Lebensumstände scheinen unwichtig.
  • Es geht in diesen Argumentationen darum, Machtverhältnisse zu erhalten und die gesellschaftliche Gleichstellung – als Menschen, als Deutsche, als ebenbürtig – zu verhindern.
  • Früher hießen die Bedingungen für Teilhabe an der Gesellschaft „Rasse-Volk-Nation“, heute sind es „Religion-Kultur-Ethnie“.
  • Ist nicht nur bei Rechtsextremen, sondern gesamtgesellschaftlich weit verbreitet.

Islamfeindlichkeit im Internet

Yasemin Shooman beschreibt außerdem, wie die internationale Vernetzung von Islamfeinden über Blogs und Websites im Internet die Hass-Diskurse mit stetig neuer Nahrung versorgt. Die bereits genannten islamfeindlichen Diskurse werden im Internet mit Verschwörungstheorien und einer angeblich kurz bevor stehenden, aber auf alle Fälle angestrebten „muslimischen Weltherrschaft“ angereichert. Grundsätzlich sprechen die Islamfeinde „dem Islam“ ab, überhaupt eine Religion zu sein – vielmehr sei er eine politische Ideologie, die ihren Anhänger_innen gebiete, westliche Gesellschaften aktiv zu „zersetzen“. Politische und kulturelle Eliten, die sich gegen Islamfeindlichkeit aussprechen, werden in diesen Kreisen als „Kollaborateur_innen“ bei der „Islamisierung“ Europas beschimpft. Größte deutsche Website das Spektrums ist „Politically Incorrect“, die nach eigenen Angaben bis zu 120.000 Besucher_innen täglich hat (2014). Sie arbeitet mit dem Prinzip der „selektiven Wahrnehmung“: Als „Gegenöffentlichkeit“ zu etablierten Medien wird das Internet nach weltweit veröffentlichten Artikeln durchsucht, die Fehlverhalten von als muslimisch markierten Menschen dokumentieren. So wird eine „Wirklichkeit“ konstruiert, in der die Mehrheitsbevölkerung als (potenzielles) Opfer der muslimischen Minderheit gezeichnet wird. Islamfeindilche Kommentare der Leser_innen tragen zur Inszenierung bei, „PI“ sei „Sprachrohr“ das „Volkes“. Der offizielle Philosemitismus der Seite wird von den User_innen dagegen nicht verstanden oder zumindest nicht mitgetragen.

Das Verschwörungs-Weltbild der Blogs

  • es gibt eine aktive und gezielt betriebene „Strategie“ der  „Islamisierung Europas“, die bis zum Genozid an der „ursprünglichen“ Bevölkerung gehen soll
  • etablierte politische Parteien werden von Muslim_innen ferngesteuert
  • mediale Tabus verhindern, dass Kritik an Muslimen geäußert werden dürfte
  • mediale und politische Diskurse werden von muslimischen Interessen gelenkt
  • große Parallelen zu antisemitischen Weltverschwörungstheorien
  • Widerspruch zu herkömmlichen rassistischen Diskursen, die Muslim_inen als rückständig und kulturell minderwertig darstellen – nun können sie westlichen Gesellschaften von innen heraus zersetzen!
  • Einen Exkurs bietet der Täuschungsvorwurf „Taquiyya“ – Muslim_innen würden sich nur friedlich und angepasst geben, um den „wahren“ Geist ihrer Religion zu verschleiern. Geht einher mit der Unterstellung, Muslim_innen hätten eine Neigung zu Täuschung und Verstellung. Damit korrespondiert das Bild des „Schläfers“.
  • Wichtigste „Waffe“ im Kampf um die Islamisierung Europas: Geburten, die als „planvolle Vermehrung“ vorgestellt werden („Geburten-Djihad“).
  • Die andere Seite ist ein hasserfüllter Anti-Feminismus – denn der führe ja dazu, dass die weißen Deutschen weniger Kinder bekämen.
  • Hier zeigt sich deutlich, dass Islamfeinde und Rechtspopulist_innen nur auf Frauenrechte zurückgreifen, wenn sie gegen ihr Bild vom Islam in Stellung gebracht werden können!
  • Ähnlich instrumentell ist der Umgang mit Homophobie. Die Homophobie von Muslim_innen wird angeprangert – Erziehung zu sexueller Vielfalt in Schulen allerdings erst recht abgelehnt. Genauso ist es im Umgang mit Jüdinnen und Juden. Zwar wird von Islamfeinden und Rechtspopulist_innen Israel als Bollwerk gegen die „islamische Barberei“ proklamiert. Das tut dem praktischen Antisemitismus gegen Jüdinnen und Juden an sich aber keinem Abbruch.
  • Die Lösung all dieser Probleme ist für die Islamhasser_innen aus dem PI-News-Umfeld: Die Muslim_innen müssen wieder weg aus Europa (denn wenn sie sich anpassen, tun sie ja nur so, siehe oben).

Wie wirkt das?

  • Mobilisierungsfunktion (z.T. mit Anleitungen „Wie verhindere ich einen Moscheebau“ oder ähnliches)
  • Einschüchterung von Demokrat_innen durch Internetpranger mit Steckbriefen
  • Sprache und Bilder nehmen Einfluss auf die Mehrheitsgesellschaft – wenn zum Beispiel der politische Kampfbegriff der „Islamisierung“ ohne Anführungszeichen in Medien oder selbst in einem Kommentar der Bundesregierung zu „PI News“ erscheint
  • Verfassungsschutz und Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Inhalte sehen auf PI News bisher keine demokratiegefährdenden oder volksverhetzenden Inhalte – was zeigt, dass ein Verständnis für Islamfeindlichkeit noch in der Gesellschaft weitgehend fehlt

Islamfeindlichkeit in der extremen Rechten

Spannend ist auch die Analyse zu Islamfeindlichkeit bei Neonazis und Rechtsextremen von Alexander Häusler. Deren identitätsbildende Themen sind nämlich Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Islamfeindlichkeit dagegen wird eher taktisch eingesetzt - weil sie auf mehr gesellschaftliche Zustimmung stößt als „klassischer“ Rassismus. Was Nazis am besten gefällt: Sie imaginieren einen "Kulturkampf" zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen - gern auch als Kampagnen- und Wahlkampfthema. Dabei spielen sie mit den Ängsten der Menschen um den Verlust von Zugehörigkeit und sozialer Sicherheit.

Das Buch "Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand" bietet also auf knappem Raum eine umfassende Einführung ins Themengebiet und ist sehr zu empfehlen.

Iman Attia, Alexander Häusler, Yasemin Shooman:
Antimuslimischer Rassismus am Rechten Rand. 
Unrast Verlag, Münster 2014. 68 Seiten, 7,80 Euro.

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