Härtere Polizei-Maßnahmen gegen Neonazis - warum erst jetzt?

Aktuell greift die Polizei im Kampf gegen Rechtsaußen härter durch. Eine neue Task-Force gegen rechte Gewalt in Dortmund-Dorstfeld, Verfahren gegen das "Aktionsbüro Mittelrhein" und Hausdurchsuchungen wegen "nw-berlin" in Berlin bringen aktuell die Neonazis in der gesamten Bundesrepublik in Bedrängnis.

Von Olga Wendtke

Die Ermittler verkaufen ihr Verhalten als Ergebnis langjähriger Observationen der rechtsextremen Szene. Trotzdem ist es kein Geheimnis, dass das härtere Durchgreifen in rechtsextremen Kreisen eine Folge der Selbstenttarnung der rechtsterroristischen Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)" ist - und der danach erkennbaren schwerwiegenden Fehler der Ermittlungsbehörden bei der Verfolgung der Rechtsterrorist/innen.

Der neue Lieblingsfeind der Dortmunder Neonazis sitzt im Polizeipräsidium

Dortmund, 31. März 2012 gegen 17 Uhr. Am Dortmunder Hauptbahnhof ist ein Meer aus Polizeiwagen aufgebaut. Zugreisende und Passant*innen, die sich auf dem Bahnhofsvorplatz aufhalten, müssen sehr genau hinsehen, um den Grund für das starke Polizeiaufgebot zu finden. Anders als in den vergangenen Jahren dürfen die Neonazis ihren Lieblingsplatz an den Katharinentreppen, oberhalb des Hauptbahnhofes, nicht für ihr Rechtsrockkonzert nutzen. Dieses Jahr müssen die circa 350 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet mit einem Platz in der Bahnhofsstraße vorlieb nehmen, der der Öffentlichkeit hinter Polizeifahrzeugen verborgen bleibt. In diesem „Nazikäfig“ fällt die Selbstdarstellung schwer, die Außenwirkung aus. Die Atmosphäre, die von den Beamt*innen gezielt erzeugt wird, passt zu den Razzien und Hausdurchsuchungen in den vergangenen Wochen. Erst drei Tage zuvor durchsuchte eine Einsatzhundertschaft die Räume des „Nationalen Zentrums“ in Dortmund und drei weiteren Privatwohnungen von Neonazis. Die beschuldigten Neonazis, die auf der Straße Plakate mit Werbung für das „Nationale Zentrum“ geklebt hatten, lieferten den Grund für die Razzia am Mittwoch Abend. Rund 50 Neonazis tummelten sich zu der Zeit der Durchsuchung in dem Neonazizentrum auf einem Kameradschaftsabend. Anwesend waren nicht nur „Autonome Nationalist*innen“ sondern auch NPD-Parteipolitiker*innen. Die Polizei stellte an dem Abend die Personalien der anwesenden Neonazis fest. In den Privatwohnungen der drei Neonazi-Plakatierer*innen stellte die Polizei außerdem ein Luftgewehr, zwei PTB-Pistolen mit Munition, eine Softairwaffe, zwei Teleskopschlagstöcke, eine Zwille,  Pfefferspray und ein Einhandmesser sicher. Das „R135“ (für Rheinische Straße 135) wie das Haus auch von seinen Rechtsaußen-Nutzer*innen genannt wird, soll in wenigen Wochen von der Stadt zu einem Jungendzentrum umgestaltet werden. Die Neonazis aus der größten Stadt im Ruhrgebiet müssen dort ihre Zelte abbrechen und sich nach neuen Räumlichkeiten umschauen. Die Stadt Dortmund ist ab dem 1. April der neue Mieter des Hauses und hat den unliebsamen Bewohner*innen die Kündigung geschickt. Wann die Neonazis genau aus dem Haus hinaus sind, ist aber noch ungewiss. Der Mietstreit kann sich noch über Monate ziehen. Dennoch sollen der gekündigte Neonazi-Hotspot und die neu gegründete Task-Force im Stadtteil Dorstfeld das Leben der rechten Schläger*innen schwerer machen. So ist es auch kein Wunder, dass die Neonazis auf ihrer Demonstration in den Abendstunden des 31. März den neuen Polizeipräsidenten Wesseler und Oberbürgermeister Sierau zu den neuen Liebings- Hauptfeinden erklären. Auf einem großen Doppelhalter sind ihre Gesichter abgebildet und einzelne Neonazis tragen Schilder mit Wesselers Konterfei mit der Unterschrift „Nicht mein Präsident“.

Lieblingsbeschäftigung des AB Mittelrhein: „Anti-Antifa“-Arbeit

Auch die Neonazis rund um das Aktionsbüro Mittelrhein (ABM) müssen in den vergangenen Wochen einen kälteren Wind wahr genommen haben. In dem militanten Zusammenschluss arbeiten NPD- Parteipolitiker*innen mit sogenannten „Freien Kameradschaften“ aus Köln, Aachen, Leverkusen und Wuppertal zusammen. Mit 24 Hausdurchsuchungen und 30 Festnahmen reagierte die Staatsanwaltschaft Koblenz Mitte März auf den militanten Aktionismus der Vereinigung. Die Durchsuchungen betrafen Wohnungen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein- Westfalen, Thüringen und Baden-Württemberg. Mehrere Personen aus dem „Aktionsbüro“ wohnen in einem braunen Wohnprojekt in Bad Neuenahr-Ahrweiler. In dem selbsternannten „Braunen Haus“ hat sich die rechtsextreme Szene mitten in der Provinz einen Anlaufpunkt geschaffen. Auf das Konto des „ABM“ geht nicht nur ein gewalttätiger Übergriff im Januar 2011 in Wuppertal auf linke Flugblattverteiler*innen, sondern auch ein Angriff auf Busse im Februar 2011 in Dresden. Danach beteiligten sich rund 15 der nun angeklagten Neonazis bei einem Angriff auf ein linksalternatives Wohnprojekt in der Dresdener Innenstadt. Im April 2011 sollen beschuldigte Neonazis eine Person zusammengeschlagen haben, die ein NPD-Plakat abgehangen hatte. Außerdem wurden Personen aus der linken Szene aus den Kreisen des „ABM“ im Mai 2011 angegriffen, die Flugblätter verteilt haben. Eine Lieblingsbeschäftigung des „Aktionsbüro“ lag in den vergangenen Jahren in der „Anti-Antifa“-Arbeit. Namen und Adressen linker Gegner*innen wurden gesammelt und veröffentlicht. Nicht selten endete dieses Verfahren in gewalttätigen Übergriffen. Als kriminelle Vereinigung werde das „Aktionsbüro“ schon seit Februar 2011 eingestuft, verlautete die Staatsanwaltschaft kurz nach den Festnahmen. Warum die Staatsanwaltschaft nicht direkt nach dieser Einschätzung härter gegen die Neonazis durchgriff, bleibt offen.

Auch in Berlin klagen Neonazis über Hausbesuche von Beamt*innen

Aber nicht nur die Neonazis in dem westlichen Teil der Bundesrepublik klagen in letzter Zeit über Post von der Staatsanwaltschaft im Briefkasten oder Hausbesuche von Polizist*innen. Auch in Berlin scheint das Freizeitverhalten von Rechtsaußen auf staatlichen Gegenwehr zu stoßen. So durchsuchte die Staatsanwaltschaft am 23. März 2012 einen Laden und mehrere Wohnungen von Neonazis in Treptow und Neukölln. Der frisch gewählte neue NPD Vorsitzende in Berlin, Sebastian Schmidtke, wird beschuldigt, als Administrator der Internetseite des „Nationalen Widerstand Berlin“ (NW-Berlin) tätig zu sein. Auf dieser befinden sich seit 2005 Einträge und Fotos, auf denen Antifaschist/innen, Politiker/innen, Journalist/innen und Homosexuelle diffamiert und beleidigt werden. Es sind aber auch linke und alternative Läden und Jugendeinrichtungen auf Fotos abgebildet. Nicht selten folgte auf das Outing im Internet ein Brandanschlag auf eine Einrichtung oder körperliche Gewalt gegen die abgebildeten Personen. Mindestens 13 Personen der dort Genannten wurden schon Opfer von rechtsextremer oder rassistischer Gewalt. In der Vergangenheit wurde seitens der Behörden immer wieder das Argument vorgeschoben, dass die Seiten auf Servern im Ausland lägen. Die Staatsanwaltschaft könne gegen die Internetseite, die unterschwellig zu Gewalt gegen Personen aufrufe nichts machen. Warum dies jetzt 7 Jahre später auf einmal doch möglich ist wissen wohl nur die zuständigen Ermittler*innen.

Spätes Eingreifen wirft Fragen auf

Das härtere Durchgreifen der Polizei im Zusammenhang mir rechtsextremen und rassistischen Straftaten ist zu begrüßen. Trotzdem wirft das späte Eingreifen der Sicherheitsbehörden Fragen auf. Warum werden erst nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ so massiv Privatwohnungen von Neonazis und „Nationale Zentren“ durchsucht? Der militante Rechtsextremismus ist im Jahr 2012 in Deutschland nicht auf einem Höhepunkt. Seit Jahren ist in Deutschland eine Kontinuität des rechtsextremen Terrors zu verzeichnen. Er zeigt sich in zahlreichen Waffenfunden, Brandanschlägen auf Jugendzentren und tagtäglicher rassistischer Gewalt. Dabei ist zu hoffen, dass die notwendige Beschäftigung der Staatsanwaltschaft und Polizei mit rassistischer und rechter Gewalt keinen kurzzeitigen Ermittlungs-Hype darstellt. Auch wenn die Ermittlungsbehörden die rechtsextreme Szene mehr ins Visier nehmen, fehlt immer noch eine grundlegende Auseinandersetzung mit Neonazismus und Rassismus in den Institutionen und der Gesellschaft in Deutschland. Die 182 Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die seit 1990 von der Amadeu Antonio Stiftung gezählt werden, erkennt die Bundesregierung immer noch nicht an. Das Koblenzer Verwaltungsgericht hat kürzlich rassistische Polizeikontrollen für legitim erklärt. Beamt*innen dürfen nun also ganz offiziell Personen kontrollieren, die nicht als „deutsch“ wahr genommen werden.

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