Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Antisemitismus

Wie sieht Antisemitismus im Alltag aus? Eine Teamerin des Projektes "BildungsBausteine gegen Antisemitismus berichtet".

Von Tatjana Glampke

Das Projekt "BildungsBausteine gegen Antisemitismus" arbeitet mit unterschiedlichen Zielgruppen zum Thema Antisemitismus. Eine wichtige Zielgruppe sind Schüler und Schülerinnen. Besonders im Projekt »Aktiv Demokratie leben – ohne Antisemitismus« stand die
längerfristige Arbeit an drei Schulen im Vordergrund. Ausgewählt wurden drei Gesamtschulen in verschiedenen Regionen. Obwohl der Schultyp derselbe ist, fielen die antisemitischen
Bemerkungen, wie dieser kurze Artikel beleuchten soll, sehr unterschiedlich aus.

Es sei aber explizit darauf hingewiesen, dass die hier genannten Beispiele nicht als Verallgemeinerungen verstanden werden sollen. Es handelt sich um Äußerungen, die mir in meiner pädagogischen Arbeit als Teamerin von Seminaren zum Thema Antisemitismus begegnet sind.

Häufig wurde in Schulen,wenn wir dort Seminare veranstalten, durch Gesten auf Adolf Hitler Bezug genommen. Der Hitlergruß wurde angedeutet oder sich ein Bärtchen aus Tesakrepp angeklebt oder zwei Finger als Andeutung des Bartes an die Lippe gehalten. Einerseits sollten wir als Team mit solchen Gesten provoziert werden und die Jugendlichen wollten herausfinden, wie wir darauf reagieren. Andererseits sollten solche Gesten eine Sympathie für die Judenfeindschaft der Nationalsozialisten ausdrücken.

Viele Jugendliche mit türkischem oder arabischem Hintergrund formulierten eine Abneigung gegen Juden. Trotz vieler Erklärungen und dem aufzeigen der Gemeinsamkeiten von Islam und Judentum blieben einige bei der Aussage: »Ich mag die Juden nicht.« Ein Faktor ist hierbei die Erörterung des Nahostkonflikts in arabischen Familien. Die Geschichte dieser Region wird in den Familien sehr einseitig erzählt, und das arabische Fernsehen unterstützt diese Sichtweise. Ein palästinensisches Mädchen wollte mir etwa auch nach langer Diskussion nicht glauben, dass vor 1947 arabische Großgrundbesitzer Land an jüdische Einwanderer verkauft haben. Sie hatte nur von gewalttätigem Eindringen gehört. Ein libanesischer Junge erzählte mir, dass die Juden seinen ehemaligen Präsidenten, gemeint war Rafiq al-Hariri,
umgebracht hätten. Auf die Nachfrage,woher er das wisse, bekam ich die Antwort, dass dies sein Vater sage. Diese Art der Geschichtsschreibung ist bei vielen arabischen Jugendlichen verwurzelt. In unserem Seminar hörten sie oft zum ersten Mal eine andere Sicht.

An der Schule, an der wir arbeiteten, wurde ein Mädchen aus der Parallelklasse öfter von älteren Schülern und Schülerinnen angegriffen,weil sie Jüdin ist. Die Angriffe wurden von den Mitschülerinnen zwar im Gespräch kritisiert, aber Solidarität mit dem Mädchen wurde nicht gezeigt. Man mische sich lieber nicht in solche politisch motivierten Übergriffe ein.

Bei den Klassen, die hauptsächlich aus Jugendlichen deutscher Herkunft bestanden, äußerte sich der Antisemitismus anders. Auffallend war bei den herkunftsdeutschen Jugendlichen, dass die Geschehnisse während der Zeit des Nationalsozialismus wie die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden in der Regel einer kleinen fanatischen Minderheit der Deutschen zugeschrieben wurden. Der Gedanke, dass die Vorfahren der eigenen Familie beteiligt gewesen sein könnten, wurde meist negiert.

Außerdem zogen sich viele in der Diskussion auf die Position zurück, man habe ja nichts machen können, sonst wäre man ins Konzentrationslager gekommen. Obwohl die meisten Schüler und Schülerinnen in der Regel kein konkretes Wissen über das Verhalten ihrer Vorfahren in dieser Zeit hatten, wurden von ihnen Argumente vorgebracht, die die eigene Verwandtschaft aus der Schuld und Verantwortung nehmen. Über die Ereignisse während des Nationalsozialismus in ihrer eigenen Stadt wussten sie meistens nichts. Dass auch in ihrem Ort die Synagoge niedergebrannt wurde oder die Läden der jüdischen Bevölkerung boykottiert und die Juden des eigenen Ortes deportiert wurden, überraschte sie häufig.

Auch kam es immer wieder vor, dass Jugendliche sich mit dem Thema nicht beschäftigen wollten. In besonders krassen Fällen kam es zu offen antisemitischen Äußerungen wie »Tod den Juden« oder einem angedeuteten Hitlergruß.

Die Beispiele zeigen, wie vielfältig antisemitische Abwehrhaltungen sind. Ihnen zu begegnen ist nicht nur Aufgabe der Pädagogen und Pädagoginnen.Vielmehr ist es wichtig, immer wieder mit Jugendlichen in die politische Auseinandersetzung zu treten und vorhandene Bilder durch den Zuwachs an Wissen zu dekonstruieren.

Die Autorin Tatjana Glampke ist Teamerin des Projektes BildungsBausteine gegen
Antisemitismus
– ein Kooperationsprojekt des Bildungsteam Berlin-Brandenburg e.V. und
Tacheles reden e.V.

Mehr Informationen gibt es im Internet unter
| www.bildungsbausteine.de

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Reflektieren. Erkennnen. Verändern. Was tun gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?" der Amadeu Antonio Stiftung. Die Broschüre kann hier heruntergeladen werden.

Mehr zur Arbeit gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit:

| www.amadeu-antonio-stiftung.de/die-stiftung-aktiv/gegen-gmf/

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