Gewerkschaften gegen (Neo-) Nazis: Lernen aus der eigenen Geschichte

Welche Gewerkschaftsaktivitäten gegen Nazis waren bisher erfolgreich - und wo liegen Herausforderungen heute? Das diskutierten Gewerkschaftsmitglieder auf der Veranstaltung "Geschichte und Perspektive gewerkschaftlicher Gegenwehr gegen NPD und Co" in Berlin.

Von Joachim Wolf

Die Erfahrungen der Gewerkschaften im Kampf gegen Rechtsextremismus sind vielfältig, wechselhaft - und ausschlaggebend für ein Engagement gegen Rechtsextremismus heute. Darüber waren sich die Teilnehmer auf dem Podium der Veranstaltung "Geschichte und Perspektive gewerkschaftlicher Gegenwehr gegen NPD und Co" einig, die organisiert von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am Mittwoch in Berlin stattfand.

Die Vergangenheit gewerkschaftlichen Engagements

Die Kristallisationspunkte dieser Vergangenheit sind die Konfrontation mit der offen aggressiven Propaganda und dem offenen Terror der Nationalsozialisten auf der Strasse gegen Ende der Weimarer Republik bei gleichzeitiger Spaltung der Arbeiterbewegung und damit auch der Gewerkschaften, die sich Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre lieber gegenseitig bekämpften, als gemeinsam gegen das Erstarken der NSPAD zu stellen.

Dann: Die Zerschlagung der Gewerkschaften nach der „Machtergreifung“, die Verfolgung und Ermordung von Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern und Kommunisten unmittelbar nach 1933, aber auch: die Anpassung vieler Arbeiter an das Regime und der Widerstand gegen das NS-Regime.

Nach dem Krieg schließlich die Reorganisation des gesellschaftlichen, sozialen und politischen Lebens und damit auch der Gewerkschaften, die Konfrontation mit ehemaligen Nazis in den Führungspositionen und mit den neu gegründeten rechtsextremen Parteien wie der „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP).

All dies sei Motivation genug, sich auch heute als Gewerkschaftler gegen Nazis zu engagieren, wie Beatrice Morgenthaler von der „Arbeitsgruppe Rechtsextremismus in ver.di Berlin-Brandenburg“ betonte. All dies sei aber auch Grund genug, sich mit der eigenen gewerkschaftlichen Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen, wie Ernst Heilmann (ver.di Nord) ergänzte. Was also aus der Geschichte lernen?

Erfahrungen der 1960er , 1970er und 1980er Jahre

Dietrich Elchlepp, früherer Bundestags- und Europaabgeordneter der SPD, berichtete über seine praktischen Erfahrungen aus den 1960er Jahren. Sein Engagement gegen Rechtsextremismus begann, als die NPD in sieben Landtage einzog und 1969 in den Bundestag einzuziehen drohte. Deshalb gründete er als Student die "Bürgerinitiative zum Schutz der Demokratie" mit - ein breites Bündnis aus allen demokratischen Parteien und außerhalb der Parteien Aktiven.

Elchlepp sah dies als seine "politische und moralische Verpflichtung" an. Mit anderen Mitstreitern informierte er sich gründlich über die Programmatik der NPD und sammelte und formulierte Gegenargumente gegen die Behauptungen der Partei. Diese Gegenargumente wurden dann in einer selbst gedruckten Zeitung veröffentlicht und an Parteien und Bürger verkauft.

Innerhalb der Gruppe wurden aber auch Redner geschult, die auf Veranstaltungen der NPD gingen und die Neonazis mit den Gegenargumenten der Demokraten konfrontierten. Oder: In der Nähe der NPD-Veranstaltung wurde eine kleine mobile Druckpresse installiert, die Argumente der NPD, die auf der rechtsextremen Veranstaltung gebracht wurden, wurden gesammelt, Gegenargumente formuliert und schnell auf ein Flugblatt gedruckt, das nach der Veranstaltung verteilt wurde. Ziel sei es gewesen, die NPD in der direkten inhaltlichen Konfrontation zu entlarven und ihre Thesen zu widerlegen. Elchlepp nannte diese Strategie „wirksam“ - es sei so möglich gewesen, Saalveranstaltungen der NPD „umzudrehen“.

Gleichzeitig betonte er allerdings, dass dies damals möglich gewesen sei, weil die NPD sehr um einen konservativen Anstrich bemüht sei und sich offen den Fragen der Bürger stellte. Deswegen sei es nur selten zu körperlichen Angriffen gegen die Aktivisten gekommen. Mit der heutigen NPD wäre dies kaum noch möglich, weil die Neonazi-Partei zurzeit konspirativer und vor allem aggressiver handeln würde, betonte Elchlepp. Allerdings sei die Auseinandersetzung mit den Inhalten der NPD damals wie heute wichtig. Dietrich Elchlepp erhielt 1970 den Theodor-Heuss-Preis für sein Engagement.

Von der Auseinandersetzung mit den ersten kameradschaftsähnlichen Strukturen, die sich nach dem Zerfall der NPD bildeten, berichtete Ernst Heilmann vom ver.di-Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern. Er wurde in Hamburg-Bergedorf mit den Strukturen, die sich dem Neonazi Michael Kühnen organisierten, konfrontiert. Kühnen versuchte damals bereits vor allem Jugendliche als Anhänger zu gewinnen - und genau hier setzen auch die Aktiven um Heilmann an: sie leisteten gezielt soziale und kulturelle Stadtteilarbeit und gründeten einen Jugendclub, der sich explizit gegen die Neonazis richtete. Aber auch mit Ständen und Demonstrationen der NPD wurden die Hamburger konfrontiert - und immer sei es gelungen, breite Bündnisse gegen diese zu organisierten. Aus diesen Erfahrungen heraus betonte Heilmann, es sei damals wie heute wichtig, sich mit den Neonazis im öffentlichen Raum auseinanderzusetzen - ebenso wichtig sei aber auch die soziale und kulturelle Jugend- und Stadtteilarbeit, damit Jugendliche nicht in die Fänge der Rechtsextremen geraten würden.

Strategien heute

Wie der gewerkschaftliche Kampf gegen Rechtsextremismus heute aussieht, stellte Andreas Köhn, stellvertretender Landesbezirksleiter ver.di Berlin-Brandenburg und in der „AG Rechtsextremismus“ aktiv, vor. Diese AG habe zwei Arbeitsschwerpunkte: Zum einen wolle sie helfen, den Rechtsextremen im öffentlichen Raum offensiv entgegenzutreten, indem sie Proteste organisierte. Hierfür könne ein Bündnis „nicht breit genug sein“, betonte Köhn. Es sollte am besten von der „Antifa“ bis zur CDU reichen.

Ein zweiter wichtiger Punkt der Arbeit der „AG Rechtsextremismus“ sei außerdem die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen und ihren Parolen.

Hierbei sei auch das Wirken in die Gewerkschaften hinein, wichtig, so Köhn. Denn: Eine Studie habe gezeigt, dass die Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen bei Gewerkschaftsmitgliedern über dem bundesweiten Durchschnitt liege. Die „AG Rechtsextremismus“ biete deswegen beispielsweise Beratungen für Vertrauensleute an, die im Betrieb mit rechtsextremen Sprüchen konfrontiert werden.

Wichtig sei deshalb die Aufklärungs- und Bildungsarbeit auch nach innen. Beatrice Morgenthaler nannte als Beispiele für zweifelhafte Einstellungen innerhalb der Gewerkschaften die „Standorts-Mentalität“ und die Einstellung gegenüber Mitarbeitern aus anderen Ländern in den Betrieben. Die Standort-Konkurrenz löse oftmals Ängste aus und biete Anknüpfungspunkte für nationalistische Parolen. Arbeiter aus Osteuropa würden oftmals als „Lohndrücker“ angesehen und deshalb von deutschen Mitarbeitern abgelehnt. Morgenthaler plädierte deshalb dafür, der Standort-Angst die internationale Solidarität entgegenzusetzen.

Den Gewerkschaftsmitgliedern müsse außerdem klar gemacht werden, dass die ausländischen Arbeiter auch einen Lohn bräuchten, der ausreicht, um die Familie zu ernähren. Denn: Das Prinzip der internationalen Solidarität sei das Urprinzip der Gewerkschaften und widerspreche diametral dem Gedankengut der Nazis. Dietrich Elchlepp sprach sich dafür aus, eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen, und sich „offensiv attraktiv“ zu verhalten, um als Gewerkschaft ein Gegenbild zu der rechtsextremen Ideologie zu schaffen. Denn: „Es lohnt sich auch heute, für eine demokratische Gesellschaft zu kämpfen“, wie Ernst Heilmann betonte.

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