Anfangs und in Dresden schienen die Demonstrationen von "Pegida" Ausdruck von rechtspopulistischen Ressentiments zu sein, von meckernden Wutbürger_innen, die zwar bellen, aber sich soweit noch im Rahmen der Demokratie bewegen, dass sie die Auseinandersetzung mit demokratischen Mitteln suchen. Nun häufen sich Gewaltvorfälle im Umfeld der Demonstrationen, in Dresden, München, Hannover, Stralsund, Köln. Der aufputschende Hass, den Pegida auf die Straße trägt, motiviert die gewaltbereiten Rassist_innen und Demokratiefeinde in den Städten.
Von Simone Rafael
Rassistische und rechtspopulistische Propaganda, wie sie Pegida auf die Straßen der Republik trägt, bleibt nicht nur bei den Worten, sondern hat zunehmend gewalttätige Konsequenzen. Dies ist nicht erst bei Pegida so: Seit 2013 hetzten etwa oft NPD-gesteuerte vorgebliche "Bürgerinitiativen" gegen Flüchtlingsheime. 2014 erreichte die Zahl der gewalttätigen Übergriffe und Bedrohungen gegen Flüchtlinge einen deutlichen Anstieg.
Die Pegida-Bewegung, die zunächst "nur" die Ressentiments grummeliger, demokratie- und islamfeindlicher Wutbürger_innen auf die Straße zu bringen schien und deren Organisatoren stets zu Friedlichkeit während der "Spaziergänge" aufrufen, ist längst auch ein Ort zum Aufputschen für gewaltbereite Rechtsextreme geworden.
Dresden, 22.12.2014
Alevitische Jugendliche wurden am 22.12.2014, als sich "Pegida" in der Dresdner Innenstadt zum "Weihnachtsliedersingen" versammelte, durch eine größere Gruppe rechtsextremer Hooligans in der Centrum-Galerie in der Prager Straße angegriffen. Die Jugendlichen flohen, die Angreifer verfolgten sie. Ein 15-jähriges Mädchen wurde dabei geschlagen. Ein anderer Jugendlicher aus der Gruppe wurde von den Angreifern mit einem Elektroschocker geschockt (taz, l-iz). Für den Vorfall gibt es inzwischen - anders als in ersten Zeitungsberichten dargestellt - etliche Zeugen. Die Jugendlichen rannten zum Hauptbahnhof und riefen um Hilfe. Ob und wie sie damit Gehör fanden, ist noch Teil der polizeilichen Ermittlungen. Am Bahnhof verletzte sich jedenfalls mutmaßlich ein 24-Jähriger Angreifer, der später Anzeige bei der Polizei erstattete (Polizeimeldung). Als das 15-jährige Mädchen zwei Tage später bei der Polizei wegen des Übergriffs Anzeige erstatten wollte, wurde sie zunächst abgewimmelt, sie solle Beweise und Zeugen mitbringen. Inzwischen ist die Anzeige gestellt, die Ermittlungen laufen. Die Polizei wollte die Ermittlungen auf Nachfrage nicht kommentieren. Der Übergriff ist aber, anders als zum Teil in bisherigen Presseberichten dargestellt, absolut real und leider wirklich passiert. Die Opfer werden von der Opferberatung der RAA Sachsen e.V. betreut.
Dresden, 05.01.2015
Beim "Pegida"-"Spaziergang" versucht eine Gruppe von rund 100 Teilnehmer_innen, die Demonstration Richtung Innenstadt zu verlassen, um zu den Gegenprotesten zu gelangen. Sie können nur mit Mühe zurückgehalten werden. 18 Teilnehmer, die sich später als Mitglieder der neurechten "Identitären Bewegung" zu erkennen geben, dringen unbefugt in den Sächsischen Landtag ein, entrollen Transparente und fotografieren sich (ngn).
München, 12.01.2015
Aus der "Bagida"-Demonstration in München am 12.01.2015 greifen Demo-Teilnehmer Gegendemonstranten an. Rund ein Dutzend Islamgegner trifft im Hauptbahnhof gegen 21 Uhr auf fünf Gegendemonstranten. Es wird gepöbelt und geschubst. Karl-Heinz S. stößt einen der Münchner zu Boden. Er versucht, ihn zu treten – trifft aber nicht. Bevor sich der Neonazi erneut auf sein Opfer stürzen kann, greift die Polizei ein und nimmt S. vorübergehend fest. Der Vorwurf: Körperverletzung. Am Stachus spielen sich etwa zur selben Zeit ähnliche Szenen ab. Doch hier stoppen Bagida-Anhänger die Aggressoren aus den eigenen Reihen, berichtet die Abendzeitung.
Dresden 12.01.2015
Laut Bericht der Aktivist_inne von "Pegida-Watch" wollte am Montag, den 12.01.2015, eine Gruppe von 20 Pegida-Demonstranten eine Gegendemonstrantin angreifen und konnte nur mit Mühe davon abgehalten werden. Anwohner_innen, die von Fenstern und Balkonen aus ihren Unmut gegen "Pegida" äußerten, wurden aufgefordert: "Spring!" (vgl. Huffington Post). Diese Sprechchöre gab es auch in Leipzig. NoLegida berichtet auch von Übergriffen auf Gegendemonstrant_innen.
Hannover, 12.01.2015
In Hannover kam es am 12.01.2015 zu Gewalt, nachdem 30 Neonazis aus dem Umfeld der verbotenen Kameradschaft "Besseres Hannover" zu bis dahin friedlich verlaufenden "Hagida"-Demonstration mit rund 200 Teilnehmer_innen stießen. die Rechtsextremen versuchten, zu Gegendemonstrant_innen durchzubrechen, warfen Glasflaschen auf Polizisten und Fotografen. Neonazi Ronny D. ging mit einem Regenschirm auf Fotografen los, zwei weitere Neonazis griffen einen Pressevertreter an und beschädigten dessen Ausrüstung. Danach prügelten sich "Kameraden" mit Polizeibeamten, um die Festnahme der zwei zu verhindern, berichtet Blick nach rechts. Insgesamt nahm die Polizei vier Neoanzis fest und leitete Verfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung, versuchter Gefangenenbefreiung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ein.
Stralsund, 12.01.2015
Laut einer Reportage von Endstation rechts mit Videomaterial haben in Stralsund Neonazis aus der "MVGida"-Demonstration heraus Gegendemonstrant_innen angegriffen: "Mehrere Teilnehmer wurden gestoßen und bedrängt. Ein Demonstrant entfernte sich mit blutender Nase – er sei nach eigener Aussage von einem Neonazi geschlagen worden." Lobbi MV ergänzt: Vor allem am Rande des Aufmarsches des islamfeindlichen PEGIDA-Zweigs in Stralsund kam es zu Übergriffen durch Angehörige der Neonaziszene. Befördert wurden diese durch eine offensichtlich falsche Einschätzung der Einsatzleitung der Polizei, hinsichtlich des Aggressionspotenzials des rechten Aufmarsches. Schon zu Beginn der Demonstration kam es zu Tätlichkeiten, als die Demonstrationsspitze, angetrieben durch Neonazi-Kader aus dem östlichen Vorpommern, durch 400 Protestierende drängte. Die offenbar überforderte Polizei sah zu. Lobbi MV schreibt weiter: "Zu einem besonders brutalen Angriff soll es gekommen sein, als der auf eine Alternativroute geführte, rechte Demonstrationszug, auf 30 bis 40 Protestierende traf und diese unvermittelt angriff, während sich Teile der Einsatzkräfte bereits zurückgezogen hatten. Die wenigen und anscheinend überraschten Polizeibeamt_innen vor Ort sollen sich hierbei zurückgezogen und das Geschehen lediglich vom Rande aus beobachtet haben. Mehrere Personen wurden verletzt, Festnahmen von Angreifern sind nicht bekannt."
Köln, 14.01.2015
Am "Koegida"-"Spaziergang" am 14.01.2015 nahmen zahlreiche Anhänger der "Hooligans gegen Salafisten" (laut Kölnischer Rundschau 40 Hooligans, 80 Nicht-Hooligans), nachdem ihr eigener Aufmarsch am 18.01.2015 abgesagt worden war. Fotografen wurden bedrängt. Nach Augenzeugenberichten versuchten etwa zehn Hooligans in der Innenstadt nach der Demonstration, Gegendemonstrant_innen anzugreifen.
Leipzig, 21.01.2015
Bei "Legida" in Leipzig (15.000 Teilnehmer_innen / 20.000 Gegendemonstrant_innen) ist der Anteil gewaltbereiter Rechtsextremer hier nach wie vor hoch. Dies entlädt sich gegen Ende der Demonstration in Gewalt gegen Journalist_innen: Laut LVZ sind 50 Angreifer aus dem Legida-Block auf die vor dem Demonstrationszug laufenden Presseleute gestürzt. Ein Fotograf wurde zu Boden getreten, seine Kamera-Ausrüstung zerstört. Die Polizei unterband die Angriffe zunächst nicht, trennte in der Folge die Leute. Weder wurden Personalien der Angreifer festgestellt, noch Spuren gesichert. Außerdem gingen Hooligans auf Gegendemonstrant_innen los, einige werden verletzt und müssen notärztlich behandelt werden. Erst nach 30 Minuten hat die Polizei die Lage wieder unter Kontrolle (Publikative.org).
Köln, 21.01.2015
Sechs Teilnehmer der Kögida-Demonstration (100 Teilnehmer_innen, davon rund 60 Hooligans der "HoGeSa", 1.500 Gegendemonstrant_innen) wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen, weil sie unter anderem mit Pfefferspray und Schlagstöcken bewaffnet waren.
Sollten Ihnen weitere Vorfälle bekannt sein, schreiben Sie bitte eine mail an netz@amadeu-antonio-stiftung.de, damit wir die Auflistung ergänzen können. Danke.
Ergänzung: Khaled Idris Bahray
Keinen rechtsextremen Hintergrund hatte nach aktuellem Erkenntnisstand trotz zeitlicher Nähe zur Pegida-Demonstration am 12.01.2015 in Dresden der Mord an dem 20-jährigen Flüchtling Khaled Idris Bahray aus Eritrea. Er wurde am Morgen des 13.01.2015 blutüberströmt, mit sichtbaren Verletzungen und tot vor seiner Haustür in Dresden gefunden, nachdem er am Abend zuvor um 20 Uhr die Unterkunft in der Dresdner Innenstadt verlassen hatte und nicht zurückgekehrt war. "Weil seine Mitbewohner montags aus Angst vor Pegida-Demonstrationen ihre Unterkunft kaum verlassen, wissen sie nicht, wann genau der junge Flüchtling umgekommen ist." schreibt Menschenrechtsaktivist Mekonnen Mesghena auf seiner Facebookseite. Weiter berichtet er, die Flüchtlinge ständen unter Schock und berichteten von regelmäßigen Beschimpfungen und Bedrohungen. "Montags trauen sich die Flüchtlinge kaum aus ihrer Unterkunft, weil immer wieder aggressive Teilnehmer/innen der Pegida-Demonstrationen an ihre Eingangstür treten und die Bewohner*innen beschimpfen", so Mesghena. Die Polizei dementierte zunächst einen Gewaltvorfall: Man ermittle in alle Richtungen, es könne auch ein Selbstmord, eine Krankheit oder ein Unfall gewesen sein. Dann gab eine Obduktion Klarheit: Khaled Idris Bahray ist an mehreren Messerstichen in Brust und Hals gestorben. "Mopo24" interviewt Anwohner des Hauses. Eine erzählt, im Haus wohnten "auch zwei bis drei Rechtsradikale", die "nicht die Allerfreundlichsten" seien. Es sei auch nicht der erste Vorfall. Den Flüchtlingen wurden laut Aussage eines Nachbarn Hakenkreuze auf die Tür geschmiert. Auch Alltagsrassismus gehört zu ihrem Leben, berichten Khaleds Mitbewohner (Spiegel online, n24, stern). . Die Polizei schickte erst nach der Obduktion, das heißt rund 30 Stunden nach der Tat, Beamte zur Spurensicherung zum Tatort - deshalb hat der Grüne-Bundestagsabgeordnete Volker Beck Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt gestellt. Am 23.01.2015 erlässt die Staatsanwaltschaft Dresden Haftbefehl gegen einen Mitbewohner Khaleds: Der Mann aus Eritrea soll ein Geständnis abgelegt haben, dass er den 20-Jährigen erstochen hat. Ein Streit um die Haushaltsführung sei eskaliert. Und auch wenn wir froh über jeden sind, der nicht von Neonazis ermordet wurde, bleibt die traurige Wahrheit, dass ein junger Mann nach Deutschland geflohen ist, um hier Schutz zu finden, und stattdessen ermordet wurde.
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