200 Flüchtlinge und Unterstützer_innen protestierten in Güstrow, um die Wünsche und Bedürfnisse der Flüchtlinge in die Öffentlichkeit zu tragen.
Kombinat Fortschritt

Güstrow: Der versuchte Angriff auf die Flüchtlings-Demo - aus Sicht der Flüchtlinge

In Güstrow protestierten am Sonnabend bei einer Kundgebung unter dem Motto "Wir wollen Frieden und Glück" 200 Menschen, darunter viele in Güstrow lebende Flüchtlinge, UnterstützerInnen aus verschiedenen Städten Mecklenburg Vorpommerns sowie Güstrower BürgerInnen. Anlass für die Kundgebung waren die alltäglichen rassistischen Erfahrungen und Anfeindungen vieler Flüchtlinge. Zudem formulierten sie einen Forderungskatalog für mehr Flüchtlingsrechte und bessere Lebensbedingungen. Währenddessen versuchte eine Gruppe von Neonazis, darunter der sich auf Bewährung befindende NPD-Stadtvertreter Nils Matischent, die Kundgebung anzugreifen. Anwesende UnterstützerInnen verhinderten den Angriff.

Pressemitteilung von Flüchtlingen in Güstrow und der Initiative "Güstrow Global"

"Wir sind froh darüber, dass wir selbst über unsere Situation in Güstrow öffentlich sprechen konnten. Wir wollen mitreden und den Güstrowern zeigen, wer wir sind, warum wir hier sind und woher wir kommen. Wir wollen hier mit ihnen in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben. Vielen von uns ist das aber nicht möglich. Stattdessen erleben wir beinahe täglich Rassismus, Anfeindungen und Ablehnung. Das wollen wir nicht einfach weiter akzeptieren. Der Angriff auf die Kundgebung kam für uns nicht unerwartet, dennoch sind wie schockiert darüber. Umso mehr fordern wir von der Stadt ein deutliches Bekenntnis zu den in Güstrow lebenden Flüchtlingen", sagt Khalid Mohammednur, ein Sprecher der Flüchtlinge in Güstrow. Er wünscht sich, dass dennoch die Forderungen der Flüchtlinge im Mittelpunkt stehen und nicht der Angriff der Neonazis.


Die Neonazi-Störer und Angreifer am Marktplatz in Güstrow. Foto: Kombinat Fortschritt

"Wir fordern darüberhinaus bessere Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Güstrow: mehr Platz pro Person und Zugang zu Internet in den Heimen, mehr Sozialarbeiter für alle Flüchtlinge in Güstrow, mehr professionelle Dolmetscher für Arztbesuche und Behördengänge. Langfristig fordern wir, Flüchtlinge in Wohnungen statt in Heimen unterzubringen. Wir wollen aber auch darüberhinaus uns mit allen anderen Sozialschwachen solidarisieren und uns für ein solidarisches Miteinander aller in Güstrow einsetzen", so Mohammednur weiter.

Weitere Forderungen richteten sich an die Bundesregierung und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: schnellere Bearbeitung der Asylverfahren, das Anhören der Fluchtgründe von jedem Asylsuchenden und eine Ende des Dublin-Systems, Abschiebungen – ob innerhalb der EU oder in die Herkunftsländer - zu stoppen, besseren Zugang zu Arbeit, Ausbildung, Praktika, eine gleichwertige medizinische Versorgung, Deutschkurse für alle vom ersten Tag an und einfacheren und schnelleren Familiennachzug.

Der Aufruf zur Kundgebung wurde landesweit öffentlich unterstützt durch das Bündnis "8. Mai Demmin nazifrei", Ajuku e.V. Stralsund, die Antirassistische Initiative Rostock (A.I.R.), dem AStA der Universität Rostock, Initiative "Güstrow Global", Jusos Landkreis Rostock, Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen - Kreisverband Güstrwo, Medinetz Rostock e.V., der Kampagne "MV für Kobané", "MV für alle", das Bündnis "Rostock nazifrei", Stop racism, der Basisorganisation Rostock von VVN-BdA MV (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten), dem Rostocker Friedensbündnis sowie zahlreichen Einzelpersonen wie Imam Jonas Dogesch (Sprecher von Migranet), Dr. Hikmat Al-Sabty - Landtagsabgeordneter und migrationspolitischer Sprecher Die Linke) und Eva-Maria Kröger und Carsten Penzlin (Kreisvorsitzende der Partei DIE LINKE).

Zum Übergriff hat auch die Opferberatungsstelle Lobbi e.V. eine Pressemitteilung veröffentlicht:

Versuchter Angriff auf Kundgebung von Geflüchteten in Güstrow

Etwa 15-20 zum Teil vermummte Neonazis versuchten am Sonnabend, eine Kundgebung für Flüchtlingsrechte und gegen Rassismus anzugreifen. Nur durch Zufall wurde niemand verletzt. Unter dem Motto „Wir wollen Frieden und Glück“, hatten Flüchtlinge in Güstrow zu einer Kundgebung und einem Nachmittag der Begegnung aufgerufen. Etwa 150 Personen, darunter viele Geflüchtete, folgten dem Aufruf. Nach einiger Zeit tauchte eine größere Gruppe aggressiver und zum Teil vermummter Neonazis auf. Unter ihnen wurden von Augenzeug_innen auch der vorbestrafte NPD-Stadtvertreter, Nils Matischent, sowie mutmaßliche Mitglieder der selbsternannten "Bürgerwehr" ausgemacht. Als sich Teilnehmer_innen der Kundgebung den Neonazis in den Weg stellten, warfen diese mit Stühlen eines Straßencafes auf die Demonstrant_innen. Die wenigen anwesenden Polizist_innen waren mit der Situation sichtlich überfordert, so dass es nur durch Zufall keine Verletzten gab. „Nach den Ereignissen der letzten Wochen und Monate, war zu befürchten, dass es eine Reaktion der lokalen Naziszene auf diese Veranstaltung geben würde.“, so ein Mitarbeiter der LOBBI. „Der Versuch eine angemeldete Kundgebung anzugreifen ist jedoch selbst für Güstrow ein Novum.“

Hintergrund

In der Presseberichterstattung zur Demonstration wurde der Neonazi-Angriff noch als "Scharmützel" zwischen linken und rechten Demonstranten dargestellt, wie es offenbar auch die Polizei einschätzte -  vergleiche SVZ
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ine offenkundig kenntnisreichere, weil auch anwesende Berichterstattung bot Kombinat Fortschritt. Der Blog berichtet auch, wie sich die Neonazis mit einer schwarz-weiß-roten Fahne auf den Marktplatz kamen und sofort begannen, Stühle eines Restaurants am Platz auf die Demonstrant_innen zu werfen, die sich schützend vor die Flüchtlinge und den Nazis in den Weg stellten. Die Polizei sei zunächst nicht eingeschritten, dann hätte sie versucht, die Antifas daran zu hindern, die angreifenden Nazis zurückzudrängen. Die BeamtInnen hätten nicht versucht, die Neonazis festzusetzen oder Personalien festzustellen. Auch als der Güstrower Neonazi Maik B. einen Stuhl auf einen Beamten schmiss, sei von dieser Einsatzlinie nicht abgewichen worden. Schon im Vorfeld hätte es unter lokal bekannten Neonazis im Internet Verabredungen gegeben, die Veranstaltung zu stören.

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